Heute in den Feuilletons

Jeder Affe ein göttliches Wesen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.07.2009. In der taz fragt sich Theaterintendant Ulrich Khuon, was das Theater nicht etwas isoliert vom Leben ist. In der NZZ beschreibt Hugo Loetscher das Grauen, das ihn mit Dreißig bei der Aussicht befiel, Chefredakteur zu werden. In der SZ feiert Städel-Rektor Daniel Birnbaum die künstlerischen Vorzüge des Polytheismus. In der FAZ erzählt David Hockney, wie er mit seinem iPhone malt. Barack Obamas Nahostpolitik nährt nur die palästinensischen Verweigerer, meint der Historiker Benny Morris in der Welt.

TAZ, 25.07.2009

Im Gespräch mit Katrin Bettina Müller spricht Ulrich Khuon, der neue Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, unter anderem über Nähe und Ferne von Theater und Welt: "Wir haben immer den Anspruch, die Welt zu erzählen; die Gefahr ist aber, dass einen das Theater so in Besitz nimmt, dass man das Theater für die Welt hält. Am Theater kann man sein ganzes Leben verbringen, morgens rein, nachts raus, zwischen Probebühne, Bühne und Kantine. In Hamburg bin ich oft mit dem Rad ins Theater gefahren, vorbei an einem Kinderspielplatz und einem Jugendtreff. Da habe ich oft gedacht: Ist schon komisch, dass man im Theater dauernd Auskünfte erteilt, zum Beispiel über die Jugend, aber im Grunde ist der Zugang zu dieser Welt doch sehr punktuell."

Weitere Artikel: Kirsten Riesselmann liefert einen ersten Bericht, bevor sie zu den Festpielen nach Bayreuth fährt. In der "Leuchten der Menschheit"-Kolumne schreibt der im Land Salzburg geborene Andreas Fanizadeh über die rechte Mentalität in Salzburg damals wie heute. Hannes Koch und Mandy Kunstmann unterhalten sich mit dem Verbraucherschützer Gerd Billen über sein Buch "Ausgetrickst und angeschmiert".

Besprochen werden das Album "With These Hands. The Rise And Fall Of Francis Delaney" von Michael J. Sheehy & The Hired Mourners  und Bücher, darunter Anna Katharina Hahns Debütroman "Kürzere Tage" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

NZZ, 25.07.2009

In Literatur und Kunst schreibt Roman Bucheli zum 100. Geburtstag des Publizisten Manuel Gasser (Weltwoche, du). Daneben ist ein Kapitel aus Hugo Loetschers Buch "War meine Zeit meine Zeit" vorabgedruckt, in dem sich Loetscher an seine Zeit beim du-Magazin erinnert. Gasser war damals ebenfalls dort. "Wir saßen im Chefbüro einander gegenüber, senior und junior editor. Einmal mehr die Frage, was planen wir mit der Dezembernummer, wegen Weihnachten bürgerlich-traditionell eine Prachtausgabe, gar mit eingeklebten Vierfarben-Bildreproduktionen. Während der Chef telefonierte, sah ich in den Hinterhof hinunter. Fahrradgestelle und Kinderwagen. Mülleimer und ein Topf mit irgendwelchem Kräutergrünzeug. Die Redaktion war in einem älteren Mietshaus untergebracht. Da meinte der Seniorchef zwischen Themen-Ideen: Kein Zweifel, ich sei als sein Nachfolger vorgesehen. Ich war Anfang dreißig, mein Leben wäre mit dieser Offerte gelaufen, ich hätte es nur noch absitzen müssen."

Weitere Artikel: Die Psychoanalytikerin und Autorin Sabine Richebächer erinnert an Hermann Rorschach und seinen Test. Manfred Schwarz schildert Vincent van Goghs Zeit als Laienprediger im belgischen Kohlenrevier Borinage. Ricarda Dick schreibt über das bildnerische Werk von Else Lasker-Schüler, dem das Jüdische Museum Frankfurt am Main 2010 eine Ausstellung widmen will (dafür werden noch unbekannte illustrierte Briefe oder handkolorierte Bücher gesucht). Der Architekt Dominique Perrault spricht im Interview über die Architektur öffentlicher Gebäude.

In der Stil-Kolumne des Feuilletons stellt die britische Modedesignerin Sophia Kara ihre Kollektion islamischer Mode vor: "Meine Herausforderung ist - einmal mehr - jener grässliche, schwarze, saudische Gilbab. Insbesondere ältere Kundinnen meinen, das sei die einzige Art, sich korrekt islamisch zu kleiden; sie mustern sehnsüchtig meine Modelle, drehen sich dann um und fragen: 'Können Sie mir das nicht in Schwarz machen?' Die Bekehrungsversuche, die ich dann unternehme, sind zum Glück bei jungen Frauen nicht mehr nötig - die betrachten, wenn ich das so sagen darf, meine Kollektion als Gottesgeschenk. Und vielleicht verändere ich tatsächlich die Welt ein ganz klein wenig, indem ich - nicht nur im Stilmix meiner Designs - den Westen und die islamische Welt einander näher bringe."

Weiteres: Beim Blick auf den Werkstattbericht für das Berliner Humboldt-Forum stellt sich bei Sieglinde Geisel ein "Supermarkt-Gefühl von Überfluss und Überdruss" ein. Besprochen werden die Tarzan-Ausstellung im Pariser Musee du Quai Branly, eine Aufführung von Verdis "Aida" bei den Bregenzer Festspielen und Wolfgang Englers Buch "Lüge als Prinzip - Aufrichtigkeit im Kapitalismus" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

SZ, 25.07.2009

Als "wahre Sensation" feiert Städelschul-Rektor und Biennale-Leiter Daniel Birnbaum die Ausstellung "Garden and Cosmos: The Royal Paintings of Jodhpur" im British Museum in London. Die Gemälde aus dem 18. Jahrhundert waren im Westen bislang nicht zu sehen. Birnbaum staunt über die teils abstrakte Malerei, aber über die narrativen Gemälde mindestens ebenso sehr: "Es sind wirkungsvolle Arbeiten narrativer Kunst, so effektiv und unterhaltsam wie ein Comic. Sie rufen die Vision eines Zaubermärchens hervor: flache türkisgrüne Hügel, auf denen sich eine Gruppe Affen berät, während Elefanten im schwülen Regen, der aus goldenen Wolken fällt, fröhlich spielen. Eine Gruppe liebenswerter Bären hilft dem Prinz über den Fluss, der bis in den Himmel zu strömen scheint. Das Gewässer ist ein Gott und jeder Affe auch ein göttliches Wesen. Eins wird klar: Der Polytheismus ist künstlerisch einfach viel ergiebiger als der Glaube an das eine höchste göttliche Wesen. Unterhaltsamer sowieso."

Weitere Artikel: Ganzseitig wird die Leserschaft mit einem Glossar auf die Salzburger Festspiele vorbereitet: von A wie "Außenseiter" bis Z wie "Zampano". Thomas Steinfeld stellt München, das so wenig empört auf den Rauswurf von Christian Thielemann reagiert, eine enttäuschte Frage: "Ist es nicht gerade ein Ausweis von Weltläufigkeit, das ungezogene Genie zu dulden?" Wolfgang Schreiber sammelt Stimmen zur von Katharina Wagner in Aussicht gestellten noch einmal gründlicheren Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Festspiele. In Sachen VW weiß Hans Leyendecker, warum Wendelin Wiedeking nicht Muhammed Ali ist. Die Hintergründe der Auseinandersetzung von Rolf Hochhuth mit Claus Peymann erklärt noch einmal Stephan Speicher.

Im Aufmacher der SZ am Wochenende erklärt Hilmar Klute, wie er Wagners Musik dann doch irgendwie zu lieben, jedenfalls zu bewundern lernte. Klaus Ott und Uwe Ritzer erzählen von einem Frankfurter Erbkrieg, bei dem auch schon mal jemand von den Toten aufersteht. Auf der Historien-Seite geht es um frühe Orient-Fotos. Vorabgedruckt wird ein Bericht des Schriftstellers Walter Kohl darüber, wie er seinen Geruchssinn verlor - und wie er nun ohne ihn lebt: "Ich bin ein grober gefühlsarmer Klotz geworden." Gabriela Herpell spricht mit Sandra Bullock unter anderem über das Kellnern als Schule des Lebens. "Man lernt, den Abend komplett fremder Menschen zu dem besten ihres Lebens zu machen."

Besprochen werden Johan Simons "Kasimir und Karoline"-Inszenierung in Avignon und Bücher, darunter Stefan Mühldorfers Roman "Tagsüber dieses strahlende Blau" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Welt, 25.07.2009

Der israelische Historiker Benny Morris fürchtet, dass Präsident Barack Obama mit seiner neuen Politik für den Nahen Osten die Lage eher verschlimmert. So haben die Palästinenser in Geheimverhandlungen gerade wieder eine Friedenslösung abgelehnt, die ihnen zwar 97 Prozent der Westbank, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem zugesprochen hätten, berichtet Morris: "Mahmud Abbas bestand nach wie vor 'auf das Recht auf Rückkehr'. Aus Sicht der meisten Israelis heißt das, die Palästinenser wollen keinen Frieden, keinen jedenfalls, den selbst weit links stehende israelische Juden akzeptieren könnten. Daher wird Barack Obama bei aller Überredungskunst am Ende keinen israelisch-palästinensischen Frieden erreichen, auch wenn er bis dahin gewiss die palästinensischen Verweigerer genährt, die weltweite Unterstützung für die Palästinenser vergrößert und, vielleicht, einen Keil zwischen Washington und Israel getrieben haben wird."

Der amerikanische Schriftsteller Michael Chabon beklagt in einem aus der NY Review of Books übernommenen Text den Verlust der Wildnis für Kinder: "Wenn Kinder Radfahren oder Rollerskaten, dann gerüstet wie für die Schlacht, und üblicherweise sind ihre Eltern in der Nähe. Für all das gibt es Gründe. Das ist teils Folge einer Warentest-Mentalität, des generell gewachsenen Bewusstseins für Sicherheit und Gefahr. Hinzufügen ließen sich noch die steigenden Ansprüche der Versicherungsmathematik und die amerikanische Eigenart, sich mit Schadensersatzklagen die Zeit zu vertreiben. Der Hauptgrund für die Beschneidung des Abenteuers, die Schließung der Wildnis jedoch ist die gewachsene Angst, die wir alle vor dem Missbrauch unserer Kinder durch Fremde haben; wir fürchten die Wölfe der Wildnis. Diese Angst ist nicht rational." (Hier das Original)

Weiteres: Abgedruckt wird Andre Glucksmanns Nachruf auf die unerschütterliche Natalja Estemirowa. Auf der Feuilletonseite umreißt Sascha Lehnartz die gesellschaftlichen Dimensionen der Verhaftung des schwarzen Harvard-Professors Henry Louis Gates. Lucas Wiegelmann meldet den Fund zweier bisher unbekannter Mozart-Stücke. Nachgereicht wird die Meldung, dass Dirigent Christian Thielemann in den Verhandlungen über seinen Vertrag mit den Münchner Philharmonikern nicht kompromisslos gewesen sei.

FR, 25.07.2009

Patrick French, der ein Buch zum Thema geschrieben hat, beschreibt in einem großen Artikel die Geschichte und Gegenwart Tibets. Sehr viel Grund zu Optimismus sieht er nicht: "Wenn Peking tatsächlich einmal nachgibt und einen Schritt auf die Exil-Tibeter zugeht, dann wahrscheinlich nicht mehr zu Lebzeiten des Dalai Lama. Momentan sind die Beziehungen zwischen China und Tibet in einer Sackgasse. Der Bau von neuen Straßen und Kraftwerken in Verbindung mit nationalistischer Propaganda hat die Herzen der Menschen im Autonomen Gebiet Tibet nicht gewinnen können. Peking weiß, dass es jede Art von Rebellion mit Gewalt niederschlagen kann, während den Tibetern klar wird, dass offene Revolte - um es mit einem alten Sprichwort zu sagen - ungefähr so viel Sinn ergeben würde, wie ein Ei gegen einen Felsen zu schmeißen. Das Leiden in Tibet dauert weiter an." (Der Original-Artikel ist im März im Guardian erschienen.)

Weitere Artikel: In einer Times Mager kommentiert Harry Nutt den Zickenkrieg zwischen Rolf Hochhuth und Claus Peymann.In Marcia Pallys US-Kolumne geht es diesmal um zum Fitnessstudio Bekehrte.

Besprochen werden Graham Vicks "Monumentalinszenierung" der "Aida" bei den Bregenzer Festspielen und Bücher, darunter der 1958er-Jahrgang der gesammelten "Mecki"-Comics (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 25.07.2009

Der britische Maler David Hockney spricht im Interview über seine Landschaftsbilder, East Yorkshire, wo er diese Bilder gemalt hat, seine zunehmende Taubheit und sein iPhone. "Eine wunderbare Erfindung (führt es vor). Ich liebe zum Beispiel dieses Spiel, bei dem ich die Schwerkraft der Bälle verändern kann. Das kommt meinem Sinn für das Absurde entgegen, ist also lebensecht. Und ich kann mit dem Finger malen. Jeden Tag schicke ich meinen Freunden neue Blumenbilder. Frische Blumen einmal anders. Man wird kühn, wenn man mit dem Finger malt. Wer hätte gedacht, dass das Telefon einmal die Zeichnung retten würde?"

Weitere Artikel: Kerstin Holm beschreibt Korruption und Gewalttätigkeit der russischen Miliz. Abgedruckt ist Hanns Zischlers Dankesrede zur Verleihung des Heinrich-Mann-Preises. Swantje Karich hat einen Ortstermin mit Micaela Kapitzky, Gesellschafterin des Auktionshauses Villa Grisebach.

Im Feuilleton porträtiert Julia Voss handschriftlich und auf Büttenpapier die Künstlerin Anita Albus, die mit alten Techniken Tiere und Pflanzen malt. Niemand will das verfallende Watergate Hotel kaufen, meldet Jordan Mejias in der Leitglosse. Betrübt blicken wir auf Jürgen Dollases Kolumne, der den Essern, also uns allen, vorwirft, dass wir "bar jeder soliden Grundkenntnis von Produkten und deren Handhabung auf den jeweils aktuellen kulinarischen Wellen surfen". Jan Brachmann meditiert über Sommerfestivals fern vom "Sog der Überbietungskultur" und plärrenden Kindern. "aro" mokiert sich über die Ausschreibung für zwei Museumsdirektorenposten in Frankfurt. Die Bayreuther Festspiele werden nicht bestreikt werden, informiert uns eine Meldung. "wild" schreibt zum Tod des Komponisten Friedrich Goldmann.

Besprochen werden die Ausstellung "Der Pavillon. Lust und Polemik in der Architektur" im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt, David Pontneys Inszenierung von Karol Szymanowskis Oper "König Roger" bei den Bregenzer Festspielen und Bücher, darunter Norbert Zähringers Roman "Einer von vielen" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Auf der Schallplatten- und Phono-Seite geht's um Wagner-Schnäppchen, geistliche Musik von Klaus Huber, eine CD von Portugal The Man und CDs von Esther und Abi Ofarim.