Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.09.2007. Die SZ verteidigt den Katholizismus der Kunst gegen den kunstunkundigen Kardinal. Auch die taz findet recht kritische Worte für Taliban Meisner. Im Tagesspiegel schildert Kathrin Röggla mit Naomi Klein die Krisenszenarien des Kapitalismus. Die Welt findet: Das 'Rrrrrrrrrrrataplan' gelingt der Cecilia Bartoli doch besser als belcanteske Schlankheit. Die FR meint dagegen: Vergesst Netrebko.Die FAZ stellt ein neues amerikanisches Filmgenre vor: den Irak-Film.

TAZ, 17.09.2007

Kardinal Meisner und seinem Kunstverständnis ist ein Brennpunkt auf den Tagesthemenseiten gewidmet. Dirk Knipphals liest dem "Kalifen von Köln" dort gehörig die Leviten. "Nimmt man die Predigt auch nur einen Augenblick lang ernst, stellt man fest: Sie passt keineswegs zum Selbstverständnis einer modernen und liberalen Gesellschaft. Und so hilft es auch nichts, wenn Kardinal Meisner in einer Stellungnahme 'Missinterpretation eines einzelnen Wortes' bedauert. Der ganze Geist seiner Predigt atmet einen religiösen Fundamentalismus. Dieser Geist liegt in der Kopplung von Kunst und Religion. Meisner sagt nichts anderes, als dass wahre Kunst nur diejenige Kunst ist, die Gott preist. Ein Taliban würde das kaum anders sagen."

Im Kulturteil spricht Ulrich Peltzer im Interview über seinen neuen Roman "Teil der Lösung" (Leseprobe hier) und die neue deutsche Bürgerlichkeit. "Mir scheint, dass eine bestimmte Form des Konformismus auf eine eigenartige Weise wieder sozial prägnant wird: Dass die Leute heiraten, dass sie Wert auf Einrichtung legen und auf die Gegenden, in denen sie wohnen, also auf all das, was man mit dem nicht sehr genauen Begriff bürgerlich bezeichnen könnte. Das ist ein fast schon resignatives Moment, so erlebe ich das jedenfalls. Die unreflektierte Rückkehr des Bürgerlichen, die vollkommen ausblendet, was auch an politisch-emanzipatorischem Potenzial im Bürgerlichen steckt, die sich reduziert auf Stilfragen und Einrichtungsgegenstände, nimmt im Augenblick fast schon groteske Züge an. Sie hat aber natürlich auch eine politische Funktion."

Weitere Artikel: In ihrer letzten documenta-Kolumne aus Kassel offenbart Christiane Rösinger ihre Sympathie für die "spröde, schwierige" Stadt. In der zweiten taz bewundert Peter Unfried die umweltbewegten Unternehmer des Stromanbieters "Lichtblick". Für die Medienseite besucht Anke Lübbert die Redaktion der Lateinamerika Nachrichten, die es seit den siebziger Jahren auf vierhundert Ausgaben gebracht haben. Henrike Thomsen stellt die Kandidaten für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst 2007 im Hamburger Bahnhof in Berlin vor.

Schließlich Tom.

Tagesspiegel, 17.09.2007

Die Schriftstellerin Kathrin Röggla hat Naomi Kleins neuen globalisierungskritischen Bestseller "Die Schock-Strategie" gelesen. Sie findet Kleins These, dass die wirtschaftsliberalen Theoreme des Ökonomen Milton Friedman durch das Hervorrufen von Krisenszenarien in die Praxis umgesetzt wurden, sehr überzeugend: "In einem Gang durch die Geschichte der letzten 50 Jahre vollzieht sie nun den Einfluss seiner Schule in den unterschiedlichsten Ländern nach und stellt fest, dass diese radikalisierte Form von Marktwirtschaft niemals über den demokratischen Weg, sondern immer über Krisen und Schocks etabliert wurde, die nicht selten mit Hilfe von transnationalen Multis und in Zusammenarbeit mit der CIA oder anderen Regierungsorganisationen erst herbeigeführt und dann mit Terror aufrechterhalten wurde - ganz einfach, weil sie die Ausplünderung breiter Schichten einer Gesellschaft bedeutet, deren Widerständigkeit es zu brechen gilt."

SZ, 17.09.2007

Gustav Seibt beweist Kardinal Meisner, dass das Christentum nicht unschuldig an der heutigen Kunst ist. "Das bis heute wirkende Erbe christlicher Kunst sind Drama und emotionaler Exzess, geboren aus der Spannung von Sündenbewusstsein und Erlösungshoffnung. Die Exzesshaftigkeit der katholischen Barockmalerei hat den klassizistisch gestimmten Protestanten Goethe in Italien so verstört, dass er noch Jahrzehnte später fragte, wie man solche widrigen Gegenstände malen könne. Das zweite Erbe des Christentums in der Kunst ist der schonungslose Realismus vor allem in der Malerei. Gott war Mensch geworden als Handwerkersohn und wurde geboren bei Schafhirten. Daraus hat die Kunst in immer neuen Anläufen eine Zuwendung zur einfachen Lebenswirklichkeit gemacht, deren Höhepunkte bei Caravaggio und Rembrandt zu finden sind: Da haben Apostel schwielige Füße, und die Propheten sind kurzsichtige Greise."
Stefan Ulrich empfiehlt dazu den Besuch der "Collezione Arte Religiosa Moderna" in den Vatikanischen Museen.

Weitere Artikel: Ira Mazzoni besichtigt Peter Zumthors neues Kunstmuseum "Kolumba" für das Erzbistum Köln: "Überall herrscht Maß, Ordnung und ruhige Harmonie". Der Schweizer Rechtspopulismus ist leiser, aber besser organisiert als die österreichische FPÖ, informiert der Politikwissenschaftler Oliver Geden. Prinz Charles denkt darüber nach, es Al Gore gleichzutun und einen Öko-Film zu drehen, staunt Fritz Göttler. Hermann Unterstöger weilt im Wittelsbacher Schloss in Berchtesgaden und lauscht Vorträgen über die Zukunft der deutschen und süddeutschen Sprache. Gemeldet wird, das der Schauspieler Joachim Hansen gestorben ist.

Besprochen werden die Uraufführung von Juli Zehs "raffiniert konstruiertem" Science-fiction-Stück "Corpus delicti" in Essen, Mikael Hafstroms Horrorfilm "Zimmer 1408" mit John Cusack, neue DVDS wie Orson Welles' Macbeth", neue Alben von Teddy und Linda Thompson, und Bücher, darunter der finale achte Band der "Briefwechsel und Tagebücher" des Komponisten Giacomo Meyerbeer (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Welt, 17.09.2007

Kai Luehrs-Kaiser hat sich Cecilia Bartolis Hommage-CD "Maria" angehört, auf der sie Arien singt, die im 19. Jahrhundert für die Mezzosopranistin Maria Malibran geschrieben wurden und die ein Jahrhundert später Maria Callas berühmt machten. Auch ein fahrbares Museum hat Bartoli für die Malibran geschaffen, mit dem sie zur Zeit durch Europa tourt. Ganz überzeugt ist Luehrs-Kaiser von der Aneigung des Repertoires allerdings nicht: "So hinreißend Bartoli ihren Mezzo kneten, für Jauchzer und Gefühlsdrücker bändigen kann, so wenig glückt es ihr, sich belcantesk schlank zu machen, die Stimme fluten, fließen und einfach schön klingen zu lassen. So wie dies der Belcanto nun mal verlangt. Sie jodelt, jappst und jubiliert, wie man das bei ihr liebt. Doch neben Köstlichkeiten wie dem Kastagnetten-Witz 'Yo que soy contrabandista', einer Hummel-Arie und dem kriegerischen 'Rrrrrrrrrrrataplan' kommen gelinde Missgriffe aus Bellinis 'Puritanern' und 'La Sonnambula' hart in der Wirklichkeit auf."

Weitere Artikel: Rainer Haubrich feiert Peter Zumthors Bau für das Kölner Kolumba-Museum als architektonisches Meisterwerk. Uwe Wittstock kommentiert die neuesten Verhandlungen zwischen der Frankfurter Buchmesse und der Stadt Frankfurt, der nun nicht mehr mit einem Abzug nach München gedroht wird. Jan C. Deißner stellt die neuen Alben der Rapper-Rivalen Kanye West und 50 Cent vor. Jochen Schmidt berichtet über Ereignisse zum 75. Geburtstag des Choreografen Hans van Manen in den Niederlanden. Ulli Kulke unterhält sich mit der Autorin Lucy Hawking, die zusammen mit ihrem Vater, dem Physiker Stephen Hawking, ein Kinderbuch geschrieben hat. Manfred Quiring berichtet, dass Alexander Solschenizyn mit dem Putinismus ganz zufrieden ist. Und Stefan Kirschner wirft einen Blick auf die Auslastungszahlen der Berliner Bühnen.

Besprochen werden Amelie Niermeyers Inszenierung des "Käthchen von Heilbronn" in Düsseldorf und Poetry-Slam-Sessions im Rahmen des Berliner Literaturfestivals.

Im Forum fürchtet der Berliner Soziologe Paul Nolte eine zu tiefe Einmischung der Familienpolitik in die Privatsphäre.

FR, 17.09.2007

Vergesst Netrebko, allein Cecilia Bartoli gebührt die Krone der Primadonna, ruft Hans-Klaus Jungheinrich nach dem Genuss von "Maria". "Wer das neue Album betrachtet, ein ganzes 150-seitiges (Bilder-)Buch mit eingesteckter CD, findet nur auf Seite 9 ein Foto, das annähernd die wirkliche Gestalt der Bartoli erfasst. Warum es verschweigen: Cecilia Bartoli ist klein und pummelig. Aber auf der Bühne ist sie ein Zentrum von Kraft und geschmeidiger Energie, in jeder Fiber wilde, leidenschaftliche oder klug-besonnene hellwache Akteurin, katzenhaft auf andere Art als die Callas, aber mit nicht weniger Begabung zur Grandeur."

Weiteres: Google Earth wird im Fernsehen vor allem bei Nachrichten fleißig eingesetzt, berichtet Nader Moinzadeh. In einer times mager enervieren Hans-Jürgen Linke die in einem ICE-Großraumwagen herumschwirrenden Dialekte. Eine Besprechung widmet sich den beiden Ausstellungen zum Buchmesse-Gastland Katalonien im Frankfurter Architekturmuseum (und zwar hier und hier).

NZZ, 17.09.2007

Der Westen sollte China nicht mit Protektionismus, sondern mit viel mehr Interesse begegnen, findet Urs Schoettli. "In unserer von kurzlebigen Sensationalismen geprägten Welt sind die Menschen nicht nur vergesslicher geworden, sie können auch allzu häufig die signifikanten Ereignisse nicht mehr gebührend einordnen. Man denke, wie rasch Europa nach dem Ende der Sowjetunion zur eurobürokratischen Routine übergegangen ist, anstatt die während mehrerer Generationen abgeblockte Rückkehr der großen russischen Kultur und Zivilisation nach Europa voll für das gemeinsame Wohl des alten Kontinents zu nutzen. Im Falle Chinas laufen Europa und, etwas weniger ausgeprägt, die USA Gefahr, die historische Chance einer Rückkehr des Reichs der Mitte auf die Weltbühne und in die Weltwirtschaft ungenutzt zu lassen."

Bettina Spoerri spricht mit dem israelischen Regisseur Eyton Fox über die autobiografischen Hintergründe seines neuen Films "The Bubble": "Ich wuchs mit meiner Mutter in French Hill in Jerusalem auf, nebenan liegt das palästinensische Dorf Issawaja. Meine Mutter setzte sich für die Unterstützung der palästinensischen Dörfer ein und freundete sich mit dem Muchtar an. Wir Kinder spielten zusammen auf dem Spielplatz in French Hill − doch eines Tages verbot der Mann vom Nachbarschaftskomitee den palästinensischen Kindern, dort zu spielen. Meine Mutter organisierte eine Party, lud die Mütter und Kinder ein; doch sie wurden auf dem Weg beschimpft und gingen wieder nach Hause. Das war das Ende der Koexistenz."

Weiteres: Paul Jandl besuchte das Literaturfestival "Sprachsalz" in Hall in Tirol, wo ihn vor allem die Lesung des kroatisch-deutschen Schriftstellers Bora Cosic überzeugen konnte. Markus Jacob schreibt über das Designzentrum des Modekonzerns Mango. Besprochen werden Hector Berlioz' Oper "Les Troyens" im Genfer Grand Theatre und eine Aufführung von Julian Greens Komödie "Ein Morgen gibt es nicht" im Theater Basel.

FAZ, 17.09.2007

Verena Lueken hat auf dem Filmfestival in Toronto amerikanische Filme gesehen, die um das Thema Irakkrieg kreisen und stellt fest: "Während die politischen Kommentatoren seit langem darüber streiten und noch lange weiterstreiten werden, ob und wo es Parallelen zwischen den amerikanischen Kriegseinsätzen in Vietnam und im Irak gibt, hat das Kino seine Antwort bereits gefunden: Es sind gänzlich unvergleichbare Einsätze, sagen und zeigen sie einerseits. Was das Fehlen jeglicher Legitimation in beiden Fällen angeht und was dies für die Selbstwahrnehmung Amerikas und das Lebensgefühl zu Hause bedeutet, ist andererseits aber doch vergleichbar. Sicher ist jedenfalls, dass es wie damals in den siebziger und achtziger Jahren den Vietnam-Film von nun an in den Kinos der Welt den amerikanischen Irak-Film gibt."

Weitere Artikel: Andreas Rossmann nimmt Kardinal Meisner ästhetiko-theologische Bankrotterklärung zur "entarteten Kultur" auseinander. In der Leitglosse spottet Paul Ingendaay über die kümmerlichen Englischkenntnisse der Spanier und die nicht immer glückenden Versuche, etwas dagegen zu unternehmen. Jürgen Kaube hat den Berchtesgadener Gesprächen über den Zustand der deutschen Sprache gelauscht. Christian Schwägerl staunt über Angela Merkels Versuch einer "französischen Revolution" in der Klimapolitik. Gerhard R. Koch gratuliert dem Theatermacher Juri Ljubimow zum Neunzigsten. Andreas Kilb war auf dem Berliner Internationalen Literaturfestival, wo sich die globalisierte Literaturszene traf und unter anderen die umwerfende Inderin Tishana Doshi las, aber auch Wolf Biermann sang. Andreas Platthaus begrüßt Ralf König, der für zwei Wochen den täglich Comic-Strip für den urlaubenden Volker Reiche übernimmt. Jürgen Kesting muss feststellen, dass in Lübeck Wagner-Musik mit Mikroport-Verstärkung erklingt.

Auf der Sachbuchseite finden sich Rezensionen unter anderem zu Naomi Kleins neuem Buch "Die Schock-Strategie" und ein juristisches Buch über den "Tatort Gehirn", weiter vorne wird unter anderem der Erzählungsband "Der Himmelberg" des Dänen Steen Steensen Blicher rezensiert (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

Besprochen werden Claude Debussys Ballettopernoratorium "Le Martyre de Saint Sebastian" in der Version der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle, Julien Greens Komödie "Ein Morgen gibt es nicht" in Basel und ein "Ödipus"-Projekt in Zürich und die Düsseldorfer Ausstellung "Bonjour Russland".