Heute in den Feuilletons

Wie Einbrecher in der Nacht

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.02.2010. Im Tagesspiegel erklärt der Pädophilie-Experte Klaus Beier, warum die katholische Kirche eine solche Anziehung auf Pädophile hat. Immer schon, wie die SZ vermerkt. Der Freitag bemüht sich um Differenzierung beim Islam: Dschihad heißt sich abmühen. Die taz wäre gegen die Burka, wenn es nicht islamfeindlich wäre, gegen die Burka zu sein. In der Zeit erklärt Werner Herzog, warum er keine andere Wahl hat als Filme zu machen. Die FAZ ermisst den realen Ernst der virtuellen Lage.

Tagesspiegel, 04.02.2010

Im Interview mit Thomas Lackmann erklärt der Charite-Mediziner und Pädophilie-Experte Klaus Beier, warum die katholische Kirche eine besondere Anziehungskraft für Pädophile hat: "Wer aufgrund seiner sexuellen Neigung eine starke Faszination durch den kindlichen Körper empfindet, weiß zugleich, dass eine sexuelle Verwirklichung mit Frauen keine Option darstellt. Der Schritt ins Zölibat ist dann leichter - und mit hoher Anerkennung verknüpft. Aus der Angst vor Ablehnung wird ein Gefühl großer Akzeptanz. Damit ist aber nicht notwendig eine Verhaltenskontrolle über die pädophilen Impulse verbunden, die nur bei entsprechendem Problembewusstsein erreicht werden könnte."
Stichwörter: Pädophilie, Zölibat, Charite

Freitag, 04.02.2010

Beim Islam wird bei weitem nicht genug differenziert, erklärt Eren Güvercin. Ein Beispiel: "Der Begriff 'Dschihad' wird im Koran an über 30 Stellen verwendet. 'Aber an keiner Stelle', so der Koranübersetzer Karimi, 'ist der Begriff als 'heiliger Krieg', bellum sacrum oder bellum sanctum zu verstehen; noch nicht einmal als bellum iustum im Augustinischen Sinne. Dschihad heißt wesentlich im Koran: sich abmühen, sich bemühen, sich anstrengen, sich einsetzen, ja eher im Sinne von 'studere'."
Stichwörter: Dschihad, Islam

NZZ, 04.02.2010

Für die Klassik läuft das Musikfilmgeschäft gut, erzählt Max Nyffeler: "Anders als in der Pop-Branche, die sich im Dauerkrieg mit der Musikpiraterie aufreibt, kann im Sektor der Klassikverfilmungen von Krise nicht die Rede sein. Es handelt sich um einen noch jungen Geschäftszweig mit eindeutigen Wachstumschancen."

Weitere Artikel: Andrea Köhler resümiert kritische Stimmen zu James Camerons Film "Avatar". Urs Häfner berichtet über ein Manifest zur Sozialforschung (hier als pdf) in der Schweiz, das auf die "Malaise der empirisch-qualitativen Sozialforschung in der Schweiz aufmerksam" macht.

Besprochen werden eine Giorgione-Ausstellung in Castelfranco Veneto, Jason Reitmanns neuer Film "Up in the Air" und Bücher, darunter Helene Hegemanns Debütroman "Axolotl Roadkill" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Weitere Medien, 04.02.2010

Ziemlich hitzig unterhalten sich Ayaan Hirsi Ali und Tariq Ramadan bei Christiane Amanpour auf CNN über Islam in Europa:



Welt, 04.02.2010

Unter der Überschrift "Die Islamkritik hat gerade begonnen" wendet sich der Philosoph und Publizist Daniele Dell'Agli gegen den Begriff der "Islamophobie", der den die Kritikern der Islamkritik dazu diene, tatsächliche Probleme zu verdrängen: "Angst haben offenbar jene, die solche Probleme bagatellisieren, weil sie ahnen, dass deren schonungslose Analyse den Zorn der Gemeinten wecken könnte. So gesehen sind ihre Diffamierungen... nichts als Projektion ihres Kleinmuts."

Weitere Artikel: Kristen Benning erzählt, dass in Norddeutschland im 19. Jahrhundert katholische Kirchen für zugewanderte Arbeiter fast ebenso bekämpft wurden wie heute Moscheen. Manuel Brug berichtet über Unregelmäßgigkeiten und Korruption bei den Salzburger Osterfestspielen, die jetzt sogar zum Selbstmordversuch eines der Beteiligten führten. Hendrik Werner glossiert die Meldung, dass man bei Ebay Twitter-Freunde kaufen kann. Wieland Freund erklärt, wie es kommt, dass der Booker-Preis für das Jahr 1970 erst jetzt vergeben wird. Thomas Lindemann erzählt die Geschichte des Computerspiels um die "Sims", das gerade zehn Jahre alt wird. Gerhard Gnauck berichtet aus der Ukraine über das Bestreben Viktor Juschtschenkos, den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera zum Nationalhelden zu machen.

Besprochen werden eine Ausstellung des Malers Franz Ackermann in Bonn, ein "Fliegender Holländer" in der Regie von Martin Kusej in Amsterdam und Filme, darunter Christoph Schaubs Film "Giulias Verschwinden" (mehr hier) mit Corinna Harfouch und Bruno Ganz und das Bushido-Biopic "Zeiten ändern dich".

Auf der Forumsseite übernimmt die Welt einen Artikel Robert D. Kaplans aus Atlantic Monthly, der fürchtet, dass ein Militärschlag gegen iranische Atomanlagen die Opposition schwächen könnte. Auf der Magazinseite unterhält sich Judith Luig mit dem Historiker Marcus Leifeld über Fasching unter den Faschisten.

FR, 04.02.2010

Wie gestern bereits die FAZ druckt heute die FR Hans Magnus Enzensbergers Stockholmer Rede gegen die Brüsseler Bürokratie. In Times mager fragt Hans-Jürgen Linke, mit welchem Mehrwertsteuersatz die Bundesregierung eigentlich den Kauf der Steuersünder-CD veranschlagt. Hans-Martin Lohmann schreibt zum Tod des Psychiaters Erich Wulff. Auf der Medienseite verbreitet Ulrike Simon die Meldung, dass Gabor Steingart neuer Chefredakteur des Handelsblatts wird.

Besprochen werden die Seurat-Retrospektive in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, Guo Xiaolus Film "She, a Chinese" (den Michael Kohler "ungemein irritierend und unwiderstehlich zugleich" fand), Jason Reitmans Komödie "Up in the Air" mit George Clooney als gehobenem Rausschmeißer, Philippe Liorets Flüchtlingsdrama "Welcome" und Bushidos Autobiografie als Film "Zeiten ändern dich".

TAZ, 04.02.2010

Frankreichs Immigrationsminister Eric Besson hat vor einigen Tagen den Einbürgerungsantrag eines Marokkaners abgelehnt, weil seine Frau aus religiösen Gründen das Haus nur ganz verschleiert verlassen darf, berichtet Rudolf Balmer im Auslandsteil. In einem Kommentar wäre Balmer fast geneigt, das Verbot gutzuheißen, stellt dann aber fest, dass das "Pseudofeminismus" wäre: "Keine Frage, die afghanische Burka ist ein Symbol der Frauenverachtung. Fast wäre man geneigt, einem Verbot zuzustimmen, wenn es dem Kampf gegen Unterwerfung und Gewalt in der Familie dienen würde. Doch hinter der fortschrittlichen Rhetorik gegen Burka und Nikab wird eine zusehends unverschleiert daherkommende Islamfeindlichkeit sichtbar."

In tazzwei wählt Daniel Bax die Überschrift "Unter Hasspredigern", um ein weiteres Mal seinem Abscheu über "Kelek & Co" Ausdruck zu verleihen. Jan Feddersen kritisiert anlässlich der Enthüllungen über sexuellen Missbrauch von Schülern des Berliner Canisius-Kollegs die "strukturelle Schwulenfeindlichkeit" der Katholischen Kirche. Auf der Meinungsseite erklärt Benno Plassmann, Leiter der Theatergruppe und Projektagentur The Working Party und Mitgründer des im Dezember eröffneten Museum der 'Ndrangheta im italienischen Reggio Calabria, was italienische Mafiastrukturen und deutscher Rechtsextremismus gemeinsam haben: "das Spiel mit der Angst".

Auf den Kulturseiten unterhält sich Christina Nord mit der chinesischen Regisseurin Guo Xiaolu über ihren Film "She, a Chinese". Robert Schimke würdigt Evelyn Richter, Grande Dame der sozialdokumentarischen Fotografie der DDR, die 80 Jahre alt wird. Thomas Groh gratuliert Horrorfilm-Altmeister George A. Romero zum 70. Geburtstag.

Besprochen werden eine DVD-Box mit fünf Filmen der Hamburger Filmemacherin Monika Treut und Philippe Liorets Film "Welcome" über das ungute Nebeneinander von Einheimischen und Flüchtlingen in Calais.

Und Tom.

FAZ, 04.02.2010

Swantje Karich lernt auf der in Berlin beziehungsweise weltweit stattfindenden "Social Media Week" die "firstmover" von heute und morgen kennen und weiß hinterher alles besser als diese: "Den ganz realen Ernst der virtuellen Lage hat auf dieser Konferenz niemand erkannt. Auf die Frage, wer in fünf Jahren im Netz noch existiere, traut sich keiner zu antworten: Fünf Jahre seien fünftausend Twitterjahre. Doch wer hat dann die entscheidende Autorität im Netz? Die Hoffnung auf ein weiterhin dezentriertes Internet stirbt zuletzt. Die Gemeinde glaubt unerschütterlich an die Beweglichkeit der Strukturen, die schnell und effizient wieder verändert werden können."

Weitere Artikel: In der Glosse hat Dieter Bartetzko mit dem großen Stuttgarter Bahnhofsumbauprojekt auch zu Baubeginn noch lange keinen Frieden geschlossen. Gina Thomas berichtet über einen vom Schauspieler Tony Richardson vorgelesenen Vortrag des an Alzheimer erkrankten Schriftstellers Terry Pratchett, in dem dieser für das Recht auf Sterbehilfe plädiert. Frank Helbert bestaunt das nach Plänen von Oscar Niemeyer und überdies ohne Beteiligung der Camorra erbaute neue Auditorium im an der Amalfiküste gelegenen Ravello. Einen Überblick über aktuelle medizinethische Fachdiskussionen gibt Stephan Sahm. Lorenz Jäger schreibt zum Tod des linken Psychiaters Erich Wulff. Auf der Kinoseite porträtiert Bert Rebhandl den philippinischen Regisseur Brillante Mendoza, dem das Berliner Arsenal eine Retrospektive widmet. Auf der Medienseite unterhält sich Michael Hanfeld mit Tabea Rößner von den Grünen, die aus Anlass der Causa Brender eine Normenkontrollklage gegen das ZDF auf den Weg bringen wollen.

Besprochen werden eine szenische Wiederaufführung von Franz Schrekers weithin unbekannter letzer Oper "Der Schmied von Gent" in Chemnitz (für Christian Wildhagen eine "überfällige Wiedergutmachung"), die Ausstellung "Vermeer. Die Malkunst - Spurensicherung an einem Meisterwerk" im Wiener Kunsthistorischen Museum, die Ausstellung "The Drawings of Bronzino" im New Yorker Metropolitan Museum, das neue Album "Sky & Country" des Saxophon-Trios Fly, Christoph Schaubs Film "Giulias Verschwinden" mit Bruno Ganz, Philippe Liorets Film "Welcome" und Bücher, darunter Jaume Cabres Roman "Senyoria" und - von Frank Zöllner skeptisch besprochen - Roberto Zapperis viel beachteter "Abschied von der Mona Lisa" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Zeit, 04.02.2010

In einem sehr schönen Interview mit Katja Nicodemus spricht Regisseur und diesjähriger Berlinale-Jurypräsident Werner Herzog über seine zweite, hierzulande kaum bemerkte Karriere in den USA, über die "ekstatische Wahrheit", seinen Abscheu vor der Psychoanalyse und über seine neugegründete Schurken-Filmschule, an der man unter anderem die Kunst des Holzsammelns lernt, das Hochgefühl, erfolglos angeschossen zu werden, zu Fuß zu reisen und andere Guerillataktiken: "Es geht nicht um die technische Seite des Filmemachens, die man auf einer normalen Filmschule lernt. Es geht auch, in gewisser Weise, um eine Lebensform. Um eine Grundhaltung. Wie sieht ein Leben aus, wenn man Filme machen oder schreiben will?... Filme zu machen und sie so zu machen wie ich scheint mir die natürlichste Lebensform der Welt. Ich habe da auch gar keine Wahl. Denn kaum ist ein Film fertig, dringen wie Einbrecher in der Nacht neue Projekte auf mich ein. Und ich muss mit ihnen ringen und kämpfen und sehen, wie ich sie aus dem Haus bekomme."

Weitere Artikel: Im Aufmacher feiert Nicodemus außerdem das sechzigjährige Bestehen der Berlinale. In der Debatte zur Islamkritik positionieren sich heute Jens Jessen und Thomas Assheuer. Tobias Timm kündigt an, dass der Berliner Künstler Timo Sehgal zum 50-Jährigen des Guggenheims die Rotunde bestücken wird. Evelyn Finger schreibt zum Tod J.D. Salingers. Ludwig Harig widmet dem Schriftsteller Max Bense zum Hundertsten ein Gedenkblatt.

Besprochen werden das neue Album von Massive Attack "Heligoland" und jede Menge Bücher, darunter Catherine Millets neues Buch "Eifersucht" und Serhij Zhadans "Selbstmordrate bei Clowns" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Im vorderen Teil konstatiert Jörg Lau in einem Report über jüdisches Leben eine neuen Willen zur Entspannung.

SZ, 04.02.2010

Gustav Seibt weist darauf hin, dass sexuelle Verfehlungen von Vertretern der katholischen Kirche weiß Gott keine Erfindung der jüngsten oder jüngeren Vergangenheit sind: "Als diese Kirche jüngst auf Geheiß von Kardinal Ratzinger die Archive ihrer inneren Gerichtsbarkeit, der Inquisition, zu öffnen begann, kam - für Kenner kaum überraschend - heraus, dass ein großer Teil der Akten nicht Prozesse zur Unterdrückung von Ketzereien, Aberglauben oder aufklärerischer Wissenschaft dokumentierte, sondern mit sexuellen Übergriffen und Verfehlungen von Geistlichen zu tun hatte; diese musste die durch den Protestantismus in eine scharfe Sittlichkeitskonkurrenz geratene Kirche in der Barockzeit schärfer ahnden als früher."

Weitere Artikel: Reinhard J. Brembeck findet den Umstand, dass die Oper in Genf Jugendliche unter 16 Jahren vor dem Besuch ihrer "Lulu"-Inszenierung warnt, doch eher scheinheilig. Anke Sterneborg unterhält sich mit Regisseur Jason Reitman über dessen neuen Film "Up in the Air". Über die Asymmetrien im Verhältnis von Politik und Wissenschaft denkt Jeanne Rubner nach. Ira Mazzoni infromiert über die möglichen Auswirkungen veränderter Förderbestimmungen für wissenschaftliche Forschungsbibliotheken. In Berlin hat Jutta Person einen Vortrag des in der DDR aufgewachsenen US-Amerikaners Joel Agee gehört. Als durchaus gemischtes Programm erlebte Dorion Weickmann, was das Berliner Tanzfestival Context bot. Fritz Göttler gratuliert dem Filmemacher George A. Romero zum Siebzigsten.

Besprochen werden eine noch zu dessen Lebzeiten eröffnete Ausstellung mit Werken des am 21. Januar verstorbenen Glasmalers H. G. von Stockhausen in Schwäbisch Hall, die Ausstellung "Dopplereffekt" in der Kunsthalle Kiel, die Stieg-Larsson-Verfilmung "Verdammnis" und Philippe Liorets Film "Welcome" sowie Bücher, darunter der Erlebnisbericht "Das Buch vom Schnee" von Charlie English (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)