Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.07.2007. Die FR erfährt im Gespräch mit Luk Perceval, was Erleuchtung ist: Erleuchtung ist, wenn man beim Schälen der Kartoffel die Kartoffel schält. Die taz geißelt die antisemitischen Äußerungen des polnischen Paters Tadeusz Rydzyk. In der Welt begrüßt Zafer Senocak das türkische Wahlergebnis: "Bürgerrechte und Demokratie sind den Türken keine Fremdwörter mehr." Über die Nachfolge in Bayreuth wird vor den beginnenden Festspielen in taz und NZZ spekuliert. Die Berliner Zeitung schildert das Problem der FAZ mit den Perlentauchern: "Puh, die werden wir nicht los." 

FR, 24.07.2007

Peter Michalzik trifft in Salzburg den Regisseur Luk Perceval und den Schauspieler Thomas Thieme auf eine Portion Spaghetti Vongole und redet mit ihnen über ihren fünfstündigen Moliere-Marathon. "Viele Stunden später, Thieme sitzt an einem anderen Tisch, erzählt Perceval, wie das ist, mit ihm und Thieme: In einem Zen-Kloster fragt ein Schüler den Meister nach der Erleuchtung. 'Wenn man beim Schälen der Kartoffel an Gott denkt', sagt der Meister, 'hat das mit Erleuchtung nichts zu tun. Erleuchtung ist, wenn man beim Schälen der Kartoffel die Kartoffel schält.' Pause. 'Thomas Thieme ist meine Kartoffel.' Und irgendwie ist diese Kartoffel das, was diese Welt und Perceval und das Theater und Moliere und den Selbsthass und das Luxusboot und den Schrei verbindet." Am Ende des Artikels versteht man. Versprochen.

Weiteres: Hans-Klaus Jungheinrich meldet sich vom Bühnenfestival in Aix-en-Provence. Und Elke Buhr wirbt in einer Times mager für schicke Hörgeräte für die popmusikgeschädigte Babyboomergeneration.

Besprochen werden die Ausstellung "Airs de Paris" im Centre Georges Pompidou über die Geschichte des Gebäudes und Ian McEwans Roman "Am Strand".

TAZ, 24.07.2007

Vor einer Woche veröffentlichte das Nachrichtenmagazin Wprost Mitschnitte einer Vorlesung, in der Pater Tadeusz Rydzyk, Chef des katholischen Radiosenders Radio Maryja, vor Studenten Antisemitisches von sich gibt. Nach wie vor ist der Pater aber bei seinen polnischen Mitbrüdern des Redemptoristen-Ordens anerkannt, schreibt Gabriele Lesser. "'Kauft nicht bei Juden!' ist nach den polnischen Redemptoristen kein Antisemitismus, ja nicht einmal ein Wirtschaftsboykott, der sich gegen Juden richtet, sondern eine 'Integrationsmaßnahme, die dem Wohl der katholisch-polnischen Gemeinschaft' diene. Polens Redemptoristen finden auch nicht, dass sich die Katholiken alles 'von den Juden gefallen lassen' müssten. Und so schäumt Pater Rydzyk in seinem Vortrag vor Studenten: 'Die Juden werden zu dir kommen und sagen: Gib mir deine Jacke! Gib mir deine Hosen! Gib mir deine Schuhe!' Die angehenden Journalisten sollen begreifen, dass Polens Präsident einen Fehler macht, wenn er auch nur darüber nachdenkt, ob er Juden finanziell entschädigen sollte, die von den Kommunisten enteignet wurden."

Fürs Feuilleton besucht Christian Broecking den 81-jährigen George Wein, der 1954 das Newport Jazz Festival erfand und hofft, dass die Berliner mittlerweile nicht mehr wie damals Duke Ellington ausbuhen würden. Und bald beginnt Bayreuth. Frieder Reinighaus diskutiert die Nachfolgefrage, Katrin Bettina Müller inspiziert die vorsichtige Medienstrategie Katharina Wagners und Benno Schirrmeister liefert Argumente, nicht nach Bayreuth zu fahren ("Es tümelt wieder").

Besprechungen widmen sich der Retrospektive des Grafikdesigners und Fotografen Anton Stankowksi im Internationalen Design Zentrum und im Mies-van-der-Rohe-Haus Berlin und der Ausstellung über den Verleger "Kurt Wolff, ein Literat und Gentleman" in Bonn.

Und Tom.

Welt, 24.07.2007

Nach dem großen Wahlsieg der AKP in der Türkei fragt Zafer Senocak, wie muslimisch eigentlich das Volk sei: "Sind nicht ein Viertel aller Türken Aleviten, eine freidenkerische Glaubensrichtung im Islam, die nichts, aber auch gar nichts mit dem Islam der Scharia gemein hat? Hat das türkische Volk in seiner breiten Mehrheit nicht längst seinen Frieden geschlossen mit der säkularen Gesellschaftsordnung? Die Türken haben ein pragmatischeres Verhältnis zur Religion als die meisten ihrer Brüder und Schwestern in der islamischen Welt. Und das zeigt sich jetzt deutlich: Die Reformen Mustafa Kemals waren doch nicht nur die Umsetzung einer elitären Utopie, die an den Massen vollkommen vorüber gegangen ist. Bürgerrechte und Demokratie sind den Türken keine Fremdwörter mehr, die mühsam übersetzt werden müssen."

Peter Zander widmet sich dem Wirbel um Volker Schlöndorff, der als Regisseur der "Päpstin" per E-Mail von Constantin-Film gefeuert wurde, nachdem er die Multiverwertung von Filmen und besonders Bernd Eichingers "Untergang" kritisiert hatte. Als baupolitische Revolution rühmt Dankwart Guratzsch das Konzept "Stuttgart 21", mit dem die Planungsverbrechen der Nachkriegszeit wenigstens teilweise wieder gutgemacht werden sollen. In der Randglosse vermerkt Hendrik Werner, dass es mit dem neuen Dame-Computer des kanadischen Masterminds Jonathan Schaeffer nun keinen menschlichen Sieger mehr geben wird - wie auch bei der Tour de France. Im Interview mit Wieland Freund bringt der Germanist Jochen Hörisch Harry Potter, Bayreuth, Goethes Werther und andere Errungenschaften Alteuropas zusammen. Thomas Medicus schreibt über die Künstlerin Iris Häussler, die gerade in Kanada mit "The Lagacy of Joseph Wagenbach" auf sich aufmerksam macht. Besprochen werden ein Band des belgischen Arztes Jan Dequeker, der behauptet, die Mona Lisa habe an einer tödlichen Stoffwechselkrankheit gelitten, und eine Ausstellung des Porträtisten Hermann Struck im Berliner Centrum Judaicum.

Berliner Zeitung, 24.07.2007

Unter der Überschrift "Puh, die werden wir nicht los" - eine kleine Hommage auf den FAZ-Artikel "Puh, den sind wir los" (Kommentare) über Peter Steinbach - schreibt Birgit Walter über den Streit zwischen FAZ und Perlentaucher und stellt unter anderem klar, dass der Perlentaucher von der Bundeszentrale für politische Bildung, für den er die "Eurotopics"-Presseschau macht, keine Subvention erhalten hat: "Eine Subventionierung des Perlentauchers ist sie nicht. Vielmehr gewann das Unternehmen einen staatlichen Auftrag nach europaweiter Ausschreibung, weil sie das beste Angebot vorgelegt hatte."

NZZ, 24.07.2007

Joachim Güntner erklärt, wie das Personal der morgen beginnenden Bayreuther Festspiele aufgestellt ist, bei denen Katharina Wagner ihr Regiedebüt geben wird: "Haben wir in Katharina die künftige Leiterin der Festspiele vor uns? Ihr Vater würde die 29-Jährige gern auf seinem Platz sehen. Aber da sind noch zwei andere Anwärterinnen, die den Finger heben. Eva Wagner-Pasquier, Wolfgangs Tochter aus erster Ehe, künstlerische Beraterin der Opernfestspiele in Aix-en-Provence, hat angekündigt, nicht auf den Tod ihres Vaters warten und 'auf jeden Fall' kandidieren zu wollen. Nike Wagner, Tochter von Wolfgangs Bruder Wieland, formuliert ihr Interesse etwas dezenter. Seit sie das Kunstfest Weimar leite, sei sie von dieser Aufgabe so erfüllt, dass sich ihr 'Bayreuth-Interesse ohnehin auf angenehmste Weise relativiert' habe. Im gleichen Atemzug allerdings betont sie, wie gut einen die Weimarer Tätigkeit für eine ästhetisch avancierte Intendanz in Bayreuth vorbereite."

In der Reihe "Die Zukunft von gestern" nimmt Manfred Schneider Mary Wollstonecraft Shelleys Endzeit-Roman "Der letzte Mensch" unter die Lupe. Besprochen werden die Ausstellung "Werdende Wahrzeichen" in Samedan, Maeve Brennans Erzählungen "Der Teppich mit den großen pinkfarbenen Rosen", Selma Lagerlöfs Roman "Die Geschichte von Gösta Berling" und P. J. O'Rourkes Reportagen "Reisen in die Hölle" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 24.07.2007

Den im Januar gestarteten Deutschen Filmförderfonds wertet Tobias Kniebe als Erfolg für Bernd Neumann und den Filmstandort Deutschland. Nur den leichten Filzverdacht sollte man noch ausräumen. "Die Babelsberg-Firmengruppe ist damit einer der größten Profiteure des neuen Fonds, und daran wäre auch nichts auszusetzen - säße nicht ausgerechnet Babelsberg-Vorstandsmitglied Christoph Fisser auch noch im 'Beirat' des DFFF. Dieses Gremium muss immer dann entscheiden, wenn Beträge von mehr als vier Millionen Euro vergeben werden - also exakt dann, wenn Fisser selbst betroffen ist. Zufall? Verfilzung? Gedankenlosigkeit? Den fraglichen Sitzungen sei der Mann selbstverständlich ferngeblieben, heißt es - aber das waren auch die einzigen Sitzungen, die bisher überhaupt stattfanden. So stellt sich die drängende Frage, was er in dem Gremium eigentlich verloren hat."

Weiteres: Der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und Biologe Hubert Markl plädiert angesichts kreationistischer Visionen in Hessen für eine strikte Trennung von Religion und Wissenschaft, der Religion zuliebe. Die Historikerin und Vizepräsidentin der deutschen Forschungsgemeinschaft Luise Schorn-Schütte hat den Zwang zum Englischen bei den Anträgen für die Exzellenzinitiative kritisiert, meldet "jsl". Jörg Häntzschel besucht Ward Marston, der mit sienem Label frühe Opernaufnahmen vor 1925 digital restauriert. Martin Köhl erinnert an den vor hundert Jahren geborenen Komponisten und langjährigen Präsidenten der Münchner Musikhochschule Karl Höller und rechnet mit einer Wiederentdeckung. Gottfried Knapp gratuliert dem amerikanischen Maler Alex Katz zum achtzigsten Geburtstag. Stefan Koldehoff informiert potenzielle Käufer, dass Hugh Grant nun Andy Warhols Porträt von Liz Taylor bei Christie's versteigert. Claus Heinrich Meyer nimmt sich eine Zwischenzeit, um seinen alten Wirkungsort Bonn zu besuchen.

Besprochen werden die deutsche Erstaufführung von Christoph Nußbaumeders Stück "Mindlfinger Goldquell oder Wir scheißen auf die Ordnung der Welt" in der Berliner Schaubühne, die Ausstellung "Ernst Ludwig Kirchner: Die Deutschlandreise" in den Kunstsammlungen Chemnitz, Nimrad Antals Horrorfilm "Motel", und Bücher, darunter ein Aufsatzband über "Die Simpsons und die Philosophie" und Andrea Levys Roman "Eine englische Art von Glück".

FAZ, 24.07.2007

Im anderthalbseitigen Aufmacher schildern Melanie Mühl und Michael Hanfeld die Machenschaften astrologischer TV-Sender. In der Leitglosse kommentiert Andreas Kilb den in der SZ geführten Streit wischen Volker Schlöndorff und Günter Rohrbach um so genannte Amphibienfilme, die sowohl im Kino als auch als Fernsehserie produziert werden - der Streit hat inzwischen zur Kündigung von Schlöndorffs Vertrag bei der Constantin geführt. Dirk Schümer wirft in der Serie "Der Vormarsch des Islamismus" einen Blick auf Italien. Thomas Wagner gratuliert dem Maler Alex Katz zum Achtzigsten. Oliver Jungen gratuliert Norbert Wehrs Zeitschrift Schreibheft zum Dreißigsten. Joseph Hanimann stellt ein neues Projekt der Architekten Patrick Berger und Jacques Anziutti zur Überdachung des "Forum des Halles" in Paris vor.

Auf der DVD-Seite werden Reeditionen von Filmen Jean Beckers, Francis Ford Coppolas, Rudolf Thomes und Hans Syberbergs besprochen. Und Michael Althen stellt eine DVD mit Kurzfilmen über Paris vor. Für die Medienseite unterhält sich Jan Freitag mit dem Schauspieler Axel Milberg, der die Hauptrolle in der ZDF-Serie "Doktor Martin" spielt. Jürg Altwegg berichtet, dass die Verlage von Le Monde und Hachette ihre Regionalzeitungen in Südfrankreich verkaufen wollen.

Für die letzte Seite besucht Jürg Altwegg den jüdischen Friedhof von Genf, der zum Teil auf französischer Erde liegt und in der Nazizeit zum Eingangstor für fliehende Juden wurde. Hannes Hintermeier meldet ein Sprayer-Attentat auf eine Ratzinger-Büste in Traunstein. Und Jordan Mejias berichtet über eine Kunstaktion von Lian Amaris Sifuentes, die auf den Straßen von New York in extremer Verlangsamung die Vorbereitungen für ein Rendez-Vous nachstellt, welche dann in einem Film durch Zeitraffung auf Normaltempo gebracht werden sollen.

Besprochen wird die neue CD von Prince.