Heute in den Feuilletons

Triumph durch Anpassung

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.11.2011. Die Zeit protokolliert Antonio Tabucchis  Wohnzimmertribunal gegen Berlusconi. Außerdem wirft sie einen Blick in das braune Bullerbü von Mecklenburg-Vorpommern. Die FAZ verteidigt jetzt auch Heinz Berggruen gegen die Anwürfe von Vivien Stein und SZ. In der NZZ erweist Franz Schuh dem souveränen Mitläufer seine Reverenz. Die taz liest Habermas. Und in der FR erzählt Matthew Herbert aus dem Leben eines armen Schweins.

TAZ, 17.11.2011

Auf der Meinungsseite überlegt Daniel Schulz, warum sich auch viele linke Journalisten nicht vorstellen konnten, dass eine Neonazigruppe unbehelligt systematisch töten kann, obwohl immer wieder Waffen gefunden wurden: "KollegInnen, mit denen ich in den vergangenen Tagen sprach, tun sich genauso schwer, diese kognitive Dissonanz befriedigend zu erklären, wie ich. Aber eines sagen alle: Man habe über die Waffenfunde berichtet, über die Verurteilungen, aber weitergehende Schlussfolgerungen wurden von den Behörden öffentlich nicht nur nicht bestätigt, oder ernstgenommen - sie wurden einfach nicht diskutiert. Und viele Medien, die hätten genau das leisten können, gleichen ihre Erkenntnisse erst mit eben jenen Behörden ab, bevor sie sie veröffentlichen. 'Wer will schon der ewige Mahner sein', sagt ein Kollege".

Auf den vorderen Seiten gibt es zahlreiche Artikel zu der rechtsextremen Terrorgruppe aus Zwickau. Konrad Litschko und Andreas Speit berichten zum Beispiel, dass in der Neonazi-Szene bereits seit Sommer 2010 eine Hymne auf den "Döner-Killer" kursierte.

Im Kulturteil wundert sich Micha Brumlik, wie abstrakt die materiellen Interessen der Europäer in Jürgen Habermas' Essay "Zur Verfassung Europas" behandelt werden. Torben Ibs besichtigt den Leipziger Wettbewerb um "Das beste deutsche Tanzsolo" beim Festival Euro-Scene, das Avantgarde- und Tanztheater vor allem aus Osteuropa zeigt. Susanne Messemer unterhält sich mit Andreas Dresen über dessen neuen Film "Halt auf freier Strecke", in dem es um den Krebstod eines Familienvaters geht.

Besprochen werden Richard Ayoades Spielfilmdebüt "Submarine" über das Missverhältnis zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung in der der Pubertät, Cyril Tuschis Dokumentarfilm "Der Fall Chodorkowski" und Bettina Wilhelms Film "Wandlungen über ihren Großvater, einen deutschen Übersetzer und Sinologen.

Und Tom.

FR/Berliner, 17.11.2011

Der House-DJ und Musikproduzent Matthew Herbert stellt heute abend im Berghain sein Album "One Pig" vor. Die Stücke darauf hat er ausschließlich aus den Geräuschen eines Schweins zusammengesampelt, das er zu diesem Zweck von der Geburt bis zur Schlachtbank abhörte. Im Interview erklärt er das so: "Das zugrundeliegende Material bestimmt die Musik weitestgehend. So ist das erste Stück, dem die Geburt des Schweines zugrunde liegt, sehr ruhig, denn die Geburt war auch sehr ruhig - man hörte bloß schweres Atmen, und dann flutschte ein Schwein raus! Ein späteres Stück, das die Verlegung des Schweins in einen anderen Stall dokumentiert, hat Industrial-Charakter, da wir das Schwein im Transportcontainer aufgenommen haben".

Weiteres: Judith von Sternburg berichtet über eine Diskussion mit Herta Müller zum Thema Exilmuseum. Besprochen werden einige Filme, darunter Sarah Smiths Trickfilm "ArthurWeihnachtsmann".

NZZ, 17.11.2011

Vor fünfzig Jahren hatte Herr Karl seinen großen Auftritt in Wien, Franz Schuh schreibt eine Hommage auf jene Figur, in der der österreichische Opportunist seine Vollendung fand: "Auch in dieser Figur zeigt sich die in allen österreichischen Klassen damals so beliebte Programmierung des Überlebenstriumphes durch Anpassung: Man überlebte, indem man sich unterwarf. Man kooperierte mit allem, was anderen gefährlich war und was einem daher auch gefährlich hätte werden können. Einzig als Mitläufer blieb man souverän."

Besprochen werden der Film "Polisse" der französischen Regisseurin Maiwenn, Nuri Bilge Ceylans Thriller "Once Upon A Time In Anatolia", die Uraufführung von Lera Auerbachs Oper "Gogol" im Theater an der Wien, Evelyn Schlags Roman "Die große Freiheit des Ferenc Puskas", ein Band zur Bäderarchitektur in Mitteleuropa (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Tagesspiegel, 17.11.2011

Jan Schulz-Ojala baut Erwartungen vor, Cyril Tuschi demontiere in seinem Porträt "Der Fall Chodorkowski" den engagierten Unternehmer, der Putin in die Falle ging. Tut er nicht. "Auch manche deutsche Feuilletonisten, die derzeit über Cyril Tuschis Dokumentation 'Der Fall Chodorkowski' nachdenken, haben offenbar genug davon, dass da ein böser Kapitalist immer noch ungeniert die Menschenrechtskarte zieht. Allerdings ist einstweilen nicht völlig auszuschließen, dass der einst auf 15 Milliarden (!) Dollar Privatvermögen geschätzte Ex-Oligarch den für seine Verhältnisse schlichten Betrag regulär angelegt hat. Zumal das Konto, nicht gerade üblich in der Szene, auf seinen Klarnamen lief."
Stichwörter: Oligarchen

Welt, 17.11.2011

Elmar Krekeler hat einige Ideen für die Besetzung neuer Tatort-Kommissare. Hanns-Georg Rodek berichtet über einen Prozess der BVG gegen die Macher eines Dokumentarfilms über Berliner Sprayer: "Die BVG will nichts anderes als ein uneingeschränktes Recht für Eigentümer, jede Aufnahme auf ihrem Grund zu untersagen".

Besprochen werden Kate Bushs neues Album "50 words for snow", die Uraufführung von Lera Auerbachs Oper "Gogol" in Wien, Hermine Huntgeburths Verfilmung von Twains "Tom Sawyer", Cyril Tuschi Dokumentarfilm "Der Fall Chodorkowski", eine Ausstellung der Plakate von Jules Cheret aus der Belle Epoque und Thomas Hermanns' Inszenierung von Hape Kerkelings TV-Satire "Kein Pardon" in Düsseldorf.