Heute in den Feuilletons

Wie es unser Prophet Mohammed gepredigt hat

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.02.2011. Ganz tot ist das Ballett fünfzig Jahre nach John Cranko zwar nicht, aber so richtig lebendig auch nicht mehr, meint die Welt. In der taz und der FAZ bekennen Architekten der ägyptischen Demokratie ihre Liebe zur Scharia. Für die SZ liest Stefan Weidner Khaled Al-Khamissis Roman "Im Taxi". Die Zeit bekämpft zusammen mit ihrem Kollegen Patrick Bahners die Islamkritik von rechts, von links und aus der Mitte.

Welt, 17.02.2011

Wie ist die Lage des Balletts fünfzig Jahre nach John Cranko? Anlässlich der großen Jubiläumsfeiern in Stutttgart will Manuel Brug zwar nicht so weitgehen wie die New Yorker Kritikerin Jennifer Homans, die in ihrem Buch "Apollo's Angels" (Auszug) schlicht den Tod dieser Kunstform diagnostiziert, aber so richtig gut geht's ihr auch laut Brug nicht: "Tänzer verlieren die in dieser Kunst so bedeutenden Überlieferungsfäden zu Pädagogen und Choreografen. Es gibt keine verbindlich akzeptierten Schöpfungen mehr. Die Klassik steht still, sie wird außerhalb des Theaters nicht mehr als zeitgenössische Form wahr- und erstgenommen, wie das bis zu Balanchines Tod der Fall war. Und sie ist nicht einmal mehr ein gesellschaftliches Ereignis, so wie etwa den russischen Emigranten Rudolf Nureyev oder Mikhail Baryshnikov zu Zeiten des Kalten Kriegs wie Popstars gehuldigt worden war."

Weitere Artikel: Mara Delius glossiert anläslich der Fusion der Frankfurter und New Yorker Börsen das so viel lässigere Auftreten amerikanischer Manager. Hannes Stei schreibt über erhebliche Startschwierigkeiten des Musicals "Spiderman" in New York. Und Peter Dittmar erzählt anlässlich der Insovenz des Verlags HatjeCantz sehr kenntnisreich vom Niedergang des Kunstbuchmarkts.

Eine ganze Seite gilt der Berlinale. Besprochen werden der Davi Gelbs Film "Jiro Dreams of Sushi" über Yoshikazu Ono, den besten aller Sushi-Köche und das Berliner-Schule-Projekt "Dreileben".

TAZ, 17.02.2011

In einem ausführlichen Dossier zum Umbruch in der arabischen Welt lässt die taz Akteure und Augenzeugen der tunesischen Revolution und des ägyptischen Aufstands zu Wort kommen. So unterhält sich Deniz Yücel mit Abdel Monem Abou el-Fetouh aus der Führung der Muslimbruderschaft, der erklärt, für einen zivilen und gegen einen religiösen Staat zu sein, in dem die Scharia jedoch die wichtigste Quelle des Rechts bleiben solle. "Scharia meint nicht Hände abhacken. Sie in Europa sollten Ihre Vorstellungen von der Scharia an den gemäßigten Muslimen ausrichten, nicht an den Extremisten. Denn im Verständnis der Muslimbruderschaft meint Scharia Freiheit, Gerechtigkeit und Entwicklung, wie es unser Prophet Mohammed gepredigt hat. Ja, es sind in der Scharia auch Strafen vorgesehen. Aber das Strafrecht sollte vom Parlament beschlossen und von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden."

Weiteres unter anderem: Reiner Wandler porträtiert den 22-jährigen Studenten und HipHoper Hamada Ben Amor alias El General, dessen Rap zur Hymne der Revolution in Tunesien wurde. Lina Ben Mhenni, die bekannteste Bloggerin in Tunesien, erklärt, dass die Medien sind noch nicht wirklich frei seien und es darum gehe, weiter wachsam zu bleiben, aufzuklären und weiterzubloggen.

Katrin Bettina Müller kommentiert die Auswahl für das diesjährige Theatertreffen. Besprochen wird die Ausstellung "Unscharf. Nach Gerhard Richter" in der Hamburger Kunsthalle, die zeigt, wie Nachfolger des großen Malers das Stilmittel der Unschärfe einsetzen.

Und Tom.

NZZ, 17.02.2011

Zwei Tage vor Ende der Berlinale kann Susanne Ostwald doch noch von guten Filmen im Wettbewerb berichten, auch von einem Gespräch mit dem etwas mitgenommenen Festivalchef Dieter Kosslick: "Ich habe die Berlinale im Griff." Joachim Günter in Hinsicht auf die Doktorarbeit des Verteidigungsministers fest: "Guttenberg fiel nicht durch die Anleihe von Gedanken auf, sondern durch fast identische Übernahme." In Hinsicht auf unser Erbgut zumindest rehabilitiert der Biochemiker Gottfried Schatz die Fehler beim Kopieren: "Ohne sie wären wir alle noch Bakterien."

Besprochen werden auf der Filmseite Tom Hoopers Stotterkönigsdrama "The King's Speech", Danny Boyle Kletterhorrorfilm "127 Hours", bei dem man dabei zusehen darf, wie sich jemand mit einem Taschenmesser den Arm abtrennt, Hilal Sezgins Buch "Landleben" und Garth Risk Hallbergs Familienstudie "Ein Naturführer der amerikanischen Familie" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

FR, 17.02.2011

Oliver Pfohlmann bespricht drei neue, aus Anlass des 150. Geburtstages erschienene Bücher über den Anthroposophen Rudolf Steiner (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr). Werner Girgert erinnert an das Erscheinen von Jane Jacobs' Streitschrift "Tod und Leben großer amerikanischer Städte" (mehr hier) vor fünfzig Jahren.

Besprochen werden eine Ausstellung über deutsche Einflüsse in der argentinischen Architektur in Frankfurt, Elfriede Jelineks "Kontrakte" in Frankfurt, Paul Dessaus und Bert Brechts "Deutsches Miserere" in Leipzig und Danny Boyles Berlinale-Wettbewerbsfilm "127Hours".

Weitere Medien, 17.02.2011

Michael Wuliger erklärt in der Jüdischen Allgemeinen die vermeintliche Paranoia der Juden zum gesunden Realitätssinn: Denn in der jüdischen Geschichte lagen bisher meist die Pessimisten richtig: "Dass das sprichwörtliche Glas nicht bloß halb leer ist, sondern das Wasser darin auch vergiftet sein könnte, ist keine Wahnvorstellung, sondern kollektive jüdische Lebenserfahrung."
Stichwörter: Wasser, Paranoia

Zeit, 17.02.2011

Der Historiker Robert Darnton blickt verwirrt von seinen Notizbüchern auf den Bildschirm, wo junge Ägypter ihre Handykameras hochhalten und nach Demokratie und Kentucky Fried Chicken verlangen, und stellt fest: "Wenn ich in meine vergilbten Notizen und zerlesenen Taschenbücher blicke, finde ich kein Modell für Ägypten, aber die Twitterer auf dem Tahrir-Platz haben Echos aus der fernen Vergangenheit aufgeschnappt, und in meinem Herzen bin ich bei ihnen."

Ijoma Mangold und Thomas Assheuer sind sich im Interview mit FAZ-Redakteur Patrick Bahners, dem Autor der "Panikmacher" (erscheint am 20.2.), einig: Religionskritik ist rechtsextrem, irgendwie aber auch linksnationalistisch, auf jeden Fall aber ein Extremismus der Mitte. "Das ist richtig."

Weitere Artikel: Die Revolution in Ägypten bringt "unser" Weltbild ins Wanken, meint Thomas Assheuer im Aufmacher. Adam Soboczynski besucht den seiner Ansicht nach in Deutschland total unterschätzten Gaston Salvatore in Venedig. Zum Stand der Komödie im deutschsprachigen Theater notiert Peter Kümmel, der in Wien die "Zwischenfälle" sah, in Leipzig die "Pension Schöller" und in Frankfurt "Der unsterbliche Wahnsinn": "Das ganze Theater ist heute Pallenberg-haft geworden." Aber nur auf den ersten Blick! Der Bariton Matthias Goerne erklärt im Interview, was bei Schubert gar nicht funktioniert: "Viel Gefühl, wenig Verstand." Katja Nicodemus sah auf der Berlinale wenigstens drei gute Wettbewerbsfilme - von Asghar Farhadi, Paula Markovitch und JC Chandor. Im Dossier beschreibt Carolin Pirich, wie junge Kontrabassisten aus aller Welt um die einzige freie Stelle des Berliner Konzerthausorchesters bewerben.

Besprochen werden Wanda Jacksons von Jack White produzierte CD "The Party Ain't Over", eine Aufnahme von Brahms' Violinkonzert mit Isabelle Faust, Marlon Brandos Western "One Eyed Jacks" als DVD, einige Dokumentarfilm-DVDs, Tom Hoopers oskarnominierter Film "The King's Speech", die Ausstellung "Thomas Struth - Fotografien 1978-2010" in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, und Bücher, darunter Arno Geigers Roman über seinen dementen Vater "Der alte König in seinem Exil" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 17.02.2011

Joseph Croitoru porträtiert den ägyptischen Juristen Tariq al Bishri, der zum Vorsitzenden des Ausschusses für die Überarbeitung der Verfassung ernannt wurde. Er ist ein Vordenker der Vereinbarkeit von Scharia und Demokratie, ein Mann der Westbindung ist er nicht: "Er ist alles andere als ein Freund der Vereinigten Staaten und steht für eine stärkere Bindung an die islamische Welt. Nicht nur deshalb bringt der angesehene Richter Iran Sympathie entgegen, sondern auch deshalb, weil Teheran sich der 'Aggression' Israels widersetze und nichts Verwerfliches tue, wenn es seine Nationalinteressen über alles erhebe und konsequent verfolge."

Weitere Artikel: Jürgen Kaube vermag nicht zu sagen, wo in der Causa Guttenberg die mögliche Schlamperei endet und das Plagiat beginnt - etwas unbegreiflich findet er die Sache in jedem Fall. Mark Siemons notiert entlang von Stichworten den Stand grundsätzlicher und privater Dinge anlässlich des Chinesischen Neujahrsfests. Zwar gibt es jetzt endlich Proteste gegen Berlusconi, eine gemeinsame Idee für die Zeit nach ihm, bedauert Dirk Schümer, haben aber weder die nun in ihrer Sexismuskritik vereinten Katholiken noch die linken Laizisten. Für Vegetarier und Gegner der Agrarindustrie und für "hutzelige kleine Bauernhöfe" - sowie gegen den "Großstadt-Intellektuellen" Jens Friebe, aber nicht gegen Bio - springt Tanja Busse in die Bresche. In der Glosse klagt Hannes Hintermeier über omnipräsente Sponsoren und Ausstatter in Sport- und insbesondere Ski-Übetragungen. Gerhard Rohde schreibt zum Tod des Intendanten Claus Helmut Drese.

Nach der Berlinale-Sondervorführung von "The Host and the Cloud" des als solcher bereits annoncierten documenta-13-Künstlers Pierre Huyghe hat Antje Stahl viele Fragen, mehr die documenta als die Berlinale betreffend. Besprochen werden die Wettbewerbsfilme "The Future" von Miranda July und "The Turin Horse" von Bela Tarr ("großes Filmemachen" erkennt Verena Lueken, fasst sich jedoch kurz), in einem einzigen Aufwasch auch "Mein bester Feind" und "Our Grand Despair" (beide nicht so interessant, befindet Andreas Kilb) und unter anderem der Fourmsfilm "The Terrorists" aus Thailand. 

Besprochen werden Philipp Preuss' Frankfurter Inszenierung von Elfriede Jelineks "Kontrakten des Kaufmanns", die Ausstellung "KunstFotografie: Emanzipation eines Mediums" im Kupferstichkabinett Dresden, die CD "Der Uhu des Ihi" mit Hörstücken von Bernd Leukert, Danny Boyles Thriller "127 Stunden" und Bücher, darunter, frecher Weise, den eigentlich schon "unterlassenen" Roman "Last Exit Volksdorf von Tina Uebel (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 17.02.2011

Gestern erklärte der ägyptische Autor Khaled Al-Khamissi im Feuilleton der SZ, warum er gemeinsam mit 95 Prozent seiner Landlsleute Israel hasst. Heute stellt der Islamwissenschaftler Stefan Weidner Al-Khamissis Roman "Im Taxi" vor, "das ultimative Buch zur ägyptischen Revolution". Fest stehe, "dass dieser Text natürlich viel mehr ist und sein will als Literatur. Es ist ein politischer Essay. Es ist eine Fallstudie. Es ist, in dem Land, in dem Umfragen ohne Genehmigung der Staatssicherheit verboten sind, ein Datenmaterial."

Weitere Artikel: Über die Verteidigungsversuche des Chefs der ägyptischen Antikenverwaltung gegen die Vorwürfe, die Museumsschätze in Kairo seien nicht ausreichend gesichert gewesen, berichtet Sonja Zekri. Michael Frank stellt fest, dass Österreich sich entschlossen zu haben scheint, Thomas Bernhard als "Kabarettisten" zu begreifen, um jenen Frieden mit ihm machen zu können, auf den der Dichter zu Lebzeiten gespuckt hat. Die Akademie der Künste erklärte sich solidarisch mit Ägypten und Jens Bisky war dabei. Von der Verleihung der Brit Awards berichtet Jens-Christian Rabe. Wolfgang Schreiber hat das "Eclat"-Festival in Stuttgart besucht. Von einem mit großer Heftigkeit ausgetragenen Streit zwischen - unter anderen - Javier Cercas und Arkadi Espada zur Frage, wie legitim fiktive Angaben in Kolumnen sein können, berichtet Javier Caceres. Die Ergebnisse des neuen "Horizon"-Bildungsreports stellt Susanne Gmuer knapp vor. Anke Sterneborg traf im "Kulinarischen Kino" der Berlinale den Oktopus. 

Besprochen werden die Pariser Uraufführung von Valere Novarinas "Verbalfresko" "Le vrai sang", die "Segantini"-Ausstellung in der Baseler Fondation Beyeler, Tom Hoopers Historien-Erfolgsfilm "The King's Speech", die Berlinale-Wettbewerbsfilme "The Future", "Our Grand Despair" und "Rätselhafte Welt" (nur "The Future" hält Susan Vahabzadeh dabei für einen Festival-Höhepunkt) und Bücher, darunter Philip Roths neuer Roman "Nemesis" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).