Heute in den Feuilletons

Wenn die Idole fallen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.01.2013. In der SZ hofft Gustav Seibt, dass Großbritannien der EU erhalten bleibt. Laut Hamburger Abendblatt steht die Übernahme der FR durch die FAZ unmittelbar bevor: 30 Redakteure sollen übernommen werden, der überregionale Teil verschwindet. Die FR erzählt die Geschichte des Reisebüros MER, das unter den Nazis mit Judendeportationen und Zwangsarbeitertransporten Millionen verdiente und nach den Krieg als DER unbehelligt Urlaubsreisen organisierte. In der taz porträtiert Gabriele Goettle einen Augenarzt, der sich auch um Arme kümmert.

TAZ, 28.01.2013

Heute ist der Tag der Gabriele Goettle. In ihrer Reportage erzählt sie vom Ulmer Augenarzt Hans-Walter Roth, der immer auch Unversicherte und Papierlose behandelt hat, ebenso wie Tschernobyl-Opfer und Kosovo-Flüchtlinge: "'Weil dann aber die Zahl unserer eigenen Kassenpatienten, die infolge der Gesundheitsreform nicht mehr angemessen versorgt wurden, mit der Zeit immer größer wurde, habe ich dann 2009 die Armenklinik gegründet. Das wurde natürlich nicht gern gesehen. Also, ich unterscheide da nicht beim humanitären Einsatz, ich helfe auch unseren eigenen Menschen, wenn die in Not sind.' Er lacht sarkastisch."

Die Causa Brüderle (der die Stern-Journalistin Laura Himmelreich laut ihrem eigenen Bericht angemacht haben soll) lässt sich heute auch in der Feuilletonrundschau nicht vermeiden. Im Wocheninterview empfiehlt Friedrich Küppersbuch Stern-Redakteurinnen, die sich über Sexismus von Politikern beschweren, mal einen Blick auf die eigenen Titelbilder: "Wer mit älteren Herren über Sexismus streiten möchte, muss nicht bis zum FDP-Parteitag fahren; statt Brust im Dirndl genügt da Arsch in der Hose."

Und Tom.

FR/Berliner, 28.01.2013

Eine Jury muss darüber befinden, ob der für Klaus Kinski in den Potsdamer Platz eingelassene Stern auch nach den Enthüllungen seiner Tochter Pola erhalten bleiben soll. Daniel Kothenschulte hätte kein Problem mit einer Entfernung des Denkmals: "Die Adressaten postumer Weihen sind wir selbst, die Nachwelt. Denkmäler werden überall gestürzt, wenn die Idole fallen."

Im Aufmacher erzählt Bernd Sambale von den prächtigen Geschäften des Mitteleuropäischen Reisebüros (MER), vormals und später wieder DER, mit Judendeportationen in der Nazizeit: "Neben den Judendeportationen trug die stetig wachsende Zahl von Zwangsarbeitertransporten mit dazu bei, dass die Umsatzzahlen des MER stark wuchsen. Der Gesamtumsatz erreichte 1943 rund 343 Millionen Reichsmark. Das war mehr als Volkswagen und etwa so viel wie die Bayer AG erwirtschaften konnten." Und nach dem Krieg ging's dann als bestens positioniertes ziviles Reisebüro in die Wiederaufbaujahre.

NZZ, 28.01.2013

Marc Zitzmann tourt durch Marseilles Museen und Sehenswürdigkeiten, macht dabei aber sehr deutlich, dass die Stadt am Mittelmeer kein Hort der Hochkultur mehr werden wird: "Das Kulturangebot von Paris und Lyon liegt außer Reichweite, aber auch kleinere Städte wie Bordeaux, Nantes oder Straßburg lassen Marseille in vielerlei Hinsicht hinter sich. Selbst die südlichen Rivalinnen Montpellier und Toulouse weisen in etlichen Bereichen ein ungleich schärferes Profil auf."

Weiteres: Geneviève Lüscher besichtigt die große Nofretete-Ausstellung "Im Licht von Amarna" im Neuen Museum in Berlin. Geri Krebs berichtet von den Solothurner Filmtagen. Alfred Zimmerlin schreibt zum Tod des Komponisten Hans Ulrich Lehmann.

Weitere Medien, 28.01.2013

(Via turi2) Laut Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendblatt steht die Übernahme einer Hülle der Frankfurter Rundschau durch die FAZ bevor: "Geplant ist die Übernahme von etwa 30 Redakteuren sowie von mehreren freien Mitarbeitern. Texte zu überregionalen Themen sollen offenbar von der FAZ zugeliefert werden. Gedruckt wird die FR künftig von der Frankfurter Societäts-Druckerei, einem Schwester-Unternehmen der FAZ."

kess.de meldet unter Bezug auf die Wirtschaftswoche, dass die Gema jetzt wegen der Sperrtafeln bei Youtube Unterlassungsklage gegen Google einreicht.

(Via irights.info) Der Anwaltsverein, die Interessenvertretung aller deutschen Anwälte, spricht sich gegen ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger aus: "Die Einführung eines Leistungsschutzrechts für 'Presseverleger' ist sowohl rechtlich bedenklich als auch nicht erforderlich, so dass von dem Gesetzesvorhaben insgesamt abgerückt werden sollte. Die für die Einführung eines Leistungsschutzrechts angeführten Argumente überzeugen nicht. Unabhängig davon ist der derzeitige konkrete Gesetzesentwurf in wesentlichen Punkten zu vage und schafft damit unzumutbare Auslegungsschwierigkeiten auch und gerade mit Bezug auf die anwaltliche Praxis." Hier die Erklärung als pdf-Dokument.

Welt, 28.01.2013

Ziemlich europäisch und gut findet Mara Delius das neue Hochhaus The Shard in London, auch wenn Kritiker bemängeln, dass es den Blick auf St. Paul's verstellt: "The Shard verkörpert die Entwicklung einer Stadt jenseits des in Formen fassbaren Nationalcharakters. Was folgt daraus? Mit der transparenten Fassade und dem Drang in die Höhe ist das Gebäude auch eine unverschämte Herausforderung, das Höhlenhafte zu verlassen und den Rückzug auf sich selbst aufzugeben. Einen so europäischen Gedanken direkt in die Mitte der Hauptstadt zu setzen - das zeigt nun schon wieder eine kühle Selbstironie, wie es sie wohl nur in England gibt."

In der Leitglosse bewertet Eckhard Fuhr die Aufregung über die "angeblich sexistischen Aktenvermerke" des Berliner Zoodirektors Bernhard Blaszkiewitz als reine Taktik: "Über seine konservative tiergärtnerische Position wird nicht diskutiert, sondern es wird versucht, sie aus dem Diskurs hinaus zu mobben, indem man seine Person diskreditiert." Aus Anlass der deutsch-französischen Freundschaft buchstabiert Marc Reichwein heute in seiner Feuilletonkolumne C wie Courrières, wie das Grubenunglück in Nordfrankreich, bei dem deutsche Bergarbeiter ihrem "Erzfeind" zu Hilfe eilten: Über das Ereignis drehte G.W. Papst 1931 den Film "Kameradschaft". Michael Pilz porträtiert den 18-jährigen Singer/Songwriter Jake Bugg.

Besprochen wird Wagners Oper "Parsifal" in historischer Aufführungspraxis, dirigiert von Thomas Hengelbrock.

FAZ, 28.01.2013

Sandra Kegel porträtiert den im idyllischen Vorarlberger Land lebenden Autor Michael Köhlmeier, der mit "Die Abenteuer des Joel Spazierer" einen Schelmenroman vorlegt und nach Kegel nun endlich einen der großen deutschen Literaturpreise verdient hat. Michael Hanfeld rätselt über die Gründe von Monika Piels plötzlichem Rücktritt als ARD-Vorsitzende und WDR-Intendantin. Lena Bopp verfolgte in Frankfurt eine Tagung über afrikanische Literatur. Wiebke Hüster wirft einen deprimierten Blick auf den Niedergang einiger einst berühmter Tanzgruppen wie der jüngst in Hamburg gastierenden dänischen "Cullberg"-Kompagnie.

Besprochen werden Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür", angereichert mit Passagen aus Sönke Neitzels und Harald Welzers Buch "Soldaten - Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben" in der Berliner Schaubühne, "Lucio Silla" mit Rolando Villazón in Salzburg, Tennessee Williams' "Sommer und Rauch" am Schauspiel Bonn und Brittens "Peter Grimes" an der Deutschen Oper Berlin sowie Bücher, darunter Carlos Widmanns Porträt über Fidel Castro (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

In der FAZ am Sonntag kommentiert Claudius Seidl die Sexismus-.Affäre um den FDP-Politiker Rainer Brüderle und die Stern-Reporterin Laura Himmelreich: "Sexismus ist kein Problem des Begehrens, der Erotik, der Sexualität. Sexismus ist ein Problem der Macht, und es ist die Reporterin, die das Machtspiel beginnt."

SZ, 28.01.2013

Die kühle, durch David Camerons jüngste Spitzen bekräftigte Haltung der Briten gegenüber Europa erklärt sich Gustav Seibt in einem historischen Überblick vor allem durch die Insellage des Landes: Kaum Schlachten auf eigenem Boden und nie die Erfahrung einer Niederlage. Und: "Es wäre nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch kulturell extrem schade, wenn diese britische Coolness - Karl Heinz Bohrer würde von Stolz sprechen - dem Kontinent verloren ginge, nur weil ein ziemlich schwächlicher Premierminister seine parteipolitische Haut retten wollte. Denn am Ende war es immer Großbritannien, das die Festlandeuropäer von ihren furchtbaren Verkrallungen befreit hat."

Weitere Artikel: Nach dem Beitritt Deutschlands zum Unesco-Abkommen zur Erhaltung des immateriellen kulturellen Erbes wünscht sich Stephan Opitz statt einer neuen Beliebigkeit, was Kulturgüter betrifft, lieber eine "eine verbundene Bildungs- und Kulturpolitik, die den Anspruch hat, das kulturelle Erbe anschauen, begreifen und verstehen zu können". Till Briegleb besucht das neueröffnete St. Annen-Museum in Lübeck. Außerdem dokumentiert die SZ Ernst Augustins Dankesrede zur Auszeichnung mit dem Preis "Von Autoren für Autoren".

Besprochen werden eine Fotoausstellung mit Bildern von Margaret Bourke-White im Gropiusbau in Berlin, eine Lola-Montez-Aufführung in München (der Egbert Tholl einige Straffungen vorschlägt, damit sie "Kult" werden könne), und Bücher, darunter Petros Markaris' Krimi "Zahltag" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).