Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.02.2004. Die FAZ bedauert die Abschaffung der Kultur beim Deutschen Städtetag. Die NZZ guckt ägyptische Fernsehprediger.  Die FR erzählt einen Schwank von der Berlinale: Wie Cate Blanchetts Kleid verschwand. Das SZ-Feuilleton ist skeptisch in Sachen Müntefering.

FAZ, 09.02.2004

Das Feuilleton dieser Zeitung ist heute sehr politisch. Die kulturelle Sphäre berührt dabei am ehesten die Leitglosse von Andreas Rossmann über die scheinbar unspektakuläre Entscheidung des Deutschen Städtetags, sein Kulturdezernat aufzulösen: "Die Kultur würde damit ihre Eigenständigkeit verlieren und als Beipack der Stadtentwicklung oder dem Sozialen zugeschlagen", kommentiert Rossmann, der eine "Marginalisierung der Kultur" fürchtet. "Wenn nun sogar der Städtetag bereit ist, dieser Entwicklung nachzugeben, diskreditiert er sich nicht nur als Vorbild gegenüber den Gemeinden, sondern schwächt auch deren Position gegenüber dem Bund in einer Phase, in der dieser seine Kulturrepräsentanz stabilisiert und ausbaut."

Weitere Artikel: Katja Gelinsky berichtet, dass die amerikanischen Bundesstaaten ihre Strafgesetzgebung mildern, weil ihnen die vielen Gefängnisse zu teuer werden. Der Politologe Wilhelm Hennis kommentiert die Installierung Klaus-Uwe Benneters als SPD-Generalsekretär und manches andere. Dirk Schümer schickt in der Serie über die Lage des Christentums im Abendland einen kenntnisreichen Artikel über die Calvinisten und all die anderen Konfessionen in den Niederlanden. Jürgen Richter fürchtet den Fall der Kirche Sankt Peter und Paul im thüringischen Weißensee. Andreas Rosenfelder kritisiert ein von der nordrhein-westfälischen SPD-Fraktion in Auftrag gegebenes Gutachten, welches das islamische Kopftuch als politisches Symbol versteht und eine Einzelfallprüfung verlangt.

Auf der Berlinale-Seite zeigt sich Michael Althen entsetzt von John Boormans Südafrika-Melodram "Country of my Skull" und einigermaßen angetan von "Monster" mit Christina Ricci und der bis zur Unkenntlichkeit entstellten Schönheit Charlize Theron (hier schön, hier hässlich).

Auf der Medienseite berichtet Matthias Rüb über den beträchtlichen Erfolg des arabischsprachigen, aber von Voice of America gemachten Radiosenders Sawa und über das Projekt eines arabischsprachigen Nachrichtensenders mit dem hübschen Namen "Al Hurra", der ebenfalls von der amerikanischen Regierung finanziert werden soll. Michael Hanfeld schreibt zum Tod des "Monitor"-Moderators Claus Hinrich Casdorff. Hanfeld meldet auch, dass die Zeit-Kinobeilage von Donnerstag (unser Resümee) ein Einzelfall bleiben soll und der Holtzbrinck-Verlag nicht daran denke, die redaktionelle Arbeit künftig outzusourcen.

Auf der letzten Seite schreibt Frank-Rutger Hausmann ein Hintergrundstück über neue Quellenfunde zum Massaker von Katyn. Hannes Hintermeier versucht sich den Erfolg des arg blutigen Thrillers "Cupido" der ehemaligen floridianischen Staatsanwältin Jilliane Hoffman zu erklären (hier ein englischsprachiger Auszug aus dem Roman). Und Jordan Mejias schreibt ein Porträt über Brigid Hughes, die die Leitung der legendären Literaturzeitschrift Paris Review übernimmt.

Besprochen werden eine Dramatisierung der "Winterreise" durch Udo Samel im Frankfurter Kammerspiel, Sebastian Nüblings "Carlos-"Inszenierung in den Münchner Kammerspielen, Lucinda Childs' Choreografie von Bartoks "Mandarin" in Mülhausen, eine Ausstellung mit Werken der "Parsuna"-Malerei des russischen 17. Jahrhunderts im Historischen Museum Moskau, das Schlingensief-Spektakel "Attabambi Pornoland" in Zürich ("'Alles zerstört! Alles kaputt! Mama!' klagt ein mit Blut und Exkrementen begossener Pudel Schlingensief und blickt traurig auf die demolierte Bühne", berichtet Martin Halter) und einige Sachbücher, darunter ein monumentaler Band über russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts (siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

NZZ, 09.02.2004

Beat Stauffer betrachtet die neuen ägyptischen Fernsehprediger wie etwa Amr Khalid, der zumindest auf der Oberfläche islamische Prinzipien mit westlichem Lebensstil zusammenbringt und damit ein Millionenpublikum erreicht. Eine Erscheinung, die sich Stauffer so schildern lässt: "Khalid ermahne die Frauen, sich zu verschleiern, fordere mit Nachdruck dazu auf, die täglichen Gebete zu verrichten und auf Alkohol zu verzichten. In Sachen Sexualmoral sei Khalid sogar sehr konservativ; Sex vor der Ehe und erst recht Homosexualität verurteile er kategorisch. Sehr innovativ sei er hingegen in seinem Auftreten, seinem Stil. Khalid verwendet in seinen Predigten und Talkshows den ägyptischen Dialekt und nicht, wie sonst üblich, das klassische Arabisch; er verzichte damit auf den ernsten, würdigen Tonfall der Al-Azhar-Gelehrten und schlüpfe stattdessen in die Rolle des älteren Bruders. Statt der klassischen Djellaba trägt der Jungprediger Anzug und Krawatte, und sein Kinn ist sorgfältig rasiert. Ebenso wichtig sind das Element der Talkshows, das Khalid in seinen TV- Sendungen eingeführt hat, sowie Bekenntnisse 'aus der Tiefe des Herzens'."

Weiteres: Marianne Zelger-Vogt unterhält sich mit Stefan Soltesz über seine Doppelfunktion als Generalmusikdirektor und Intendant in Essen. Besprochen werden eine Aufführung des "Don Karlos" in den Münchner Kammerspielen (den Rezensentin Barbara Villiger Heilig ziemlich ungefährlich fand) und Christoph Schlingensiefs "attaistisches" Welttheater im Schauspielhaus Zürich, bei dem wieder ordentlich Fettleibige, Ferkel und Federvieh malträtiert wurden und über das sich Daniele Muscionico ärgern konnte: "Fürwahr, Schlingensiefs Not ist größer als je zuvor. Sein Theater ist pure Notdurft."