Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.05.2007. Einfach krass! In der taz fordert Jan Delay die Jugend auf, die RAF zu reflektieren und zu merken: "Damals gab es Menschen, die haben tausendmal mehr Haltung an den Tag gelegt als heute irgendjemand." Die NZZ sieht das Institut du monde arabe in Paris bis heute als Fehlschlag. Und Hans-Jörg Rheinberger erklärt, wie das Neue in die Wissenschaft kommt, wenn man gar nicht weiß, was man nicht weiß. Die SZ zeigt sich tief beeindruckt von Alex Gibneys Film "Taxi to the Dark Side", der Guantanamo anprangert.

TAZ, 05.05.2007

Im Interview mit der zweiten taz gibt der Musiker Jan Delay seine Meinung über Politik, Rebellion, die RAF und die Zeit des Terrorismus zum besten: "Was jetzt in den Medien passiert, wird so serviert, dass es die (Kids) nicht interessiert. Ich wollte nicht, dass sie alle Terroristen werden, sondern dass sie die RAF reflektieren und merken: Damals gab es Menschen, die haben tausendmal mehr Haltung an den Tag gelegt als heute irgendjemand. Das fand ich einfach krass und bewundernswert." Recht wenig Haltung legte auch Delay an den Tag, als es darum ging, seinen Song "Söhne Stammheims" zu entschärfen. "Der ursprüngliche Refrain lautete: 'Sag mir, wo die Terroristen sind / Sag mir, wo sind sie geblieben / Sag mir, wo die brennenden Faschisten sind / Wo die Autos explodieren' - er war eher aufrufend und nicht beschreibend. Mein Vater hat mir abgeraten, und dann habe ich es gemeinsam mit einem Anwalt entschärft."

Im Kulturteil bereitet Simone Kaempf auf das heute beginnende Berliner Theatertreffen (Website) vor und beschäftigt sich mit den Inszenierungen "Orestie" von Michael Thalheimer, "Ulrike Maria Stuart" von Nicolas Stemann und "Die Schmutzigen Hände" von Andreas Kriegenburg. Rolf Lautenschläger zieht eine positive Bilanz des ersten Jahres von Klaus Staeck als Präsident der Akademie der Künste. Dirk Knipphals beginnt eine Reihe "24 stunden spreebogen", für die er, rund um die Uhr, jeweils über eine Stunde schreibt, die er im Regierungsviertel verbringt: er beginnt um Mitternacht.

Besprochen werden der Film "Snow White" des Züricher Regisseurs Samir und Bücher, darunter Kevin Vennemanns Roman "Mara Kogoj" und - im tazmag - Ignacio Aldecoas Roman "Gran Sol", Vladimir Zarevs Roman "Verfall" sowie die "für einen Christdemokraten" nicht üble Studie "Abschied von Multikulti" (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages heute ab 14 Uhr).

Außerdem heute in der taz: Im Gespräch auf den Politikseiten erläutert Ali Ertan Toprak, Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschlands (AABF), welche von der Öffentlichkeit wenig beachteten innerislamischen Spannungen in der Islamkonferenz ausgetragen werden. Auf der Meinungsseite warnt der Politologe Saruhan Oluc im Interview, dass die Krise in der Türkei keineswegs überstanden ist. Und auf der Reiseseite informiert die Kulturvermittlerin Eva Karadi im Gespräch über die literarische Szene Ungarns. Jan Feddersen informiert in tazzwei über die Vorgänge bei einer NRW-Konferenz zum Thema "Europäisches Jahr der Chancengleichheit für alle", zu der Schwule und Lesben wohl eher aus- als gar nicht erst eingeladen wurden. Im taz mag schildert Mari Pajala, wie Finnland mit dem Schock des Grand-Prix-Siegs der Monsterrocker Lordi umgegangen ist. Jackie Kohnstamm erzählt, wie sie beim Googeln auf die Geschichte ihrer Großeltern stieß. Nike Breyer informiert über die Kulturgeschichte der Männersandale.

Und Tom.

Berliner Zeitung, 05.05.2007

Im Magazin spricht die Krimiautorin Elizabeth George in einem langen Interview über ihre neuen Bücher, ihre Recherchemethoden und Vorbilder. "Wenn es um die Entwicklung eines Schriftstellers geht, an das Abtasten von Möglichkeiten, dann muss ich John le Carre als sehr großen Einfluss nennen. Seine frühen Bücher sind ganz einfach gemacht, und je weiter er kam, desto komplexer, reicher, detaillierter wurden sie. Ich sage immer, John le Carre nimmt als Schriftsteller keine Gefangenen! Er schreibt eine Geschichte, und entweder folgt man ihm oder eben nicht. Er macht's einem nicht immer leicht, und das nötigt mir großen Respekt ab."

Welt, 05.05.2007

Im Feuilleton unterhält sich Eckhard Fuhr mit dem Braunschweiger Bürgermeister Gert Hoffmann und mit Christoph Stölzl über den Wiederaufbau des Braunschweiger Stadtschlosses als Shopping Mall. Klaus Honnef betrachtet eine Ausstellung des Fotografen Mario Testino in Düsseldorf. Eva Behrendt wirft einen Blick auf das beginnende Berliner Theatertreffen. Uwe Schmitt hat sich den Film "Manufacturing Dissent" angesehen, in dem zwei Dokumentarfilmer ihren Kollegen Michael Moore der Lüge zeihen Besprochen werden ein Konzert Bob Dylans in Berlin, eine Ausstellung mit Werken aus der Sammlung Pinault im Palazzo Grassi in Venedig und Simon McBurneys Spektakel "A Disappearing Number", mit dem die Ruhrfestspiele eröffnet wurden.

Die Literarische Welt bringt vier kurze Beiträge von Schriftstellern, die sich auf Bitten der Mainzer Akademie der Wissenschaften mit der Frage befassen, ob es wieder eine religiöse Literatur geben könne. Und Reinhard Mohr schreibt einen Essay über das neue Deutschlandgefühl im Jahre 18 nach dem Mauerfall. Tilman Krause spricht Klartext über Hermann Bang und den Autor Knud Romer, dessen Roman "Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod" von der schwierigen Kindheit des Sohns einer deutschen Mutter im Dänemark der Sechziger erzählt.

FR, 05.05.2007

Harry Nutt war dabei, als dem Nobelpreisträger Orhan Pamuk die Ehrendoktorwürde der FU Berlin verliehen wurde. Zur Politik wurde wenig gesagt, das holt Nutt in seinem Kommentar nach: "Die Spannung..., die die türkische Gesellschaft zu zerreißen droht, rührt aus den erstarkenden Kräften einer islamischen Reformbewegung, die sich an einem klandestinen und autoritären Kemalismus reiben. Das Aufeinanderprallen von weißen (Vertreter eines autoritären Säkularismus) und schwarzen (islamische Calvinisten in Anatolien) Eliten ist jedenfalls nicht mehr in einfachen Gegensätzen von Istanbuler Weltläufigkeit und anatolischer Rückständigkeit zu fassen."

Weitere Artikel: An den japanischen Schriftsteller Yasushi Inoue, der dieser Tage seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hätte, erinnert Arno Widmann. Christian Thomas weist auf die durch kommunale Finanznöte begründete Gefährdung von Potsdams Schlössern hin. In ihrer "Plat du jour"-Kolumne denkt Martina Meister über die Ähnlichkeit von Wahlkampf und Sport nach. Auf der Medien-Seite erzählt Hans-Hermann Kotte die Geschichte der RAF als Medienphänomen.

Besprochen werden die Eröffungspremiere der Ruhrfestspiele Recklinghausen, Simon McBurneys Inszenierung seines Mathematik-Stücks "A Disappearing Number", William Forsythes neue, diesmal wieder in Frankfurt uraufgeführte Choreografie "Angoloscura/Camerascura" ("ein schwaches Werk, gemessen an den Standards eines so großen Künstlers", befindet Sylvia Staude), ein Auftritt des Kabarettisten Matthias Richling in Frankfurt und ein Konzert der Jazz-Sängerin Kristiina Tuomi.

NZZ, 05.05.2007

Für Marc Zitzmann ist das Pariser Institut du monde arabe, das gerade sein zwanzigstes Jubiläum feiert, finanziell, organisatorisch und ausstellungspolitisch bis heute ein absoluter Fehlschlag: "Gezeigt wird ausschließlich Vergangenes, und zwar nach dem Motto 'je toter, desto schöner'. Bezüge zur Jetztzeit, Fragestellungen zur Art und Weise, wie heute in arabischen Staaten Geschichte 'gemacht' wird, kehren die - im Übrigen wissenschaftlich fundierten und oft publikumsattraktiven - Ausstellungen zugunsten eines konservativ-konservatorischen Diskurses resolut unter den Teppich."

Weiteres: Klaus Bartels unternimmt einen etymologischen Ausflug zum Wort "Atmosphäre". Michael Lentz schickt einen "Brief aus der Provinz". Besprochen werden die Ausstellung "Swiss Made" mit neuester Schweizer Kunst in Wolfsburg, Wilhelm Kienzls Oper "Der Evangelimann" in Graz und Bücher, darunter die Studie "Das unsterbliche Gerücht - Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne" des Jubilars Robert Spaemann.

Die Beilage Literatur und Kunst druckt einen Vortrag des Molekularbiologen und Wissenschaftshistorikers und Derrida-Übersetzers Hans-Jörg Rheinberger ab, in dem dieser über die Kunst der Wissenschaft nachdenkt, das Unbekannte zu erforschen. Er benennt erst einmal das Ausgangsproblem, dass man immer mit dem schon Entdeckten anfangen muss: "Was mich dabei besonders interessiert, ist die Frage: Wie kommt es zu Neuem in der Wissenschaft? Es ist klar, dass die Entstehung des Neuen in den modernen Wissenschaften etwas mit dem Experiment zu tun hat. Aber wie kann man zu fassen bekommen, was da im Kern des Geschehens vor sich geht, eben dort im Dunkeln, wenn man vor den Tunnels und den Schächten früherer Werke steht? Man fängt ja nie von vorne an, sondern steht am Ende eines Weges, den andere gegangen sind. Es liegt immer schon vieles, vielleicht sogar das meiste hinter uns."

Weitere Artikel: Leopold Federmair erinnert an den japanischen Autor Yasushi Inoue, der vor hundert Jahren geboren wurde. Hoo Nam Seelmann erzählt am Beispiel Japans, "ie Kolonialpolitik legitimiert und propagiert wurde". Ludger Lütkehaus liest Gedichte des Koreaners Ko Un. Zwei Buchbesprechungen befassen sich hier und hier mit der Hirnforschung. Roman Hollenstein erinnert an den klassizistischen Architekten James Athenian Stuart (1713-1788), dem das Victoria and Albert Museum eine große Ausstellung widmet.

FAZ, 05.05.2007

Im Aufmacher stellt Julia Voss das neue Buch "Antworten" von Alice Schwarzer vor, das sich noch einmal mit zentralen feministischen Fragen beschäftigt und ab heute in der FAZ vorabgedruckt wird. "reb" glossiert neue gerichtliche Episoden um den geplanten oder zu verhindernden Bau der Waldschlösschenbrücke in Dresden. Heinrich Wefing berichtet von der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Orhan Pamuk in der Freien Universität Berlin. Jürgen Dollase lässt in seiner Gastrokolumne kein gutes Haar am Gesamtzustand der deutschen Gastronomie, nachdem wieder einmal kein einziger deutscher Koch auf der Liste der besten Restaurants der Welt genannt wurde. Niklas Maak schreibt über den Einzug der Schrift in die neuesten Gemälde Daniel Richters, dem in Hamburg eine Retrospektive gewidmet ist. Henning Ritter gratuliert dem Philosophen Robert Spaemann zum Achtzigsten. Julia Spinola gratuliert dem Pianisten und Essayisten Charles Rosen, ebenfalls zum Achtzigsten. Auf der letzten Seite erzählt Werner Spies, wie sich Pablo Picasso entschloss, sein Guernica-Gemälde für den spanischen Pavillon auf der Weltausstellung 1937 malen.

Auf der Schallplatten- und Phono-Seite verteidigt Eleonore Büning Christian Thielemanns neue Einspielung der Ersten von Brahms, obwohl er mit 18 Minuten deutlich länger für den ersten Satz braucht als zum Beispiel George Szell mit 12 Minuten und 36 Sekunden. Außerdem geht's um neue Händel-Einspielungen unter Alan Curtis, um die neue CD von Reinhard Mey, um die Band Aerogramme aus Schottland und um die Rapperin Lady Sovereign. Besprochen wird außerdem die neue Choreografie von William Forsythe in Frankfurt.

Auf der Medienseite berichtet Helmut Schwan über Schiebung in der Sportberichterstattung des Hessischen Rundfunks. Und Jürg Altwegg liest noch einmal französische Zeitschriften zum Präsidentschaftswahlkampf.

In Bilder und Zeiten bringt Verena Lueken eine Hommage auf die Fernsehserie "24" dar. Mark Siemons besucht das südchinesische Dorf Dafen, in dem sich eine ganze Branche darauf spezialisiert hat, mehr oder weniger akkurate Kopien von bekannten Gemälden für drittklassige Hotellobbys in der ganzen Welt anzufertigen. Andreas Kilb gratuliert dem Strandbad Wannsee zum Hundertsten. Niklas Maak interviewt Charlotte Gainsbourg zu ihrer neuen Platte.

Und in der Frankfurter Anthologie stelllt Peter von Matt ein Gedicht von Gertrud Kolmar vor - "Salamander

Wir wohnten fern einander
In Leibern, nicht in Herzen
Du warst der Alchimist
Ich war der Salamender (...)"

SZ, 05.05.2007

Viele herausragende Filme gab es nicht, bilanziert Jörg Häntzschel das Tribeca-Filmfestival (Website) - einen aber schon: "Ein Film strahlt heraus wie ein funkelnder Kristall: 'Taxi to the Dark Side' von Alex Gibney. Der Schock, den dieser Film auslöst, ist umso größer, als er alle Effekthascherei vermeidet. Und dass jedes Detail, das der Film in seiner bestechenden Argumentation aufführt, dem Zeitungsleser längst bekannt ist, macht den Schock nur noch größer. 'Taxi to the Dark Side' erzählt die Geschichte des afghanischen Taxifahrers Dilawar, der durch Zufall als 'Terrorist' verhaftet wurde und fünf Tage später in Bagram Air Base, dem Gefängnis der amerikanischen Einheiten in Afghanistan, an seinen Misshandlungen starb. Dieser Fall dient als Rahmen für eine messerscharfe Analyse, die erklärt, wie die Bush-Regierung Folter in den Katalog legitimen staatlichen Handelns eingeführt hat."

Weitere Artikel: Im Interview sprechen Regisseur Peter Stein und sein Hauptdarsteller Klaus Maria Brandauer über ihre Probenarbeit am "Wallenstein"-Marathon. Thomas Buchheim gratuliert dem Philosophen Robert Spaemann zum Achtzigsten. Johannes Willms informiert über Streit um Kulturpolitik im französischen Wahlkampf.

Besprochen werden ein Auftritt des Bolschoi-Balletts bei der Münchner Ballettwoche, ein Konzert mit Brahms, Widmann, Schönberg des Artemis-Quartetts in München, die Daniel-Richter-Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle und Bücher, darunter Roberto Bolanos Roman "Chilenisches Nachtstück" und Jürgen Braters "schmunzeldarwinistische" Studie "Wir sind alle Neandertaler" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Im Aufmacher der SZ am Wochenende berichtet Joachim Sartorius, Intendant der Berliner Festspiele und Lyriker, von einer Lese-Reise nach Syrien - und einem Abend, an dem der große arabische Dichter Adonis las: "Ich habe ihn schon oft lesen hören. Er war jedes Mal aufs Neue ergriffen. Es scheint mir, als habe er im Lauf der Jahre immer besser gelernt, seine Ergriffenheit selbst zu erregen, bis er sie in etwas verwandelt hat, das mir authentisch scheint. "

Weitere Artikel: Stefan Kornelius erinnert an den Reporter, Gelehrten, Müßiggänger, Kunstsammler, Frauenhelden Christian Roll. Peter Bäldle hat den neuen Issey Miyake-Desiger Dai Fujiwara besucht. Auf der Historien-Seite porträtiert Heiko Flottau den einstigen Stalinisten und späteren Kämpfer gegen den jugoslawischen Kommunismus Milovan Djilas. Vorabgedruckt wird Shalom Auslanders Erzählung "Der Krieg der Bernsteins". Im Interview auf der letzten Seite spricht der Musiker Michael Buble über "Coolness" und über seine Reaktion auf den Wunsch der Plattenfirma, seinen Nachnamen zu ändern: "Don"t you ever fucking ask me again."