Heute in den Feuilletons

Sie rezensieren, loben und verbreiten auch

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.05.2012. Der Urheber-Aufruf sorgt weiter für Debatten - nun melden sich allerdings auch Autoren, die ihn kritisieren. Cora Stephan will in der Welt die Front gegen die Leser aufbrechen. Benjamin Stein fordert in der Jüdischen Allgemeinen die Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter. Alle Zeitungen begrüßen den Büchner-Preis für Felicitas Hoppe. Nur die SZ überlegt, wer ihr lieber gewesen wäre.

TAZ, 16.05.2012

Christoph Schröder liest aus aktuellem Anlass Felicitas Hoppes neuen Roman "Hoppe": "So motivreich und so tief eingearbeitet in die Literaturgeschichte und in das Werk von Felicitas Hoppe selbst ist 'Hoppe', dass es jede Beschreibung nahezu unmöglich macht. Die Sage vom Rattenfänger von Hameln und die Geschichte von Pinocchio, Abenteuer- und Rittergeschichten und nicht zuletzt die Prosaarbeiten einer Schriftstellerin namens Felicitas Hoppe bilden ein Spiegelkabinett, in dem man kaum zur Ruhe kommt."

Besprochen werden Sacha Cohens neue Satire "Der Diktator" und der Dokumentarfilm "Marley", und Cristina Nord schickt ihre erste Kolumne aus Cannes.

Schließlich Tom.

Aus den Blogs, 16.05.2012

Alvar Freude ist im Odem.Blog ein bisschen enttäuscht von den "Wir sind die Urheber"-Urhebern, die er per E-Mail kontaktiert hat: "Inhaltlich war die häufigste Antwort auf meine Fragen 'ich habe keine Ahnung, aber der Gesetzgeber muss Abhilfe schaffen'; keiner der Autoren sieht direkte finanzielle Probleme. Aber vielleicht in der Zukunft!"

Perlentaucher, 16.05.2012

"Nicht das Netz ignoriert die Urheberrechte, sondern die Autoren haben keine Ahnung vom Netz", meint Thierry Chervel in Antwort auf einen FAZ-Artikel von Sibylle Lewitscharoff und die Autoren des "Urheber-Aufrufs": "Das Problem dieser Autoren mit dem Netz ist weniger, dass es ihre Einnahmen als dass es ihr Selbstbild als Autor in Frage stellt... Das Netz hat längst eine andere Praxis und einen anderen Begriff der Autorschaft entwickelt, mit dem sich so gut wie keiner der bekannteren Schriftsteller in Deutschland (Rainald Goetz ausgenommen) überhaupt nur gedanklich auseinandergesetzt hat, geschweige denn, dass deutsche Autoren damit experimentieren würden."

Freitag, 16.05.2012

Die bisher beste Analyse der Position der Piratenpartei zum Urheberrecht, geschrieben von Wolfgang Michal, findet sich jetzt aktualisiert auch im Freitag: "Um den inneren Widerspruch ihres Programms zuzudecken, fordert die Piratenpartei einen vage bleibenden 'Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Urheber und denen der Öffentlichkeit'. Hier hätte man gern etwas Konkretes erfahren."
Stichwörter: Piratenpartei, Urheberrecht

Weitere Medien, 16.05.2012

Benjamin Stein, Autor des Romans "Replay" ist in einem Artikel für die Jüdische Allgemeine nicht einverstanden mit den "Wir sind die Urheber"-Urhebern: "Die Resolution legt nahe, es gäbe ernsthafte Bestrebungen, das Urheberrecht als 'historische Errungenschaft bürgerlicher Freiheit gegen feudale Abhängigkeit' gänzlich abzuschaffen. Doch nicht einmal das Parteiprogramm der Piraten, die als Speerspitze der Urheberrechtsgegner betrachtet werden, gibt eine solche Lesart her. Was gefordert wird, ist eine Anpassung der Gesetze an die durch das Internet gesetzten neuen Gegebenheiten. Davor wird sich der Gesetzgeber nicht drücken können."
Stichwörter: Internet, Urheberrecht

Welt, 16.05.2012

Im Forum watscht Autorin Cora Stephan die "blasierten Nerds" ab, die sich hinter Anonymus verbergen. Aber sie lässt auch ihre "Wir sind die Urheber"-Kollegen nicht ungerupft, die ausgerechnet ihre Leser kriminalisieren wollen. Es sind Fans, "die unsere Bücher herunterladen, um sie auch noch zu lesen! Und sie laden nicht nur runter, sie rezensieren, loben und verbreiten auch. Wahrscheinlich würden sie für ihren Stoff sogar bezahlen, wenn - ja wenn der Preis nicht nur für gebundene, sondern eben auch für E-Books hierzulande nicht zu hoch wäre."

Tilman Jens findet es absurd, dass SZ-Redakteur Hans Leyendecker den Nannen-Preis abgelehnt hat, weil auch Bild-Journalisten einen bekamen: "Auch wenn es manchen schmerzt: Das aufklärerische Wächteramt der Presse ist kein Privileg der großbürgerlichen Redaktionsstuben - und Berührungsangst ganz gewiss keine journalistische Tugend."

Im Feuilleton würdigt Richard Kämmerlings die Schriftstellerin Felicitas Hoppe, die in diesem Jahr mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wird: "Der Büchnerpreis geht an eine Autorin, deren Poetik zeitgemäßer kaum sein könnte - auf Augenhöhe mit der Gegenwart, auch wenn sie die Augen geschlossen hält."

Weitere Artikel: Julia Smirnova berichtet von der Protestbewegung in Russland, die mit demonstrativem "Spazierengehen" viel mehr Menschen anzieht als erwartet. Ferdinand von Schirach zeigt sich in der Leitglosse angewidert von der Urheberrechtsdebatte. Am Ende des Prozesses gegen Verena Becker weiß man immer noch nicht, wer Siegfried Buback erschossen hat, berichtet eine genervte Andrea Hanna Hünniger. Alan Posener bekämpft in seiner Kolumne "J'accuse" den inneren Schweinehund, der sich deutlich zeigt, wenn er ausnahmsweise mal Businessclass fliegt.

Besprochen werden Sacha Baron Cohens Film "Der Diktator" und Lasse Hallströms Film "Lachsfischen im Jemen".

NZZ, 16.05.2012

La maison rouge in Paris widmet eine ganze Ausstellung mit 108 Arbeiten von 81 Künstlern dem "künstlerischen Material" Neonröhre und wirft dabei tiefgreifende Fragen zum Wesen der Kunst auf, wie Marc Zitzmann feststellt: "Neonröhren erblickt man tagtäglich - und sieht sie doch nie. Kunst bewirkt, unter anderem, dass man bewusst anblickt, was man tagtäglich übersieht. Das ist zwar nicht ihr Ziel - ob Kunst überhaupt ein Ziel hat, ist ein unerschöpfliches Diskussionsthema -, aber zumindest ein willkommener Nebeneffekt."

Weiteres: Susanne Ostwald wirft einen Blick ins Programm heute beginnenden 65. Filmfestspiele in Cannes und wundert sich ein wenig über die amerikanische Dominanz. Angela Schader berichtet hingerissen von Orhan Pamuks Museum der Unschuld in Istanbul. Außerdem werden Bücher besprochen, darunter Helon Habilas Roman "Öl auf Wasser", vor dem Uwe Stolzmann fasziniert warnt: "Der schöne Text bündelt schreckliche Dinge" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 16.05.2012

Thomas Steinfeld will zwar "nichts, gar nichts" gegen Felicitas Hoppe sagen, zufrieden ist er mit dem Georg-Büchner-Preis für die Autorin aber auch nicht, da die Auszeichnung dem Anspruch des Preises, "nicht nur das besondere und das besonders gelungene, sondern auch das allgemeingültige Werk zu repräsentieren", nicht entspreche: Von Hoppes literarisches Werk sei, "so interessant es sein mag, so tief es hineinschauen mag in die Zweifelhaftigkeiten von Identität und Geschichte, doch auch folgenlos: Wenn sie, was sie gern tut, in ihren Geschichten Zwiesprache hält mit den eigenen Figuren, dann verwandeln sich diese immer wieder in Kostüme ihrer selbst, hübsch anzusehen, doch leer." Steinfelds Alternativkandidaten: Sibylle Lewitscharoff, Georg Klein und Rainald Goetz.

Weiteres: Tobias Kniebe trifft auf den Regisseur Wes Anderson, dessen Film "Moonrise Kingdom" heute das Filmfestival in Cannes eröffnet. Johan Schloemann hat sich in München einen Vortrag von Giorgio Agamben angehört, der darin sein neues Projekt, die "geistesgeschichtliche und gesellschaftskritische" Untersuchung der "Figur des Gebietens und Befehlens", vorstellte. Interessant findet Ronen Steinke die Ergebnisse der Glücksforschung zwar schon, in einer verordneten "Beglückungspolitik" sieht er dennoch zunächst einmal nur das Risiko von Indoktrination. Mit der befriedigten "Sehnsucht eines Operngängers" stellt Reinhard Brembeck fest, dass die Inszenierungen von "Wozzeck" (am Staatstheater Stuttgart) und "Ariodante" (am Theater Basel) kein "Regietheater in der altbekannt überlebten Form" zeigen. Volker Breidecker berichtet vom Literaturfestival LiteraTurm in Frankfurt.

Im Medienteil empfiehlt Johan Schloemann von Herzen die zweite Staffel "des BBC-Meisterwerks" "Sherlock", die Das Erste ab Donnerstag ausstrahlt.

Besprochen werden die Ausstellung "Writing Britain - Wastelands and Wonderlands" in der British Library in London, die Ausstellung "Weimarer Klassik" im Schillermuseum in Weimar, die Filmkomödie "Der Diktator" mit Sacha Baron Cohen und eine (hier auch als PDF vorliegende) Dissertation über Exorzismus von Monika Scala (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 16.05.2012

Felicitas von Lovenberg begrüßt die Büchner-Preisentscheidung für Felicitas Hoppe, und ihr Artikel klingt schon fast wie eine Laudatio: "Dieser Schriftstellerin geht es um das Finden durch Erfindung, um Selbsterkenntnis im Spiegel der Phantasie, umrahmt von Sagen, Märchen und Legenden."

Weitere Artikel: "her" meldet, dass sich Boualem Sansal von Drohungen nicht abhalten ließ und tatsächlich Jerusalem besuchte, wo er unter anderen David Grossman und Zeruya Shalev traf. Verena Lueken wirft einen Blick auf das beginnende Festival von Cannes, wo von Michael Haneke bis Ken Loach die seit dreißig Jahren üblichen Verdächtigen um die Goldene Palme konkurrieren. Irene Bazinger besuchte den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens. Dieter Bartetzko inspiziert die Crystal Hall in Baku, wo demnächst der Grand Prix d'Eurovision stattfindet. Klaus Ungerer verfolgte für seine Gerichtskolumne "Nichts als die Wahrheit" den Prozess gegen einen Polizisten, dem "Verletzung des Dienstgeheimnisses" vorgeworfen wird. Jordan Mejias betrachtet das in New York ausgestellte jüngste Werk Thomas Demands, der ein Foto von Whitney Houstons letzter Mahlzeit in ihrem letzten Hotelzimmer nachgestellt und aufgenommen hat.

Besprochen werden außerdem Sacha Cohens neuester Film "Der Diktator", der Dietmar Dath ziemlich kalt lässt, eine Ernst-Barlach-Ausstellung in Güstrow, die Ausstellung ziemlich sensationeller Funde aus dem Wrack eines griechischen Handelsschiffs in Athen, die neueste "Men in Black"-Folge und David Graebers Geschichte der Schulden (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Zeit, 16.05.2012

Die Professoren Gerald Raunig und Felix Stadler von der Zürcher Hochschule der Künste kommentieren Thomas Assheuers Artikel "Tod des Autors" (3.5.) und den Aufruf "Wir sind die Urheber!" (10.5.) von (damals noch) hundert prominenten Schriftstellern. An der "anachronistischen Grenzziehung" in letzterem Text meinen sie, die Angst vor Kontroll- und Statusverlust einer privilegierten Elite herauszulesen: "Die Armutsfalle ist höchst real. Aber davon steht im Aufruf kein Wort. Vielmehr klingt im moralisierenden Insistieren der Urheber eine verzweifelte Pose der Spaltung durch: 'Wir sind die Urheber' - und nicht ihr! Hier sorgt sich eine Gruppe um ihre soziale Position als AutorInnen, denen das Publikum stumm zu Füßen sitzt. Doch das Publikum ist schon lange aufgestanden."

Die Debatte um den Aufruf der "Urheber", der "eine schwelende Debatte noch einmal richtig befeuert" habe, wird schließlich von Maximilian Probst und Kilian Trotier noch einmal zusammengefasst, mitsamt den Gegenmanifesten "Wir sind die Bürgerinnen und Bürger" und "Wir sind Filesharer!"

Außerdem: Die junge Filmregisseurin Regisseurin Julia von Heinz antwortet auf Dominik Grafs Polemik gegen das "Relevanzkino" (26.4.). Sie würde gern Fernseh- und Kinofilme trennen, aber wie? "Ist es tatsächlich der von Graf erwähnte 'Kampf ums nackte Überleben', der uns öffentlich schweigen lässt? Oder ist es vielmehr die Abhängigkeit von den Entscheidungsträgern in Gremien und Sendern?"

Weitere Artikel: Katja Nicodemus staunt über die Innovations- und Ausdruckskraft des jungen griechischen Kinos, das "zurzeit mehr künstlerischen Eigensinn als das restliche europäische Kino zusammen" aufweist. In einem sehr unterhaltsamen Interview spricht der Staatsrechtler Christoph Möllers über die Tücken der Demokratie. Hanno Rauterberg porträtiert anlässlich einer großen Ausstellung in Nürnberg Albrecht Dürer als Künstler, der sich den großen Umbrüchen seiner Zeit - Renaissance, Buchdruck - gewachsen zeigte. Carolin Pirich porträtiert die Iranerin Neda Soltani, die im Internet mit der ermordeten Studentin Neda Agha-Soltan verwechselt wurde und plötzlich zu einer politisch Verfolgten wurde. Volker Hagedorn porträtiert Laurence Cummmings, den neuen Chef der Händel-Festspiele in Göttingen.

Nur online bisher: Die Meldung vom Tod Carlos Fuentes'.

Fürs Dossier sucht Yassin Musharbash in London und Moldawien nach Anhängern Anders Breiviks.

Besprochen werden Sacha Baron Cohens Gaddafi-Parodie "The Dictator" und Bücher, darunter zwei von Occupy-Vordenker David Graeber (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).