Heute in den Feuilletons

Charmant illustrierte Gedächtnisstütze

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.05.2010. In der SZ fragt Stefan Weidner: Gibt es einen Faschismus der Aufklärung? Gabriele Goettle besucht für die taz einen Cashflow-Club auf der Suche nach Reichtum und Erfolg. Man gratuliert Clint Eastwood. Man begräbt Dennis Hopper. Man liest das erste Bilderbuch für demente Senioren. Und, klar, wir sind Meyer-Landrut! Die FAZ mag ihre Bewunderung für Stefan Raab nicht ganz verhehlen, kriegt die Lippen dabei aber nicht ganz ungekräuselt. Die SZ sieht in Lenas Sieg auch einen Sieg der in den Casting-Shows praktizierten Demokratie. Wir setzen außerdem einige Links zu den aktuellen Ereignissen um den "Free Gaza"-Konvoi.

Weitere Medien, 31.05.2010

Die Ereignisse um den "Free Gaza"-Schiffskonvoi dürften in den folgenden Tagen noch einige Debatten auslösen. Ha'aretz (hier), Spiegel Online (hier), Al Dschasira (hier) und viele andere Medien melden, dass es bis zu 16 Tote gegeben habe, als israelische Marinesoldaten Boote des Konvois, der Hilfsgüter in den Gaza-Streifen bringen wollte, enterten. Die Soldaten seien auf erbitterte Gegenwehr gestoßen, heißt es in der Jerusalem Post. Die New York Times zitiert dagegen einen Sprecher der "Free Gaza"-Organisation: "We communicated to them clearly that we are unarmed civilians. We asked them not to use violence." "Gaza flotilla drives Israel into a sea of stupidity", kommentiert Gideon Levy in Ha'aretz. Verfolgen lassen sich die Ereignisse auch auf Twitter, auf dem Konto der "Free Gaza"-Organisation oder mit den Suchworten Free Gaza oder #flotilla.

"Verleger drängen Apple zu Zensur-Gespräch", meldet Heise mit dpa und zitiert aus einem Offenen Brief deutscher Zeitschriftenverleger an Steve Jobs, der seine Geräte bekanntlich gern clean hält. Interessant ihre irgendwie pädagogisch klingende Argumentation: "'Wir leben in einer multikulturellen Welt. Das bedeutet, dass Inhalte, die in einem Land völlig akzeptabel sind, in einem anderen als ungeeignet erscheinen können', heißt es in dem Brief nach Cupertino in Kalifornien, und ferner: 'Einheitliche Regeln für die ganze Welt sind eine Einschränkung der Pressefreiheit und der Wahlfreiheit für die Leser.'" (Mit anderen Worten: Wenn ihr woanders zensiert, dann gerne, aber bitte nicht die Seite-3-Mädchen aus unseren Bezahl-Apps?)

TAZ, 31.05.2010

Gabriele Goettle hat für ihre monatliche Reportage einen Cashflow-Club in Wittenberg besucht, in dem aufstrebende Kaufleute per Brettspiel die Wege zu Erfolg und Reichtum laut Multimillionär Robert Kiyosaki lernen. Gegen einen gewissen Unkostenbeitrag, versteht sich. Mathias Zdzieblowski erklärt Goettle das Prinzip: "Ziel ist ja, raus aus dem Hamsterrad und auf die Überholspur zu kommen. Das schaffe ich aber nur dadurch, dass ich mein passives Einkommen permanent erhöhe. Durch Mieteinnahmen aus Immobilien, die ich kaufe, durch Firmentätigkeit etc., bis meine gesamten Ausgaben dadurch gedeckt sind.' Wir merken an, dass Immobilienkrise und Leerstand wohl nicht vorgesehen sind. 'Nein', sagt er ernst, 'das Spiel ist ja von 1996. Aber es gibt hier das Feld ABEITSLOS, das gefürchtet ist, da heißt es dann: Zahle den Betrag deiner gesamten Ausgaben an die Bank, setze zwei Runden aus. Es bedeutet, dass ich arbeitslos werde, kein Einkommen habe, meine Ausgaben aber gleich bleiben."

Andreas Busche schreibt den Nachruf auf Dennis Hopper: "Joanne Woodward, die Frau seines langjährigen Freundes Paul Newman, soll über den jungen Hopper gesagt haben: 'Dennis ist ein Genie. Ich bin nicht sicher, in was, und ich bin nicht mal sicher, ob Dennis es genau weiß.'"

Weiteres: Rudolf Walther berichtet knapp von einer Diskussion zwischen Feridun Zaimoglu und Rainer Forst zu Toleranz, Religion und Burka. Laurence Thio erinnert in der tazzwei daran, dass heute Quit Facebook Day ist. Die Lena-Abfeierung übernimmt Jan Feddersens auf der Tagesthemenseite.

Und Tom.

NZZ, 31.05.2010

In ihrem Nachruf auf Dennis Hopper outet Susanne Ostwald Hollywoods angebliches "enfant terrible" als Konservativen: "In ihm, der Drogenfreaks, Aussteiger und diabolische Schurken gespielt hat, hätte man kaum ein Mitglied der amerikanischen Republikanischen Partei vermutet, das Reagan sowie Bush senior und junior unterstützte, vor einem Jahr dann aber bekannte, bei der letzten Wahl für Barack Obama gestimmt zu haben. Er habe jedoch während des größten Teils seines Lebens nicht aufseiten der Linken gestanden, sagte er einmal. Und selbst 'Easy Rider' kündet in gewisser Weise davon, wendet sich Hopper darin doch ab von einer Hippie-Kommune, deren Lebensstil ihm nicht behagt, und zelebriert stattdessen die grandiose Landschaft des amerikanischen Westens in geradezu konservativer Heimatfilm-Manier."

Außerdem: Der Philosoph Michael Hampe denkt über Sinn und Unsinn einer herrschenden Ideologie des Glückes nach und kommt zu dem überraschenden Schluss, dass die Macht des Menschen zur Selbstgestaltung durch biologische Bedingtheiten und gesellschaftliche Verhältnisse begrenzt sei. Maria Becker hat im Kunstmuseum Bern wahrhaftig-empathische Bilder des Schweizer Nationalmalers Albert Anker gesehen. Besprochen werden Konzerte des Orchestre de la Suisse Romande und des Tonhalle-Orchesters in der Zürcher Tonhalle.

Welt, 31.05.2010

Die Welt hat ihre Internetadresse überarbeitet. Die Links zu den Artikeln der Printausgabe sind im Augenblick nicht auffindbar.

Im Aufmacher schreibt Hanns-Georg Rodek zum Achtzigsten von Clint Eastwood. Martin Eich berichtet über die Hauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins. Zaha Hadids neues Nationalmuseum in Rom strahlt für Tim Ackermann "die Ästhetik der Provinz" aus. Gerhard Gnauck berichtet über Polens Kino, dass es einen unterhaltsamen Zugang zu seiner kommunistischen Vergangenheit finde.

Besprochen werden die Rosemarie-Trockel-Ausstellung in der Kunsthalle Zürich und eine Aufführung von Franz Schrekers Oper "Der ferne Klang" mit Ingo Metzmacher in Zürich.

FR, 31.05.2010

Daniel Kothenschulte verabschiedet Dennis Hopper - "eine Ikone künstlerischer Unkorrumpierbarkeit". Sylvia Staude unterhält sich mit dem Choreografen Marco Goecke, der gerade Virgina Woolfs Roman "Orlando" auf die Bühne bringt "Es beruhigt mich, dass eigentlich alles erzählbar ist mit einem Tänzer und einem Blatt Papier." Arno Widmann macht nach einer Tagung in Freiburg weitere Abstriche von Europas welthistorischer Einzigartigkeit. In Times mager beschäftigt sich Hans-Jürgen Linke mit neuem und älterem Liedgut. Besprochen wird Soeren Voimas Stück "Volpone" mit Harald Schmidt am Schauspiel Stuttgart.

SZ, 31.05.2010

Wir sind Meyer Landrut, und das ist ein Triumph für Stefan Raab, für Lena Meyer-Landrut selbst und für das Prinzip Casting-Show (und nebenbei eine Niederlage für die Bild-Zeitung, der Raab und Meyer-Landrut keine Interviews geben), schreiben Hans Hoff und Ralf Wiegand auf Seite 3: "Die Fans feiern aber nicht nur den Erfolg von Lena, sie feiern auch sich selbst: Sie haben sich ihren Star selbst ausgewählt - und dieser findet auch im restlichen Europa den Zuspruch, den sie sich wünschen."

Der Islamwissenschaftler Stefan Weidner wirft den Verteidigern der Aufklärung in der Islamdebatte vor, den Begriff der Aufklärung ebensosehr für sich zu kapern, wie es die Islamisten mit dem Begriff des Islams täten: "Man darf, ja soll darüber streiten, ob eine Dialektik der Aufklärung, wie Horkheimer und Adorno sie skizziert haben, wirklich existiert. Ist aber nur ein Teil ihrer Thesen zutreffend, rückt die Vorstellung von einem Faschismus der Aufklärung aus dem Bereich begrifflicher Absurdität in denjenigen der Denkbarkeit." (Es scheint sich bei dem Text um eine Kurzfassung des auf Youtube dokumentierten Vortrags über den "Faschismus der Aufklärung" zu handeln, den Weidner vor kurzem in Berlin hielt.)

Im Feuilleton schreibt Willi Winkler zum Tod von Dennis Hopper. In den Nachrichten aus dem Netz schreibt Niklas Hoffmann eine kleine Hommage auf den prominentesten aller Twitterer, Stephen Fry. Tobias Kniebe gratuliert Clint Eastwood zum Achtzigsten. Gustav Seibt besucht die vom Hochwasser heimgesuchten Oder-Gebiete. Auf der Literaturseite bespricht Titus Arnu das erste Bilderbuch für demente Senioren: "Daran erinnere ich mich gerne" ist eine schöne und äußerst charmant illustrierte Gedächtnisstütze für Senioren.

Besprochen wird ein "Volpone" mit Harald Schmidt in Stuttgart.

FAZ, 31.05.2010

Im Aufmacher gratuliert Michael Hanfeld dem "Herkules" Stefan Raab zum Grand-Prix-Sieg von Lena Meyer-Landrut: "Raab macht Unterhaltung für alle, die sich gerne unter Niveau amüsieren, das aber niemals zugeben würden. Er ist der 'Dirty Harry' der Szene, der 'Last Man Standing', der an Widerständen nicht zerbricht, sondern wächst."

Edo Reents atmet tief durch und rückt dann im Leitartikel auf der Seite 1, unter der Überschrift "Unser Mädchen", den Grand-Prix-Sieg in einen, hm, Kontext: "Wenn also Lena Meyer-Landrut in der reduzierten, ganz auf sich allein gestellten und ohne Mätzchen auskommenden Darbietungsweise die Fortsetzung Nicoles mit anderen Mitteln ist, dann ist Stefan Raab der moderne Ralph Siegel, der seinerzeit Nicole betreute und ebenfalls das Maß aller Dinge war."

Weitere Artikel: In der Glosse lässt Lorenz Jäger die Karriere des ihm sichtlich nicht gerade sympathischen und gerade wegen Besitzes von Kinderpornografie erstinstanzlich verurteilten Spaßpolitikers Jörg Tauss Revue passieren. Christian Wildhagen vergleicht die Tag für Tag teurer werdende Elbphilharmonie mit dem Turmbau zu Babel - die Fakten findet man in einer den Gang der Ereignisse auflistenden "Chronik einer Verteuerung". Leo Wild porträtiert Yasuhita Toyota, den Akustiker des Baus. Ein freundliches Resüme des Frankfurter LiteraTurm-Festivals für Gegenwartsliteratur zieht Florian Balke. Michael Althen ruft dem Schauspieler, Künstler, Regisseur Dennis Hopper mit Neil Young nach: "The king is gone - but he's not forgotten." Gunndar Heinsohn notiert die weit überdurchschnittliche Gebärfreudigkeit in Hartz-IV-Familien, die allerdings nur dann eine für die ökonomische Zukunft des Landes erfreuliche Tatsache wäre, wenn die so geborenen Kinder, anders als derzeit, den sozialen Aufstieg schafften.

Besprochen werden Soeren Voimas in Stuttgart gespielte Neufassung von Ben Johnsons "Volpone" mit Harald Schmidt in der Titelrolle (eher dürftig findet Martin Halter das, wobei ihm Schmidt noch das Interessanteste daran scheint), die Eröffnungsausstellung im von Zaha Hadid entworfenen Gegenwartskunstmuseum Maxxi in Rom (des Lobes voll ist Dieter Bartetzko vor allem über den Bau) und Bücher, darunter Benjamin Markovits' Roman "Manhattan Love Story" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).