Heute in den Feuilletons

Indem du, was bewundernswert ist, bewunderst

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.08.2009. Die NZZ fragt: Wie wird Google E-Books "verkaufen"? Und wem "gehören" sie dann eigentlich? Die taz interviewt den britischen Künstler und Filmemacher Steve McQueen zu seinem Film über die IRA. Die Zeit bringt eine  Exklusivgeschichte: Vor 250 Jahren erfanden Goethe und Schiller die Freundschaft.

NZZ, 13.08.2009

Joachim Güntner graut es vor Googles Plänen für sein Feature "Edition", einer Art Cloud-Bibliothek, über die Leser Zugang zu E-Books erhalten, die auf einem Google-Server liegen. Selbst besitzen wird man sie nicht. "Sollten wir damit hadern, dass die Herren dieses neuen Wolkenkuckucksheims theoretisch über jeden Griff ins virtuelle Bibliotheksregal informiert sind? Dass sie sogar ein ungefähres Bild unseres Lesetempos erhalten? Das lässt sich ja doch alles ohne weiteres dokumentieren, wird aber die um ihre Intimität unbekümmerte Generation Facebook nicht weiter stören."

Weitere Artikel: Stanislaus von Moos, emeritierter Professor für Kunstgeschichte, lobt den künstlerischen und didaktischen Anspruch der Berliner Museumsinsel und fragt sich, warum das im Landesmuseum Zürich nicht denkbar ist. Susanne Ostwald informiert auf der Kinoseite über den neuen Almodovarfilm "Zerrissene Bilder", seiner Liebe zum Kino und zu Penelope Cruz. Christoph Egger stellt den Film "Tödliches Kommando" von Kathryn Bigelow vor.

Besprochen werden August Strindbergs
Reportage "Unter französischen Bauern" , der Roman von Felix Philipp Ingold "Gegengabe - aus kritischen, poetischen und privaten Feldern" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 13.08.2009

Der britische Künstler und Filmemacher Steve McQueen erklärt im Interview, warum es in seinem Spielfilmdebüt "Hunger" über den Hungerstreik von IRA-Häftlingen Anfang der 80er-Jahre eine 22-minütige Gesprächsszene gibt: "Wenn Gewalt ins Extrem getrieben wird, dann wird auch Sprache ins Extrem getrieben. Die Häftlinge waren ausgesprochen eloquent, weil sie die Sprache voll ausschöpften, um ihre Realität erfassen zu können. Wenn sie mit dem Sprechen fertig sind, geschieht die Gewalt, und wenn die Gewalt an ihr Ende kommt, beginnt wieder das Sprechen. Das wird im Film evident. Ich wollte, dass die Szene wie das Wimbledon-Finale von Connors und McEnroe würde."

Besprochen werden Sion Sonos Spielfilm "Love Exposure" über einen Liebe suchenden Teenager, das Spielfilmdebüt "Ein Augenblick Freiheit" von Arash T. Riahi, das von iranischen Flüchtlingen in Ankara erzählt, Henry Selicks Animationsfilm "Coraline" sowie der Roman "Brüder" von Yu Hua (hier eine Leseprobe) über das China des 20. Jahrhunderts (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

In tazzwei räsoniert Jan Feddersen über die Geburt der zuweilen durchaus nervenden alternativen Bewegung in Woodstock. Und Katia Meade informiert über eine schwarze Romanfigur, die auf dem Buchcover von Justine Larbalestiers Thriller "Liar" ein weißes Gesicht bekam, weshalb der amerikanische Verlag nun zurückrudern muss.

Hier Tom.

Aus den Blogs, 13.08.2009

Thomas Rohde hat sich für Bewegte Lettern die Mühe gemacht, einen Vortrag Lawrence Lessigs zum Google Book Settlement teilweise zu transkribieren. Lessig ist kritisch: "We're building into this not so much a digital library but a digital bookstore."

Netzpolitik hat zu ironischen Variationen eines Wahlkampfplakats von Wolfgang Schäuble aufgerufen. Dagegen wollte die Fotografin, die Schäuble für das Plakat portraitierte, klagen - aber sie verzichtet nun doch. Sie hätte auch nicht viel Aussicht auf Erfolg gehabt, meint der Rechtsanwalt Udo Vetter in seinem Lawblog: "Zunächst hat die Fotografin in einem Punkt recht. Das Urheberrecht für die Fotos liegt bei ihr. Schon deswegen, weil man das Urheberrecht nicht übertragen kann. Was man als Inhaber des Urheberrechts allerdings übertragen kann, sind die Nutzungsrechte. Wie weit diese im vorliegenden Fall jedenfalls gehen, lässt sich auf der Homepage der CDU nachlesen, wo es auch die Plakate zum Download gibt: 'Alle Bilder auf www.bilder.cdu.de können für redaktionelle Zwecke unter Angabe des Bildnachweises (Foto: www.bilder.cdu.de) sowie des Fotografen (soweit genannt) kostenlos verwendet werden.'"

(Via BoingBoing) Gehirnpraline, gefälligst?

FR, 13.08.2009

Pitt von Bebenburg sieht mit der Recherche "Die Vier" des FAS-Politikchefs Volker Zastrow auch die Berichterstattung der FAZ zu Andrea Ypsilantis Widersachern revidiert: Zumindest zwei von ihnen haben aus gar nicht so hehren Gewissensgründen agiert, wie es die FAZ mit ihrer damaligen Schlagzeile "Die fantastsischen Vier" wollte. In Times mager empfiehlt Ina Hartwig allerdings auch in diesem Fall, mehr Proust zu lesen: "Dann nämlich wäre Zastrow die herzergreifende Figur des Baron de Charlus vertraut, der sich im Kampf gegen das unaufhaltsame Werk der Zeit das Haar färbt und die Wangen pudert und dabei eine so traurige Würde ausstrahlt, dass die Lächerlichkeit des Gefallenwollens im Nu verpufft."

Weiteres: Ulrich Kurth berichtet vom Klavierfestival in La Roque d'Antheron. Auf der Medienseite beschwert sich Daniel Bouhs über die Praxis der Hypo Real Estate, die bei ihrer Hauptversammlung keine journalistischen Aufzeichnungen zulassen.

Besprochen werden Steve McQueens Film "Hunger" über den Hungerstreik der IRA, Kathryn Bigelows Irakfilm "Tödliches Kommando" und der 3D-Kinderfilm "Coraline".

Zeit, 13.08.2009

Ein in aller Bandbreite ausgeschöpftes Sommerthema ist die Freundschaft, die vor 250 Jahren von Goethe und Schiller erfunden wurde (so ähnlich meldet die Seite eins). Der Philosoph und Autor Rüdiger Safranski spricht über Goethe und Schiller, um deren Verhältnis zueinander es in seinem neuem Buch geht: "Freiheit ist ja immer durch Ressentiment und durch Neid bedroht. Du kannst Ressentiment nur überwinden, indem du offensiv das, was bewundernswert ist, bewunderst. Schiller entschließt sich zur Freundschaft mit Goethe, sie ist ihm nicht in den Schoß gefallen."

Außerdem schreibt Elisabeth von Thadden über die Brüderlichkeit unter Frauen; Adam Soboczynski erklärt, warum Kleist von Goethe und Schiller außen vor gelassen wurde; Peter Kümmel dechiffriert die Codes der Freundschaft in Blog, E-Mail und SMS; Eberhard Straub untersucht die besondere Begabung der Deutschen zur Freundschaft; Ijoma Mangold bekennt sich dazu, auch unter Kollegen Freunde zu haben.

Weitere Artikel: Den Typus des Kino-Soldaten findet Katja Nicodemus in Kathryn Bigelows Film "Tödliches Kommando" und anderen Irakkriegsfilmen: "Männer, die ihrem Job mit der Nüchternheit von Postboten oder Automechanikern, nur eben in kugelsicheren Westen nachgehen." Carolin Emcke besucht den israelischen Schriftsteller David Grossman. Der New Yorker Theatermann Tuvia Tenenboom hat im Auftrag der Zeit Bayreuth besucht und kann Woody Allen beruhigen: Wagner hören hat ihn nicht dazu animiert, Polen zu überfallen. Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich huldigt der Kunst des Bad Painting. Detlef Kuhlbrodt feiert Sion Sonos Film "Love Exposure" als japanisch, katholisch und albern. Zu den Mitarbeitern der Woche kürt Ulrich Stock die Musiker der Band Herman Dune.

Auf den Literaturseiten werden unter anderem Yu Huas Roman "Brüder" (Leseprobe hier) und Peter Stamms "Sieben Jahre" besprochen (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 13.08.2009

Rolf Schneider wundert sich aus Anlass des heutigen Jahrestages, warum noch nie eine Literaturgeschichte der Mauer geschrieben wurde: "Merkwürdiges träte zutage: Unmittelbar nach dem 13. August 1961 richteten die damaligen West-Berliner Autoren Günter Grass und Wolfdietrich Schnurre an den DDR-Schriftstellerverband einen Offenen Brief mit der Aufforderung, 'das Unrecht vom 13. August beim Namen zu nennen ... Wer schweigt, wird schuldig.' Die Antwort verfasste Stephan Hermlin, ein als eher liberal geltender DDR-Autor: 'Von welchem Unrecht sprechen Sie? ... Was am 13. August erfolgte, war ein logischer Schritt in einer Entwicklung, die nicht von dieser Seite der Stadt eingeleitet wurde.'"

Weitere Artikel: Wolfgang Kraushaar fragt, ob es eine Mitschuld der Studentenbewegung an Theodor W. Adornos Tod vor vierzig Jahren gegeben hat. Matthias Heine liest einen Band der "Mitteilungen des deutschen Germanistenverbandes", der zu einem recht optimistischen Befund über die Vitalität der deutschen Sprache kommt. Dankwart Guratzsch wundert sich, dass die Dresdner nach der umstrittenen und teuren Waldschlösschenbrücke nun auch noch eine ganze Menge Tunnel bauen wollen. Daniel Müller unterhält sich mit dem Popsänger Jan Delay über sein neuestes Album. Elmar Jung porträtiert die rechtspopulistische dänische Politikerin Pia Kjaersgaard, die chauvinistische Töne in der Kulturpolitik anschlägt. Manuel Brug besucht das Rossini-Festival in Pesaro.

Besprochen werden Filme, darunter ein Biopic über Coco Chanel mit Audrey Tautou.

Weitere Medien, 13.08.2009

Das Wachstum der (englischen) Wikipedia verlangsamt sich, meldet der Guardian: "While the encyclopedia is still growing overall, the number of articles being added has reduced from an average of 2,200 a day in July 2007 to around 1,300 today."
Stichwörter: Wikipedia

FAZ, 13.08.2009

Richard Kämmerlings kann keine Krebsbücher mehr lesen; auch das demnächst erscheinende von Georg Diez über den "Tod seiner Mutter" gefällt ihm aus prinzipiellen Gründen nicht: Keiner, findet Kämmerlings, entkommt bei dem Thema dem Boulevard. Hannes Hintermeier berichtet über die Bestrebungen separatistischer Franken, die nach Bayern gebrachte Beutekunst "an die fränkischen Ursprungsorte" zurück zu bringen. In der Glosse informiert Dirk Schümer über italienische Ideen, der Nationalhymne regionale Hymnen beizugesellen. Christian Wilhagen kann sich sehr für die Bachwoche (Website) in der Stadt Ansbach begeistern, obwohl der Meister selbst zeitlebens nie vor Ort war. Andreas Kilb weiß, was sich in der Bibliothek des Bremer Historikers Gerhard Knoll befindet, die die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten soeben angekauft hat. Der Jurist Christoph Möllers erklärt, worin das Problem des Vertrags zwischen dem Land Brandenburg und der jüdischen Gemeinde liegt, den das Bundesverfassungsgericht nun für ungültig erklärt hat. Auf der Kinoseite schreibt Rüdiger Suchsland über die Anime-Reihe (Website) beim Filmfestival von Locarno.

Besprochen werden die "John Wesley"-Ausstellung in der Fondazione Prada in Venedig, eine große Ausstellung zum Verleger Johann Friedrich Cotta im Stadtmuseum Tübingen, Kathryn Bigelows Irakkriegs-Film "Tödliches Kommando" und Bücher, darunter Peter-Andre Alts Studie "Kafka und der Film" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 13.08.2009

Von aktuellen Entwicklungen aus der schönen neuen Welt der Genom-Sequenzierung berichtet Andrian Kreye: "Am letzten Juliwochenende trafen sich Craig Venter und George Church in Los Angeles, um für John Brockmans Wissenschaftsforum Edge.org ein Seminar über synthetische Gentechnik zu leiten. Die Gentechnik, so Church, habe die Informatik dabei längst hinter sich gelassen und entwickle sich mit einem Faktor von zehn pro Jahr. Immerhin - der Preis für die Sequenzierung eines Genoms ist von drei Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf rund 50.000 Dollar gefallen, wie der Ingenieur der Stanford University Dr. Steven Quake diese Woche bekanntgab. 17 kommerzielle Firmen bieten ihre Dienste schon an."

Weitere Artikel: Stephan Speicher erklärt mit historischer Fundierung, dass "Gehaltsexzesse" ökonomisch begründbar sein mögen, deswegen aber noch lange nicht auch gerecht sind. Laura Weissmüller besucht den für den Preis der Neuen Nationalgalerie nominierten Konzeptkünstler Danh Vo in seiner winzigen Kreuzberger Hochhaus-Wohnzelle. Till Briegleb unterhält sich mit Matthias von Hartz, dem künstlerischen Leiter des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg. Kia Vahland kommentiert den jüngsten, vom Panzerglas abgeschmetterten Teetassenwurf in Richtung Mona Lisa. Vom Filmfestival in Locarno berichtet Fritz Göttler. In der inzwischen SZ-üblichen unkritischen Vorabwerbung bereitet Tobias Kniebe schon mal auf Oskar Roehlers Film über die Entstehung des Films "Jud Süß" vor. Gemeldet wird, dass amerikanische Autoren wie Jonathan Lethem und Michael Chabon von Google Books mehr Privatheit bei der Online-Lektüre fordern (mehr dazu auch in dem Blog BoingBoing.) Volker Breidecker gratuliert dem "Subkulturisten" Rolf Schwendtner zum Siebzigsten.

Besprochen werden Alvis Hermanis' in Hallein aufgeführte "Sound of Silence"-Performance, die neu anlaufenden Filme "Tödliches Kommando" von Kathryn Bigelow (Tobias Kniebe staunt über die "Regieamazone in der Menopause"), "Love Exposure" von Sono Sion und "G.I. Joe" von Stephen Sommers sowie Bücher, darunter Peer Pettersons Roman "Ich verfluche den Fluss der Zeit" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).