Heute in den Feuilletons

Der nette Herr in Uniform am Flughafen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.08.2013. Harper's berichtet, dass einige der Gerüchte, die zur Schließung von US-Botschaften vor einigen Tagen kursierten, offenbar fabriziert waren. Die Washington Post bringt neue Papiere zu Regelverstößen der NSA. Die SZ wirft der Frankfurter Richterin, die jüngst gegen Suhrkamp entschied, Voreingenommenheit vor. In der FAZ erklärt der Sachwalter des Suhrkampschen Insolvenzverfahrens, warum er trotz des Frankfurter Urteils an seinem Verfahren festhält. Die NZZ zeichnet ukrainische Debatten zu einer Gedenkstätte in Babi Jar nach. 

Weitere Medien, 16.08.2013

(Via hemartin) Sehr genau weist Ken Silverstein in Harper's nach, dass Gerüchte, die vor kurzem über den Hintergrund der Schließung von 22 US-Botschaften kursierten, offenbar auf gezielte Desinformation zurückgingen. Ergreift dabei einen Artikel Eli Lakes in The Daily Beast an, der behauptet hatte, die amerikanische Regierung sei durch die Abhörung eines 'conference call' zwischen verschiedenen Al Qaida-HIerarchen zu der Entscheidung gekommen. Sogar der nach dem Tod Osama bin Ladens verbliebene Übervater Aiman al-Zawahiri sei dabei gewesen. Als Quelle wurden ominöse Geheimdienstleute angegeben. Verschiedene amerikanische Medien sind diesen Informationen nachgegangen - und fanden nichts davon bestätigt. So habe AP herausgefunden, "dass die 'vage Verschwörung' die die amerikanische Regierung veranlasste, diplomatische Außenstellen zu schließen, aus dschihadistischen Kommentaren und verschlüsselten Nachrichten in Chat Rooms abgelesen wurde, die nichts Ungewöhnliches sind - und dass eine persönliche Betiligung al-Zawahiris höchst unwahrscheinlich" sei.

Die Washington Post berichtet unterdessen über neue Dokumente zur Tätigkeit der NSA, die Tausende mala pro Jahr die ihr gesetzten und bereits recht weit ausgelegten Datenschutzregeln gebrochen habe. Mehr dazu auch bei Spiegel Online.

TAZ, 16.08.2013

Svenja Bergt denkt über die Folgen einer Verdachtskultur nach, wie sie durch die NSA-Bespitzelungsaffäre enthüllt wurde: "Es ist das Prinzip der anlasslosen Überwachung: Sie bringt permanent Unschuldige in Verdacht, und je stärker und flächendeckender sie ist, desto wahrscheinlicher sind solche Fälle. Folgen hat das nicht nur für die Betroffenen und ihr Umfeld, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. Denn Überwachung entfaltet ihre Effekte nicht erst dann, wenn die Homeland Security vor der Tür steht oder der nette Herr in Uniform am Flughafen in einen Nebenraum bittet."

Weitere Artikel: Anlässlich des 70. Jahrestag der Ermordung von 317 Bewohnern des nordgriechischen Dorfs Komeno durch deutsche Gebirgsjäger unterhält sich Stefan Reinecke mit dem deutsch-griechischen Historiker Hagen Fleischer über bis heute ungesühnte Verbrechen der Wehrmacht in Griechenland. Nicola Liebert sieht durch den Einkauf von Finanzinvestor Carl Icahn bei Apple das endgültig Ende der Ära Steve Jobs gekommen. Brigitte Werneburg kommentiert den Freispruch für den Künstler Jonathan Meese wegen Zeigen des Hitlergrußes als sorgfältige und großzügige Bemessung des Freiraums der Kunst.

Besprochen werden die jährlich stattfindende Installation "Adelsheim leuchtet" des Videokünstlers und Schlossbesitzers Louis Freiherr von Adelsheim und das Album "We Have Come" der Münchner Express Brass Band.

Und Tom.

NZZ, 16.08.2013

In der Ukraine streitet man sich immer noch darum, wie man der von den Nazis ermordeten Juden in Babi Jar gedenken sollte, berichtet Gerhard Gnauck. Dabei sind einige Pläne abstruser als andere: "Kürzlich, im Juni, hat wieder jemand etwas versprochen: Der Großunternehmer Aleksandr Lewin, Vorsitzender einer der jüdischen Gemeinden in Kiew, hat einen Entwurf für eine Gedenkstätte mit integriertem Gemeindezentrum vorgestellt. Nach Aussagen des Architekten soll sie auch einen Springbrunnen in Form eines Davidssterns umfassen; ein 'interaktives Museum' soll entstehen, für das 'Spezialisten aus dem Ausland, wahrscheinlich aus Hollywood', herangezogen werden sollen."

Weitere Artikel: Fabienne Schmuki beschreibt, wie sich im Musikgeschäft die "Do it yourself"-Kultur seit Punkzeiten geändert hat. Angela Schader berichtet über die Reaktionen der Guardian-Leser auf die Nachricht, die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft habe einen Wettbewerb für eine neue helvetische Nationalhymne ausgelobt. Ulrich M. Schmid schreibt zum Tod des polnischen Satirikers und Bühnenautors Slawomir Mrozek. Knut Henkel stellt die britische Funkband The Impellers vor. Lesen kann man den Artikel nicht, aber hier kann man sie hören:



Besprochen wird die Aufführung von Verdis "Don Carlo" in Salzburg.

Welt, 16.08.2013

Im Feuilleton blickt Marc Reichwein nochmal ausführlich auf den Prozess gegen Jonathan Meese zurück, dessen Hitlergruß im Rahmen einer Performance nun endgültig als künstlerisch und somit harmlos gelten darf. Sebastian Borger berichtet über eine Kampagne britischer Medien gegen den deutschen Bauer Verlag, der in England expandiert und den manche mit Hinweis auf die in Deutschland produzierten Landser-Hefte stoppen wollen. Boris M. Peltonen porträtiert den Rapper Shindy, der sich mit einer ersten indexierten CD als Musterkind seines Mentors Bushido erweist.

Besprochen werden der "Rienzi" in Salzburg und John Grishams neuester Thriller.

Im Forum verteidigen Maxeiner & Miersch Drohnen als Fortschritt in der Kampfführung.

Aus den Blogs, 16.08.2013

Markus Beckedahl von Netzpolitik auf N24 zu No Spy: "warum sollen Deutschland und die USA jetzt ein No Spy Abkommen verhandeln, wenn wir bisher nicht überwacht wurden? Ein Vertrag, der unterbinden soll, was angeblich nie stattgefunden hat, klingt nicht logisch."

FAZ, 16.08.2013

Im Gespräch mit Sandra Kegel zeigt sich Rolf Rattunde, der Sachwalter des Suhrkampschen Insolvenzverfahrens, vom jüngsten Frankfurter Urteil völlig unberührt: "Mich interessiert einzig und allein die Frage, ob die Geschäftsführung des Suhrkamp Verlags dazu berechtigt war oder sogar dazu verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. Beides würde ich mit Ja beantworten. ... Und ich glaube, dass der Plan, der unter anderem eine Rechtsumwandlung von Suhrkamp in eine Aktiengesellschaft vorsieht, zulässig ist."

Weitere Artikel: Jürg Altwegg meldet den Fund eines erhellenden Briefs von Camus an Sartre, den Le Figaro auszugsweise dokumentiert. Philip Kovce warnt unter Berufung auf die Darlegungen von Krzysztof Kotowicz vor dem Gebrauch von Amazons "1-Button"-Browsererweiterung, die das Surfverhalten des Nutzers offenbar sehr lückenlos protokolliert. Jürgen Kaube führt Details zur archäologisch mittlerweile belegten "Schlacht am Harzhorn" aus. Jan Brachmann lauscht in Ansbach Bach. Jürgen Dollase plädiert für einen sorgsameren, umsichtigeren Umgang mit Essen. Marta Kijowska trauert um den polnischen Dramatiker Slawomir Mrozek.

Besprochen werden neue CDs, darunter Igor Levits Einspielung von Beethovens späten Klaviersonaten, die Ausstellung "Learning from Vernacular" im Vitra Design Museum in Weil am Rhein und Bücher, darunter Rutu Modans Comic "Das Erbe" und Joachim Meyerhoffs Roman "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

SZ, 16.08.2013

Willi Winkler greift Berichte über pädophile Tendenzen in der Nach-Achtundsechigerzeit auf. Andreas Zielcke ist so entsetzt über das jüngste Frankfurter Urteil gegen Suhrkamp, das er schreibt: "Die Richterin für voreingenommen zu halten, liegt verdammt nahe." Frankreich streitet um Frauenquoten bei der Besetzung von Chefposten in Museen und Theatern, berichtet Joseph Hanimann. Susan Vahabzadeh trifft sich mit Sofia Coppola, in deren neuem Film "The Bling Ring" man Peter Richter zufolge "einen Naturalismus der Opulenz" erblickt. Jörg Magenau gratuliert dem Dichter Reiner Kunze zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden eine Schwitters-Ausstellung im Sprengel Museum Hannover, Helge Schneiders neues, laut Joachim Hentschel "radikales, rohes, wahres" Album "Sommer, Sonne, Kaktus", eine "Don Carlo"-Aufführung in Salzburg und Andrea Maria Schenkels Kriminalroman "Täuscher", dessen realen Hintergrund Rudolf Neumaier in den Archiven gegenrecherchiert (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).