Heute in den Feuilletons

Eine Art VG Snippet

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.05.2011. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat im Dradio erstmals ihre Pläne für ein Leistungsschutzrecht bekanntgegeben, meldet Carta. Wer zitiert, soll zahlen. Meedia bringt einen Überblick über die Zeitungskrise in Deutschland: Bergab ging's für fast alle, am wenigsten noch für die Überregionalen. Aus Cannes wird  über den Film des Iraners Mohammad Rasoulof "Be omid e didar" berichtet. Und die Berliner Philharmoniker sagen zum schönen Städtchen Salzburg leise Servus.

Aus den Blogs, 16.05.2011

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich zum ersten Mal zu den Plänen der Regierung für ein Leistungsschutzrecht geäußert, resümiert Robin Meyer-Lucht auf Carta unter Bezug auf ein Interview der Ministerin mit Dradio Wissen: "Demnach will die Justizministerin eine Art 'VG Snippet' einführen: Kommerzielle Anbieter, die beim Verlinken automatisiert kleine Textausschnitte von Verlagssites übernehmen ('Snippets'), sollen dafür in eine Verwertungsgesellschaft einzahlen. Erstmals sagte die Justizministerin öffentlich, dass zukünftig die 'Verwendung auch von Teilen von Presseerzeugnissen' (4:30) durch kommerzielle Nutzer wie 'Google oder andere(n)' (4:40) abgabenpflichtig werden soll. Hierzu könnte eine Verwertungsgesellschaft (4:35) geschaffen werden, die ihre Einnahmen an Verlage und Journalisten abführt."

Meedia
schließt einen interessanten Überblick über die Zeitungskrise in Deutschland ab. Besonders drastisch haben die Boulevardzeitungen abgeschnitten, allein die Bild verlor laut zweitem Teil des Dossiers in zehn Jahren 34 Prozent an "harter" Auflage, ähnlich erging es laut erstem Teil den Regionalzeitungen. Heute, im dritten Teil, nun also die Überregionalen, die ein gemischtes Bild abgeben. Drastisch verlor die FR, nur wenig die SZ: "Zwischen den Extremen findet sich die FAZ, die mit einem Minus von 23,1% bei der harten Auflage inzwischen weit hinter die Süddeutsche zurück gefallen ist. Im Gegensatz zur SZ verlor die FAZ in den zehn Jahren über 50.000 Abonnenten." Die Sonntagzeitungen und die Zeit blühen dagegen.

Weitere Medien, 16.05.2011

In einem Zentralinstitut journalistischer Korrektheit, der Bild, kritisiert Norbert Bolz den Spiegel (der kürzlich einen kritischen Titel über die Bild brachte): "Erst vor wenigen Tagen hat die taz sehr gut resümiert: Der Spiegel bietet immer häufiger Kolportage statt Reportage. Die journalistische Grundhaltung des Spiegel-Autors ist die Intimität mit der Macht. Man weiß nicht nur, was die Politiker sagen und tun, sondern auch was sie denken. Deshalb gibt es immer mehr Psychogramme und Persönlichkeitsprofile, die als imaginäre Expeditionen im Kopf des Politikers angelegt sind. Der Konjunktiv regiert."

TAZ, 16.05.2011

Recht enttäuscht zeigt sich Andreas Fanizadeh von Christoph Marthalers großangelegtem Stück über Grönland, Globalisierung, Natur, Mensch und Technik "+/- 0" bei den Wiener Festwochen: "Über melancholisches Schwärmen, Schwermut und unmittelbares Erfahren des grönländischen Gefühls geht einerseits die künstlerische Distanz zum Sujet verloren, andererseits regiert künstlerisch die Routine."

Weiteres: Cristina Nord hat in Cannes gleich mehrere Filme angesehen, die sich mit Gewalt gegen Kinder beschäftigen. Nach Markus Schleinzers in Cannes gezeigtem Film "Michael", der einen pädophilen Mann in den Mittelpunkt stellt, fragt sie aber nur: "Darf man das?" Elise Graton bespricht das Album "W" der Musikerin Planningtorock.

Und Tom.

NZZ, 16.05.2011

In einem abgedruckten Vortrag bezweifelt der Kulturwissenschaftler Thomas Macho die vielbeschworene Rückkehr der Religion, gewisse kulturelle Praktiken würden zwar wieder gepflegt, blieben aber unverbindlich: "Religionen in der Moderne folgen dem Axiom: Wer in der Geisterbahn fährt, muss nichts von Geistern verstehen."

Weiteres: Ramon Schock schickt Eindrücke aus dem ukrainischen Sewastopol, Hafenmetropole mit mediterranem Flair und strategisch explosiver Sitz der russischen Schwarzmeerflotte. Besprochen werden Rene Polleschs Stück "Fahrende Frauen" im Schauspielhaus Zürich und eine Aufführung von Rossinis "Barbiere" in St. Gallen.

FR, 16.05.2011

Anke Westphal hatte - wie die anderen Rezensenten - in Cannes so viel Spaß mit dem neuen "Piraten der Karibik", dass nur ein Absätzchen Platz ist für den neuen Film des Iraners Mohammad Rasoulof. Es geht um eine Anwältin, die das Land verlassen will und vom Geheimdienst bedroht wird: "Rasoulof zeigt seine Heimat so offen kritisch, wie man es noch nicht gesehen hat. Korruption, Einschüchterungsversuche, minimaler Handlungsspielraum. 'Be omid e didar' ist ein Dissidentenfilm, der für seinen Regisseur sehr gefährlich werden könnte."

Besprochen werden weiter Amelie Niermeyers Inszenierung von Horace McCoys "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss" in Düsseldorf, Salvatore Sciarrinos Kammeroper "Luci mie traditrici" in Frankfurt und eine CD der Feelies.

Welt, 16.05.2011

Die Berliner Philharmoniker wechseln ihren Nebenverdienstschauplatz und gehen von Salzburg nach Baden-Baden. Die Witwe Karajans sei verstimmt, in Salzburg "schäumt man", schreibt Manuel Brug: "Nur per SMS wäre es noch kürzer gewesen. Tschüss, wir hatten eine gute Zeit, aber jetzt bist du in die Jahre gekommen. Klamm bist du auch. Wir haben es noch einmal versucht, aber es geht nicht mehr."

Weitere Artikel: Birgit Svensson berichtet von gestiegener Nachfrage nach bisher verbotenen Büchern in Ägypten. Andreas Rosenfelder staunt über den erweiterten Europabegriff der Veranstalter des European Song Contest, wo eine Gruppe aus Aserbaidschan gewann. Hanns-Georg Rodek hat in Cannes "Fluch der Karibik 4" gesehen. György Dalos liest die Ergebnisse einer ungarischen Umfrage, die nach den bedeutendsten Deutschen fragte (Angela Merkel steht vor Goethe an erster Stelle).

Besprochen werden ein Berliner Konzert Cat Stevens' und Inszenierungen des Theatertreffens in Berlin.

FAZ, 16.05.2011

Verena Lueken resümiert die Filme über Kinder in Cannes, darunter Markus Schleinzers Päderasten-Film "Michael". Schleinzer betrachtet den Päderasten Michael mit "unsensationalistischem" Blick, so Lueken. "Aber gerade die Unbeteiligtheit, die Strenge der Inszenierung und das Auslassen des eigentlichen sexuellen Missbrauchs, der nur angedeutet wird, ist dann doch auch eine Verharmlosung - als hätte der Stilwille die Ungeheuerlichkeit des Geschehens in den Hintergrund geschoben. Dennoch war 'Michael' eine der bisher unangenehmsten Seherfahrungen in Cannes, was dem Thema dann doch angemessen ist."

In der Glosse verweist Jürg Altwegg darauf, dass Dominique Strauss-Kahn in Frankreich (nur kaum zu seinem Schaden) schon lange einen gewissen Ruf genießt: "Der französische Komiker, der vor dem Live-Interview mit DSK im Radio die Sekretärinnen und Journalistinnen zur Flucht aufforderte, wurde entlassen."

Weitere Artikel: Altwegg erzählt außerdem vom Wirbel um Mehdi Behaj Kacems Abrechnung mit seinem Vorbild Alain Badiou, "Nach Badiou" (mehr hier). Jörg Bremer berichtet, dass das Getty-Museum die "Venus von Morgantina" in ihre sizilianische Heimat restituiert - und auch die "Sphinx von Hattuscha" kehrt, wie Andreas Kilb kurz annotiert, in einer keinesfalls als Präzedenzfall zu begreifenden freundschaftlichen Geste von Berlin in die Türkei zurück. Vor dem "Attributionsfehler", der uns alles Personen und nicht Strukturen und Einflüssen zuschreiben lässt, warnt Rolf Dobelli. Den Wechsel der Berliner Philharmoniker von Salzburg nach Baden-Baden kommentiert Christian Wildhagen. Josef Oehrlein berichtet vom Orchesterstreik am Teatro Colon in Buenos Aires. Hingewiesen wird darauf, dass der Katalog des Literaturarchivs in Marbach jetzt online verfügbar ist.

Besprochen werden die große König-Ludwig-Ausstellung in Herrenchiemsee (Patrick Bahners erkennt eine gewisse Ähnlichkeit des Königs mit Intendanten unserer Zeit, "die ein Budget nur als Einladung zu Mehrausgaben begreifen können"), Amelie Niermeyers Inszenierung "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss" zum Abschluss ihrer Düsseldorfer Intendanz (Andreas Rossmann weint ihr keine Träne nach) und Bücher, darunter Damon Galguts Roman "In fremden Räumen" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 16.05.2011

Andrian Kreye blickt zurück auf den Grand Prix d'Eurovision. Reinhard J. Brembeck berichtet über den Bruch zwischen den Berliner Philharmonikern und Salzburg (sie gehen zu Ostern jetzt nach Baden-Baden!) Susan Vahabzadeh berichtet aus Cannes über "Fluch der Karibik 4" und weitere Filme. Tobias Kniebe hat, ebenfalls in Cannes, Andreas Dresens Film "Halt auf freier Strecke", gesehen. Michael Moorstedt berichtet in den "Nachrichten aus dem Netz" über Querelen bei der gefürchteten Hackertruppe Anonymous. Felix Stephan verfolgte eine Tagung über "1200 Jahre deutsch-dänische Grenze". Christopher Schmidt begleitete ein Treffen deutscher und schwedischer Schriftsteller in Stockholm, bei dem es wohl sehr nett zuging.

Besprochen werden eine Dramatisierung der Protokolle der Schlichtungsgespräche zu Stuttgart 21 dortselbst, neue DVDs und Bücher, darunter Birgit Vanderbekes neuer Roman "Das lässt sich ändern" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr)..