Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.07.2005. In der SZ erklärt Anselm Kiefer, warum er im Moment noch Maler ist. In der FAZ klagt G. Ulrich Großmann vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg über den Niedergang der deutschen Kulturpolitik und ihrer Etats. Die taz porträtiert den Plattensammler und Archivar Frank Maier. In der Welt erklärt Haim Watzman, warum die Polizisten, die Jean Charles Menezes erschossen, richtig handelten. Die NZZ stellt die Palestinian Rappers vor.

TAZ, 29.07.2005

Im Kulturteil zeichnet Andreas Hartmann ein liebevolles Porträt des Plattensammlers und Archivars Frank Maier. Der sammelt Tapes und Kassetten mit obskurer Musik aus den Siebzigern und Achtzigern, musikalische Skizzen von Musikern wie Blixa Bargeld oder Gabi Delgado zum Beispiel. Für Maier "ist das der Stoff, dessen Einfluss auf die experimentelle Musik von heute kaum zu überschätzen sei. Hier komme alles her, sagt er, auch Techno, das sei der wahre Ursprung aktueller elektronischer Musik. Frank Maier erforscht Popkultur, die so noch nirgendwo historisiert wurde. Im Grunde kümmert er sich um eine Terra incognita, um Vergessenes oder Verdrängtes, sozusagen um die Geschichte vor ihrer eigentlichen Geschichte. 'In einer Zeit, in der sich Popmusik hauptsächlich selbst zitiert', sagt er, 'liegt das Neue im Entdecken des Alten.' Deswegen archiviert und digitalisiert er seit ein paar Jahren seine Tonträger und Dokumente. 100.000 Tonträger hat er allein auf seiner Website archiviert, auf der man auf Maiers eigene Erfahrungen als Extremsammler zurückgreifen und wo man sich über den Wert rarer Tonträger informieren kann." Außerdem hat er ein eigenes Label gegründet, Vinyl On Demand.

Weiteres: Gabriele Lesser schreibt zum fünfzigsten Geburtstag des Warschauer Kulturpalasts. Besprochen werden CDs der Soulsänger R. Kelly und Jamie Lidell.

Auf der Meinungsseite erklärt die stellvertretende irakische Ministerin für Menschenrechte, Aida Osseyran, warum der Irak zusammenbrechen würde, wenn die USA sich jetzt zurückzögen. "Manchmal verhalten sie sich falsch,doch die meiste Zeit verhalten sie sich richtig. Ich bin immer gegen Besatzung gewesen. Ich will Souveränität und Freiheit, und ich bin keine Marionette der Amerikaner. Aber wenn sie jetzt dort sind, ist es sicherer, als wenn sie das Land verlassen würden. Wer soll sich denn den Mördern entgegenstellen? Wenn sie das Land verlassen, wird alles zusammenbrechen."

Schließlich Tom.

FAZ, 29.07.2005

G. Ulrich Großmann vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg beklagt in starken Worten die Kürzungen in Forschungsabteilungen von historischen Museen, die für ihn den Sinn von Kulturpolitik insgesamt in Frage stellen, und kritisiert nebenbei auch die Ansiedlung des Kulturbeauftragten der Bundesregierung im Kanzleramt: "Das Hauptproblem ist der Etat. Er ist viel zu klein, um Mittelkürzungen aufzufangen, so wie es im großen Etat des Innenministers möglich war. Kürzungen schlagen daher voll durch. Nach sieben Jahren sollte man diese Entscheidung zur Debatte stellen, bevor in einer neuen Legislaturperiode alte Strukturen - in welcher Parteienkonstellation auch immer - übernommen werden."

Auf Seite 1 der Zeitung resümiert Michael Hanfeld den Stand der diversen Korruptionsaffären in Sendern der ARD: "Selbst die 'Tatort'-Kommissare haben keine weiße Weste mehr. Sowohl beim WDR in Köln als auch beim SWR in Stuttgart und beim Rundfunk Berlin-Brandenburg werden reihenweise Krimis gesperrt, weil sie geheime Werbebotschaften enthalten. Allein beim WDR liegen Produktionen im Wert von rund 75 Millionen Euro brach."

Weitere Artikel: Hannes Hintermeier schreibt einen Aufmacher über ein Klassentreffen seiner Abiturklasse nach 25 Jahren (sind alle was geworden). Dirk Schümer berichtet über einen Prozess in Rom gegen eine Abgesandte des Getty-Museums, die angeblich illegal ausgegrabene antike Kunst nach Amerika exportierte. Gerhard Stadelmaier feiert in der Leitglosse Nina Hoss als Buhlschaft im Salzburger "Jedermann". In der Reihe über deutsche Verlegerinnen porträtiert Andreas Kilb Elisabeth Ruge vom Berlin Verlag. Jürgen Kesting schreibt zum Siebzigsten des Tenors und Dirigenten Peter Schreier. Wolfgang Sandner gratuliert Mikis Theodorakis zum Achtzigsten.

Auf der Medienseite meldet Michael Seewald, dass die NBC in Deutschland einen neuen Fernsehseriensender etablieren will. Markus Theurer berichtet, dass der Abosender Premiere einen Wettkanal gründet. Und Stefan Niggemeier rätselt über den tieferen Sinn des Sommerprogramms bei RTL.

Auf der letzten Seite berichtet Andreas Platthaus über ein Treffen mit dem Popduo Pet Shop Boys, das mit tätiger Hilfe Noten könnender Musiker eine Musik zu Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" komponiert hat. Camilla Blechen fürchtet um das Verschwinden einer einst von Hans Scharoun entworfenen Bar in einer ehemaligen Berliner Galerie. Und Hannes Hintermeier lobt den ehemaligen bayerischen Kulturminister Hans Zehetmair für seine Arbeit im Rat für Rechtschreibung.

Besprochen werden eine Retrospektive der Fotografin Bettina Rheims in Düsseldorf, Wiederaufnahmen bei den Bayreuther Festspielen, Byambasuren Davaas Film "Die Höhle des gelben Hundes" und eine Ausstellung des argentinischen Malers Xul Solar in Buenos Aires.

FR, 29.07.2005

Gerd Höhler schreibt zum achtzigsten Geburtstag des griechischen Komponisten und Politikers Mikis Theodorakis. In Times Mager gibt Hein van der Werft einen Tristanakkord von Thomas Gottschalk zum besten. Besprochen wird Ian McEwans Roman "Saturday" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

NZZ, 29.07.2005

Peter Schäfer berichtet über Jugendkultur im Gazastreifen (der Artikel ist leider nicht online). "Die palästinensische Autonomiebehörde ist hier im Süden des Gazastreifens schwach, die Menschen bleiben sich selbst überlassen. Aus diesem Umfeld auszubrechen, ist in jeder Hinsicht kaum möglich. Aber Muhammad al-Fara (19) und Nadir Abu Ayish (21) fallen auf. Muhammad trägt Sonnenbrille, einen modischen schwarzen Jogging-Anzug und neue Turnschuhe. Und Nadir hat eine quietschbunte Jacke an. Man dreht sich nach den beiden um. So sieht sie aus, die Keimzelle des palästinensischen Hip-Hop aus dem Gazastreifen: P. R., die Palestinian Rappers. Über die Frage nach Konzerten in Khan Junis lachen sie. Das lasse die Gesellschaft nicht zu. 'Viele Fans haben wir in Khan Junis sowieso nicht', sagt Muhammad, der sich auch D. R. nennt, kurz für Dynamic Rapper. 'Zwanzig vielleicht. Aber in Gaza sind es mehr.' In der großen Stadt, bei freier Fahrt eine Autostunde nördlich von Khan Junis, traten sie im letzten Jahr bereits fünfmal auf. Mundpropaganda lockte Schüler und junge Studenten beider Geschlechter an. Und die waren begeistert. 'Allerdings ist es auch in Gaza nicht so leicht', erklärt Nadir. 'Bei einem Konzert warf jemand eine Granate auf den Konzertraum. Es hat aber hauptsächlich laut geknallt. Verletzt wurde niemand.' Mitgenommen hat sie der Vorfall nicht sonderlich. Wer im Gazastreifen lebt, ist Schlimmeres gewohnt."

Weiteres: Gabriella Vitiello geht durch die Räume des Madre, Neapels neues Museum für Gegenwartskunst, in die zwölf Künstler der Transavantgarde, Arte povera und konzeptionellen Kunst eingezogen sind. Sören Urbansky besuchte den Weltkongress der Osteuropa-Wissenschafter in Berlin, auf dem in vierhundert Veranstaltungen zu Geschichte, Literatur, Recht, Pädagogik oder Gender-Forschung die Forschungsergebnissen der letzten Jahre vorgestellt und debattiert wurden - "mithin die bedeutendste Bestandsaufnahme auf internationaler Bühne". Und Marc Zitzmann berichtet über harsche Kritik am Festival d'Avignon.

Besprochen werden das Tanztheaterstück "Zero Degrees" choreografiert von dem Briten Akram Khan und dem Belgier Sidi Larbi Cherkaoui Sadler's Wells Theatre und eine Ausstellung über Design und Tastsinn im Victoria & Albert Museum.

Auf der Filmseite schreibt Alexandra Stäheli über zwei Tibet-Dokumentarfilme: "Tibet - zwischen Museum und Moderne" des chinesischen Regisseurs Zhibin Fu und "Journeys with Tibetan Medicine" des Schweizers Martin Saxer. Thomas Binotto hat sich Romed Wyders Thriller" "Absolut" angeschaut und Jürg Zbinden schreibt über Michael Mayers "A Home at the End of the World".

Auf der Medienseite beschreibt der Dortmunder Journalistik-Professor Horst Pöttker die Geschichte der Nachrichtenpyramide - eine Basistechnik, wie Medien über aktuelle Ereignisse informieren - seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Stephan Russ-Mohl stellt das "Trendbuch Journalismus" vor und die Schweizer Anwälte Robert G. Briner und Clara-Ann Gordon finden es "unverhältnismäßig, den Internet-Service-Provider strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, weil seine Dienstleistungen von Dritten missbraucht werden".

Welt, 29.07.2005

Haim Watzman, der einst ein Buch über seinen Wehrdienst in Israel schrieb, denkt über die Erschießung des brasilianischen Elektrikers Jean Charles Menezes durch die Londonoer Polizei nach: "Selbstmordanschläge sind so geplant, dass sie auch dann noch mit einem kleinen Finger ausgelöst werden können, wenn der Attentäter überwältigt flach auf dem Boden liegt und von schwerbewaffneten Männern umstellt ist. Er kann trotzdem noch alles um ihn herum in die Luft jagen. Also hat der Polizist, der Menezes erschoss, etwas Furchtbares getan. Aber er hat auch das Richtige getan."
Stichwörter: Israel, Haim

SZ, 29.07.2005

Derzeit sind zwei neue Zyklen von Anselm Kiefer zu sehen: In der Londoner Galerie "White Cube" widmen sich 33 neue Werke dem russischen Futuristen Velimir Chlebnikov, in der Salzburger Galerie Thaddaeus Ropac geht es von heute an in Gemälden und Skulpturen um den Dichter der "Todesfuge", Paul Celan. Im Interview mit dem Direktor der Kunsthalle Tübingen, Götz Adriani, erklärt Kiefer, dass er eigentlich gerne Schriftsteller geworden wäre. "Aber man kann nur einer Sache auf den Grund gehen. Deswegen bin ich im Moment noch Maler."

Weitere Artikel: Jonathan Fischer porträtiert den Countrysänger Cowboy Troy ("I'm big and black, clickety-clack / and I make the train jump the track, just like that."). Der Tenor Peter Schreier, der heute siebzig wird, kündigt im Interview an, dass er "in diesem Jahr mit dem Singen aufhören" wird. Lothar Müller zum vierhundertsten Geburtstag des Dichters Simon Dach, Harvey C. Mansfield zum zweihundertsten von Alexis de Tocqueville und Eberhard Schade zum Achtzigsten von Mikis Theodorakis. Eye meldet einen Bestechungsskandal in den USA: Sony hat Programmdirektoren wichtiger Radiostationen mit allerlei Geschenken bestochen.

Besprochen werden eine Ausstellung über die Beziehung zwischen Deutschen und Österreichern, "Verfreundete Nachbarn", im Bonner Haus der Geschichte, eine Installation von Lebbeus Woods im Wiener MAK, Sven Unterwaldts Filmkomödie "Siegfried" und Bücher, darunter Helmut Koopmanns Buch über die Brüder Thomas und Heinrich Mann (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).