Heute in den Feuilletons

Obamabananabonanza

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.06.2008. Der Klimawandel macht uns alle zu Indern, bemerkt der Filmkritiker Sukhdev Sandhu in der SZ. Die FAZ bemerkt, dass die Chinesen langsam beginnen, China zu mögen. Nicht Obama wurde diskriminiert, sondern Clinton, moniert die taz. Alles ist in Aufruhr, erfährt die NZZ von einer Schriftstellerin aus Simbabwe. Und in der Berliner Zeitung bereut Otto Waalkes die WG mit Lindenberg und Westernhagen.

NZZ, 21.06.2008

Auf der Buchmesse in Kapstadt hört Almuth Schellpeper, wie sich die aus Simbabwe stammende Autorin Judith Todd um ihr Land sorgt, in dem in einer Woche Stichwahlen abgehalten werden. "Um Simbabwe wird ein großer schwarzer Vorhang gezogen. Es ist, als würden wir von einem Riesen hochgehoben, der alles Leben aus dem Land herausquetscht. Im Moment schweigen alle in Simbabwe. Man braucht eine Polizeierlaubnis für ein Treffen mit mehr als drei Leuten. Unter der sogenannten 'presidential powers act' macht der Präsident, was er will. Alles ist in Aufruhr."

Weiteres: Joachim Güntner entdeckt am Grund der deutschen Debatte über die Mittelschicht eher einen gefühlten Missstand als ein tatsächliches Problem. Für den Autor Wilhelm Genazino besteht das typisch Schweizerische im historisch unbelasteten Miteinander-sprechen-Können. Jürgen Ritte attestiert dem geschassten französischen Fernsehjournalisten Patrick Poivre d'Arvor ein flexibles journalistisches Berufsethos.

In der Beilage Literatur und Kunst erfährt der argentinische Schriftsteller Tomas Eloy Martinez vom Publizisten Luis Harss, wie er mit seinem Interviewband "Into The Mainstream" die Explosion der lateinamerikanischen Literatur in den siebziger Jahren einleitete. "Es gab eine Mafia, wie Fuentes, Cortazar und Vargas Llosa selbst ihren Freundeskreis bezeichneten, ein Netz von Autoren, die in Mexiko, Paris, Buenos Aires lebten. Sie lasen und bewunderten einander gegenseitig. Das war der neue lateinamerikanische Roman jener Jahre. Anders als bei den lateinamerikanischen Dichtern hatte es bis dahin keinen Roman gegeben, der auf dem gesamten Kontinent wahrgenommen worden wäre. Diese Leute jedoch lebten mehr in der Sprache als in ihren jeweiligen Ländern, sie waren der Ansicht, dass ihre gemeinsame Heimat die spanische Sprache sei."

Weitere Artikel: Die Literaturwissenschaftlerin Andrea Gnam bringt einige Beispiele, wie sich zeitgenösssische Künstler mit Buch und Bibliothek beschäftigen. "Manches erscheint recht derb, wie Dieter Roths Vorgehen, der in den siebziger Jahren 20 Würste ausstellt, die er mit den - mit Gewürzen und Schmalz angereicherten - Schnipseln der 20-bändigen Suhrkamp-Ausgabe der Werke Hegels vollgestopft hat." Fotobücher sind zu angesagten Sammlerobjekten geworden, verrät der Fotohistoriker Anton Holzer. Thomas Sträter schreibt zum hundertsten Geburtstag des brasilianischen Schriftstellers Joao Guimaraes Rosa.

Besporchen wird Literatur, darunter Maria Carmen Moreses Brevier "Gebrauchsanweisung für Neapel und die Amalfi-Küste" sowie Catalin Dorian Florescs Roman "Zaira" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr)..

TAZ, 21.06.2008

Über sexistische Widerstände gegen die wahlkämpfende Hillary Clinton, aber auch über Generationenkonflikte unter Feministinnen informiert Sebastian Moll: "Da waren etwa Bemerkungen von Fernsehjournalisten wie die des NBC-Netzwerk Moderators Chris Matthews, der den demokratischen Erstrundenkandidaten Chris Dodd fragte, ob er nicht 'Probleme damit habe, mit einer Frau zu debattieren'. Da waren die endlosen Diskussionen über die Garderobe und den Schmuck von Clinton und über ihren Ausschnitt. Und da war der republikanische Wahlkampfberater von John McCain, Alex Castellanos, der Clinton auf CNN unkommentiert als 'white bitch' bezeichnen durfte."

Weitere Artikel: Ralf Hanselle stellt den Fotokunstdiscounter LUMAS vor, der in letzter Zeit allerdings vor allem durch "hohe Epigonendichte" auffalle. Besprochen werden Lil Waynes neues Album "Tha Carter III" und Bücher, darunter der Jungschriftstellerselbstverständigungsband ""Treffen. Poetiken der Gegenwart" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Auf der Meinungsseite erklärt die kanadische Feministin Irshad Manji im Interview, warum sie zwischen moderaten und reformorientierten Muslimen unterscheidet: "Es ist weniger der Islam als die Muslime, die eine Reform brauchen. Der Islam hat alles, um rational, human und kreativ zu sein. Es liegt an uns Muslimen, das Beste daraus zu machen - und das tun wir nicht... Ich glaube, die Mehrheit der Muslime hält es für ein Verbrechen, wenn eine Frau, die vergewaltigt wurde, auch noch wegen Ehebruchs zu Peitschenhieben verurteilt wird, wie das in Ländern wie Nigeria schon passiert ist. Das Problem ist, dass die meisten Muslime dazu schweigen. Deswegen unterscheide ich zwischen moderaten Muslimen und reformorientierten Muslimen. Moderate Muslime lehnen zwar Gewalt im Namen ihrer Religion ab. Aber wenn eine islamistische Gruppe einen Anschlag oder einen Mord verübt, sagen sie: mit dem Islam hat das nichts zu tun!"

In der zweiten taz fragt Uh Young-Kim zum Start der sechsten Staffel, ob Jack Bauer und die Terror-Fernsehserie "24" überhaupt noch zeitgemäß sind. Vom Traum des Künstlers Ronen Eidelman von einem jüdischen Staat mit der Hauptstadt Weimar berichtet Charlotte Misselwitz. Stefan Reinecke weiß, warum sich der SPD-Politiker Nils Annen für seinen Studienabbruch nach 28 Semestern - er ist am Latinum gescheitert - schämt.

Das taz mag widmet sich diesmal ganz der Frage, die Jan Feddersen im Editorial so formuliert: "Warum wird in den allermeisten Familien eine mögliche Homosexualität des eigenen Nachwuchses für unerwünscht gehalten?" Susanne Lang hat sich dazu mit dem Sozialwissenschaftler Martin Dannecker unterhalten. Jan Feddersen resümiert neuere psychoanalytische Literatur zum Thema. Wie ein "Coming Out" heute aussehen kann, schildert in Einzelbeispielen der Publizistikstudent Stefan Mey.

Und Tom.

FR, 21.06.2008

Ester Jacobs hat sich von Boris Groys durch die von ihm kuratierte Ausstellung in der Frankfurter Schirn "Die totale Aufklärung", eine Retrospektive russischer Konzeptkunst, führen lassen und notiert seine Worte: "Jetzt allerdings gehen die Preise in die Höhe. Der Grund ist einfach. Die reichen Russen haben angefangen, diese Kunst zu kaufen. Sie kaufen wie verrückt... Die russischen Käufer haben ein sehr sentimentales Verhältnis zu dieser Kunst. Es ist die Kunst ihrer Jugend. Es ist ein Spiegel der Welt, aus der auch sie kommen, und die eigenartige Verbindung von Schrecken, Liebe und Ironie, die diese Kunst prägt, ist ihrem eigenen Verhältnis zur sowjetischen Vergangenheit nicht unähnlich."

Arno Widmann liest die Jubiläumsausgabe der "einzigartigen" Zeitschrift Lettre International: "Lettre International ist Futter für jene, die bereit sind zu begreifen, dass sich der blaue Planet, die Welt, das 'So leben wir jetzt!' nicht begreifen lässt, wenn man nicht bereit ist, seinen Beobachtungsstandpunkt zu verändern und sich aufmacht, wenigstens mental, wenigstens um der Erkenntnis willen, Europa, die westliche Welt, zu verlassen."

Weitere Artikel: Oliver Herwig hat das neue Franz-Marc-Museum im bayerischen Kochel besucht, das er als "eine begehbare Schraube" beschreibt, "die sich in der Landschaft verankert". In einer Times Mager muss Harry Nutt beim Anblick Jogi Löws in seinem "Baseler Luxusverschlag" an Giorgio Agamben und den Homo Sacer denken. Einen Friedensvorschlag bietet unter dem Namen "Obamabananabonanza" Marcia Pally in ihrer USA-Kolumne. Christoph Schröder war dabei, als in Frankfurt der israelische Autor Assaf Gavron aus seinem Roman "Ein schönes Attentat" las. Knapp kommentiert Peter Michalzik die Berufung Elisabeth Schweegers zur künstlerischen Leiterin der Hannoveranischen Festwochen Herrenhausen.

Besprochen wird die Aufführung des Stücks "El Perro Cubano" von Carolin Mylord in der Berliner Volksbühne.

Berliner Zeitung, 21.06.2008

Der Humorist Otto Waalkes schwärmt im Interview mit Jens Balzer von alten Zeiten, mit Ausnahme der Hamburger Wohngemeinschaft mit Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen: "Keiner wollte abwaschen, und Lindenberg hatte so ein blödes Wasserbett, in dem er dann mit der Zigarette in der Hand eingeschlafen ist, und alles ist ausgelaufen . Das war ein Schweinkram, kann ich Ihnen sagen."

Welt, 21.06.2008

Volker Tarnow erinnert an Nikolai Rimski-Korsakow, der vor hundert Jahren gestorben ist. Gemeldet werden weitere Erkenntnisse über die in der Mongolei gefundene Eismumie eines skythischen Reiterkriegers. Elmar Krekeler bewundert die ungarische Autorennationalmannschaft, die mit ihrem Stürmerstar Peter Zilahy die deutsche Autonama abgehängt hat. Dankwart Guratzsch besucht Poznan. Von den deutsch-polnischen Medientagen in Potsdam berichtet Jacques Schuster, der gar nicht verstehen will, wieso man gewissen Zeitungen vorwarf, die Stimmung zwischen den beiden Ländern zu drücken. Besprochen wird die Glas-Ausstellung "Zerbrechliche Schönheit" im Düsseldorfer Museum Kunst Palast.

In der Literarischen Welt erzählt der Schriftsteller Hans Ulrich Treichel sehr detailliert von einer etwas ereignislosen Reise nach Wolhynien, in das Dorf Bryschtsche, aus dem sein Vater stammt. Die Redaktion gibt Literaturtipps. Besprochen werden unter anderem Andrea Camilleris autobiografischer Roman "Die Pension Eva" und Matthias Polityckis "In 180 Tagen um die Welt".

SZ, 21.06.2008

Zum Start einer neuen Serie mit dem Titel "Wetterbericht" schreibt der Autor und Filmkritiker Sukhdev Sandhu über den Klimawandel in England. Im letzten Sommer zum Beispiel war im südenglischen Gloucester alles überschwemmt: "Die Bewohner von Gloucester fühlten sich an den Zweiten Weltkrieg erinnert und versuchten über ihre Entbehrungen zu lachen. Sie pilgerten zu ausgewiesenen Straßenecken, um Wasser von Tankwagen zu holen. Und meine Eltern, die in einem indischen Dorf aufgewachsen waren, wo sie Wasser aus einem Gemeinschaftsbrunnen pumpen mussten, beschlich der Verdacht, dass ihr Leben als Einwanderer in England bis dahin eine Art Täuschung gewesen war."

Weitere Artikel: Im Streit um den neuen/alten Zuschauersaal der Berliner Lindenoper spricht sich Daniel Barenboim für modernes Mischbauen aus: "Wenn der Bau eine Sensation wird in der Mischung aus Vergangenheit, Gegenwart und Futurismus, dann ist das ein Zeichen für die Zukunft des neuen Berlin." Nicht Weiterbauen, sondern entschiedenes Abwarten empfiehlt Christiane Kohl im Dauerstreitfall Waldschlösschenbrücke. Gekürzt abgedruckt wird eine Festrede des Populärphilosophen Rüdiger Safranski, der über das Verhältnis von Eskapismus und Kunst nachdenkt. Bei einer Münchner Diskussion über die Zukunft der Kunstadademien war Hanne Weskott zugegen.

Doris Kuhn hat beim Münchner Filmfest (Website) American Independents und vor allem Filme aus der vollständigen Herbert Achternbusch-Retrospektive gesehen. Knapp schreibt denn auch der gewesene Filmemacher Achternbusch darüber, wie es war, Filme zu machen. Vom jüngsten - und nach des Regisseurs Auskunft auch letzten - Film von Eric Rohmer, der Schäferliteraturverfilmung "Les amours d'Astree et de Celadon", hat Fritz Göttler sich beglücken lassen.

Auf der Literaturseite porträtiert Kai Strittmatter die türkische Bestsellerautorin Perihan Magden. Von der Trauerfeier für Peter Rühmkorf, bei der Gott, Stefan Aust und vom Dichter "beschleckerte" Frauen anwesend waren, berichtet Willi Winkler. Gemeldet wird, dass Übersetzer und Verlage sich nach langem Streit auf neue Vergütungsregeln geeinigt haben. Besprochen wird Ludwig Schmugges Geschichte gescheiterter Gesponse "Ehen vor Gericht" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

In Übersetzung abgedruckt wird in der SZ am Wochenende ein zuerst in der Londoner Times erschienener Text von Alan Jackson über seine Begegnung mit Bob Dylan, der ihm zum Abschied diesen Rat gab: "Nimm immer das Beste aus der Vergangenheit, lass das Schlimmste liegen und geh' voran in die Zukunft". Im Aufmacher macht uns Christian Zaschke mit dem Sommer bekannt. Eva Karcher erklärt, warum der Zirkus auch und gerade in multimedialen Zeiten wie heute kein "Auslaufmodell" ist. Vorabgedruckt wird ein Bekenntnis zu Madonna der Autorin Marica Bodrozic. Im Interview spricht Bunte-Chefin Patricia Riekel über Stars.

FAZ, 21.06.2008

In China ändert sich derzeit Grundlegendes: Die Menschen eignen sich ihr Land emotional wieder an, schreibt Mark Siemons in einem Porträt des Philosophen Pang Fei. Der will mit einer Schule die Selbstfindung unterstützen, die mit dem Erdbeben einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. "Noch bevor die ersten offiziellen Appelle ergingen, bildete sich eine Bürgergesellschaft der Helfenden, wie sie das Land bisher noch nicht erlebt hat; mehr als zweihunderttausend Freiwillige fuhren auf eigene Faust ins Katastrophengebiet, um sich den Rettungskräften anzuschließen. Zahllose spendeten Blut, die Geldspenden erreichten Rekorde. Für Pang Fei haben diese Geschehnisse viel mit dem umfassenderen Vorgang der Wiederaneignung der chinesischen Kultur zu tun: Es gehe dabei nicht um Propaganda für eine bestimmte Idee oder Ideologie, sondern um einen Prozess, bei dem China sich selbst versteht."

Weitere Artikel: Christian Geyer will die Linke argumentativ nieder und nicht durch Verteufelung stärker machen und kann als Kronzeugen den Historiker Hans Mommsen aufbieten: "Funkstille ist keine politische Option". Julia Voss begeht das kantige, "hochkarätige" neue Franz Marc Museum in Kochel am See. Henning Ritter gratuliert dem Kunsthistoriker Tilmann Buddensieg zum Achtzigsten.

Auf der Schallplatten- und Phonoseite werden Stücke des Komponisten Erich Itor Kahn in der Einspielung durch das Leonard Quartett sowie neue Platten von Daniel Lanois.

Der Boxer Arthur Abraham ziert heute Titel- und Rückseite der Beilage Bilder und Zeiten. Vorne berichtet der offenbar selbst boxende Schriftsteller Michael Lentz von seinem Besuch des Abraham-Films "Es geht um alles", hinten entlockt er King Arthur Bonmots wie: "Meine Stärke ist, dass ich einfach nicht verlieren möchte." Patrick Bahners porträtiert Clarence Thomas, der als schwarzer Richter am Obersten Gerichtshof der USA gegen die Minderheitenförderung votierte und damit auf Unverständnis bei vielen Schwarzen stößt.

Besprochen werden die Ausstellung über russische Konzeptkunst "Die totale Aufklärung" in der Frankfurter Schirn, Louis Andriessens Bühnenwerk "La Commedia" in Amsterdam, und Bücher wie György Dragomans Roman "Der weiße König" und "Bonjour New York" mit neu entdeckten Texten von Francoise Sagan.