Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.03.2007. In der NZZ schildert Francois Zabbal die Bestürzung vieler arabischer Intellektueller über den Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten im Irak. In der FR stellt Ian Kershaw klar: Die Deutschen sind kein Opfervolk. In der Welt fordert Wolf Lepenies ein Nachdenken über die Rolle der Geisteswissenschaften im Zeitalter des Internets. In der taz verspricht Claus Peymann, dass nach dem Kapitalismus doch noch irgendwas kommt. Die Zeit versucht sich einen Reim auf das Votum französischer Intellektueller für den konservativen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy zu machen.

NZZ, 01.03.2007

Francois Zabbal, Chef des Pariser Institut du Monde Arabe, schildert in einem interessanten kleinen Essay die Bestürzung arabischer Intellektueller und Politiker über die barbarischen Konfikte zwischen Sunniten und Schiiten: "Für Amr Mussa, den Generalsekretär der Arabischen Liga, sind es die Amerikaner, die den bösen Geist aus der Flasche befreit haben - was allerdings impliziert, dass dieser böse Geist zuvor schon existierte. Und bedeutet eine solche Haltung nicht eine Rechtfertigung a posteriori für Saddam Husseins Gewaltherrschaft - und all die autoritären arabischen Regime, die sich weiterhin um die persönliche und politische Freiheit ihrer Untergebenen foutieren?"

Weitere Artikel: Im "Phono-Spektrum" stellt Felix Meyer zwei Neuaufnahmen der Schostakowitsch-Violinkonzerte vor. Besprochen werden außerdem Aufnahmen der King's Singers und zwei Aufnahmen von Mozarts "Entführung aus dem Serail" auf DVD. Weitere Besprechungen gelten Michelle de Kretsers Roman "Der Fall Hamilton" (Leseprobe) über die Kolonialgeschichte Ceylons, Giorgio Agambens Studie "Die Zeit, die bleibt - Ein Kommentar zum Römerbrief" (mehr hier) und der Ausstellung "Auguste Rodin - Der Kuss, Die Paare" in Essen.

Welt, 01.03.2007

Wolf Lepenies fordert in einem kleinen Essay, dass Geistes- und Naturwissenschaften ihre gegenseitigen Ressentiments überwinden, und er wendet sich gegen die schon beschlossene Abschaffung der Geisteswissenschaften an der Technischen Universität Berlin: "Heute wäre über die Seele im Zeitalter des Internet nachzudenken, über den Menschen in der Ära von Google, von Web 2.0 und 'Second Life' - der virtuellen 3D-Welt, in welcher wir uns eine alternative Existenz aufbauen können. Es ist höchste Zeit, den Ort der Geisteswissenschaften in Technischen Universitäten neu zu bestimmen. Unzeitgemäß ist es, sie dort vom Platz zu stellen.

Weitere Artikel: Im Feuilleton-Aufmacher stellt Dankwart Guratzsch das 700 Meter lange "Airrail-Center" vor, das gerade am Frankfurter Flughafen entsteht und dereinst eins der größten Gebäude in Deutschland sein wird. Manuel Brug freut sich in der Leitglosse auf die heutige Übertragung der Zürcher "Zauberflöte" unter Nikolaus Harnoncourt und Martin Kusej auf 3sat, bei der man auch hinter die Kulissen blicken darf. Michael Tschernek unterhält sich mit Brian Ferry, der es zu einen Landsitz gebracht hat und die Fuchsjagd verteidigt - sein Sohn ist sogar Aktivist auf dem Gebiet. Knut Hickethier schreibt zum Tod des einstigen NDR-Fernsehspielchefs und Regisseurs Egon Monk. Josef Engels gratuliert Harry Belafonte zum Achtzigsten. Auf der Filmseite werden Richard Linklaters Film "Fast Food Nation" und Soderberghs "The Good German" besprochen. In einem Interview auf der Medienseite führt Markus Peichl, der Jury-Voritzende der in der Werbeindustrie wichtig genommenen Lead Awards, die sinkende Auflage vieler Magazine auch auf ihre Ideenlosigkeit zurück.

Auf der Magazinseite schreibt Wilfried Rott eine hübsche Hommage auf das Berliner KaDeWe, das hundert Jahre alt wird: "Elitär und doch demokratisch ist das KaDeWe gerade in seinem Herzstück, der Kulinarik. Nur ein tragischer Tod hat das samstägliche Schauspiel beendet, dass ein namhafter Mime an der Champagnerbar ehrfürchtig-staunenden Touristen unermüdlich die Welt erklärte."

TAZ, 01.03.2007

"Na sicher sind das auch meine Ansichten", sagt BE-Intendant Claus Peymann auf der Tagesthemenseite im Gespräch mit Philipp Gessler über Christian Klars umstrittene Grußbotschaft. "Es kann ja nicht sein, dass dieses kapitalistische System von Korruption und Verantwortungslosigkeit der Weisheit letzter Schluss ist. Wer einen halbwegs klaren Kopf hat, weiß doch, dass es nur eine Chance für die Zukunft gibt, wenn wir das System ändern. Das, was er sagt, ist die Wahrheit. Das amerikanisch-westeuropäische System unter Führung von George W. Bush kann nicht das Rezept für die Zukunft sein. Die westeuropäischen Demokratien haben zunehmend Probleme mit Korruption, Militarisierung und Gewaltbereitschaft - das kann doch nicht gut gehen. Das System ist bis ins Mark faul. Das weiß jeder Klarsichtige - apropos Klar."

"Niemand würde heute mehr Theorie als Lebenselixier empfinden", schreibt Alexander Camman in einer Bestandsaufnahme, zu der ihn eine Weimarer Tagung über die Universität Bielefeld inspirierte, die einst der wichtigste Theorielieferant der Bundesrepublik war. "Über Mehrwerttheorien diskutiert man nicht mehr am Frühstückstisch, schon deshalb nicht, weil man sie nicht kennt. Die große Verheißung von Veränderung, die man mit Theoriearbeit einst verknüpfte, konnte sie nicht einlösen. Die sichtbaren Umwälzungen in der westlichen Welt wurden zuletzt durch Popkultur, nicht durch Gedankenarbeit ausgelöst."

Weitere Artikel: Das Leben von zwei anderen liefert Christian Kortmann Stoff zum Nachdenken, genauer gesagt: Jan Ullrichs und Florian Henckel von Donnersmarcks zeitgleiches Passieren biografischer Wendemarken, das auf ihn wirkt "wie der Kanon einer Erfolgsdramaturgie: Denn schließlich war auch Ullrich mal ein Henckel von Donnersmarck."

Besprochen werden Phil Morrisons Spielfilmdebüt "Junebug" , Helmut Käutners Klassiker "Unter den Brücken" und Richard Linklaters neuer Film "Fast Food Nation".

Schließlich Tom.

FR, 01.03.2007

Stilisieren sich die Deutschen mit Filmen und Büchern, die an Flächenbombardement und Vertreibung erinnern, gerade zum neuen Opfervolk des Zweiten Weltkriegs? Deutsche Opfer gab es natürlich, ein Opfervolk waren die Deutschen aber nicht, sagt der britische Historiker Ian Kershaw im Gespräch mit Christian Schlüter. "Das Flächenbombardement war ein grausames, gegen die Zivilbevölkerung gerichtetes Kriegsmittel. Niemand würde das heute noch gutheißen. Gleichwohl hatte Deutschland die Möglichkeit, das zu verhindern: Bei einer frühzeitigen Kapitulation hätte es keine Bomben mehr gegeben. Die Opfer der Nationalsozialisten hatten keine Möglichkeit, ihr Leid zu beenden. Die Bombardierung unterscheidet sich daher grundlegend von den Verbrechen, die im deutschen Namen begangen wurden, übrigens nicht nur in Hinblick auf die Vernichtung der Juden, sondern auch in Hinblick auf die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten, gerade im Osten. Die Verbrechen des NS-Regimes waren ideologisch bedingt, die Bombardierung war ein, wie ich noch einmal unterstreichen möchte, grausames Kriegsmittel."

Peter Michalzik hat mit berufsbedingtem Eifer ein paar Runden auf dem Intendantenkarussel gedreht, denn bald werden wieder ein paar Schlüsselpositionen zu besetzen sein: "Richtig entscheiden kann die Politik nur, wenn sie eine Konzeption für die ihr anvertrauten Häuser hat. Woher aber soll die kommen? Vor ein paar Jahren, als ebenfalls einige Intendanzen zu besetzen waren, ging die Tendenz zum Typus Matthias Hartmann, der 2009 das Burgtheater übernimmt. Smart, integrativ, textnah, etwas zahm. Elmar Goerden und Amelie Niermeyer in Düsseldorf sind Vertreter dieser Kategorie. Heute spielt diese Tendenz offensichtlich keine Rolle mehr. Und der falsche Streit, der seit langem um das Theater gefochten wird, Blut gegen Klassizismus, nackte Haut gegen Texttreue, interessiert die Politik nirgendwo. Das möchte nur eine hochgepuschte Diskussion glauben machen."

Weitere Artikel: Christian Schlüter überlegt, warum die Debatte über Israel, die mit der Gründung der "Independent Jewish Voices" in Großbritannien begonnen hat, in Deutschland kaum aufgegriffen wurde. In Times mager erzählt Arno Widmann von einer kleinen schwarz-weiß-Debatte während der Einführung zu Rimski-Korsakows Oper "Mozart und Salieri", die am 10. März in Frankfurt Premiere hat. Auf der Medienseite beschreibt Nadja Erb mit Sorge, wie sich die ARD-Institution "Tagesthemen" durch immer dreistere Werbung zunehmend demontiert.

Besprochen werden die Ausstellung "Zerstörung der Gemütlichkeit?" über Wohnwelten des 20. Jahrhunderts im Weiller Vitra-Design-Museum, Phil Morrisons Film über eine Kunsthändlerin in der Provinz "Junebug" (den Daniel Kothenschulte als Meisterwerk feiert), Richard Linklaters Film "Fast Food Nation" und Gabor Csupos Kinderfilm "Brücke nach Terabithia".

Zeit, 01.03.2007

Im Politikteil erklärt der Philosoph Paolo Flores D'Arcais im Interview die Enttäuschung über die linke Regierung Italiens, die gerade den Beinahe-Sturz Romano Prodis verkraften muss. Statt mit den Hinterlassenschaften der Berlusconi-Ära aufzuräumen, sei munter weitergewurstelt worden: "Ein Wahlversprechen war, alle Gesetze, die auf die persönlichen Probleme Berlusconis zugeschnitten waren, rückgängig zu machen. Es wurde aber nur ein einziges kassiert - vom Verfassungsgericht und nicht von der Regierung. Es gab keine einzige Reform der Justiz. Nur eine gewaltige Strafamnestie. Da waren sich alle einig, sowohl die Rechten also auch die Linken. Denn sie haben alle in ihren Reihen Leute, die als Angeklagte vor Gericht stehen."

Die einstige französische Linke begeistert sich, von Andre Glucksmann bis Pascal Bruckner, von Alain Finkielkraut bis zum Historiker Max Gallo, für den konservativen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy - und empfindet eine ebenso heftige Abneigung gegen die Sozialistin Segolene Royal. Im Feuilleton versucht Michael Mönninger, sich einen Reim darauf zu machen : "Anders als Royal geht Sarkozy offensiv auf die Denker zu und sucht ihre Expertise. Und weil die Intellektuellen wieder nützlich sein wollen, sorgen sie dafür, dass die Rechte, die lange Zeit als geistfeindlich galt, wieder nachdenkt und Konzepte entwickelt." An Royal stört die Intellektuellen der Populismus, aber auch, mutmaßt Mönninger, ihre Beschäftigung mit dem ganzen politischen Kleinkram, mit dem sich der Intellektuelle als Vertreter des Weltgeists nicht lange aufhält: "Solche Aversionen rühren freilich auch daher, dass die Bürgerdebatten um geschlagene Frauen, Mikrokredite, Probleme mit der Sozialversicherung oder Jobsuche nichts für intellektuelle Universalisten sind, die sich von solchen Alltagsfragen überfordert fühlen."

Weitere Artikel: Der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme warnt eindringlich, dass wir, wollen wir die Erde nicht ruinieren, unsere Laufrichtung ändern müssen, und das heißt nicht weniger als "unsere Mentalitäten, Technologien, Wissenschaften, Politiken und vor allem unsere Wirtschaften und unsere Bevölkerungspolitik." Thomas Assheuer findet, dass auf Christian Klars Grußbotschaft zur Rosa-Luxemburg-Konferenz der "Schlagschatten der RAF" liegt. Im Interview spricht der Regisseur Steven Soderbergh mit gebremstem Enthusiasmus über seinen bei Kritik wie Publikum bisher wenig gnädig aufgenommenen Film "The Good German": "Sollte er gescheitert sein, kann man in 20 Jahren immerhin noch sagen, dass es wenigstens ein interessanter Versuch war." Katja Nicodemus hat die erste ökologische Oscar-Verleihung der Geschichte erlebt. Eva Schweitzer informiert über Auseinandersetzungen zwischen liberalen und konservativen Juden in Großbritannien und den USA. Den Nachruf auf den Kunstsammler Heinz Berggruen schreibt Zeit-Herausgeber Michael Naumann. Vorgestellt wird Roger Willemsen als neuer Kolumnist, der ab sofort über seine "Paradiese der Musik" schreiben darf. Er beginnt mit einer autobiografischen tour d'horizon vom Spielmannszug bis zum Jazz. Gemeldet wird, dass Feridun Zaimoglu wenig vom Gezeter seiner "tantigen Großschriftstellerdarsteller"-Kollegen über den Verkauf von Rotbuch an den Eulenspiegel-Verlag hält.

Besprochen werden Herbert Grönemeyers neues Album, das "Zwölf" heißt, weil es sein zwölftes Album ist und zwölf Songs enthält, die - wie Thomas Groß im Aufmacher findet - vom Gewohnten wenig abweichen, die neue Arcade Fire-CD "Neon Bible", Guillermo del Toros Polit-Fantasy-Film "Pans Labyrinth" und der nach Evelyn Fingers Ansicht mit den üblichen Problemen des Genres behaftete ARD-Geschichts-Zweiteiler "Die Flucht".

Im Aufmacher der Literatur-Seiten berichtet Susanne Mayer, wie sie mit dem Romanautor, Kunstessayisten, Lyriker John Berger "auf dem Motorrad in die Berge fuhr und etwas über Rhizome, Bilder und Schnapsbrennen lernte". Im Leben ruft Susanne Gaschke die "agilen" und "nervtötenden" Alten zur Mäßigung auf. Das Dossier beginnt mit einer Liebeserklärung an den Smart eine Reihe über das Auto von morgen.

SZ, 01.03.2007

Die SZ druckt die Grußworte von Christian Klar an die Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin, die vor einigen Tagen schon in der Jungen Welt veröffentlicht worden waren. Hier der Anfang: "Liebe Freunde, das Thema der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz 'Das geht anders' bedeutet - so verstehe ich es - vor allem die Würdigung der Inspiration, die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht. Dort wird nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben und darüber hinaus an einer Perspektive gearbeitet."

Dieser Brief zeigt vor allem eins: Christian Klar denkt an die Zukunft, lebt und redet aber in der Vergangenheitsform, meint Willi Winkler. "Klar klagt heute nach alter Weise die 'internationale Besitzerklasse' an, aber doch nur, weil ihm Begriffe wie Private Equity und Hedge Fonds nicht so geläufig sind. Karl Marx sprach etwas voreilig vom 'tendenziellen Fall der Profitrate' und erhoffte sich davon den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems. Bei Klar ist daraus die rhetorische Klage über die 'aktuelle Neuverteilung der Profite' geworden, über die allerdings auch bei Tagungen der Friedrich-Ebert-Stiftung offen gesprochen wird."

Die australische Schauspielerin Cate Blanchett spricht im Interview über die Dreharbeiten zu ihren letzten Filmen - "The Good German", "Babel", "Tagebuch eines Skandals" - und die Auswahl von Drehbüchern: "Ich sage jedesmal, bevor es mit einem Projekt losgeht, zu meinem Mann: Ich habe keine Ahnung, wie ich das spielen soll. Das ist die Rolle, mit der ich auffliegen werde. Ich glaube, ehrlich gesagt, genau so muss es sein. Wenn du bei einem Buch weißt, wie du die Rolle spielen sollst, sag ab - das Resultat wäre banal. Als Schauspieler muss man einen gesunden Mangel an Konsequenz haben."

Weitere Artikel: Zwei Picasso-Bilder (Bild) wurde aus der Pariser Wohnung seiner Enkelin Diana Widmaier Picasso gestohlen; die Polizei vermutet einen Auftragsdiebstahl, berichten Holger Liebs und Johannes Wilms. Günter Kowa bringt uns auf den neuesten Stand in den Auseinandersetzungen über den Umgang mit dem Bauhaus-Erbe in Dessau. Jeanne Szilit beschreibt, wie sie in einem Zugabteil mal Elfriede Jelinek nahe kam. Reinhard J. Brembeck meldet, dass Gerard Mortier Chef der New-York-City-Opera wird. Johan Schloemann hat einem museumspädagogischen Vortrag mit besonderer Mission gelauscht, wo "Bilder der Münchner Pinakotheken aus kunsthistorischer und theologischer Sicht" gedeutet wurden - unter anderem vom bayerischen Kunstminister Thomas Goppel und dem evangelischen Landesbischof Johannes Friedrich. Stephan Glietsch hat die kanadische Band Arcade Fire besucht, und gehört, wie schön die Angst klingen kann. Thomas Thieringer verabschiedet den Fernseh- und Theaterregisseur Egon Monk, der wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag in Hamburg gestorben ist.

Besprochen werden die Ausstellung "Hexenlust und Sündenfall. Die seltsamen Phantasien des Hans Baldung Grien" im Frankfurter Städel, Richard Linklaters Film "Fast Food Nation" ("Wer es unmittelbar danach schafft, einen Viertelpfünder ohne Würgreflex zu verdrücken, dem gebührt der Ronald-McDonald-Orden für abgebrühtes Kulturironikertum", warnt Tobias Kniebe), Todd Robinsons Thriller "Lonely Hearts Killers", Gabor Csupos Kinderfilm "Brücke nach Terabithia" ("Selten hat ein Kinderfilm derart eindringlich auf die Herztöne seines Helden gelauscht", schwelgt Rainer Gansera), Rene Polleschs neues Stück "Solidarität ist Selbstmord" in den Münchner Kammerspielen (man muss Polleschs Erkenntnisse schon sehr dezidiert im Hinterkopf haben, "um dem ganzen Gequarke etwas Gewinnbringendes abringen zu können!" stöhnt Egbert Tholl) und "Fünf Vorträge zu Religion und Geschichtsphilosophie für England" von Ernst Troeltsch (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 01.03.2007

Für überhaupt keine gute Idee hält Andreas Kilb Überlegungen, das Berliner Literaturfestival ab 2008 zu "biennalisieren". "Man wolle vermeiden, heißt es salomonisch aus dem Bundeskulturministerium, dass sich die Waage der Kulturförderung noch mehr zugunsten Berlins neige. Muss man das so verstehen, dass eine Kulturveranstaltung von (mindestens) nationaler Bedeutung nicht mehr angemessen gefördert werden kann, nur weil sie in Berlin stattfindet? Will der Kulturstaatsminister etwa gezielt die Regionalisierung der Berliner Kulturszene betreiben, um nicht den Neid westdeutscher Förderungsanwärter zu erregen?"

Weitere Artikel: Gerard Mortier geht mit 65 nicht in Rente, sondern in die Neue Welt, wo er sich als designierter Chef der New York City Opera schon auf Widrigkeiten gefasst macht: "Ich lege jetzt wieder meine Rüstung an und werde den Kampf aufnehmen." In der Serie zur Lage der Familie macht uns Tilmann Lahme mit der Situation des akademischen Nachwuchses bekannt. Die Musik von Tokio Hotel muss kein erwachsener Mainstream-Fan schrecklich finden - darum ist sie, so Richard Kämmerlings, "das beste Beispiel für eine längst altersunabhängige Geschmacksnivellierung im Pop". Joseph Hanimann klagt über den Diebstahl von zwei der "privatesten und intimsten" Picasso-Gemälde aus Familienbesitz. Alexandra Kemmerer war bei einer Berliner Debatte zum Thema Sterbehilfe zugegen. Andreas Rossmann war dabei, als der Star-Architekt Norman Foster in Duisburg seinen "Masterplan" zum Umbau der Innenstadt vorstellte. Dieter Bartetzko gratuliert Harry Belafonte zum 80. Martin Kämpchen meldet die neuesten Kinostatistiken aus Indien, wo im letzten Jahr nicht weniger als 1091 Filme gedreht wurden. Auf der letzten Seite stellt Beate Tröger den neuen Rotbuch-Programmleiter Olaf Irlenkäuser vor. Und Heinrich Wefing hat sich einen Abend lang durch den Berliner Politveranstaltungsbetrieb bewegt, mit Vorträgen, Diskussionen, Buchvorstellungen.

Auf der Kino-Seite gratuliert Andreas Kilb dem einstigen Filmkritiker und heutigen Film- und Fernsehregisseur Hans-Christoph Blumenberg zum 60. Geburtstag und erinnert sich an die "heroische Zeit der deutschen Filmkritik". Andreas Platthaus porträtiert den Trickfilmer Norman McLaren, dessen Werk das Berliner Arsenal jetzt in einer Retrospektive vorstellt. Michael Althen macht auf einen Kurzfilmwettbewerb im Internet aufmerksam, bei dem es eine Million Pfund für ein größeres Projekt zu gewinnen gibt.

Besprochen werden eine Bremer Ausstellung zu Paradieses-Vorstellungen aus aller Welt und ein Frankfurter Konzert, auf dem Sting Lieder John Dowlands zur Laute sang. Eine Rezension gibt es zu David Mitchells Roman "Der Wolkenatlas" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Der Politikteil bringt einen Essay des Politologen Konrad Löw, der mit einigen Zitaten nachweisen will, dass das deutsche Volk keineswegs so einig mit der Judenpolitik Hitlers gewesen sei, wie es in vielen Geschichtsbüchern behauptet werde.