Heute in den Feuilletons
Trompetengleich heldenhaft strahlend
Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.07.2013. "Rheingold" und "Walküre" in Frank Castorfs Benzinuniversum geben der an sich gutwilligen Kritik manche Rätsel auf. Immerhin: Teufelskerlchen Kirill Petrenko erweist sich als abgefeimter Geschichtenerzähler. Und dann ist da noch Anja Kampe. In wirres.net setzt sich Felix Schwenzel nach einigem Zögern nun einen Alu-Hut auf. Der Tagesspiegel liest Orwells "1984" tatsächlich nochmal und findet ihn aktuell. Von Untertreibungen abgesehen. Und alle verabschieden sich von J.J. Cale.
Aus den Blogs, 29.07.2013
Nun weiß J.J. Cale noch genauer, wie es nach Mitternacht zugeht. Hier eine Version von "After Miidnight" aus dem Jahr 1971.
Springer verkauft auch den größten Teil seiner französischen Printmedien, medet turi2 unter Bezug auf verschiedene Quellen.
Springer verkauft auch den größten Teil seiner französischen Printmedien, medet turi2 unter Bezug auf verschiedene Quellen.
Welt, 29.07.2013
Super "Ring" in Bayreuth, ruft Manuel Brug, dem nicht nur Frank Castorfs Inszenierung des "Rheingolds" rund um eine Tanke mit Motel auf der Route 66 und der "Walküre" auf den Ölfeldern Aserbeidschans gefallen hat, sondern ganz besonders auch Kirill Petrenko am Pult: "Das Tollste an diesem neuen Bayreuther 'Ring', das lässt sich zur Halbzeit schon ganz bestimmt sagen, ist das Teufelskerlchen Kirill Petrenko im Graben. Der ist, eigentlich vom ersten Es-Dur-Rheinurgrund-Takt an, ein famoser Geschichtenerzähler. Anders als der romantisch pastose Verführer, Vermischer und Verquirler Thielemann klassizistisch-elegant, aber genauso abgefeimt, glänzend über alle klangdramaturgischen Mittel verfügend."
Weit weniger gelungen findet Joachim Mischke in Salzburg den Versuch Alvis Hermanis', Harrison Birtwistles Oper "Gawain" vom Mittelalter ins Jahr 2021 nach einer Öko-Katastrophe zu transportieren. Ein "Lichtblick" immerhin war Dirigent Ingo Metzmacher: "Unter seiner entspannt wirkenden Stabführung klingt dieser Riesenbrocken so souverän zusammengehalten und so einfach wie ein handliches 08/15-Öperchen. Birtwistles Vorliebe für gründliche Wiederholungen musikalischer Geschehnisse lässt Metzmacher nicht in wabernder Statik versuppen, sondern hält die Spannung über die vielen langen Strecken, insbesondere im zweiten Akt, in dem Hermanis zu wenig einfällt, um Gawains Erkenntnisfahndung schlüssig und vor allem interessant zu bebildern. "
Außerdem: Lucas Wiegelmann kommentiert in der Glosse Abwesenheiten in Bayreuth. Jan Küveler schreibt den Nachruf auf J. J. Cale. Und der griechische Autor Petros Markaris versucht die widersprüchliche Haltung der Griechen zu Europa zu erklären.
NZZ, 29.07.2013
In der Serie zur Demokratie lüftet Martin Meyer mit Hans Kelsen den Schleier, der in der Volksherrschaft den "unerträglichen" Umstand verdecke, dass der Mensch über den Menschen herrscht: "Das Projekt demokratischer Selbstbestimmung ist von Tragik umweht."
Weiteres: Optisch und interpretatorisch findet Peter Hagmann Frank Castorfs Bayreuther "Ring"-Inszenierung ausgesprochen aufdringlich, musikalisch aber könnte er dank Kirill Petrenko eine "bedeutsame Wegmarke" werden. Brigitte Hürlimann schwärmt von einer neuen palästinensischen Kultur-Intifada von Schauspielern, Musikern und Cineasten: "Ihre gemeinsame Waffe, ihre Taktik, ist die Kunst, ihre Botschaft unmissverständlich."
Weiteres: Optisch und interpretatorisch findet Peter Hagmann Frank Castorfs Bayreuther "Ring"-Inszenierung ausgesprochen aufdringlich, musikalisch aber könnte er dank Kirill Petrenko eine "bedeutsame Wegmarke" werden. Brigitte Hürlimann schwärmt von einer neuen palästinensischen Kultur-Intifada von Schauspielern, Musikern und Cineasten: "Ihre gemeinsame Waffe, ihre Taktik, ist die Kunst, ihre Botschaft unmissverständlich."
Tagesspiegel, 29.07.2013
Jan Schulz-Ojala macht im Tagesspiegel mit den ständigen Orwell-Vergleichen mal ernst und liest den Roman "1984" nochmal, der sich tatsächlich als erstaunlich hellsichtig erweist. Bis auf ein paar Untertreibungen: "Vollends retro erweist sich der Roman einzig darin, dass in ihm nur jene 15 Prozent der Bevölkerung total überwacht werden, die in der Partei Dienst tun. Der gemeine Rest, 'Proles' genannt, wird mit Alkohol, Pornoheftchen und Fußball ruhig gestellt und bleibt folglich überwachungsfrei. Hier ist die NSA einen Tick weiter."
TAZ, 29.07.2013
Gabriele Goettle erzählt das bewegt-bewegende Leben des Lutz Kann nach, der den Nazis erst nach Palästina entkommen war, um dann in den jüdischen Brigaden gegen sie zu kämpfen und zwanzig Jahre später nach Berlin zurückzukehren: "'Palästina war ja britisches Mandatsgebiet. Es gab arabische Großgrundbesitzer. Diese reichen Efendis, die haben nichts bearbeitet, die lebten in Paris, in London. Von denen wurde Land gekauft, auf dem dann die Kibbuzim entstanden. Das Land liegt im Tal zwischen Haifa und dem Jordantal, in der Jesreel-Ebene. Zwei Berge gibt es da, den Berg Tabor oder Tabbur, was bedeutet 'Nabel der Welt', der andere heißt Gilboa. Damals war das Land Sumpf- und Ödland. Man musste es erst mal trockenlegen, urbar machen, bewässern. Es hat Jahre gedauert, bis man überhaupt was anpflanzen konnte. Deshalb waren Kibbuzim kein Geschäft, es gab keinen Profit davon.'"
Niklaus Hablützel ist gar nicht überzeugt von Frank Castorf "Ring" (an dem ihm eigentlich nur Martin Winklers Alberich gefallen hat). Der Nibelungenschatz im historischen Materialismus? "Es ist schön, ein Weltbild zu haben, und es sei Castorf gegönnt, ebenso wie Wagner seine privaten Mythen gegönnt seien, in welchem Himmel er sich auch heute aufhalten möge. Brüder im Geiste sind die beiden schon."
Im Berlin-Teil berichtet Sebastian Erb, dass die Demonstration gegen Prism am Samstag verschwörungstheoretisch etwas aus dem Ruder gelaufen ist.
Außerdem Tom.
Niklaus Hablützel ist gar nicht überzeugt von Frank Castorf "Ring" (an dem ihm eigentlich nur Martin Winklers Alberich gefallen hat). Der Nibelungenschatz im historischen Materialismus? "Es ist schön, ein Weltbild zu haben, und es sei Castorf gegönnt, ebenso wie Wagner seine privaten Mythen gegönnt seien, in welchem Himmel er sich auch heute aufhalten möge. Brüder im Geiste sind die beiden schon."
Im Berlin-Teil berichtet Sebastian Erb, dass die Demonstration gegen Prism am Samstag verschwörungstheoretisch etwas aus dem Ruder gelaufen ist.
Außerdem Tom.
Aus den Blogs, 29.07.2013
Was ist eigentlich ein Überwachungsstaat? Und warum kann auch Leuten, die nichts zu verbergen haben, die totale Mobilmachung der Überwachung nicht egal sein? Vlogger Manniac hat seine Überlegungen dazu in einem tollen, anschaulichen Animationsvideo auf den Punkt, bzw. das Papier gebracht:
Felix Schwenzel zitiert auf wirres.net nicht nur Sascha Lobos inzwischen klassisches Tweet, sondern erzählt auch, wie er selbst sich durch den Prism-Skandal verändert hat: "ich habe an mir (und vielen anderen beobachtet), wie ich von einem verschwörungstheorien-skeptiker und jemandem der aluhüte paranoid und ansatzweise lächerlich fand, zu jemandem wurde der plötzlich sagt: huch, stimmt ja doch einiges von dem vor was die aluhüte jahrelang gewarnt haben."
Felix Schwenzel zitiert auf wirres.net nicht nur Sascha Lobos inzwischen klassisches Tweet, sondern erzählt auch, wie er selbst sich durch den Prism-Skandal verändert hat: "ich habe an mir (und vielen anderen beobachtet), wie ich von einem verschwörungstheorien-skeptiker und jemandem der aluhüte paranoid und ansatzweise lächerlich fand, zu jemandem wurde der plötzlich sagt: huch, stimmt ja doch einiges von dem vor was die aluhüte jahrelang gewarnt haben."
"Google fotografiert bald Fassaden." Volk: Apokalypse! Mindestens! - "Ihr steht alle unter Totalüberwachung." Volk: Oooh, ein Königsbaby.
- Sascha Lobo (@saschalobo) July 24, 2013
SZ, 29.07.2013
Bei Höchstemperaturen schweißgebadet berichtet Reinhard Brembeck vom Grünen Hügel in Bayreuth, wo Frank Castorf nach der "Walküre" gerade "Ring"-Halbzeitpause eingelegt hat. Bislang gibt die Inszenierung mit ihrem Kulissenwechsel von Gangster- und Westernfilm zum vorrevolutionäre Baku dem Publikum einige Rätsel auf, so Brembeck, doch "als guter dialektischer Materialist [zielt Castorf offenbar] auf eine Synthese, die sich wohl erst am Mittwoch in der 'Götterdämmerung' zeigen darf. (...) Was haben der Wilde Westen und der Kaukasus mit Wagners Walhall zu tun? Den Bezug zu Germanenmythos und deutscher Romantik leugnen diese Locations genauso wie auch die darauf abgestimmten Kostüme von Adriana Braga Peretzki. Auch der Dirigent Petrenko meidet alles Raunen, Bedeutungsheischen und Gewabere."
Außerdem: Andrian Kreye widerspricht Norbert Blüm, der in der FAS die Freiheit von Frauen, zwischen Beruf oder Familie entscheiden zu können, als endgültigen Ausverkauf an den neoliberalen Arbeitsmarkt geißelte: "Die Kinderversorgung, die Blüm als Abschieben der Kleinen in eine Rundumversorgung durch Erziehungsexperten geißelt, ist ja gerade in Deutschland reine Utopie." Jörg Häntzschel beobachtet die in Abu Dhabi entstehende Museumsinsel. David Steinitz hat sich zur Star Wars Celebration nach Essen begeben, wo er beobachtet, wie sich Mark Hamill mit seiner Über-Rolle als Luke Skywalker arrangiert hat. Joseph Hanimann liest den letzten, "leicht absurd wirkenden" Briefwechsel zwischen Hitler und Göring (in Teilen hier einsehbar). Joachim Hentschel schreibt den Nachruf auf J.J. Cale, Nico Bleutge den auf den Schriftsteller Rolf Haufs.
Besprochen werden Alvis Hermanis Inszenierung von Harrison Birtwistles Oper "Gawain" in Salzburg (die laut Michael Stallknecht nicht nur ein "Reinfall der Sonderklasse" war, sondern auch Gelächter im Saal provozierte), die Ausstellung "Nomadic Future 3.0" im Museum für angewandte Kunst in Wien und Bücher, darunter eine Szene-Rückschau auf "Wienpop" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).
Außerdem: Andrian Kreye widerspricht Norbert Blüm, der in der FAS die Freiheit von Frauen, zwischen Beruf oder Familie entscheiden zu können, als endgültigen Ausverkauf an den neoliberalen Arbeitsmarkt geißelte: "Die Kinderversorgung, die Blüm als Abschieben der Kleinen in eine Rundumversorgung durch Erziehungsexperten geißelt, ist ja gerade in Deutschland reine Utopie." Jörg Häntzschel beobachtet die in Abu Dhabi entstehende Museumsinsel. David Steinitz hat sich zur Star Wars Celebration nach Essen begeben, wo er beobachtet, wie sich Mark Hamill mit seiner Über-Rolle als Luke Skywalker arrangiert hat. Joseph Hanimann liest den letzten, "leicht absurd wirkenden" Briefwechsel zwischen Hitler und Göring (in Teilen hier einsehbar). Joachim Hentschel schreibt den Nachruf auf J.J. Cale, Nico Bleutge den auf den Schriftsteller Rolf Haufs.
Besprochen werden Alvis Hermanis Inszenierung von Harrison Birtwistles Oper "Gawain" in Salzburg (die laut Michael Stallknecht nicht nur ein "Reinfall der Sonderklasse" war, sondern auch Gelächter im Saal provozierte), die Ausstellung "Nomadic Future 3.0" im Museum für angewandte Kunst in Wien und Bücher, darunter eine Szene-Rückschau auf "Wienpop" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).
FAZ, 29.07.2013
Eleonore Büning nuanciert noch einmal ihr schon in der Sonntags-FAZ dargelegtes Bild von Frank Castorfs bunter "Rheingold"-Inszenierung unter der musikalischen Leitung Kirill Petrenkos und serviert dann schon allererste Eindrücke der "Walküre", die ihr zuweilen statuarisch erscheint - außer wenn das Live-Kamera-Team, das die Inszenierung mitfilmt, auftritt: "Als es losgeht und die von Petrenko entfesselte Gewittermusik aufgipfelt, rollt dieser seltsam kampfunfähige Wälsung in einem Ganzkörperzelt herein. Seine Sieglinde (Anja Kampe) ist bei diesem Anblick sofort ganz aus dem Häuschen. Sonnenerfüllt ist Kampes Stimme, sonor in der Tiefe, absolut intonationssicher, trompetengleich heldenhaft strahlend in der Höhe."
Weitere Artikel: Mark Siemons liest eine Nummer der chinesischen Designzeitschrift Xin Shixian (Outlook), die die Eigenschaften deutschen Designs preist. Felicitas von Lovenberg greift einen Blogbeitrag des Melville-Verlegers Dennis Johnson auf, der den Eingriff amerikanischer Kartellbehörden gegen den von Amazon entfesselten Preiskrieg fordert (mehr zum Thema auch bei buchreport.de). Sarah Khan fühlt sich durch die Aufforderung Innenministers Friedrich an die Bürger, ihre Mails privat zu verschlüsseln an private Atombunker in der Zeit des Kalten Krieges erinnert. Jan Wiele schreibt den Nachruf auf J.J. Cale. Wulf Segebrecht würdigt den ebenfalls verstorbenen Lyriker Rolf Haufs.
Besprochen werden Harrison Birtwistles an Wagner und Beuys anknüpfende Oper "Gawain" in Salzburg, eine Ausstellung über Henry van de Velde und Edvard Munch in den Kunstsammlungen Chemnitz und Bücher, darunter, der Briefwechsel zwischen Stefan George und Stéphane Mallarmé und Frank Lorenz' Biografie des 99-Tage-Kaisers Friedrich III. (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).
Constanze Kurz' letzte Maschinenraum-Kolumne vom Freitag gegen David Camerons Internet-Zensur-Ideen steht jetzt online.
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