Heute in den Feuilletons

Deutsche Wertarbeit

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.09.2011. Die NZZ betrachtet besorgt unser Krankheitsbild, das Axel Honneth vorgelegt hat. In der FAZ beklagt Frank Rieger die deutsche Sicherheitsmanie. Die taz kratzt sich den Kopf vor einem RAF-Roman-Rhizom. Die SZ gähnt. Nur ein Iraner freut sich: Die Grüne Bewegung lebt, ruft Dawud Gholamasad in der FR.

FR/Berliner, 13.09.2011

Im Interview mit Victor Funk erklärt der Soziologe Dawud Gholamasad, warum die Grüne Bewegung des Irans überhaupt nicht gescheitert sei. Vor allem weil die Gesellschaft nicht mehr bei der Verherrlichung des Todes mitmache: "Vor einigen Tagen zum Beispiel haben sich Jugendliche im Norden Teherans bei einer Wasserschlacht mit Wasserpistolen ausgetobt. Später wurde ihr Spiel im Staatsfernsehen verurteilt. Jugendliche unterstützen verarmte Kinder, indem sie Autos waschen, es gibt auch Streiks gegen die Mehrwertsteuer. Solche Aktionen werden aber verteufelt. Ganz zentral ist bei all den Aktionen das, wofür die 'Grüne Bewegung' steht: Sie repräsentiert die Liebe zum Leben. Besonders junge Menschen merken, dass das System instabil wird. Und sie suchen dann nach Wegen, ihr Leben zu gestalten."

Die Medienseite versammelt Reaktionen auf Günther Jauchs Talkshow im Ersten. Holger Schmale hätte zum Beispiel gern etwas Neues gehört: "Gab es irgendeinen Gedanken, der nicht schon vielfach geäußert, eine These, die nicht bereits erschöpfend diskutiert, eine Frage, die nicht schon tausendmal beantwortet war?"

Besprochen werden die Ausstellung "Stylectrical" im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, Jürgen Kuttners Ayn-Rand-Abend "Capitalista, Baby!" im deutschen Theater in Berlin, der Iran-Comic "Zahra?s Paradise" von Amir und Khalil, Aravind Adigas Roman "Letzter Mann im Turm" und Gunter Hofmanns Buch über "Polen und Deutsche" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

NZZ, 13.09.2011

Hans Bernhard Schmid betrachtet die Krankheitsbilder, die Axel Honneth in seinem neu erschienenen Buch "Das Recht der Freiheit" offenlegt und fragt sich, ob es nicht eine Nummer kleiner geht: Ist wirklich die Gesellschaft krank oder kann es sein, dass nur "ihre Institutionen nicht richtig funktionieren? Vielleicht geht es nicht um so etwas wie ein Organversagen der Gesellschaft, sondern darum, dass die Mittel versagen, mit denen wir unser gemeinsames Dasein regeln: Nicht die Gesellschaft ist krank, sondern manche ihrer Institutionen sind kaputt."

Weitere Artikel: In Glasgow hat sich Marion Löhndorf die kurvige Fassade des neuen Museumsbaus von Zaha Hadid angesehen, der schon im Grundriss wie ein "verwischtes mathematisches Wurzelzeichen" aussieht.

Besprochen werden Sibylle Lewitscharoffs Roman "Blumenberg" und Christof Hamanns und Alexander Honolds Buch "Kilimandscharo. Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

TAZ, 13.09.2011

Recht ratlos liest Michael Sontheimer Christof Wackernagels RAF-Romanmonstrum "Es": "Die hermetische Wahnwelt der RAF ersetzt Wackernagel weitgehend durch ein viel sympathischeres, aber doch gleichermaßen rätselhaftes Rhizom aus Worten. Auch wenn er den zentralen Irrtum der RAF erkannt hat, mit Mitteln des Bösen das Gute schaffen zu wollen, finden sich in seinem Buch Kontinuitäten. Die der RAF-typischen Selbstanmaßung zum Beispiel, deren Mitglieder sich als Vollstrecker des Willens der Geschichte begriffen, als Soldaten der Entrechteten, auf Augenhöhe höchstens mit Bundeskanzler Helmut Schmidt, auf jeden Fall der übrigen Linken weit voraus, diesen Feiglingen und Schlappschwänzen."

Weiteres: In seiner Kolumne sinniert Aram Lintzel über Despoten und Dichtung. Tim Caspar Böhme berichtet am Rande der Berlin Music Week über verschiedene Szenarien zur Zukunft von Musikplattformen.

Besprochen werden ein Konzert von Mouse on Mars in Köln, die Schau im Hamburger Bahnhof zum Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst und Aravind Adigas Roman "Letzter Mann im Turm" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Und noch Tom.

Welt, 13.09.2011

Michael Pilz stellt Tinariwen vor, die bekannteste Band Libyens. Der französische Politiker Francois Bayrou hat in einem gut lesbaren Buch dargelegt, wie Frankreich aus der - 1.700 Milliarden schuldenschweren - Krise kommt: Mit einer Agenda 2010, berichtet Wolf Lepenies. Günther Jauchs erste Talkrunde war für Jenny Hoch "echte deutsche Wertarbeit". Christina Hoffmann macht uns mit dem Liedermacher Dagobert bekannt. Stefanie Schüler-Springorum, neue Leiterin des Zentrums für Antisemitismus-Forschung in Berlin, kritisiert im Interview den Assimilationsdruck auf Muslime und den Antisemitismus bei den Linken.

Besprochen werden zwei Inszenierungen am Burgtheater: von Thomas Vinterbergs "Kommune" und Kleists "Zerbrochenem Krug" und die Louise-Bourgeois-Ausstellung in der Fondation Beyeler in Basel.

SZ, 13.09.2011

Reinhard Brembeck kann beim Studium der Spielpläne der Opernhäuser für die kommende Saison "ein leises Gähnen kaum unterdrücken". Eine begeisterte Christiane Schlötzer stellt das Karikaturen-Museum im ägyptischen Fayoum vor. In der Briefmarken-Kolumne schreibt Burkhard Müller über die britische Sammelkolonie Leeward Islands. Thomas Steinfeld schreibt zum Tod des Historikers Horst Fuhrmann. Auf der Seite 3 liefert Hermann Unterstöger ein launiges Porträt von Alice Schwarzer. Auf der Medienseite meldet Camilo Jimenez, dass Arianna Huffington mit ihrer Website Huffington Post erst nach Kanada und Britannien und jetzt nach Brasilien expandiert ist.

Besprochen werden eine Ausstellung zum Postmodernismus im Londoner Victoria & Albert Museum (Catrin Lorch wundert es überhaupt nicht, dass heute keiner mehr dabei gewesen sein will, so "wertkonservativ" sehe das heute alles aus), zwei Inszenierungen am Wiener Burgtheater: Thomas Vinterbergs "Kommune" und Kleists "Der zerbrochne Krug", Jürgen Kuttners Inszenierung "Capitalista, Baby!" über Ayn Rand am Deutschen Theater Berlin, die Uraufführung von Matthias Pintschers Geigenstück "Mar" mit Julia Fischer beim Lucerne Festival und Bücher, darunter Mario Vargas Llosas Roman "Der Traum des Kelten" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 13.09.2011

Ganz und gar nicht zustimmen kann CCC-Sprecher Frank Rieger dem Innenminister Hans-Peter Friedrich in seiner entspannten Darstellung aktueller Sicherheitspolitik. Das Gegenteil ist wahr, es werde aufgerüstet an allen Ecken und Enden: "Die Sicherheitsmanie hat eine Durchdringung aller Aspekte gesellschaftlichen Lebens mit geheimdienstlichem Denken und ebensolchen Methoden erzeugt."

Weitere Artikel: Christian Geyer erklärt, warum in Sachen Euro-Rettungsschirm - wie im übrigen auch in der PID-Frage - das "Gewissen", auf das sich nun viele berufen, nicht weiterhilft. Warum auch "kognitive Chips" von denkenden Menschen noch sehr weit entfernt sind, weiß Joachim Müller-Jung. In der Glosse berichtet Jürg Altwegg über Streit zwischen den Lacan-Herausgebern Jacques-Alain Miller und Elisabeth Roudinesco. Vorabgedruckt wird ein Kapitel aus Klaus Ungerers und Berkenhegers Buch "Drücken Sie bitte die eins" über das Leben in der Servicehölle. Rudolf Schieffer schreibt zum Tod des Mittelalterhistorikers Horst Fuhrmann

Besprochen werden die Londoner Uraufführung von Sidi Larbi Cherkaouis neuer Choreografie "TeZuka", Matthias Hartmanns Akademietheater-Inszenierung des "Zerbrochnen Krugs" ("Knallchargenblasen" erlebt Gerhard Stadelmaier und macht es sehr kurz), die Ausstellung "Bernardo Bellotto - Der Canaletto-Blick" in der Galerie Alte Meister in Dresden und Bücher, darunter Thomas Melles Roman "Sickster" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).