Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.08.2007. Für die taz besuchte Kathrin Röggla Georgien und fand Kuriosität und Kalamität. Die FAZ analysiert die sozialpolitischen Tricks der Rechtsextremen in den neuen Ländern. Die NZZ besucht das Las Vegas Asiens. Die Berliner Zeitung informiert über den neuesten Stand bei den Verhandlungen um den Verkauf der Süddeutschen Zeitung. Die SZ kritisiert die SPD, die in der Kultur nur den gesellschaftpolitischen Effekt suche.

NZZ, 22.08.2007

Urs Schoetti berichtet über die ehemalige portugiesische Kolonie Macau, die im Begriff stehe, zum neuen "Las Vegas Asiens" zu avancieren. Anders als in China und im benachbarten Hongkong ist das Glücksspiel in Macau nämlich legal: "Zwar gibt es in China noch Hunderte von Millionen Menschen, für die eine Hundert-Yuan-Note eine Seltenheit ist. Doch im Reich der Mitte zirkuliert viel Geld, das als Folge des eskalierenden Reichtumsgefälles einer Minderheit viel, sehr viel Kaufkraft beschert. Was liegt da für Macau näher, als die Aufhebung des Spielbankenmonopols zu nutzen, um an das größte Spielerpotenzial der Welt heranzukommen. Die Großen von Las Vegas haben die Gunst der Stunde genutzt und sich mit gigantischen Palästen in Macau etabliert."

Weiteres: Paul Jandl besuchte die Retrospektive zum Werk des Universalkünstlers Kolo Moser im Wiener Leopold-Museum. Markus Jakob führt durch die Kulturszene Kataloniens. Klaus Bartels klärt die Begriffsgeschichte des Wortes "Konjunktur".

Besprochen werden Bücher, darunter Werner von Koppenfels' literaturgeschichtliche Arbeit zum "Vermächtnis des Menippos", drei neue Sachbücher zum Thema Biologie, die Erzählung "Sommer am See" von Alberto Vigevani und Raul Zeliks Roman "Der bewaffnete Freund" , den Beatrix Langer als "wohltuendes Antidot gegen die aufgeheizten Terrorismusdiskurse unserer Tage" verschreibt (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Berliner Zeitung, 22.08.2007

Rainer Braun resümiert auf der Media-Seite den neuesten Stand bei den Verhandlungen um den Verkauf der Süddeutschen Zeitung, der es inzwischen wieder prächtig geht:: "Neben dem Online-Bereich, der auf 25 Redakteure aufgestockt wurde, erwiesen sich das Magazin 'Wissen' (Auflage: 100 000 Exemplare) oder die 'Weinedition' (120 000 verkaufte Flaschen) als lukrative Geschäftsfelder. Bei den DVD- und Buch-Reihen (Umsatz: rund 30 Millionen Euro), die redaktionell begleitet wurden, sieht der Verlag indes allerdings eine Sättigungsgrenze erreicht."

Viel zu spät weisen wir auf Tobias Goltz' interessantes Gespräch mit dem russischen Journalisten Grigori Pasko über die russische Presse unter Putin hin, das schon am Montag auf der Media-Seite der Berliner Zeitung erschienen ist.

TAZ, 22.08.2007

Auf den Kulturseiten macht uns Schriftstellerin Katrin Röggla in einer Reisereportage mit der im Westen weitgehend unbekannten Kaukasusrepublik Georgien bekannt: "Gespräche mit Freunden, die ebenfalls in Georgien waren, geraten schnell in diese Mischung aus Kuriosität und Kalamität, die für unsere Augen über dem Land zu hängen scheint, ein Land, das man für die meisten anscheinend erst mal aus einem geografischen Knäuel entwirren muss, was zwar immer wieder von russischen Raketen auf unseren Bildschirmen erledigt wird, aber nur für einen Augenblick, danach taucht es gleich wieder ab. Irgendetwas Unklares scheint ihm anzuhaften, als tanzte ein Unruheherd ständig um es herum und durch es durch, ein Unruheherd, zu dem hier viele keine Verbindung herzustellen wissen und der mal Südossetien, mal Abchasien, mal Berg Karabach oder Tschetschenien heißt. Die wenigsten wissen, wo es genau liegt, und es ist ja auch schwer, das ein für alle Mal zu sagen, zumal Geografie eine relative Sache ist und zudem in politische und wirtschaftliche Verhältnisse eingespannt, mit denen sie sich verschiebt. Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, in denen Bauern von Tiflis nach Moskau zum Markt geflogen sind oder deutsche Expats nach Ostberlin zum Friseur."

Als "bessere Popkomm" bewertet Konrad Feuerstein die vierte Ausgabe des Kölner Musikfestivals C/O Pop. In tazzwei spricht der Reggae-Sänger Gentleman im Interview über deutsche Hektik, germaikanische Musik und den Kampf gegen Pornorap.

Vor dem Hintergrund der Verhaftung zweier Soziologen, die unter anderem durch das Googeln verdächtiger Schlüsselbegriffe auffällig geworden waren, beklagen auf der Meinungsseite die Soziologen Saskia Sassen und Richard Sennett die Verfolgung ihrer Kollegen im Namen der Terrorbekämpfung. "Der Ausnahmezustand setzt sich durch. Die Gesetze, die gegen echte Gefahren gedacht waren, werden nun ausgelegt, um amorphen Ängsten zu begegnen. Anstelle echter Polizeiarbeit wollen die Autoritäten der Gefahr, die sie fürchten, einen Namen geben - irgendeinen Namen... Sollten unsere Kollegen wirklich gefährliche Soziologen sein, dann sollten sie mit rationalen Mitteln strafrechtlich verfolgt werden. Aber, wie in Guantanamo, scheint die Verfolgung an Stelle der Strafverfolgung getreten zu sein."

Und hier Tom.

FAZ, 22.08.2007

Regina Mönch betreibt nach dem Überfall von Neonazis auf acht Inder im sächsischen Städtchen Mügeln Ursachenforschung und meint: "Es ist bekannt, dass die rechtsradikale Szene nicht nur Sprüche klopft und ihre Prügelhorden trainiert; sie füllt auch viele ganz alltägliche Lücken, veranstaltet Kinderfeste und Ferienlager. Dem kann man nicht nur mit Ächtung, Empörung und Polizei begegnen, dem muss man etwas Konkretes entgegensetzen: andere Kinderfeste und Freizeitangebote."

Weitere Artikel: Nach Hitler verfilmt Bernd Eichinger die RAF, das Drehbuch von Aust. Grund für ein langes Gespräch Christian Geyers und Frank Schirrmachers mit Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust über die RAF. Jürgen Kaube sieht hinter dem Abbau von Professuren an deutschen Universitäten ein zwischen den Fächern differenziertes Bild. Gerhard Stadelmaier schreibt einen Nachruf auf den Schauspieler Richard Beek, der an den Münchener Kammerspielen der "Superstar der Nebenrollen" war. Gerhard R. Koch hat das Kammermusikfestival in Stavanger besucht, der europäischen Kulturhauptstadt des Jahres 2008. Gina Thomas berichtet vom Theater-, Oper-,Tanz-Festival von Edinburgh. Patrick Bahners war dabei, als der Schriftsteller Martin Mosebach, der Philosoph Robert Spaemann, der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt und der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards über die Wiedereinführung der lateinischen Messe sprachen.

Auf der letzten Seite porträtiert Paul Ingendaay den spanischen Mittelalter-Historiker Manuel Fernandez Alvarez, der sich nun mit sechzig Jahren Abstand in einer Autobiografie an seine Jugend in den Zeiten des Bürgerkriegs erinnert. Kerstin Holm stellt Mascha Malinowskaja vor, die es vom Aktmodell zur Duma-Abgeordneten gebracht hat, und nun unter dem Titel "Männer als Autos" ein "modernes Einmaleins der Männermanipulation" vorgelegt hat.

Besprochen werden Michael Laubs Inszenierung/Choreografie "Portrait Series/Marching Series" im Rahmen des Berliner Tanz im August, Wang Quan'ans Film "Tuyas Hochzeit", eine Kasseler Ausstellung über den Geschmackswandel der holländischen Malerei nach Rembrandts Tod und Bücher, darunter Paul Austers neuer Roman "Reisen ins Skriptorium".

Welt, 22.08.2007

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt ist mit einer Ausstellung von Kunst aus New York neu eröffnet worden, die nicht auf Eckhard Fuhrs Begeisterung stößt: "Ausstellungskurator Shaheen Merali ist offensichtlich von dem Ehrgeiz beseelt, das HKW als eine Bühne zeitgenössischer Kunst in Berlin zu etablieren. Die Frage, ob Berlin das braucht, soll hier nicht erörtert werden. Klar ist jedoch, dass es nicht gelingen wird, so lange die Kunst in den Dienst eines kulturpädagogischen Auftrages genommen und ein Sammelsurium von Objekten mit viel Kuratorenprosa als visuelle Erzählung über ein bestimmtes Thema, hier: New York und die globalisierte Moderne, ausgegeben wird."

Weitere Artikel: Hendrik Werner glossiert die Meldung, dass die Vorliebe der Frauen für Pink- und Violetttöne offensichtlich genetisch bedingt ist. Peter Zander war dabei, als Regisseur Heinrich Breloer die Schauspielerschar für seine kommende "Buddenbrooks"-Verfilmung vorstellte. Stefan Tolksdorf singt eine Hymne auf die Fondation Beyeler in Basel, die ihren zehnten Geburtstag feiert. Der Kulturhistoriker Manfred Flügge erinnert an Erich Klossowski, den deutsch-polnischen Vater des Malers Balthus und Gründer der legendären deutschen Künstler- und Emigrantenkolonie in Sanary-sur-Mer - nebenbei macht Flügge auch auf ein Romanmanuskript von Klossowskis Lebensgefährtin Hilde Stieler aufmerksam, das das Leben dieser Kolonie als Schlüsselroman schildert und seiner Publikation bis heute harrt. Thomas Hahn porträtiert die bisher kaum in Erscheinung getretene neue Kulturministerin Frankreichs, Christine Albanel. Katharina Dockhorn berichtet, dass mit Förderung des Staatsministers für Kultur mehr Kinofilme denn je in Deutschland gedreht werden. Und Uta Baier unterhält sich mit dem Kunsthistoriker Thomas Gaehtgens, der das Getty Research Institut in Los Angeles leiten wird.

FR, 22.08.2007

Christian Schlüter resümiert ein Streitgespräch zwischen dem Büchnerpreisträger Martin Mosebach und dem Philosophen Robert Spaemann in Frankfurt über die Wiederzulassung der lateinischen Messe nach tridentinischem Ritus. Die eigentlich Frage des Abends sei allerdings nicht beantwortet worden. "Denn der Streit ums Latein berührt etwas ganz anderes, eher religionspsychologisches: Soll die Kirche bloß ein Wohlfühlort oder eine Stätte der Herausforderung und Prüfung des Glaubens sein? Diese Frage berührt die 'Wahrheit des Glaubens', von der Papst Benedikt immerzu spricht."

In der Reihe Documenta-Stücke stellt Ina Hartwig die Fotografien bizarrer Kaugummiformationen der polnisch-jüdischen Künstlerin Alina Szapocznikow vor. In Times mager räsoniert Peter Michalzik anlässlich des Todes der Strindberg-Tochter Anne-Marie Hagelin über die Nähe zu Goethe. Und in einem Interview spricht der englische Computerspiele-Erfinder Peter Molyneux über den Boom in seiner Branche, virtuelle Gewalt und die künstliche Intelligenz seiner Fantasiefiguren.

Besprochen werden die Ausstellung "Venedig und der Islam" im Dogenpalast in Venedig, eine Ausstellung der Frankfurter Bürgerstiftung mit Gemälden und Büchern aus der Sammlung von Johann Christian Senckenberg, eine modellhaft musikpädagogische und bisher dreiteilige CD-Edition der Deutschen Grammophon mit Thomas Quasthoff, Hilary Hahn und Christian Thielemann sowie Bücher, darunter Ariane Breidensteins Sprachexerzitium "Und nichts an mir ist freundlich" sowie die englische Publikation "Mrs Woolf and the Servants" über den Haushalt von Virginia Woolf (siehe auch unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 22.08.2007

In einem launigen Beitrag versucht Jens Bisky dem Leitantrag der SPD mit dem Titel "Kultur ist unsere Zukunft" die Definition seines Gegenstands abzuringen. Ausgehend von der These, dass Kulturpolitik der "Organisation von Pfingstwundern" diene, stellt er fest: "So erwartet das Papier von der Kultur alles, beschränkt sich aber im Einzelnen auf Schulpolitik, Sozialpolitik und Wirtschaftsförderung für die 'Kreativwirtschaft'. Die Entgrenzung des Kulturbegriffs, die akademisch sinnvoll sein mag, zeigt hier ihre politisch aberwitzigen Folgen... Nun aber wird der Anspruch so überdehnt, dass von der Kultur nichts mehr übrigbleibt als eine Phantasie ihrer gesellschaftspolitischen Effekte: der Traum von einer durch Kultur - und das heißt: grund- und argumentlos - zusammengehaltenen nationalen Gemeinschaft."

Auf der überaus lesenswerten Schallplattenseite erinnern sich heute drei Protagonisten des "Summer of Love" an das Jahr 1967. Der US-Folksänger Geoff Muldaur beschwört das Hip-Sein der amerikanischen Gegenkultur herauf. Der gebürtige Bayer Al Gromer Khan berichtet über "LSD-durchtränkte" Monate in zwanglosen Londoner Hippie-WGs. Und in einem Interview erklärt Arlo Guthrie den Folkboom der Sechziger und die Sehnsucht nach den alten Cowboysongs.

Weiteres: Jürgen Berger besucht den künstlerischen Grenzgänger Jan Fabre in seinem neuen Theaterlabor Troubleyn in Antwerpen, wo dieser sein "Requiem für eine Metarmorphose" für die Salzburger Festspiele entwickelt. Jörg Häntzschel weiß, dass mit Erscheinen des Buchs "The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy", in dem eine pro-israelische Unterwanderung Amerikas behauptet wird, der Skandal praktisch programmiert ist. Peter Kasza erklärt, weshalb in der ungarischen Stadt Veszprem ein Denkmal für den Aufstand von 1956 fallen soll. Wolfgang Schreiber sieht Claudio Abbado mit seinem Lucerne Festival Orchestra im fünften Jahr triumphieren. "gels" berichtet über Chinas Ringen um Standards für englische Übersetzungen von Hinweisschildern und Speisekarten für die Olympischen Spiele 2008. Und "schub" informiert über die Quartiersuche des New Yorker Dahesh-Museum, dessen Standort an der Madison Avenue zu teuer geworden ist.

Besprochen werden der Berlinale-Siegerfilm "Tuyas Hochzeit" von Quan'an Wang und Bücher, darunter der Roman "Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung zur Lust" von Robert Menasse und eine Studie über islamische Mystik von Gerhard Schweizer. (siehe hierzu unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)