Heute in den Feuilletons

Gesunder Hauch von Schmiere

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.05.2009. In der FR streiten sich Claus Peymann und Rene Pollesch über den Wert der Literatur. Die Welt zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Porträt des neuen Festivalchefs von Salzburg, Alexander Pereira. Und alle schreiben aus Cannes über Quentin Tarantinos Film "Inglourious Basterds": Für die SZ ist es ein Feelgood-Film über Nazis, die taz freut sich, weil Hitler kaputt, die FR sieht ihn als verwegene Kolportage, die Welt feiert den eigentlichen Star des Films: Christoph Waltz.

FR, 22.05.2009

Peter Michalzik hat Claus Peymann und Rene Pollesch, die sich vorher nicht persönlich kannten, zu einem Gespräch zusammengeführt. Am Anfang tun sie respektvoll, am Ende knallt's. In der Mitte kriegt man mit, wo der Streitpunkt liegt - in einem konträren Verhältnis zu Literatur. Peymann sagt: "Ich bewahre immanente Werte wie in dem Truffaut-Film 'Fahrenheit 451', wo man Menschen sieht, die permanent die großen Werke der Literatur vor sich hinmurmeln, damit sie nicht verschwinden." Und Pollesch antwortet: "Die konservieren nur den Befehl: Habe Respekt vor Literatur." Und: "Ich halte Literatur für eine Masche, die überholt ist." (Online war es leider nicht zu finden.)

Weitere Artikel: Daniel Kothenschulte feiert Quentin Tarantinos Kriegfilm-Pastiche "Inglourious Basterds" über die Resistance, der in Cannes lief, als "verwegene Kolportage" und "großartig montierte Collage". Christian Schlüter erklärt in "Times mager", was Analog-Käse ist (nicht das Gegenteil von Digital-Käse jedenfalls). Sylvia Staude erinnert an Arthur Conan Doyle, der vor 150 Jahren geboren wurde. Harry Nutt hat in Berlin eine Diskussion zwischen dem sudanesischen Juristen und Menschenrechtsaktivisten Abdullahi Ahmed An-Na'im und Innenminister Schäuble über die Scharia und den säkularen Staat verfolgt. Außerdem fasst Nutt die vorgestern in der FAZ publizierte Reaktion des Kardinals Lehmann auf die Debatte um den Hessischen Kulturpreis zusammen. Ferner gibt es noch ein doppelseitiges Gespräch zwischen Wibke Bruhns, der ersten deutschen Nachrichtenmoderatorin und Dunya Hayali aus dem Heute Journal, der ersten Nachrichtenmoderatorin mit Migrationshintergrund.

Besprochen wird eine Choreografie von Martin Schläpfer in Mainz.

Aus den Blogs, 22.05.2009

Gleich zwei Webseiten sind für den Grimme-Online-Award nominiert worden, an denen maßgeblich Perlentaucher-Mitarbeiter werkeln: Die Filmzeitschrift Cargo, Mitbegründer ist Perlentaucher Ekkehard Knörer, zeigt auf ihrer wunderbaren Webseite Video-Interviews (zum Beispiel mit Dominik Graf oder dem thailändischen Regisseur Apichatpon Weerasethakul), Filmkritiken, Festivalberichte und vieles mehr. Nachtkritik, mitbegründet von Perlentaucherin Esther Slevogt, zeigt, wie man Theaterkritiken ins Netz bringt und mit dem Publikum diskutiert.
Einfach mal reingucken!

TAZ, 22.05.2009

Gelungen findet Cristina Nord Quentin Tarantinos Wettbewerbsbeitrag "Inglourious Basterds", der jetzt in Cannes lief. Als "koscheren Porno, etwas, wovon ich schon als kleines Kind Fantasien hatte" bezeichnet Darsteller Eli Roth die Geschichte über einen Trupp jüdisch-amerikanischer Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg auf Nazi-Jagd gehen. Auch für Nord ist er so etwas wie "nachträgliche antifaschistische Wunscherfüllung. Kühn greift die Fiktion in den Lauf der Geschichte ein; der Spielfilm interessiert sich nicht für das, was war, und auch nicht für das, was plausiblerweise hätte sein können, er erfindet stattdessen etwas, wovon man sich wünscht, dass es sich hätte zutragen sollen: einen geglückten Akt des Widerstands, der den Krieg beendet. Dani Levys Komödie 'Mein Führer' hatte vor zwei Jahren eine ähnliche Absicht (Sylvester Groth gibt praktischerweise in beiden Filmen Goebbels), traute sich aber nicht, die Fantasie konsequent durchzuspielen. Tarantino hat erwartungsgemäß weniger Scheu. Hitler goes kaputt."

Thomas Winkler unterhält sich mit Greg Anderson, Musiker von Sunno))), der langsamsten und lautesten Metalband der Welt, über deren neues Album "Monoliths and Dimensions", Lautstärke, Langsamkeit und Alkohol.

Besprochen werden CDs von Prefuse 73, Savath & Savalas und Boxcutter.

Und Tom.

NZZ, 22.05.2009

Jonathan Fischer ist nach Miami gefahren, wo die kubanische und Latinomusik immer stärker auch den weißen Mainstream in Schwingung versetzt. Alena Wagnerova macht sich Sorgen um die tschechische Wochenzeitung Literarni noviny, die in die Hände eines Chefredakteurs aus der alten Nomenklatura übergegangen ist. Ursula Seibold-Bultmann besucht das neue Museum Brandhorst in München. Ronald D. Gerste erinnert an Arthur Conan Doyle, der vor 150 Jahren geboren wurde.

Auf der Medienseite staunt Mark Zitzmann über die bunt-populistischen Fernsehnachrichten des französischen Privatsenders TF 1, in denen die "Rückkehr der wilden Salate" mehr zählt als jedes politische Ereignis. Heribert Seifert stellt das neue Magazin Quality vor, eine Art Manufactum-Katalog zum Lesen. Und "ras." kommentiert die recht lauen und uninteressierten Reaktionen der Schweizer Öffentlichkeit auf die drastische Zeitungskrise im Land, die dazu führt, dass der Tages-Anzeiger ein Viertel und der Bund sogar ein Drittel seiner Redaktion abbaut.

Welt, 22.05.2009

Der Held in Quentin Tarantinos Film "Inglourious Basterds" ist nicht Brad Pitt, berichtet Hanns-Georg Rodek aus Cannes, sondern Christoph Waltz. "Dass seine Rolle - die des SS-Schnüfflers Hans Landa, der in ganz Frankreich versteckte Juden aufspürt - ein saftiger Part sein würde, ließ sich schon aus dem Drehbuch herauslesen, das seit Monaten im Internet kursiert. Wie viel Raum ihm aber Tarantino hier einräumt, sowohl von der Leinwandzeit wie von der Leinwandpräsenz her, ist absolut erstaunlich. Sein gebildeter, eitler, gerissener, charmanter, skrupelloser Oberst hält das Heft von der ersten bis zur letzten Sekunde in der Hand und scheut sich auch nicht, die Weltgeschichte zu seinen eigenen Gunsten zu manipulieren."

Ein nicht sehr schmeichelhaftes Porträt des neuen Chefs der Salzburger Festspiele, Alexander Pereira, zeichnet Manuel Brug: "Pereira ist flamboyant, aber durchaus auch von einem gesunden Hauch von Schmiere umweht. Er liebt den Glamour und das Geld, die Stars, seine Rennpferde und die Society, der er beständig die Sponsorengelder abluchst (und einen nicht geringen Prozentsatz vertraglich korrekt in die eigene Tasche wirtschaftet). Er schmückt sich mit den Sternen, die Mühen der Ebene überlässt er gern Untergebenen, wobei er gerade hier als wenig teamfähig gilt."

Weitere Artikel: Hanns-Georg Rodek sah in Cannes über Filme von Michael Haneke und Xavier Giannoli. Hendrik Werner schreibt zum 150. Geburtstag von Arthur Conan Doyle. In den USA ist das verschwundene politische Testament Ludwigs XVI. aufgetaucht, berichtet Michael Stürmer: Der Inhalt war zwar bekannt, aber das Original galt als verschollen.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Landschaftsbildern von David Hockney in der Kunsthalle Würth, Heinz Spoerlis Bach-Ballett in Zürich, Calixto Bieitos Inszenierung von Manuel de Falls Opern-Einakter "La vida breve" in Freiburg, Dimiter Gotscheffs Inszenierung von Aischylos' "Prometheus" vor der Berliner Volksbühne und einige neue CDs.

FAZ, 22.05.2009

Patrick Bahners fasst eine Berliner Diskussionsveranstaltung zusammen, bei der der Islam-Gelehrte Abdullahi An-Na'im erklärte, warum seiner Ansicht nach Staat und Religion auch und gerade aus muslimischer Perspektive strikt getrennt gehören. Für Verena Lueken hat Quentin Tarantinos in Cannes gezeigter Wettbewerbsbeitrag "Inglorious Basterds" ein präzise benennbares Problem: Es "gehen ihm mittendrin die Ideen aus". Julia Spinola porträtiert Alexander Pereira, derzeit noch Opernintendant in Zürich, ab 2011 Leiter der Salzburger Festspiele. In der Glosse kritisiert Andreas Rossmann das obstruktive Verhalten der Beuys-Witwe Eva Beuys gegenüber der Beuys-Stiftung deutlich. "hno" schreibt zum Tod des Mediävisten Eberhard Nellmann.

Besprochen werden Dimiter Gotscheffs "Prometheus"-Inszenierung an der Berliner Volksbühne, ein Konzert von Melody Gardot (Website) in Frankfurt, die Ausstellung "Jacob Backer: Der große Virtuose" in Aachen, Atom Egoyans Film "Simons Geheimnis", Igor Heitzmanns Dokumentarfilm "Nach der Musik" über seinen Vater, den Dirigenten Otmar Suitner und Bücher, darunter Daniel Stashowers große Biografie des "Sir Arthur Conan Doyle" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 22.05.2009

Für Tobias Kniebe gibt es in Quentin Tarantinos in Cannes gezeigtem Film "Inglourious Basterds" durchaus Tiefen, aber Spaß macht er auch: Tarantino "will nur grandiose Set-ups schaffen und dabei alle Zeit der Welt haben, und er will, mit der geballten Liebe des Cinemaniacs, grandiosen Schauspielern bei der Arbeit zuschauen. Was er dann auch macht. In 'Inglourious Basterds' hat er, wie der freundliche Applaus und das Ausbleiben jeder politischer Reaktion am Ende beglaubigen, einen Feelgood-Film gedreht. Geht das, selbst mit Nazis? Offensichtlich."

Weitere Artikel: Stephan Speicher hat den für die Trennung von Religion und Staat eintretenden islamischen Rechtsgelehrten Abdullahi An-Na'im im Gespräch mit Wolfgang Schäuble erlebt. Andreas Zielcke denkt nach über Konstruktionsschwächen der Demokratie, die er für Probleme wie Umweltzerstörung mitverantwortlich macht. Nicht glücklich wird Jörg Häntzschel mit Renzo Pianos "kraftlosem Erweiterungsbau" des Art Institute in Chicago. Reinhard J. Brembeck weiß, was sich Salzburg vom 2011 antretenden neuen Festivalchef Alexander Pereira erwarten darf. Im Gespräch mit Wolfgang Schreiber meint Pereira selbst dazu programmatisch: "Man muss Wagnisse eingehen, Experimente machen, neue Künstler und Stücke vorstellen." Johannes Willms meldet, dass das Testament Ludwigs XVI. aufgetaucht ist. Thomas Steinfeld liest einen vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft herausgegebenen, sehr uneinheitlichen Band zum Thema Bildung. Auf der Literaturseite wird mit fünf Artikeln der 150. Geburstag des Arthur Conan Doyle gefeiert. (Online: Stephan Speicher über Sherlock Holmes als den "Wilden unter Beamten", Fritz Göttler über Holmes' Liebe zur Fotografie und Harald Eggebrecht über Holmes als Kokain spritzenden und Geige spielenden Dandy.)

Besprochen werden Frank Hoffmanns Strindberg-Potpourri "Lieben Sie Strindberg" mit Maximilian Schell bei den Ruhrfestspielen und ein Schubertabend mit dem Pianisten Andras Schiff in München.