Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.02.2005. Der taz offenbart sich in der Ausstellung "Gegenwelten" das deutsche Nationalgefühl. Die SZ fragt auf ihrer Titelseite: "Ist der Zionismus heute der wahre Feind der Juden?" Die NZZ besucht den kolumbianischen Theaterregisseur Omar Porras. Die FR bewundert die heimtückische Freundlichkeit der Chapman-Brüder. Die FAZ stellt ein Computerspiel für Akademiker vor, die gefahrlos das Leben mit Nachwuchs proben wollen.

TAZ, 08.02.2005

Markus Woeller weiß nicht so recht, was er mit der offiziellen Antwort auf die Moma-Ausstellung, den "Gegenwelten" in der Neuen Nationalgalerie, anfangen soll. "Kanonisch ist die Schau geworden, gleichermaßen in der Auswahl vieler Highlights aus der umfangreichen Sammlung wie in der Aussparung künstlerischer Aus-, Um- und Gegenwege. Eine deutsche Gegenwelt zum amerikanischen Status quo? Zum Abschied nölt noch einmal Beuys 'Ja Ja Nee Nee' durch die Halle und trifft das Nationalgefühl aktueller denn je: gedankenlose Zustimmung und gleichzeitig nörgelnde Ablehnung."

Weiteres: Lilli Brandt lässt sich von einer Bibliothekarin die gesammelten Ausreden ihrer Kunden erzählen. In der zweiten taz brandmarkt Helmut Höge die Deutsche Bank, die trotz "glänzender Bilanzen" 6.400 Stellen streichen will. "Unmoralisch aus Prinzip und Tradition." Erbost sein reicht nicht: Christian Semler bemängelt das Fehlen einer politischen Strategie in der Antwort der SPD auf Stoibers NDP-Vorwurf.

Gerrit Bartels bespricht Wilhelm Genazinos Roman "Die Liebesblödigkeit" und fühlt sich in dessen "dezent verhangener Düsternis" ganz wohl. Die weiteren Buchbesprechungen der taz in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr.

Schließlich Tom.

SZ, 08.02.2005

In fett prankenden Lettern fragt die SZ scheinheilig im Aufmacher: "Ist der Zionismus heute der wahre Feind der Juden?". Die Frage selbst zu beantworten traut sich die Redaktion dann aber nicht, sondern lässt andere schreiben: Mit "Ja" darf der Oxford-Professor Avi Shlaim antworten: "Das zugrunde liegende Problem ist Israels illegale Besatzung der palästinensischen Gebiete seit 1967. Diese verwandelte die zionistische Bewegung von einer legitimen nationalen Befreiungsbewegung der Juden in eine Kolonialmacht und Unterdrückerin der Palästinenser."

Dagegen schreibt Shlomo Ben-Ami, Außenminister unter Ehud Barak: "All die vermeintlich wohlmeinenden Kritiker Israels sollten als erste aufschreien angesichts der monströsen Absurdität, dass mehr UN-Resolutionen Menschenrechtsverstößen in Israel gelten als in allen anderen Ländern der Welt zusammen. Sie sollten rascher auf Obszönitäten wie jene des Schriftstellers Jose Saramago reagieren, der Dschenin mit Auschwitz verglichen hat. Ein wütender Straßenkampf, in dem 23 israelische Soldaten und 52 Palästinenser starben."

Für die Medienseite porträtiert Michael Jürgs Friede Springer, deren Biografie nun die FAS-Redakteurin Inge Kloepfer geschrieben hat: "Als öffentliche Person ist sie unnahbar freundlich, vermeidet politische Gefühlsausbrüche, hat nichts gemein mit Lebensgefährtinnen großer Verstorbener, bei deren Auftritten Sympathien für das indische Ritual der Witwenverbrennungen aufkommen könnten. Die auf der Insel Föhr geborene Friesin ist sparsam statt verschwenderisch, bodenständig statt abgehoben. Ihre Geschichte, die irgendeine war, bevor sie 1967 die Geliebte des 30 Jahre älteren Tycoons wurde, hat Inge Kloepfer bis auf Ausnahmen - 'Die Tränen liefen weiter bis zum Kinn und fielen als kalte Tropfen in ihren Kragen' - kühl, nicht courthsmahlerisch, notiert."

Weiteres: Aus Dänemark berichtet Christoph Bartmann, wie sich Lars von Trier in den Wahlkampf eingeschaltet hat. Er veröffentlichte eine an den mit Rechtspopulisten koalierenden Ministerpräsidenten gerichtete Anzeige: "Lieber Anders Fogh... deine parlamentarische Grundlage ist noch immer dreckig." Till Briegleb winkt nach der ersten Moskau-Biennale für zeitgenössische Kunst ab: Echte Entdeckungen macht man man eher an Moskaus Stadtrand als bei dieser öffiziösen Schau. Aber: "Ein modernes Potemkin'sches Dorf von neun Millionen Einwohnern braucht neben Prada und Putin eben auch Pseudo-Pluralismus."

Christian Gänshirt steht staunend vor der neuen von Herzog und de Meuron entworfenen Bibliothek in Cottbus: "Rätselhaft wie ein verwunschenes Schloss erhebt sich das Gebäude auf einem Hügel. Mal wild kurvend, mal breit lagernd, mal aufragend wie ein mächtiger Turm." Alexander Menden berichtet, wie Kevin Spacey bei seinem ersten Auftritt im eigenen Londoner Old Vic-Theater als "Dampfplauderer" triumphierte. In der Zwischenzeit widmet sich Harald Eggebrecht dem traditionellen Domino.

Besprochen werden Jay Russells Feuerwehrsaga "Ladder", eine "Oliver Twist"-Aufführung an der Opera piccola in Hamburg, Tom Peuckerts Stück über Niklas Luhmann und Bücher, darunter Julian Ayestas Roman "Helena oder das Meer des Sommers", Martin Amis' Roman "Yellow Dog" und eine Studie zu den staatlichen Kunstbeziehungen unter Ludwig XIV (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 08.02.2005

Alexander Kluy rehabilitiert die Modellkünstler Jake und Dino Chapman, die in der Ausstellung im Kunsthaus Bregenz nicht nur das gewöhnliche "Schock und Oh!-Programm" bieten, sondern ihr "konzises Denken" offenbaren. Und ihre Ironie. "Über dieser Ausstellung liegt Gelächter - nicht das Publikum verspottend, sondern sanft sardonisch. Noch draußen spitzt man die Ohren, ob vielleicht aus versteckten Mikrophonen irgendwo im öffentlichen Raum dieses gluckernde Jake und Dinos-Lachen zu hören ist, ganz leise und von heimtückischer Freundlichkeit."

Weitere Artikel: K. Erik Franzen begrüßt die Absicht Polens, der Slowakei, Ungarns und der Bundesrepublik, ein "Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität" zu gründen. Michael Kohler wundert sich über das virtuelle Museum, das den Phantomschmerz der Kölner ob ihrer abgerissenen Kunsthalle deutlich macht. Matthias Glaubrecht erinnert an den Evolutionsbiologen und Wissenschaftsphilosophen Ernst Mayr, der im Alter von 100 Jahren gestorben ist. In Times mager philosophiert Andrea Roedig über den täglichen Widerstand der Dinge.

Besprochen werden Barrie Koskys Inszenierung des "Figaro" an der Komischen Oper in Berlin sowie Christoph Loys Version von Charles Gounods Oper "Faust" an der Oper Frankfurt.

Tagesspiegel, 08.02.2005

Im Tagesspiegel geben sich Dieter Kosslick, Wieland Speck und Christoph Terhechte in einem gemeinsamen Gespräch die Ehre. Das Berlinale-Trio plaudert über politische Filme, Jury-Schönheiten und darüber, wer was zu entscheiden hat. Speck: "Ich sehe das diktatorisch. Solange ich in einer demokratischen Gesellschaft lebe, muss die Kunst das Gegenteil sein." ... Kosslick: "Nach vier Jahren als Festivaldirektor behaupte ich einfach mal, dass man mit bloßem Auge auch alleine einen guten Film erkennen kann. Trotzdem: Ohne Komitee geht es nicht."

NZZ, 08.02.2005

Sabine Haupt besucht den kolumbianischen Theaterregisseur Omar Porras, der in Genf äußerst erfolgreich das Teatro Malandro leitet und nebenbei selbst auf der Bühne steht. "Die Proben dauern in der Regel sechs Monate statt der üblichen sechs Wochen, und wenn nötig spielt die Truppe auch zweimal am selben Tag. Besonders bei Dürrenmatts 'Besuch der alten Dame' ist dies immer wieder der Fall... Auch nach über hundert Aufführungen in der Romandie, in Frankreich und Lateinamerika ist der Publikumsandrang noch immer kaum zu bewältigen."

Der Rest sind Rezensionen. Besprochen werden Charles Gounods "Faust" in der Oper Frankfurt und Bücher: Jose Lezama Limas (Biografie) Roman "Inferno", der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und dem Komponisten Hans Werner Henze sowie eine Antisemitismus-Studie des Historikers Wolfgang Benz (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 08.02.2005

Nach einem Jahr Amtszeit brechen jetzt für Arnold Schwarzenegger die harten Zeiten an: Er muss Geld pumpen für seine Staatsaufgaben, berichtet Jordan Mejias. Andreas Platthaus interpretiert Tom Wolfes Interpretation von Bushs Antrittsrede in der New York Times (Wolfes Artikel findet sich im kostenpflichtigen Archiv der NYT hier). Eberhard Rathgeb schreibt zum siebzigsten Geburtstag des Volkskundlers Rolf Wilhelm Brednich. Lernt Englisch, und dann pflegt euer Deutsch, meinte Jutta Limbach in ihren kürzlich gehaltenen Berliner Lektionen, die die FAZ in einer gekürzten Fassung abdruckt. Patrick Bahners war bei der Karnevalssitzung im Bonner Pantheon-Theater: "Nichts wird eng gesehen, sofern man nur dazugehört."

Auf der letzten Seite porträtiert Verena Lueken den Vorsitzenden der Berlinale-Jury Roland Emmerich. Andreas Rosenfelder erklärt uns, warum Will Wrights Computerspiel "Die Sims" so überaus erfolgreich ist: "Tatsächlich lässt sich 'Die Sims' als demografischer Feldversuch im großen Stil betrachten: Schließlich macht das Spiel auch der akademischen Zielgruppe, deren nostalgische Ader das neueste Ergänzungspaket 'Wilde Campus-Jahre' anspricht, die Möglichkeit der Familiengründung ohne biografisches Risiko schmackhaft." Und Heinrich Wefing stellt den Entwurf für einen Neubau des BND in der Berliner Chausseestraße vor (gleich beim Perlentaucher um die Ecke).

Besprochen werden die Robert-Capa-Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau, Christopf Loys Inszenierung von Charles Gounods Oper "Faust" in Frankfurt, Ödön von Horvaths "Himmelswärts" in Stuttgart, Klaus Sterns Dokumentarfilm "Weltmarktführer" ("eine Art Leichenbeschau des Neuen Markts", meint Michael Althen), Matthias Kauls "Oliver Twist" in Hamburg und die Aufführung von Fernando de Rojas' 1499 entstandenem Stück "Celestina" in Pamplona: die Hauptrolle spielt die "bald siebzigjährige Nuria Espert. Die Stimme von Spaniens berühmtester Bühnenschauspielerin muss sich gar nicht anstrengen, um die 1600 Plätze des Saals zu erreichen. Ihre Celestina ist so böse, wie sie sein soll", lobt Paul Ingendaay.