Heute in den Feuilletons

Erleuchtung im Gemeinschaftserlebnis

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.06.2012. In der SZ erinnert Vassilis Vassilikos an die Zeiten, als sich deutsche Autoren  noch für Griechenland interessierten. In der taz verteidigt Jo Lendle die Rolle der Verlage: Oder wollen Sie ein unlektoriertes Buch lesen? Unterschiedlich wird das Frankfurter Jeff-Koons-Spektakel aufgenommen. Die FR erfreut sich an prallen, priapischen Skulpturen, der FAZ missfällt der Versuch, den schrillen Geschmack einer ökonomischen Super-Elite zu veredeln. Trotzdem gibt es allgemein gute Vibrationen.

TAZ, 20.06.2012

In einem Gespräch verteidigt DuMont-Verleger Jo Lendle die Rolle der klassischen Verlage im Buchgeschäft, die weder obslote geworden noch bloße Verwerter seien: "Wenn es keine Filter gibt, herrscht erst einmal Rauschen. Das Rauschen zu dämmen, ist das Versprechen von Institutionen wie einem Buchverlag. Ich glaube, dass diese Arbeit auch weiterhin geschätzt werden wird. Es ist kein wahnsinnig großes Vergnügen, ein unlektoriertes Buch zu lesen. Diese Erfahrung muss vielleicht erst noch gemacht werden. Sowohl die Auswahl des Programms als auch die Begleitung eines Buchs von der Entstehung bis zur Fertigstellung sind wichtige Aufgaben. Wir werden Systeme nebeneinander haben; genauso wie wir das E-Book neben dem gedruckten Buch haben werden, wird es das klassische Buchgeschäft geben neben einem Buchgeschäft ohne Verlage, wie wir sie kennen."

Das aktivistisch-künstlerische Kollektiv Schwabinggrad Ballett berichtet mit großer Begeisterung von seinem Auftritt bei der Wahlparty der griechischen Syriza. Besprochen wird Madonnas neuer Film "W.E." über König Edward VIII. und Wallis Simpson, den Thomas Groh als "schmalzigen Pastiche aus Royalisten- und Penthousedrama" begräbt.

Und Tom.

FR/Berliner, 20.06.2012

Auch wenn Jeff Koons' Bilder im direkten Vergleich zu seinen Skulpturen eher das Nachsehen haben, flaniert Peter Michalzik doch im denkbar positivsten Sinne erschlagen durch die beiden Frankfurter Ausstellungen des Künstlers in der Schirn und im Liebieghaus: Diese Skulpturen "sind prall, priapisch, phallisch, ganz egal, ob sie sexuelle Inhalte haben oder nicht. Sie sind da. Koons ist kein Sinnkünstler, er ist ein Präsenzkünstler. ... Da wird das Perfekte zum Naiven."

Weiteres: Marten Hahn spricht mit Andrew Patterson, der den Pavillon vom Gastland Neuseeland der kommenden Frankfurter Buchmesse gestalten wird. Jens Balzer gratuliert Brian Wilson von den Beach Boys zum 70. Geburtstag, der diesen hoffentlich mit good vibrations begeht:



Besprochen werden Madonnas Liebesfilm "W.E.", in dem es "hilflos küchenpsychologisch" zugeht, und Goncalo M. Tavares Roman "Die Versehrten" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

Welt, 20.06.2012

Skeptisch nimmt Sarah Elsing die Frankfurter Jeff-Koons-Ausstellungen in Liebighaus und Schirn auf: "Klar, das Bunte, das Laute, das Sexuelle dieser Bilder spricht den Betrachter auf einer basalen Ebene sofort an, vor allem den männlichen. Ob es eine zweite Ebene darüber gibt, bleibt fraglich. Nicht mal der Kurator kann sie klar benennen. "

Weiteres: Henryk Broder plädiert für die Abschaffung der Talkshows ("Gestern Guttenberg, heute der Euro, morgen die Importbräute"). Christina Hoffmann interviewt den Indierocker Maximo Park. Frank Schmiechen gratuliert dem Beach Boy Brian Wilson zum Siebzigsten. Thomas Kielinger weist darauf hin, dass es in Großbritannien durchaus noch Republikaner gibt, die aber auch nur als Stachel im Fleisch der Monarchie gute Dienste erwiesen.

Aus den Blogs, 20.06.2012

(Via Jörg Lau) Das kommende Match: Idealisten gegen Analytiker, oder so.


SZ, 20.06.2012

Der Schriftsteller Vassilis Vassilikos erinnert an die Zeiten der deutsch-griechischen Freundschaft, an seine Zusammenarbeit mit Hannah Arendt, Peter Weiss und Günter Grass und rät Europäern und Griechen zum Schulterschluss: "Heute erleben wir leider eine Art 'inszenierte' Rivalität, die auf die Strukturschwächen unseres Systems zurückzuführen ist - genauso wie auf das rigorose Sparprogramm, das von der 'Troika' und von Deutschland vorangetrieben wird, und auf gegenseitiges Misstrauen. Können aber Wirtschaft und Politik die Kultur dominieren?... Das griechische Volk sollte weder den Finanzmärkten und Euro-Hardlinern als 'Laborkaninchen' dienen, noch einem abenteuerlichen Linkspopulismus zum Opfer fallen. In diesen 'finsteren Zeiten' braucht Griechenland europäische Solidarität - zugleich aber muss es sich mit Europa solidarisieren."

Weiteres: Catrin Kahlweit stellt die slowenische Stadt Maribor, die Europäische Kulturhauptstadt 2012, vor. Philip Kovce vermisst nach der Lektüre des aktuellen "Google Transparency Report", in dem das Unternehmen erfolgreiche staatliche und juristische Löschanträge offenlegt, die transparente Offenlegung der Entscheidungsgrundlagen. Laura Weissmüller wirft einen genaueren Blick auf neue Flughäfen weltweit, die im Zuge der Globalisierung immer mehr zu Drehkreuzen und Wartesälen werden. Peter Laudenbach begutachtet bei der "Langen Nacht der Autoren" neue Stücke am Deutschen Theater in Berlin. Birgit Weidinger nimmt Abschied von der Autorin Gitta Sereny. Willi Winkler gratuliert Beach Boy Brian Wilson zum 70. Geburtstag.

Besprochen werden neue Jazzveröffentlichungen, Dirk Lauckes Recherche-Theaterprojekt "Einigkeit und..." am Theater Heidelberg, die Ausstellung "Making History" im Frankfurter Kunstverein, Madonnas zweite Regiearbeit "W.E." und Bücher, darunter Rayk Wielands Roman "Kein Feuer, das nicht brennt" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 20.06.2012

Vulgarität, Porno, offen ausgestellter Kommerz? Niklas Maak kann sich zwar mit vielem arrangieren, was die große Jeff-Koons-Doppelschau in Frankfurt (in der Schirn und im Liebieghaus) betrifft, doch in einer Sache bleibt er hartnäckig. Sein Problem: "Die Verwandlung des Museums von einem Ort, an dem das Bürgertum seine Ästhetik immer wieder neu verhandelt, zu einem Ort, an dem man die kunsthistorische Veredelung des schrillen Geschmacks einer ökonomischen Super-Elite betreibt - und den Leuten das dann auch noch mit der Jeff Koons eigenen Psychowellnessrhetorik als neue Form von Gemeinschaftserlebnis andreht. ... Kunst wird hier als Mittel der Selbstoptimierung und als Teil eines sektenhaften Weges zur Erleuchtung im Gemeinschaftserlebnis verkauft."

Weiteres: Barbara Zuber bilanziert die erste "musica viva"-Saison in München unter dem neuen Chef Winrich Hopp, auf dessen zweite Saison sie jetzt schon sehr gespannt ist. Hannes Hintermeier berichtet von Diskussionen über eine mögliche Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Kerstin Holm erfährt bei der Re-Lektüre von Iwan Gontscharows Roman "Oblomow" einiges über "die deutsch-russischen Verflechtungen". Tilman Spreckelsen übermittelt Geburtstagsglückwünsche an Brian Wilson. Gina Thomas schreibt den Nachruf auf die Autorin Gitty Sereny.

Besprochen werden Madonnas Film "W.E.", einige Stücke, die auf der Theaterbiennale in Mainz und Wiesbaden zu sehen sind, eine Ausstellung über die Wilhelmstraße in der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin und Bücher, darunter George Dysons "Turing's Cathedral", das sich Günter Hack zufolge "in seinen stärksten Passagen (...) wie ein Werk von Thomas Pynchon" lese (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).