Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.05.2007. Im Zeit-Feuilleton - heute von Wolfgang Tillmans kuratiert - warnt Polly Toynbee vor einer Allianz aus Muslimen und christlichen Kirchen. Die Welt stimmt einen Abgesang auf die Arbeit an. Die SZ sieht die Welt von nutzlosen Zäunen durchzogen. Die NZZ plädiert für den Bau der Moschee in Köln. Die taz verspürt angesichts der Ausstellung "Art goes Heiligendamm" ein leichtes Unbehagen. Die FR begutachtet in der Neuen Nationalgalerie französische Originale zu berühmten Postermotiven.

FR, 31.05.2007

"Natürlich setzt eine Präsentation wie dieses 'Met in Berlin' mit einer gewissen Hemmunglosigkeit auf Hits", schreibt Elke Buhr zur Eröffnung des gut kalkulierten Kunstblockbusters der Saison, der Schau mit 150 französischen Meisterwerken aus der Sammlung des Metropolitan Museum of Modern Art in der Neuen Nationalgalerie Berlin. "Es ist eben nicht zu ändern: Das, was an den Franzosen einmal radikal und neu gewesen sein mag, ist heute nicht mehr wahrnehmbar - was bleibt, sind die Originale zu einer Reihe sattsam bekannter Postermotive."

Weiteres: Guido Fischer schickt einen Bericht von der Kölner Musik-Trienale, wo es in diesem Jahr viel Luciano Berio zu hören gibt. In der Kolumne Times Mager erklärt uns Hans-Jürgen Linke, warum Pilger manchmal die Speerspitze des Fortschritts sind.

Besprochen werden David Finchers Krimi "Zodiac", Joachim Schlömers Inszenierung von Alexander Zemlinskys "Der Traumgörge" an der Deutschen Oper Berlin und Jonathan Lethems neuer Roman "Du liebst mich, du liebst mich nicht" (mehr ab in unserer Bücherschau heute14 Uhr).

TAZ, 31.05.2007

Auf der Meinungsseite verteidigt der Schriftsteller und Mitbegründer der Zeitschrift Krytyka Mykola Rjabtschuk die ukrainische Demokratie. Perfekt sei sie natürlich nicht, aber immerhin: geschossen wird nicht. "Es stimmt, dass die Ukraine bisweilen an den Rand eines blutigen Konflikts gerät. Aber die ganze Zeit sitzen die postsowjetischen Politiker, so stumpf und egoistisch sie auch sein mögen, mit ihren Rivalen an einem Tisch und treffen Abmachungen, mit denen sie hinterher alle nicht ganz zufrieden sind. Aber das ist es ja wohl, was Demokratie ausmacht."

"Greift das nicht zu kurz?" fragt sich Irene Grüter im Kulturteil nach Inaugenscheinnahme von 'Art goes Heiligendamm' und einem erläuternden Gespräch mit Kuratorin Adrienne Göhler. "Information, Dokumentation, Ironie, Utopie, Konsumkritik - obwohl die Ausstellung mit ernsthaften Inhalten und Absichten antritt, lässt das Sammelsurium ein leichtes Unbehagen zurück. Dass sie nicht polarisierend wirkt, liegt zum Teil an konventionellen künstlerischen Zugriffen, zum Teil am Overkill, vor allem aber an der aufklärerischen Absicht, mit der das Projekt antritt...'Art goes Heiligendamm' kommt einem vor, als ob der Kunst ein politischer Auftrag übergeben wird, an dem die Gesellschaft scheitert."

Besprochen werden David Finchers neuer Film "Zodiac", Bettina Blümners Dokumentation über drei Kreuzberger Teenies "Prinzessinnenbad", Volker Koepps neuer Film "Söhne" und Rufus Wainwrights neues Album "Release the Stars".

Und Tom.

NZZ, 31.05.2007

Joachim Güntner berichtet vom Streit um die Kölner Moschee und die Äußerungen Ralph Giordanos und kommentiert: "Schon von Verfassung wegen besitzen Muslime in Deutschland das Recht, angemessene Stätten zur Ausübung ihrer Religion zu gründen. Das wissen auch jene Verfasser von 'Handreichungen für Moscheebau-Verhinderer', die im Internet empfehlen, den Konflikt durch Bürgerbegehren und Normenkontrollklagen in Wahlkampfzeiten zu verschleppen. Kulturelle Fremdheit, man mag sich noch so sehr an ihr reiben, ist kein hinreichender Ablehnungsgrund. Das entbindet Muslime ihrerseits freilich nicht von der Pflicht zur Akkulturation."

Besprochen werden eine Ausstellung zu Piero della Francesca in Arezzo und Bücher, darunter John O'Haras Roman "Begegnung in Samarra" und Slawomir Mrozeks Autobiografie "Balthasar" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Tagesspiegel, 31.05.2007

Auf der Meinungsseite erinnert sich Tilman P. Fichter an den Beginn der antiautoritären Revolte in Berlin. Am 2. Juni 1967 hatte ein Polizist Benno Ohnesorg erschossen. "Am 3. Juni, zwei Tage vor Beginn des 'Sechs-Tage-Kriegs', versammelten sich rund 4000 trauernde Studenten vor der WiSo-Fakultät der FU und forderten den Rücktritt des Berliner Senats. Günter Grass, der zu diesem Zeitpunkt offensichtlich aus völlig anderen Diskussionszusammenhängen kam und die Brisanz unseres Protestes deshalb wohl auch nicht erfasste, stellte überraschend den Antrag auf eine Resolution für das 'tödlich bedrohte Israel'. Das wurde von uns - noch unter dem Schock des Todes von Ohnesorg - ohne jede Debatte verworfen. Auch mit einem weiteren Antrag, in dem sich Grass als Moderator einer Veranstaltung zwischen 'jungen' Polizisten und Studenten anbot, stieß er bei uns auf ungläubiges Schweigen."

Zeit, 31.05.2007

Die Zeit ist heute ein Kunstwerk. Der Künstler Wolfgang Tillmans hat in dieser Woche das Feuilleton übernommen und seine persönliche Lieblingsausgabe gestaltet - mit eigenen Fotoarbeiten und ausgesuchten Texten, etwa des indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti über Angst und die Freiheit oder des Musikjournalisten Dave Rimmer über den Immobilienwahnsinn in London.

Dabei ist auch ein Artikel der Guardian-Kommentatorin Polly Toynbee über die wachsende Macht der Religion in Europa. Während Muslime mit Hilfe wohlmeinender Liberaler immer mehr religiös verbrämten Respekt für unterdrückerische Verhältnisse verlangen, nutzen die christlichen Kirchen ebenfalls die neue religiöse Inbrunst für ihre Zwecke. Eine unheilige Allianz! "Es ist höchste Zeit, dass die Europäer die freiheitlichen und demokratischen Werte der Aufklärung aufs Neue verteidigen. Deren neuer Gegner ist ein finsteres Bündnis aller Glaubensrichtungen, das den Nichtgläubigen die macht entreißen will. Geht das weltliche Europa nicht sofort zum Gegenangriff über, wird Gott in die Politik zurückkehren. Aus Angst davor, irgendwen zu beleidigen, werden wir dann zum Schweigen gezwungen sein - selbst dann, wenn Europa noch immer ein Kontinent der Nichtgläubigen ist."

Die heute erscheinende Literatur-Sommerbeilage eröffnet Gabriele Killert mit einer Besprechung von Peter Matthiessens Buch "Die Könige der Lüfte" über Kraniche. Das Dossier ist wie auch große Teile der Politik und der Wirtschaft dem G8-Gipfel und seinen Gegnern gewidmet.

Wirklich schockierend in diesem Zeit-Feuilleton ist eine Seite, deren untere Hälfte eine Werbung für Patek Philippe Uhren bedeckt: Vater und Sohn grübeln mit in die Hände gestützten Köpfen über Hausaufgaben, die beworbene Uhr fast unauffällig am linken Handgelenk des Vaters. Direkt darüber, im redaktionellen Teil also, ein kleines Foto von zwei iranischen Studenten, die wegen Homosexualität aufgehängt werden. Der Rest der Seite ist leer.

Welt, 31.05.2007

Wieland Freund stimmt einen Abschiedsgesang auf die gute alte, aber leider verschwundene Arbeit an. "Die, wie der Soziologe Zygmunt Bauman höhnt, mit 'Zeitverträgen, Kettenverträgen, gar keinen Verträgen und unbestimmten 'Bis-auf-Weiteres'-Vereinbarungen' ausgerüsteten Generationen Golf (die den robusten Käfer erst fahren durfte, als der schon eine Klapperkiste war) oder Praktikum (deren Existenz so unsicher ist, dass es sie womöglich gar nicht gibt) müssen sich ihre Sicherheit heute anderswo suchen - in der Arbeit allein, in der Karriere gar, dieser bürgerlichen Verheißung, werden sie sie nicht finden. Die Folge - in schöner Umkehrung der Ereignisse von anno '68: der Versuch einer kleinen Kulturrestauration."

Weiteres: Dankwart Guratzsch weist auf einen Offenen Brief (pdf) hin, in dem der Architekt Volkwin Marg sowohl die Auschreibung zum Bau der Dresdner Elbbrücke wie auch den Bürgerentscheid als manipuliert bezeichnet. Uwe Schmitt hat das erste Creation Museum in Petersburg, Kentucky, besucht und eine Mischung aus "Krippenspiel und Jurassic Park" vorgefunden. Josef Engels unterhält sich mit den Jazzmusikern John Scofield, Billy Martin und John Medeski über ihr aktuelles Album Out Louder" und die goldenen Sechziger. Peter Dittmar erinnert an den Welt-Karikaturisten Mirko Szewczuk, der vor fünfzig Jahren starb.

Besprochen werden eine Aufführung von "Endstation Sehnsucht" mit Ben Becker am St. Pauli Theater in Hamburg (bei dem, wie Stefan Grund feixt, buchstäblich "die Hütte brannte") und auf der Kinoseite Michael Schorrs Komödie "Schröders wunderbare Welt", David Finchers Serienmörder-Film "Zodiac" sowie Emanuele Crialeses Migrantenepos "Golden Door".

SZ, 31.05.2007

"Zäune und Mauern, so weit der Blick über den Globus schweift!" seufzt Burkhard Müller angesichts des Zauns um die G-8-Gipfelstätte Heiligendamm. "Zäune ziehen Syrien und die Türkei gegeneinander; Zäune und Mauern ziehen die Amerikaner im Innern des Irak, um die verfeindeten Sekten zu trennen (die sich sofort im gemeinsamen Hass auf den Zaun verbinden), und an der irakischen Außengrenze gegen Iran; einen Zaun zieht Iran gegen Pakistan. Pakistan zieht einen Zaun, der einmal zwölfhundert Kilometer lang sein soll, an der Grenze nach Afghanistan, durch die unzugänglichste Grenzregion der Erde." Auch die DDR hatte versucht, sich mit einem Zaun abzuschotten und war am Ende "geradezu auf ihren Zaun eingeschrumpft. Ähnlich ist der Fall beim G-8-Gipfel in Heiligendamm, noch bevor er angefangen hat. Die Bildberichterstattung konzentriert sich ganz auf diesen Zaun."

Gustav Seibt erinnert angesichts heutiger Debatten über die Unvereinbarkeit von Demokratie und Islam daran, dass 1850 halb Europa überzeugt war, Christentum und Demokratie passten nicht zusammen. Demokratie, so meint er, entwickelt sich nicht aus einer kulturellen Disposition, sondern aus konkreten materiellen Voraussetzungen: "Nichts zum Beispiel fördert die Emanzipation der Einzelnen, darunter auch der Frauen, so entschieden wie ein Sozialstaat. Und die Demokratie sollte man grundsätzlich vom Rechtsstaat aus aufbauen. Ohne Rechtssicherheit, staatliches Gewaltmonopol oder Vertragsfreiheit nützen die schönsten sonntäglichen Wahlen nichts. Überhaupt werden Wahlen für die Entwicklung demokratischer Strukturen gern überschätzt - man denke an den Irak, an Afghanistan oder den Kongo."

Weitere Artikel: Holger Liebs verkündet: "Fanfare für die Franzosen! Berlin kleidet sich in den Farben der Trikolore, und rein zufällig sind dies gleichzeitig auch die Farben der US-Flagge." Denn das Metropolitan Museum of Art zeigt ab morgen seine französischen Meisterwerke in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Auf der Medienseite stellt Elmar Jung nach 100 Tagen deutscher Vanity Fair fest, das es den Maganzin bislang an politischer Schlagkraft und Relevanz fehlt. Christoph Hickmann hat sich die seit heute im Tabloidformat erscheinende FR angesehen und ist beruhigt: "An Inhalt ist nichts verloren gegangen."

Besprochen werden außerdem Bettina Blümners unterhaltsamer Dokumentarfilm über drei Fünfzehnjährige "Prinzessinenbad" (für Martina Knoben "alles andere als Debattenkino, und doch klingen einige der wichtigen Diskurse der letzten Zeit an"), Harald Sieblers Grundrechtefilm "GG 19", Jaume Collet-Serras Fußballerfilm "Goal II - Living the Dream", Emanuele Crialeses Einwanderungsdrama "Golden Door" (es gibt auch ein Interview mit Hauptdarstellerin Charlotte Gainsbourgh), Thomas Hengelbrocks Falstaff- Präsentation auf historischen Instrumenten im Festspielhaus Baden-Baden, Wilfried Minks Inszenierung von Tennessee Williams' Drama "Endstation Sehnsucht" mit Ben Becker als Kowalski am Hamburger St. Pauli Theater ("phonstarke Männlichkeit ohne Gespür für Schadensbegrenzung", charakterisiert Till Briegleb Beckers Darstellungskunst) und Bücher, darunter Paul Brodowskys Erzählband "Die blinde Fotografin" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 31.05.2007

Hubert Spiegel gedenkt der Gruppe 47, die vor sechzig Jahren gegründet wurde. Dieter Bartetzko besucht die Architekturbiennale in Rotterdam, die sich auch mit der Lage der Flüchtlinge in der Welt und ihren provisorischen Bauten befasst. In der Leitglosse mokiert sich Christian Geyer über Kardinal Lehmann, der sich nicht entblödete, eine Kritik des Papstbuchs in dieser Zeitung zu kritisieren. Dieter Bartetzko schreibt zum Tod des Berliner Architekten Fritz Bornemann. Uwe Walter gratuliert dem Bonner Althistoriker Klaus Rosen zum Siebzigsten. Henning Ritter schreibt zum Tod des Kunsthistorikers (und Kritikers der Restaurierung der Michelangelo-Fresken in der Sixtinischen Kapelle) James Beck.

Auf der Medienseite berichten Michael Hanfeld und Tilman Lahme, dass ARD und ZDF die Tour de France weiter übertragen. Hanfeld liest auch die erste Tabloid-Ausgabe der FR. Für die Filmseite besuchte Hans-Jörg Rother eine Retrospektive des armenischen Kinos in Berlin. Verena Lueken unterhält sich mit der Schauspielerin Chloe Sevigny, die zur Zeit in "Zodiac" zu sehen ist. Und Michael Althen kommentiert die amerikanische Bestimmung, nach der Kinder nicht mehr ohne Begleitung in Filme gehen dürfen, in denen geraucht wird.

Für die letzte Seite besucht Dirk Schümer die Musikstadt Parma, wo in sehenswerten Museen der größten Söhne der Stadt, Giuseppe Verdis und Arturo Toscaninis, gedacht wird. Christian Schwägerl spricht mit dem Bürgermeister der kleinen Stadt Ebersbach in Sachsen, die wie viele Städte Ostdeutschlands laut einer neuen Studie nicht einfach an Bevölkerungsschwund, sondern besonders an Frauenmangel leidet. Und Andreas Rossmann schildert die budgetären Schwierigkeiten des Stadttheaters in Hagen.

Besprochen werden Alexander von Zemlinskys Oper "Traumgörge" (laut Eleonore Büning "ein Chef-d'oeuvre des Expressionismus") an der Deutschen Oper Berlin, Verdis "Macbeth"-Oper in Glyndebourne, eine Ausstellung mit "Junger finnischer Fotografie" in Koblenz, Wilfried Minks' Inszenierung der "Endstation Sehnsucht" am St. Pauli Theater Hamburg und ein Auftritt Justin Timberlakes in Frankfurt.

Die Gegenwartsseite im politischen Teil veröffentlicht einen Essay Amitai Etzionis, der eine Neudefinition der westlichen Außenpolitik fordert: nicht mehr Demokratie, sondern mehr Sicherheit soll das Ziel sein.