Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.08.2007. Die FAZ erinnert daran, wie Monica Vitti und Alain Delon am Ende von Michelangelo Antonionis Film "L'Eclisse" zum Rendez-Vous nicht erscheinen - und damit das Weltkino revolutionieren. Das Titel-Magazin wirft mit Antonioni einen Blick auf unsere transzendenzlose Obdachlosigkeit. Die taz sprengt mit Antonioni die Warenform. Die Welt ruft uns nach dem doppelten Tod Bergmans und Antonionis zu: "Trauer ist angebracht, jedoch keine Verzweiflung."

FAZ, 01.08.2007

"Alles, was wir als modern empfinden, verdanken wir ihm", beginnt Michael Althen seinen Nachruf auf den Regisseur Michelangelo Antonioni, und er kommt später auf zwei der erhabensten Momente der Filmgeschichte zu sprechen: das Verschwinden Lea Massaris in "L'Avventura" und das Ende von "L'Eclisse". "Es gehörte eben genauso viel Mut dazu, eine Frau nach einer halben Stunde aus der Geschichte verschwinden und die Suche nach ihr im Sande verlaufen zu lassen, wie zwei Jahre später in 'L'Eclisse' einen Film damit zu beenden, dass das Liebespaar Alain Delon und Monica Vitti zum verabredeten finalen Rendezvous einfach nicht erscheint, und stattdessen in den letzten sieben Minuten den Treffpunkt zu zeigen, an dem nichts passiert, außer dass die Zeit ereignislos verstreicht. Aber niemals sonst hat das Kino einen Raum so poetisch und genau beschrieben wie jene 57 Einstellungen, in denen 'L'Eclisse' zum Stillstand kommt." Ein zweiter Nachruf von Andreas Kilb ist online nachzulesen. Wieder abgedruckt wird die "Blow Up"-Kritik, die Brigitte Jeremias 1967 anlässlich der Cannes-Vorführung des Films schrieb.

Weitere Artikel: Gustav Falke war in Teheran und liefert Impressionen wie diese: "Im 'Cafe Godot', einem brechend vollen Szenetreffpunkt, gelegen zwischen Uni und Stadttheater (Beckettfotos an den Wänden, ein kahler Baum mit zwei Hüten ragt von der Decke), klagen zwei sehr sympathische Lesben, den Tränen nahe, ihr Leid." In der Leitglosse schreibt Andreas Platthaus über einen falschen Cranach im "Tatort" und einen echten gestohlenen Cranach in Bamberg. Lorenz Jäger hat sich die neu aufgefundenen Stammheim-Tonbänder angehört - und wundert sich, dass niemand die Verzweiflung der Ulrike Meinhof erkannt hat. Aus China berichtet Mark Siemons, dass flämische und chinesische Meister nicht unterm selben Dach ausgestellt werden durften. Andreas Kilb meldet, dass Balthasar Permosers barocke Figurengruppe "Herkules und Omphale" (Bild) nach Berlin zurückkehrt. Richard Kämmerlings gratuliert dem Germanisten Helmuth Kiesel zum Sechzigsten. Auf der letzten Seite porträtiert Reinhard Olt den Germanisten Ulrich Müller, der in Salzburg regelmäßig ein wissenschaftliches Symposion organisiert - in diesem Jahr ist es dem Thema "(Musik-)Theater der Romantik" gewidmet. Ein im Netz nicht genannter Autor war in Stettin, wo in Dariusz Michalczewskis "Tiger"-Club polnische Juden aus aller Welt zusammentrafen.

Besprochen werden Luk Percevals Salzburger "Moliere. Eine Passion" (Gerhard Stadelmaier erkennt seinen Moliere nicht wieder und hält das Gesehene in einer kurzen Abfertigung deshalb für die "Frechheit der Saison"), ein Salzburger Konzertabend mit Musik von Wolfgang Rihm, ein Suzanne-Vega-Konzert in Stuttgart, Michael Bays Film "Transformer" und Bücher, darunter ein Band mit Fotografien von David Lachapelle.

Titel-Magazin, 01.08.2007

Auch Wolfram Schütte reflektiert in seinem Nachruf auf Michelangelo Antonioni über das Motiv des Verschwindens. Wir zitieren den Schluss seines Artikels: "Deshalb haftet 'Bodenlosigkeit', als ein Abgrund der inhärenten Ironie über dem Oszillieren von 'Sinnverlusten' diesem Oeuvre an - wie die blendende Eleganz modischen Designs, das seine Verächter schon früh an ihm missfällig wahrnahmen. Es ist die Unheimlichkeit des schönen Scheins, hinter dem der schweigsame Samurai Michelangelo Antonioni die Zwielicht-Zonen unserer transzendenzlosen Obdachlosigkeit belichtet hat."

Welt, 01.08.2007

Tomas Fitzel schreibt zu Antonioni: "Nicht zufällig sieht man bei ihm sehr oft Neubausiedlungen oder Baustellen. Antonioni suchte diese Nicht-Orte, denn an ihnen kann Neues entstehen, Geschichte ist dort noch nicht übermächtig, hier ist Platz. Und zugleich: einsamer kann man Menschen nicht in einen Raum setzen." Thomas Schmid erinnert an den Schriftsteller Antonioni. Und Hanns-Georg Rodek ruft uns Waisen nach dem Tod Bergmans und Antonionis zu: "Trauer ist angebracht, jedoch keine Verzweiflung."

Weitere Artikel: Eckhard Fuhr gratuliert Tilman Fichter zum Siebzigsten. Josef Engels unterhält sich mit dem Liedermacher Funny van Dannen. Henning Hoff berichtet über Michael Munns Biografie über Laurence Olivier, in der sich herausstellt, dass der Schauspieler in Hollywood als britischer Einflussagent tätig war. Peter Dittmar berichtet über einen Steit zwischen der Documenta und dem Reiseveranstalter Studiosus um das Recht auf Privatführungen durch die Documenta. Peter Zander berichtet über Heinrich Breloers Dreharbeiten zu seiner "Buddenbrooks"-Verfilmung.

Besprochen werden der Film "Transformers" und Luk Percevals "Moliere"-Spektakel in Salzburg.

TAZ, 01.08.2007

Die taz würdigt den verstorbenen Regisseur Michelangelo Antonioni auf Seite eins und mit einem Nachruf auf den Tagesthemenseiten. Diedrich Diederichsen erinnert an Antonionis Traum von der "Sprengung der Warenform": "Einsam und schön, inmitten der toten, aber sprechenden Kulisse von Rom, London oder der petrochemischen Produktion des Po-Deltas gewinnen die Personen des Michelangelo Antonioni Konturen. Sie sprechen nicht, sie sind die Helden eines stummen Einwands gegen die 'verwaltete Welt', wie man sie damals nannte. Und dieser Einwand bestand in schönen Augen und einem entschlossen verzweifelten Blick nach innen."

Cristina Nord schreibt in ihrem Nachruf: "Wenn Ingmar Bergman Filme drehte, in denen man Paaren in der Krise zuschauen konnte, wie sie zu retten versuchen, was zu retten ist, dann drehte Michelangelo Antonioni zur selben Zeit Filme, die die Möglichkeit, ein Paar zu sein, erst gar nicht aufkommen ließen. Dass sie nun fast zeitgleich starben, ... das wäre im Film zu viel des Zufalls. Im wirklichen Leben gehört es wohl zu jener Kontingenz, mit der umzugehen noch jeden von uns überfordert."

Auf den Kulturseiten berichtet Frieder Reininghaus von den Salzburger Festspielen und bescheinigt der Regie von Haydns "Armida" und Tschaikowskys "Eugen Onegin" zu wenig Biss. Ulrich Gutmair empfiehlt eine Ausstellung im Auswärtigen Amt, die sich der Frage von "Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?" widmet und deren eigentliches Ziel ist, der Behauptung zu widersprechen, man dürfe Israel nicht kritisieren. Besprochen werden außerdem der Science-Fiction-Film "Transformers" von Michael Bay und die Studie "Gefährliche Substanzen" von Helmut Draxler (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Und hier Tom.

FR, 01.08.2007

Als in ihrem "Extremismus kaum zu überbieten", vor allem was die rücksichtlose Entblößung von Schauspieler Thomas Thieme betrifft, bewertet Peter Michalzik Luk Percevals Inszenierung des Stücks "Moliere. Eine Passion" mit Texten von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel auf den Salzburger Festspielen. Doch was diese "Molieres Stücken abgepresst haben, ist voller klappernder Reime, die ein paar Mal befreiende Wirkung haben können, auf Dauer aber furchtbar nerven. Liebe wird zum scharf gewürzten Storchenbraten, weil sich das auf Tod in Raten reimt. Kein Kalauer ist zu billig, keine Ferkelei wird ausgelassen - es ist die einzige Sensation, die den Autoren hier zur Verfügung steht. Thiemes Radikalität wird durch diesen Kinderkram unterlaufen."

Daniel Kothenschulte würdigt in seinem Nachruf auf Michelangelo Antonioni dessen "vom Literarischen ganz und gar befreites Kino". Und in Times mager gedenkt Sylvia Staude des Endes der "Operation Banner" der britischen Armee in Nordirland, die nach 38 Jahren um 0 Uhr heute morgen offiziell abzog.

Besprochen werden die üppige "Bestandsaufnahme der deutschsprachigen komischen Kunst" auf der Caricatura Kassel, eine Ausstellung über amerikanische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts in der Staatsgalerie Stuttgart, CDs der deutschen Pianisten Herbert Henck und Kolja Lessing mit unbekannter neuer Kammermusik des 20. Jahrhunderts und Bücher, darunter der Roman "Die Rivalen" von Michael G. Fritz und eine Studie über die NS-Wirtschaftspolitik von Adam Tooze (siehe hierzu unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 01.08.2007

Fritz Göttler würdigt den verstorbenen Regisseur Michelangelo Antonioni: "Er war der einzige Filmemacher, der den Blick konsequent nach vorn richtete, der völlig frei war von nostalgischen Anwandlungen." Thomas Steinfeld erinnert flankierend an die Bedeutung der Soundtracks von "Blow Up" und "Zabriskie Point".

Falk Jaeger stellt die von Christoph Ingenhoven gebaute "heimliche" Konzernzentrale der Lufthansa in Frankfurt vor. Andreas Zielke kommentiert den definitiven Baubeginn der Dresdner Waldschlösschen-Brücke als "demokratisches Desaster". Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm diskutiert, ob die Verfassung tatsächlich einem Antrag des Deutschen Olympischen Sportbunds nachgeben und künftig den Sport schützen muss. Sandra Bulling berichtet über eine Initiative von zwei chinesischen Internetaktivisten, die in China das Tabu Homosexualität aufbrechen wollen. Arnd Wesemann informiert über das politische Tanztheaterstück "3some" im Berliner Dock 11, in dem es um Scham und Schande geht und das nun wegen Verunglimpfung einer palästinensischen Tänzerin vor Gericht landen wird. Alexander Menden weiß von der vorläufigen - womöglich endgültigen - Schließung des Bristol Old Vic, Englands ältestem Theater.

Besprochen werden Luk Percevals Inszenierung des Stücks "Moliere. Eine Passion" bei den Salzburger Festspielen (",Bisschen quatschen, bisschen wichsen. Das Übliche?, bringt Karin Neuhäuser den Abend auf den G-Punkt."), eine Ausstellung der Bayerischen Staatsgemäldesammlung von Malerei des Spätbarock in einer neu eröffneten Zweiggalerie im Neuen Schloss von Bayreuth und Bücher, darunter die DDR-Erklärung "Kleines Land, große Mauer" von David Ensikat und eine Studie zur Anthropologie von Konrad Wünsche (siehe unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

NZZ, 01.08.2007

Keine Zeitung. Die Schweizer gedenken heute des Tags, als sich Vertreter der drei Waldstätten Uri, Schwyz und Unterwalden auf der Rütliwiese trafen, um ein Verteidigungsbündnis gegen die Österreicher und andere Feinde zu schmieden. Mehr auf tell.ch.