Heute in den Feuilletons

Halla, das berühmte Sprungpferd

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.02.2011. In der Welt ist Monika Maron fassungslos über Patrick Bahners' Lob der Sittlichkeit. Die FR fragt, ob sich Militär und Demokratie überhaupt in Einklang bringen lassen. In der SZ hat Khalid-al-Khamissi den Schuldigen für die ägyptische Misere ausgemacht. Es handelt sich überraschenderweise um die Amerikaner. Die FAZ bringt eine große Reportage über die Verfolgung von Christen im Irak. Die NZZ stellt zwei innovative Lyrikverlage vor und schildert, wie der tunesische Diktatorenclan Ben Ali die Kunstschätze des Landes plünderte.

Welt, 26.02.2011

Mit Entsetzen hat Monika Maron für die Literarische Welt Patrick Bahners' Pamphlet gegen die Islamkritiker, "Die Panikmacher", gelesen und nimmt es Absatz für Absatz als reaktionäres Pamphlet gegen die säkulare Moderne auseinander. Kleine Kostprobe: "Bahners Frauenbild, das seine Vorliebe für Kopftuch und Schleier wahrscheinlich besser erklärt als sein Plädoyer für religiöse Toleranz, in das er sie kleidet. Er klärt uns auf über den Sinn des Verhüllens: 'In Tücher eingehüllt wird normalerweise das Kostbare. Die Verschleierung ist ein Indiz der Vornehmheit. Es widerspricht also unserer Intuition, dass der Zweck des Kopftuchs, wie von seinen feministischen Gegnerinnen behauptet, die demonstrative Herabsetzung der Frau sein soll.' Wahrscheinlich hätte er so ähnlich auch die Verkrüppelung der Füße von chinesischen Frauen gepriesen, die ja nur der weiblichen Anmut und Zartheit dienen sollten." Zum Schluss totale Fassungslosigkeit, auch über Thomas Steinfelds positive Besprechung: "Und das versteht der Literaturchef der Süddeutschen Zeitung, also unter einem 'Meisterwerk der Aufklärung'. Ja, was ist eigentlich los in Deutschland?"

So sieht echte Bewunderung aus: Manuel Brug verneigt sich im Kulturteil tief vor dem charismatischen Dirigenten Kent Nagano, der gerade für seine Aufnahme von Kaija Saarihaos Oper "L'amour de loin" einen Grammy bekam. "Er sagt viel, auch wenn er nichts sagt. Manchmal hat er sogar wirklich nichts zu sagen. Aber selbst das sieht noch unverschämt gut aus."

Weiteres: Mateo Kries rühmt zum 150. Geburtstag Rudolf Steiners dessen anthroposophischen Gesamtkunstwerk. Heute, meint er durchaus positiv, müsste man sich Steiner "als beliebten Talkshowgast" vorstellen, als "Symbiose aus Al Gore, Rem Koolhaas, Paolo Coelho und Alain de Botton". Paul Jandl meldet, dass Peter Noever, Direktor des Wiener Museums für angewandte Kunst, gehen muss, weil er auf Museumskosten Geburtstagsfeiern für seine Mutter gegegeben haben soll. Eckhard Fuhr sorgt sich um die Nachfolge von Hans Ottomeyer, dem Direktor des Deutschen Historischen Museums. Hanns-Georg Rodek plaudert bei Tisch mit dem Schauspieler Burghart Klaußner. Thomas Kielinger stellt den Briten James Hart Dyke vor, der im Auftrag des MI6 malt. Jan Küveler besucht die Max-Fisch-Ausstellung in Marbachs Literaturmuseum.

FR, 26.02.2011

In gleich zwei Artikeln geht es um "Das Militär", genauer gesagt die Rolle der Bundeswehr in der Zukunft. Für ganz und gar nicht zueende gedacht hält dabei der Politologe Klaus Naumann die Bundeswehrreform: "Handstreichartig hat der Minister die Wehrpflicht zu Fall gebracht; ein publikumsgerechtes Bravourstück, aber es täuscht darüber hinweg, dass man sich über die Konsequenzen wenig Gedanken gemacht hat." Die "Quadratur des Kreises" scheint es Burkhard Spinnen, Militär und Demokratie moderner Prägung zur Übereinstimmung zu bringen.

Weitere Artikel: Bestenfalls unwesentlich schlauer ist Harry Nutt nach einer Tagung, die sich um die Frage des Bürgerlichen in der deutschen Gegenwart drehte. Joachim Frank unterhält sich mit dem Soziologen Franz-Xaver Kaufmann über die Krise der Kirche. Jamal Tuschik war dabei, als in Berlin das von Hilal Sezgin herausgegebene "Manifest der Vielen" vorgestellt wurde. 

Besprochen werden Barrie Koskys "Rusalka"-Inszenierung an der Komischen Oper, ein Konzertabend mit Elina Garanca in der Alten Oper in Frankfurt, die beiden Gerhard-Richter-Ausstellungen in Hamburg (Kunsthalle, Bucerius-Kunstforum), das Beady-Eye-Debütalbum "Different Gear, Still Speeding" und Margriet de Moors neuer Roman "Der Maler und das Mädchen" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

NZZ, 26.02.2011

Michael Braun stellt zwei innovative Lyrikverlage vor, die sich gegen die allgemeine Ignoranz des Genres stemmen, der eine ist Luxbooks der ehemaligen Suhrkamp-Lektoren Christian Lux und Annette Kühn, deren John Ashbery-Ausgabe auf der SWR-Bestenliste landete, der andere Roughbooks des Verlegers Urs Engeler, der auch im Vertrieb höchst eigene Wege beschreitet: "Statt den Üblichkeiten der Branche zu folgen und sich über Zwischenbuchhändler im Buchhandel zu placieren, hat er alle externen Kostenfaktoren eliminiert und sucht seine Leser über den Direktvertrieb via Internet." Und das hat mit Gedichten von Christian Filips oder Konstantin Ames erstaunlich gut funktioniert.

Sehr faktenreich erzählt Beat Stauffer aus der tunesischen Stadt El Jem, wo der Clan des Diktators Ben Ali ganze Scharen von Raubgräbern einsetzte, um antike römische Kunstschätze zu stehlen: "Zum Schutz vor neugierigen Blicken zogen die Raubgräber jeweils rasch eine Bauabschrankung hoch; offiziell fanden an diesen Orten Probebohrungen auf der Suche nach Erdöl statt."

Beprochen werden "Don Giovanni" in Bern und die Ausstellung "FotoSkulptur" über den Dialog zwischen Fotografie und Bildhauerei im Kunsthaus Zürich.

In Literatur und Kunst setzt der Theologe und Religionswissenschafter Helmut Zander "einige Bausteine zu einem Psychogramm" Rudolf Steiners zusammen, dessen 150. Geburtstag in diesen Tagen begangen wird. Georg Renöckl liest den neuen Band "Wie bleibe ich Feministin..." von Marlene Streeruwitz (die zu dieser Frage auch ein Blog führt). Und Peter von Matt erinnert an den Sankt Gallener Dichter Ulrich Bräker.

Berliner Zeitung, 26.02.2011

Im Magazin spricht György Dalos im Interview über sein Gorbatschow-Buch und über seinen Abschied vom Kommunismus: "Wissen Sie, ich war dem sozialistischen System dankbar, ich hatte ihm ja auch einiges zu verdanken. Ich fühlte mich nicht als Verräter und ich hatte Hemmungen. Zum Beispiel sprachen fast alle meine Dissidentenfreunde vom Regime, aber ich brachte das Wort nicht über die Lippen und sprach noch immer vom System. Ich nahm sehr schwer Abschied von meinen Illusionen."
Stichwörter: Dalos, György

Tagesspiegel, 26.02.2011

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler fordert die EU auf, den Wandel in der arabischen Welt tatkräftig zu unterstützen. Geld allein, wiewohl sehr nötig, reicht dabei nicht: "Man muss auch eine Vorstellung davon haben, wie der Transformationsprozess verlaufen soll, dass er von Land zu Land unterschiedlichen Rhythmen folgt, was man den Tunesiern und Ägyptern dabei zumuten darf und was man von ihnen erwarten kann. Man muss den Mut haben, sich in den arabischen Aufstand einzumischen, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, dass man die Menschen bevormunden wolle."

TAZ, 26.02.2011

Auf der Meinungsseite versucht Matthias Lohre zu verstehen, wie ein Plagiator und Lügner der Held des Volkes sein kann. Man kann vielleicht zusammenfassen: KT zu Guttenberg beherrscht die wichtigsten demagogischen Techniken: "Es ist perfide, wie sich Guttenberg als reumütiges Opfer und zugleich als gnädiger Richter seiner selbst aufspielt. Erschütternd aber ist, wie viele Menschen ihm dieses Schmierentheater durchgehen lassen." Einige Leitmedien freilich seien nicht unschuldig daran: "Spiegel, Stern und Bild haben Guttenberg hochgeschrieben. Sie haben auf Auflage gesetzt statt auf Aufklärung."

Weitere Artikel: Bert Rebhandl blickt voraus auf die Oscar-Verleihung, bei der in diesem Jahr das filmische "Konfektionsstück" namens "The King's Speech" die besten Aussichten hat. Sehr wenig hielt Andreas Fanizadeh von der Vorstellung des von Hilal Sezgin herausgegebenen antisarrazinischen "Manifests der Vielen" im Berliner Maxim-Gorki-Theater: "Es sprechen vor allem die, die sich selbstverständlich zum Muslim machen und ihre Herkunft ethnisieren (lassen)." Darius Ossami porträtiert die kolumbianische HipHop-Musikerin Lucia Vargas. In der Leuchten-der-Menschheit-Kolumne staunt Tania Martini über die in der Causa Guttenberg zu erlebende Umwertung aller Werte. Nina Apin erinnert zu seinem 150. Geburtstag an Rudolf Steiner. Reinhard Wolff unterhält sich mit Henrik Berggren, der zum 25. Todestag Olof Palmes eine Biografie des Politikers geschrieben hat.

Besprochen werden und Bücher, darunter Jonathan Lethems neuer Roman "Chronic City" und Oliver Marcharts Programm einer Minimalpolitik "Die politische Differenz" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

Und Tom.

SZ, 26.02.2011

Die SZ hat den in Kairo lebenden Schriftsteller Khalid-al-Khamissi für eine wöchentliche Kolumne gewonnen, die an sein Buch "Im Taxi" anschließt. Kairiner Taxifahrer kommen zu Wort. Dieser hier erklärt, warum der Hass auf den Diktator den Hass auf die USA zur Konsequenz hat: "Wussten Sie, dass ägyptische Baumwolle im letzten Jahrhundert als weltweit beste Sorte galt? Die wird heute überhaupt nicht mehr angebaut... Und was haben wir dafür bekommen? Die USA geben uns Jahr für Jahr die größten Militärhilfen, obwohl wir ringsum in Frieden mit unseren Nachbarn leben. Das gibt es doch nicht! Das lässt sich nur damit erklären, dass uns eine Bande von Kriminellen regierte, die Amerika finanziert hat."

Weitere Artikel: Kein geringerer als Oliver Lepsius, Bayreuther Lehrstuhl-Nachfolger von KT zu Guttenbergs abgetauchtem Doktorvater Peter Häberle, ist - wie Rudolf Neumaier berichtet - "entsetzt" über die Dreistigkeit, mit der der offenbar unter "Realitätsverlust" leidende Verteidigungsminister vorläufig sein politisches Überleben gesichert hat. Tobias Kniebe blickt voraus auf die Oscar-Verleihung, bei der, wie er glaubt, mit "The King's Speech" nach längerer Zeit erstmals wieder die Tradition über die Innovation siegen wird. Auf zwei ganzen Seiten stellen diverse Autoren den Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner und das, was aus der okkulten Bewegung geworden ist, vor. Kia Vahland kann mitteilen, dass eine Rekonstruktion und Wiedererrichtung der von den Taliban 2001 gesprengten kleinen Buddhastatue von Bamian möglich scheint.

Im Aufmacher der SZ am Wochenende singt Hilmar Klute aus aktuellem Anlass an Loblied der Lüge. Auf der Suche nach verbliebenen lupenreinen Diktaturen richtet Sonja Zekri den Blick fest auf Turkmenistan. Auf der Historienseite erinnert Dieter Wild an Heinrich IV., den populärsten aller französischen Monarchen. Kristin Rübesamen unterhält sich mit Daniel Brühl über Restaurants.

Besprochen werden die Uraufführung von Wolfram Lotz' "Nachrichten an das All" in Weimar, Ali Samadi Ahadis Iran-Doku "The Green Wave", das Debütalbum "Different Gear, Still Speeding" des Post-Oasis-Projekts Beady Eye und Bücher, darunter Javier Cercas' Putsch-Beschreibung "Anatomie eines Augenblicks" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 26.02.2011

Im Aufmacher des Feuilletons beschreiben Karen Krüger und Melanie Mühl in einer Reportage die Ermordung und Vertreibung der Christen aus dem Irak. Hier der Anfang: "Weltweit leben zwei Milliarden Christen. Ihre Religion ist die größte und die am meisten verfolgte. Jeder zehnte Christ ist Opfer von Bedrohung und Gewalt. Besonders im Nahen Osten ist die Lage dramatisch. Radikale Islamisten rufen zur Verfolgung auf in Ägypten, Iran, Afghanistan. Vor allem im Irak liegen Kirchen in Schutt und Asche. Es vollzieht sich ein Exodus."

Weitere Artikel: Eine Meldung informiert uns, dass Elisabeth Ruge den Berlin Verlag verlässt. Jürgen Dollase widmet sich diesmal etwas abstrakt dem Esser. Wiebke Porombka war dabei, als Wolfgang Schäuble die Präsentation der Stipendiaten der Villa Massimo im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnete. Timo John berichtet über die Rettung eines barocken ehemaligen Kapuzinerkonvents in Rottweil. Jordan Mejias stellt zwei in Amerika erschienene Biografien vor, die Jacqueline Kennedy Onassis als Lektorin bei Viking Press porträtieren. Auf der letzten Seite montiert Marcus Jauer Zitate aus der Presse zusammen, die Karl-Theodor zu Guttenberg bis vor kurzem noch umjubelt hat.

In Bilder und Zeiten erzählt der Soziologe Tilman Allert von seinem Vater Mikail, einem schiitischen Muslim, Sohn eines Bäckers, 1897 nahe Baku geboren. Mikail war 1921 nach Berlin gekommen, auf der Flucht vor der russischen Revolution, vor allem aber mit dem heißen Wunsch zu lernen. Er wurde Arzt, heiratete die deutsche Protestantin Annemarie und bekam mit ihr fünf Kinder. "Der islamische Gott hatte in seinem Lebensgefühl eine eher unheimliche Präsenz. Für den Hausgebrauch ist Allah schwer geeignet. ... Thema wurde sein Gott eigentlich nur, wenn wir dessen Namen falsch aussprachen. Wenn der Name seines Gottes ihm so zu Ohren kam, als sei von 'Halla', dem berühmten Sprungpferd von Hans Günther Winkler die Rede, dann wurde ihm die sternenferne Ungebildetheit seiner Kinder doch etwas zu strapaziös."

Die Strick-Designerin Iris von Arnim erzählt im Interview mit Ingeborg Harms von ihrer Kindheit und ihrer Arbeit. Das waren noch Zeiten, als sie mit dem italienischen Produzenten Brunello Cucinelli zusammenarbeitete: "Er war einer von unendlich vielen Strickern in Perugia, der eine Fabrik mit zehn Leuten führte. Das war früher in Italien eine regelrechte Kultur, die Produktion wertvoller Mode in Heimarbeit. ... Man stelle sich diese Familien vor, die sich eine Industriemaschine kauften, und dann arbeiteten der Großvater, die Mutter, der Sohn daran, wann immer sie Zeit übrig hatten."

Weiteres: Sandra Kegel besucht die Schriftsteller Matt Beynon Rees ("Der Verräter von Bethlehem") in Bethlehem und Alon Hilu ("Das Haus der Rajanis") in Jaffa, die in ihren Büchern nach den Ursprüngen des israelisch-palästinensischen Konflikts suchen. Und Bernd Noack besucht Fred Strohmaier, der vor fünfzig Jahren die Buchhandlung Atlantis in Regensburg gründete.

Besprochen werden die Ausstellung "Kurt Kranz (1910 bis 1997). Die Programmierung des Schönen" im Bauhaus Dessau, Ulrich Peters' Inszenierung der Händel-Oper "Partenope" am Staatstheater Karlsruhe und Bücher, darunter Adriana Altaras' Geschichte ihrer Familie "Titos Brille" und Volker Weidermanns Frisch-Biografie (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Auf der Schallplatten- und Phonoseite geht's um barocke Arien mit dem Countertenor Franco Fagioli, eine Aufnahme von Mahlers "Wunderhorn"-Liedern mit dem Bariton Thomas Hampson, eine Soul-CD von Rumer und Caroline Hendersons CD "Keeper Of The Flame".

In der Frankfurter Anthologie stellt Mathias Mayer ein Gedicht von Eduard Mörike vor:

"Gesang Weylas

Du bist Orplid, mein Land!
Das ferne leuchtet;
Vom Meere dampfet dein besonnter Strand
Den Nebel, so der Götter Wange feuchtet.
..."