Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.08.2006. Im Tagesspiegel stellen sich Abbas Beydoun und Moshe Zimmermann Fragen über die Hisbollah im Libanon. Die NZZ erzählt, wie in den USA ein Buch ganz ohne Talkshow-Auftritt, Presse-Echo und Werbung und ganz allein durchs Internet zum Bestseller wurde. Außerdem fragt die NZZ, ob der Fall Monica Ali ein Fall Salman Rushdie ist. Die SZ hätte die Bayreuther Aufführungen lieber konzertant: die Inszenierungen nerven. Die taz meint: Fidel mag gehen, der Fidelismus bleibt. Die Welt zitiert Pedro Almodovars Theorie des runden Popos.

Tagesspiegel, 04.08.2006

Im Tagesspiegel schreiben abwechselnd der libanesische Schriftsteller Abbas Beydoun und der israelische Autor Moshe Zimmermann über den Krieg im Libanon. Beydoun hatte vorgestern bezweifelt, dass sich die Hisbollahkämpfer in Wohnhäusern unter der Zivilbevölkerung verstecken. "Glaubt wirklich jemand, dass ein Vater seine Kinder bei sich in der Wohnung behält, aus der Katjuscha-Raketen abgefeuert werden? Dass kämpfende Väter sich hinter den Körpern der eigenen Kinder verstecken?" Heute fragt ihn Moshe Zimmermann: "Woher wurden die Tausenden von Raketen abgeschossen, die im Norden Israels einschlugen und Menschenleben kosteten - aus dem Nichts? Wie glaubhaft ist die Feststellung, dass es in Kafr Kana und Umgebung keine Spuren von der Hisbollah gab? Werden Zivilisten nicht doch von der Hisbollah als Schutzschild missbraucht? Ist nicht der ganze Libanon eine Geisel der Hisbollah? Und vor allem: Was haben eigentlich wir Intellektuellen unternommen, um einen Krieg zu verhindern, der zu dieser Art von Grausamkeit geführt hat?"

NZZ, 04.08.2006

"Wird Monica Ali mit 'Brick Lane' zu einem zweiten 'Fall Rushdie'", fragt Georges Waser. Die Verfilmung des Romans in der Banglatown im Londoner East End musste nach Protesten der Anwohner abgebrochen werden. Zustimmend zitiert Waser dazu die Kommentare von Pola Uddin, "der einzigen Bangalin im House of Lords. Monica Alis Buch sei 'fiction', so Uddin, und sollte als genau das gesehen werden; wer kämpfen wolle, solle sich wirklichen Ungerechtigkeiten entgegenstemmen. Zu empfehlen sind diese Worte den Demonstranten in der Brick Lane. Viele gaben zu, Alis Roman nicht gelesen zu haben. Wurden sie von einer Minorität, die sich wichtig machen will, angestachelt? Bedenkt man, wie sehr der Film 'Notting Hill' den Restaurants und Läden im gleichnamigen Londoner Stadtteil zum Vorteil gereichte, so kommt man zum Schluss, dass die Demonstranten 'Banglatown' mehr Schaden zugefügt haben als Monica Alis Roman."

Andrea Köhler sieht Glenn Greenwalds Buch "How Would a Patriot Act?" als Vorboten einer grundlegenden Umwälzung des Buchmarkts. Innerhalb von drei Monaten geschrieben und im Internet rezensiert, schaffte es das Werk zunächst an die Spitze von Amazon und schließlich der New York Times. "Die Blogger, bei ihrem Ehrgeiz gepackt, sorgten dafür, dass das Buch bei Amazon.com angezeigt wurde, noch bevor es überhaupt gedruckt war; die Firma Working Assets, die sonst nur Telefonbücher produziert, gründete kurzerhand einen Verlag und stellte die Druckerei. Dies wiederum ließ die Buchhändler aufhorchen, und innerhalb kürzester Zeit war die zweite Auflage fällig - all das ganz ohne Talkshow-Auftritt, Presse-Echo und Werbung." Der Jurist Greenwald wurde durch seinen Blog "Unclaimed Territory" bekannt. (Mehr in der Nation vor einem Monat.)

Weiteres: Matthias Messmer schickt Impressionen aus der nun achthundertjährigen Mongolei. Samuel Herzog schreibt den Nachruf auf den kalifornischen Installationskünstler Jason Rhoades, der am Dienstag im Alter von 41 Jahren verstorben ist. Die Musikfestspiele von Interlaken und Gstaad stimmen sich programmlich aufeinander ab, meldet Alfred Zimmerlin.

Auf der Medienseite gratuliert Marc Bodmer der Computerspielikone Lara Croft zum zehnten Geburtstag. Mirko Marr stellt nicht ohne Befriedigung fest, dass die Schweizer Wähler von ihren Medien offenbar noch besser informiert werden als ihre kalifornischen Pendants. Die Retrospektive der Filmfestspiele von Locarno beschäftigt sich mit Aki Kaurismäki, informiert Ralph Eue auf der Filmseite. Und Marli Feldvoss bespricht Raul Ruiz' Film über "Klimt".

TAZ, 04.08.2006

Fidel Castro mag bald der Vergangenheit angehören, der Fidelismus wird es nicht, vermutet der kubanische Journalist Reynaldo Escobar auf den Tagesthemen-Seiten. Eine verbindliche Doktrin sei schon in der Schublade. "Natürlich ist der Fidelismus, der kommt, mehr oder weniger der gleiche, der er bisher war - nur dass er weniger durch bereits gescheiterte Gesellschaftstheorien kompromittiert werden wird. Ein weiterer Unterschied ist, dass es sich jetzt um eine Blaupause für die Zukunft handelt, von der sich die Erben Castros nicht entfernen können, wer auch immer sie sein mögen. Dass es bisher noch keine offizielle Veröffentlichung der fidelistischen Doktrin gab, liegt vor allem daran, dass der Comandante keine festgezurrten Theorien mag, nicht einmal seine eigenen."

Im Feuilleton erfährt Max Dax vom Rockmusiker Greg Dulli im Interview, warum er sein neues Album im kaputten New Orleans aufgenommen hat. Und Harald Fricke stellt neue Metal-Alben vor.

Schließlich Tom.

SZ, 04.08.2006

Musikalisch waren die Bayreuther Aufführungen von "Tristan und Isolde" und "Parsifal" ganz wunderbar, findet Gottfried Knapp. Nur die Inszenierungen von Christoph Marthaler und Christoph Schlingensief nervten. Für den "Parsifal" hatte Schlingensief "die Drehbühne im Jonathan-Meese-Stil documentareif zugemüllt mit Schrottinstallationen, die absolut nutzlos sind. Über diesen postmodernen Verhau lässt Schlingensief ständig aufdringliche Rätselbilder flimmern, gegen die man sich bald physisch zu wehren beginnt. Dabei könnten Filmbilder der endlosen Melodie Wagners kongenial entsprechen. Doch der Bilderwust erstickt alle Gedanken... Wäre da nicht das wunderbare Orchester, das, wenn nicht alles täuscht, was durch die Bilderdusche ans Ohr drang, unter der Leitung von Adam Fischer einen klanglich wunderbar klaren, aber gänzlich schwulstfreien 'Parsifal' bot, wäre von diesem krampfhaft um Provokation bemühten Abend nicht viel im Gedächtnis geblieben als der Buh-Tornado für das Regieteam, den Schlingensief mit sichtlicher Zufriedenheit entgegennahm."

Weitere Artikel: Im Aufmacher schreibt Jens Malte Fischer den Nachruf auf Elisabeth Schwarzkopf, die "Sopranistin für den Connaisseur". Andrian Kreye berichtet über den neuesten Kulturkampf in den USA: Dort wurde gerade ein Gesetz erlassen, das es Jugendlichen verbieten soll, in Schulen und Bibliotheken virtuelle Internettreffpunkte wie Myspace zu nutzen um sie vor "Teeniejägern" zu schützen. Alexander Kluge spricht im Interview über das Komische und seine Salzburger Veranstaltungsreihe "Magazin des Glücks". Jens-Christian Rabe berichtet über die Tagung "Italien nach der Wahl" in Tutzing. In der Reihe "Verblasste Mythen" widmet sich Gerhard Matzig 4711, dem Kölnisch Wasser.

Besprochen werden die CD "Die Tiere sind unruhig" von Kante (für Max Fellmann der Beweis, dass in der deutschen Popkultur die Ironie der "größtmöglichen Ernsthaftigkeit" gewichen ist), Jared Hess' Film "Napoleon Dynamite" und Bücher, darunter Hubert Fichtes Band "Die zweite Schuld" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Welt, 04.08.2006

Regisseur Pedro Almodovar bekennt im Interview, dass er den Hintern seiner Hauptdarstellerin Penelope Cruz für "Volver" auspolstern ließ: "Ich habe mir diese Hinzufügung erlaubt, weil diese starken Frauen, die der Mutter Natur so nahe stehen, einfach mehr Kurven besitzen. Ich wollte, dass sie wie italienische Schauspielerinnen aus den Fünfzigern aussieht, a la Sophia Loren. Penelope besitzt sehr schöne Brüste, aber ihr Hinterteil musste rundere Formen bekommen. Weil sie als Model begonnen hat, besitzt sie ein elegantes, kultiviertes Auftreten, und weil sie die Ballettschule besuchte, bewegt sie sich leichtfüßig. Ich wollte sie aber erdnaher, deshalb musste ich ihrer unteren Körperhälfte mehr Gewicht verleihen. Ein runder Popo läuft anders als ein flacher."

Weitere Artikel: Ulrich Weinzierl erzählt in seinem Salzburger Tagebuch von einer Veranstaltung mit Martin Kusej und Alexander Kluge. Dabei ging es auch um Christoph Schlingensief: "'Sie sind mit ihm befreundet', sagt Kusej zu Kluge. Der antwortet, wie aus der Pistole geschossen: 'Man kann sich seine Freunde nicht aussuchen.'" Peter Dittmar erzählt, wie Rembrandt 200 Jahre nach seinem Tod zum holländischen Nationalheiligen wurde. Hendrik Werner kündigt der Buchbranche eine Studie mit Pulsmesser an, die den Vorlieben des Lesers auf die Spur kommen will. In der Sommerserie "Deutsche Orte" stellt Stefanie Schneider die Walhalla in Donaustauf vor. Josef Engels scheint der neuen Frisur von Michael Ballack nicht viel abgewinnen zu können. Klaus Geitel schreibt den Nachruf auf die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf. Gabriela Walde schreibt den Nachruf auf den Künstler Jason Rhoades.

Im Forum erklärt der Militärhistoriker Martin van Creveld, warum Israel den Krieg im Libanon nicht gewinnen kann, warum dies aber auch nicht nötig ist. "Erstens könnte es den Libanesen demonstrieren, in wie große Gefahr die Hisbollah ihr Land gebracht hat, und so deren Unterstützung vermindern - ein Prozess, der, sagen manche, bereits begonnen hat. Zweitens könnte es einen Sicherheitsstreifen entlang seiner Nordgrenze einrichten... Vor allem kann Israel seinen Nachbarn, insbesondere Syrien, eine Lektion erteilen, was ihnen zustoßen könnte, sollten sie Israel den Krieg erklären. Dieses Ziel könnte bereits erreicht sein. Denn trotz des Protestgeschreis hat bislang kein anderes Land auch nur den Finger gerührt, um dem Libanon zu helfen."

Besprochen werden neue Bücher und CDs zu Werken von Richard Wagner, die neue CD von Jan Delay, Werner Rügemers Buch über die Privatbank Oppenheim (Sven Felix Kellerhoff erkennt darin nur den "unseligen DDR-'Antifaschismus'..., der die seriöse Aufarbeitung der NS-Zeit so lange behindert hat"), der Film "Donnie Darko", der am Sonntag bei Vox läuft, und der Rembrandt-Block - drei Ausstellungen zu Rembrandt im Berliner Kulturforum.

FR, 04.08.2006

Mirja Rosenau schreibt zum Tod des Künstlers Jason Rhoades. Christian Schlüter schreibt zum Tod der Philosophin Iris Marion Young. In Times mager kommentiert Harry Nutt Enthüllungen des Stern, der nachwies, dass Arno Breker bis zuletzt gute Kontakte zu rechtsextremistischen Kreisen unterhielt.

Besprochen werden Bücher, darunter Arnon Grünbergs Roman "Feuerwerk" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 04.08.2006

Josef Oehrlein begleitet den Komponisten Mauricio Kagel bei einer Reise in sein Herkunftsland Argentinien, das er seit Jahrzehnten nicht betreten hatte: "Warum ist Kagel seit 1957 nur einmal, Anfang der siebziger Jahre, an den Rio de la Plata zurückgekehrt und seit dem damals vom Goethe-Institut organisierten kurzen Gastspiel nie mehr wieder? 'Man hat mich nicht gefragt', lautet seine lapidare Antwort. Kagel versucht gar nicht erst, seine lange Abwesenheit in Argentinien ideologisch zu verbrämen oder als Folge von Animositäten erscheinen zu lassen. Er bekennt, in Europa schlicht die weitaus besseren Arbeitsbedingungen gefunden zu haben."

Weitere Artikel: Gerhard R. Koch schreibt den Nachruf auf die große Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf. "jöt" glossiert die zur Zeit bei jedem "herrenlosen", in einem Bahnhof herumstehenden Koffer grassierende Aufregung. Carl Djerassi, der "Vater der Antibabypille", macht einen Vorschlag zur Antwort auf die Frage, ab wann ein Embryo ein Embryo sei. Eduard Beaucamp, der ehemalige Kunstkritiker der FAZ, verteidigt Werner Tübkes Bild "Weißer Terror in Ungarn", das neulich aus einer Ausstellung entfernt wurde, als kritisches Kunstwerk. In der Rubrik "Aus unseren Auslandsbüros" meldet Jürg Altwegg, dass der Physiker Pierre Pellerin, der 1986 behauptete, die Tschernobyl-Wolke habe ausgerechnet um Frankreich einen Bogen gemacht, in der bis heute andauernden Aufarbeitung der Affäre erneut durch eine Fälschung hervorgetreten ist. Und Jordan Mejias erzählt, das Stephen King und John Irving bei einer Benefiz-Veranstaltung Joanne K. Rowling beschworen, Harry Potter nicht sterben zu lassen.

Auf der Medienseite setzt Jörg Becker seine Serie über das Internet in China mit einem Artikel über Zensur in China und den USA fort. Auf der letzten Seite interviewt Heinrich Wefing die Neuköllner Baustadträtin Stefanie Vogelsang, die vor kurzem den Bau eines islamischen Gemeindezentrums wegen Verstoßes gegen das Baurecht untersagte. Jürg Altwegg will Roger Willemsens Kritik an der Sendung "Literaturclub" des Schweizer Fernsehens nicht zustimmen - Willemsen, der die Sendung bis vor kurzem moderierte, behauptete, es habe Druck von der Sendeleitung auf die Auswahl der zu besprechenden Bücher gegeben. Und Wolfgang Sandner porträtiert die junge Violonistin Julia Fischer, die an der Frankfurter Musikhochschule eine Professur antritt.

Besprochen werden die Wiederaufnahmen von Christoph Marthalers "Tristan"- und Christoph Schlingensiefs "Parsifal"-Inszenierungen in Bayreuth und eine Ausstellung des Fotografen Willi Moegle in Berlin.