Heute in den Feuilletons

Aufgrund eigener Wertung

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.12.2012. In der Suhrkamp-Sache holen die Zeitungen nach einem Tag der Schockstarre jetzt groß aus. Die FAZ klärt Ulla Unseld-Berkéwicz über ihre Dienstpflichten auf. Die SZ kritisiert ihren juristischen Beistand. Die taz bringt (mit dem Börsenblatt) bereits Nachfolgeverleger ins Spiel. Auch die Debatte um Leistungsschutzrechte für die guten alten Zeitungen geht weiter: Nach einer Anfrage der Linksfraktion weiß die Regierung auch nicht, wer von Regelungen betroffen ist und schlägt eine Klärung auf dem Rechtsweg vor.

Weitere Medien, 12.12.2012

Frauke Meyer-Gosau von der Cicero-Beilage Literaturen findet in einem Kommentar zum Suhrkamp-Prozess zwar keine besonders freundlichen Worte für den Barlach-Erben Barlach, sieht aber auch Fehler auf der Seite der Suhrkamp-Erbin Berkéwicz. Hauptsache aber wäre für sie eine Rettung des auch inhaltlich wieder erstklassigen Hauses: "Die Sache ist verfahren und ganz besonders dramatisch deshalb, weil der Suhrkamp Verlag in diesem Jahr ohne Zweifel das beste: das jüngste, vielseitigste und intelligenteste Programm aller deutschen Verlage hatte."

Aus der stark verschuldeten, nur mehr von Millionären mit Finanzspritzen am Leben gehaltenen Zeitung Libération soll ein Mittelding aus Abozeitung und zahlbarem Internetdienst werden, meldet Le Monde: "Zur Zeit liegen die Verkäufe am Kiosk nurmehr bei 40 bis 50.000 Exemplaren. Das neue Modell setzt voraus, dass die Redaktion alle Medien bespielt und sowohl fürs Netz als auch für Print schreiben, was jetzt schon meist der Fall sei."
Stichwörter: Cicero, Suhrkamp Verlag

TAZ, 12.12.2012

"Mit moralischen Kategorien kommt man hier nicht weiter", kommentiert Jörg Sundermeier, Gründer des Verbrecher Verlags, den "Großalarm im Feuilleton" und möchte den Streit um Suhrkamp ganz unternehmerisch betrachten: "Ulla Unseld-Berkéwicz mag ihren Konkurrenten Barlach allzu kaltschnäuzig behandeln. Doch Hans Barlach erweist sich in nahezu jeder öffentlichen Äußerung als verlegerisch inkompetent. Gestern berichtete das Branchenmagazin boersenblatt.net, dass er die Verleger von Piper, Kiepenheuer & Witsch und Rowohlt als potenzielle Nachfolger für Unseld-Berkéwicz ins Spiel gebracht habe. Diese werden nun ihren Finanziers versichern müssen, dass es keine Ablösungsgespräche gegeben habe. Das ist armselig."

Zur weltweiten Lesung von Texten und Briefen der Band Pussy Riot erinnert Sonja Vogel daran, welch neuralgischen Punkt die eingekerkerten Künstlerinnen getroffen haben: "Ihre Kritik nämlich geht über das System Putin hinaus, richtet sich gegen autoritäre und religiöse Strukturen, gegen den bürgerlichen Wertekanon. Junge Frauen, Mütter gar, die sich gegen die Institution Familie aussprechen? Unverzeihlich."

Außerdem: Julian Weber berichtet vom Festival Rencontres Transmusicales in Rennes. Sven von Reden war auf dem Filmfestival in Marrakkesch.

Und Tom.

Aus den Blogs, 12.12.2012

Wer oder was gegen das künftige Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse verstößt, bleibt unklar, meldet das Blog von irights.info. Die Linskfraktion hatte eine Anfrage gestellt. Laut Antwort (hier als pdf-Dokument) der Bundesregierung wären Dienste, die wie der Perlentaucher "dem Internet-Nutzer aufgrund eigener Wertung eine Auswahl von Presseerzeugnissen anzeigen", zwar nicht betroffen, aber Näheres sollen die Zeitungen bitte vor Gericht klären: "Diese abstrakt-allgemeine Regelung wird nach Verabschiedung des Gesetzes auf konkrete Sachverhalte anzuwenden sein. Soweit sich Auslegungsfragen stellen, werden sie durch die Gerichte entschieden. Das wird auch für das neue Leistungsschutzrecht für Presseverleger gelten."

Lothar Struck liest für glanzundelend.de einige Neuerscheinungen zur Gruppe 47: "Als unabding- und unbefragbarer Zugangscode zur Gruppe galt schnell eine linksliberale Gesinnung, die Richter 'Mentalität' nannte. 1963 brüstete sich Hans-Magnus Enzensberger im Dokumentarfilm zur Gruppe 47 von Sebastian Haffner damit, dass sich in der Gruppe niemand befinde, der ein Hitler-Gedicht geschrieben habe. Dies war eine Anspielung auf Leute wie Gottfried Benn, oder Ernst Jünger. Dass mindestens ein Waffen-SS- und ein NSDAP-Mitglied unter ihnen regelmäßige Gäste waren, wusste er damals noch nicht."

NZZ, 12.12.2012

Die ägyptische Autorin Mansura Eseddin schildert sehr eindringlich die Lage in Kairo, wo die Opposition verzweifelt gegen die Selbstermächtigung von Präsident Mursi und seinem Propaganda-Apparat der Muslimbruderschaft zu kämpft: "Ein weiteres Produkt dieser Propagandamaschinerie ist die irreführende Verkürzung der jetzigen Konfliktlage auf eine Konfrontation zwischen Religiösen und Säkularen. Denn in Wahrheit geht es um die Konfrontation zwischen einem autoritären Regime und einer wachsenden Zahl von Menschen, die ihre demokratische Vision verteidigen wollen."

Besprochen werden unter anderem die Ausstellung zum Internationaler Hochhauspreis "Best Highrises" im Frankfurter Architekturmuseum, die Schau "Schwestern der Revolution" im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen, Martin Mulsows Ideengeschichte der frühen Neuzeit "Prekäres Wissen", Herbert Schnädelbachs Band "Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 12.12.2012

Im Streit um die Verlegung der Alten Meister aus der Gemäldegalerie ins Bodemuseum will Kulturstaatsminister Bernd Neumann einerseits die "offenen" Ergebnisse der Planungsstudie abwarten, bevor endgültig entschieden wird. Andererseits ist er immer noch für den Umzug. Kein Widerspruch, findet er im Interview: "Erstens ist der Plan einer sogenannten Museumsrochade nicht mein Plan, sondern der aller Museumsfachleute der Stiftung Preußischer Kulturbesitz seit vielen Jahren - im Übrigen unterstützt von den führenden Experten fast aller großen Museen im Ausland. Zweitens ist die Planungsstudie ergebnisoffen angelegt. Außerdem muss ja nicht die eigene Meinung über Bord geworfen werden, nur, weil eine unabhängige Prüfung von möglichen Alternativen veranlasst wurde."

Weitere Artikel: Peter Jackson plaudert im Interview über seinen neuen Film "Der Hobbit". Tolkien hätte diesen "Hobbit"-Film vermutlich ganz gern gemocht, glaubt Wieland Freund. Bei der Dankesrede für den Friedensnobelpreis hätte die EU ruhig auch ein Wort des Dankes an Amerika richten können, meint Michael Stürmer. Uwe Schultz betrachtet die neue Regierung in Frankreich und stellt fest: es sind alles Absolventen der ENA. Schumpeter-Anhänger Alan Posener fühlt sich angesichts der drohenden Schließung des Opelwerks in Bochum doch etwas ungemütlich: "Die kreative Zerstörung hat einen menschlichen Preis; und den zahlen nicht wir, die wir das unverdiente Glück hatten, eine gute Schulbildung und ein vom Staat bezahltes Universitätsstudium zu genießen." Manuel Brug schreibt zum Tod der Schweizer Sopranistin Lisa Della Casa.

Besprochen werden "Verbrechen lohnt sich", eine Ausstellung zum Kriminalfilm im Museum für Gestaltung in Zürich und eine Aufführung von Giacomo Meyerbeers "liebenswürdig harmloser" Oper "Robert der Teufel" in London.

FAZ, 12.12.2012

Im großen Leitartikel auf Seite 1 des politischen Teils attackiert Jürgen Kaube Ulla Unseld-Berkéwicz vom ganz hohen Ross: "Die Dienstpflicht am Symbol hätte gerade dem Gewissen derjenigen bewusst sein müssen, die das symbolische wie das ökonomische Kapital nur geerbt, nicht erarbeitet haben. Die Rationalität des Ausschlachtens eines Verlages wäre eine schäbige. Die Irrationalität seiner Nutzung zur Selbsterhöhung aber ist eine törichte."

Im Feuilleton stellt Dietmar Dath die erste Folge des wieder von Peter Jackson verantworteten Schlachtgetümmels der "Hobbits" vor. Dirk Schümer gibt dem Internet in Gestalt des Bloggers und Populisten Beppe Grillo schuld an einer weiteren Verrohung der italienischen Debatte. Nils Minkmar mahnt den französischen Präsidenten, familiäre Querelen nicht weiter an die Oberfläche treten zu lassen. Oliver Tolmein folgte einer Anhörung im Bundestag zur Frage einer zwangsweisen psychologischen Betreuung von Demenzkranken. Gerhard Rohde schreibt zum Tod der Sopranistin Lisa della Casa. Nur online bisher die Meldung vom Tod Ravi Shankars.

Besprochen werden ein "Fliegender Holländer" unter Andreas Homoki in Zürich, eine Ausstellung mit Fotografien von Walker Evans in Köln, Oliver Klucks Stück "Männer Frauen Arbeit" am Hamburger Schauspielhaus und Bücher, darunter Nella Larsens Roman "Seitenwechsel" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 12.12.2012

Viel zu lange haben es sich die deutschen Geschmackseliten und Intellektuellen im politisch Ungefähren bequem gemacht, kritisiert Ina Hartwig. Sie wünscht sich klare Positionen und Bekenntnisse, insbesondere auch, da sich im öffentlichen Gespräch nur noch sorgenerfüllte Ausblicke auf die Zukunft finden: "Man darf sich ernsthaft fragen, in wessen Interesse diese lähmende Dauerfurcht eigentlich eingeträufelt wird und warum wir davon so besessen sind. Es wird Zeit, sich davon frei zu machen und die Zurückhaltung aufzugeben. Demokratie ist mehr als eine Frage des (Lebens-)Stils." Sie selbst bekennt sich bei der Gelegenheit zur Sozialdemokratie, auch wenn das Karl Heinz Bohrers ästhetisches Empfinden verletzt.

Außerdem: Anlässlich der heutigen Entscheidung des Bundestags über den rechtlichen Status der religiösen Beschneidung wundert sich Johan Schloemann im Rückblick auf die Beschneidungsdebatte des letzten Sommers über den universellen Anspruch in der Argumentation der Beschneidungsgegner. Alexander Menden lauscht bei einer Londoner Tagung über die "elektronische Stadt" kompetenten und im Nu kompetent widerlegten Vorträgen. Willi Winkler erlebt bei Peter Jacksons neuem Film "Der Hobbit" dank modernster Kameratechnologie "einen Tiefenrausch ohnegleichen". Jens Malte Fischer schreibt den Nachruf auf die Sängerin Lisa Della Casa. Auf Youtube singt sie für uns Strauss:



Besprochen werden neue Technoveröffentlichungen, Achim Freyers "Siegfried"-Inszenierung am Nationaltheater Mannheim und Bücher, darunter Max Goldts neue Textsammlung "Die Chefin verzichtet", von der wir hier eine Leseprobe finden (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

Auf Seite Drei zeigt sich Lothar Müller in einem Abriss über die Entwicklungen im Suhrkamp-Prozess fassungslos über Peter Raue, den prominenten Anwalt der bisherigen, von diesem Posten gerade gerichtlich enthobenen Geschäftsführung: "Ulla Unseld-Berkéwicz war juristisch sehr schlecht beraten, als sie ihr legitimes Anliegen, dem Verlag einen glänzenden literarischen Salon zu verschaffen, ausgerechnet durch die Vermietung der eigenen Villa verwirklichen wollte. Denn der Konflikt mit dem Minderheitsgesellschafter Hans Barlach besteht schon seit seinem Eintritt in die Gesellschaft, und Sonderklauseln für Kultur gibt es im Gesellschaftsrecht nicht."

Die Anwaltssozietät Raue LLP legt hinsichtlich der Berichterstattung der "SZ" Wert auf die Feststellung, dass die Anwaltssozietät Raue LLP den Suhrkamp-Verlag nicht bei der Anmietung der Veranstaltungsräume in der Gerkrathstraße beraten habe: "Peter Raue ist mit dem Vorgang Gerkrathstraße erstmalig befasst worden, als er von der Geschäftsführung um Vertretung in dem bereits anhängigen Schadenersatzprozess gebeten wurde", heißt es in einer Stellungnahme der Sozietät. Zweitens habe die Kanzlei "die Geschäftsführung gerichtlich auch nur in dem Schadenersatzprozess vertreten, nicht dagegen in der Parallelsache, in der es um die Abberufung der Geschäftsführung geht." Die entsprechende Darstellung aus der "SZ" bezeichnet die Anwaltssozietät Raue LLP als "Falschmeldung".

Die SZ hat den Artikel inzwischen kommentarlos stark gekürzt online gestellt und jeden Hinweis auf Peter Raue gestrichen.