Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.12.2003. In der Zeit erinnert sich Don de Lillo an eine Begegnung mit Anita Ekberg. Jetzt ist noch die Frage zu klären, ob sie's wirklich war. Die SZ bedauert die Generation X, die gerade bankrott geht. Die FR fragt: Was hat Spanien eigentlich gegen Europa? Die taz erzählt wie's war mit den streikenden StudentInnen. Die NZZ greift Marcel Reich-Ranickis Entschuldigung bei Siegfried Lenz auf.

Zeit, 17.12.2003

Im Aufmacher meditiert Don de Lillo über die Subtilitäten des Langzeitgedächtnisses: Einst kam ihm in Rom auf der Via Condotti eine berühmte, glückliche und üppige Schauspielerin entgegen - natürlich Anita Ekberg! Oder nein ... Aber lesen Sie selbst.

Ex-Kulturminister Michael Naumann, der es ja wissen muss, sowie Jörg Lau und Claus Spahn haben ein ausuferndes Gespräch mit Daniel Barenboim geführt, in dem er sich gegen die neu ins Leben gerufene Berliner Opernstiftung ausspricht und die Übernahme der Berliner Staatsoper durch den Bund befürwortet. An die Stiftung mag Barenboim wirklich ganz und gar nicht glauben: "Es ist einfach eine Lüge, dass es auch in Zukunft noch drei Häuser geben wird. Wir werden ein Haus haben mit drei Bühnen!"

Weitere Artikel: Jens Jessen schimpft, wie es ja schon Tradition ist in der Leitglosse der Zeit, auf das Fernsehen und die heuchlerischen Trauerreden seiner Macher auf die Harald-Schmidt-Show ("Die Klage über seinen Abschied ist die Klage der Opportunisten, die sich davor fürchten mit ihrem Opportunismus allein zurückzubleiben.") Thomas Assheuer bedauert in einem ganzseitigen Essay, dass dem Fallen des Sozialstaats ein Steigen der Ungleichheit korrespondiert. Petra Kipphoff flaniert durch die superreiche norwegische Kleinstadt Kristiansand, die mit ihrer Kulturstiftung Cultiva Millionen von Kronen für Kultur ausgeben kann. Konrad Heidkamp freut sich, dass der Soulsänger Al Green nach einer längeren religiösen Phase nun wieder weltliche Lieder singt. Hanno Rauterberg stellt Gruppen junger Architekten vor, die das beste aus der misslichen Lage ihres Berufsstands machen und in Gruppen wie den Anonymen Architekten in Hamburg, den Urban Catalysts in Berlin oder L21 in Leipzig über einen neuen Urbanismus nachdenken.

Aufmacher der Literaturseite ist Volker Ullrichs Besprechung von Michael Jürgs Buch über Weihnachten 1914 an der deutsch-französisch-britischen Front.

Im politischen Teil klärt uns Professor Paul Nolte über das "Hauptproblem der Unterschichten" auf: "Fast Food und TV". Nun sollen wir die armen Menschen wieder erziehen, zum Beispiel zu folgender Erkenntnis: "Jede zu Hause zubereitete Mahlzeit aus Kartoffeln und Gemüse, aus Vollkornbrot und Käse ist billiger zu haben als die Dauerernährung in Imbissbude und Schnellrestaurant." Herr Professor scheint seinen Käse bei Aldi zu kaufen?

Das Dossier handelt vom festgesetzten Diktator. In den Zeitläuften schreibt Klaus Günzel zum 200. Todestag Johann Gottfried Herders. Besprochen werden der dritte Teil der Verfilmung des "Herrn der Ringe", die Verfilmung von "Der menschliche Makel" mit Anthony Hopkins und Nicole Kidman und Elfriede Jelineks "Bambiland" in Christoph Schlingensiefs Zurichtung am Wiener Burgtheater.

SZ, 17.12.2003

Was macht eigentlich die Generation X? Sie geht bankrott, wie Oliver Fuchs von seinem Kumpel in Berlin erfahren hat: "Seltsam, denkt man nach dem Gespräch, dass die große Krise jetzt auch die Überlebenskünstler erreicht hat, die immer Geld hatten, ohne viel zu verdienen. Wir 30-Jährigen gelten seit zehn Jahren als Trendgeneration, und haben doch die ganze Zeit nie gewusst, was das sein soll, eine 'Generation', und wie sich das anfühlt: Teil davon zu sein. Jetzt, da die Wirtschaft am Boden liegt und der Sozialstaat aus dem letzten Loch pfeift, wird dieser Haufen aus atomisierten, höchst individualistischen Individuen zum ersten Mal als Verbund sichtbar. Das Band, das die 30-Jährigen verbindet, besteht aus Angst: Verarmungsangst."

Reinhard J. Brembeck erklärt, warum Hector Berlioz (mehr) selbst zu seinem zweihundertsten Geburtstag einen schweren Stand in Europa hat: "Kein Franzose kann solch eine wahnwitzig dahinrauschende Musik mögen. Die Deutschen können sich zumindest an Berlioz' immer interessanten Konzepten berauschen, auch wenn ihnen der Atheist Berlioz letztlich doch allzu diesseitig geheimnislos ist. So sind also die Engländer für Berlioz zuständig geworden, schließlich haben sie den spleen, dessen treuester Verehrer Berlioz war, auch über Europa gebracht."

Weitere Artikel: Der Politikwissenschaftler Marwan Bishara sagt für den Irak Chaos und Gewalt nach Saddams Verhaftung voraus. Regisseur Peter Jackson lässt sich von Susan Vahabzadeh erklären, wie er in seinem "Herrn der Ringe" aus Frodo ein Mädchen gemacht hat. Wolfgang Schreiber fragt, ob der Bund nicht doch die Berliner Staatsoper übernehmen mag und ob Daniel Barenboim und Peter Mussbach nicht etwas zu pessimistisch auf die Opernreform blicken. "akis" berichtet von neuem Krach um den Therapeuten Bert Hellinger, der sich für seine Familienaufstellungen immer schärferen Angriffen ausgesetzt sieht.

Jürgen Otten würde gerne wissen, ob er sich einen SACD- oder einen DVD-Player zu Weihnachten wünschen soll. Reinhard Schulz zeichnet ein kurzes Porträt des Komponisten Werner Pirchner. Peter Rumpf hofft auf deutschen Architekturexport. Die Geschäftsführerin der Stiftung Holocaust-Denkmal, Sibylle Quack, erklärt im Interview mit Sonja Zekri, warum sie geht und warum dies nichts mit dem Streit um die Degussa zu tun hat.

Besprochen werden Aufnahmen von Kleiber, Furtwängler und Thielemann mit Tschaikowsky und Beethoven und Bücher, darunter Peter Härtlings Erinnerungen "Leben lernen" und zwei Bände, die sich mit dem Mysterium Mann beschäftigen (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 17.12.2003

Was ist los mit den Spaniern, was haben sie plötzlich gegen Europa?, fragt sich Claus Leggewie und kommt nach vielen guten Gründen zu dem Schluss, dass ihnen die ganze Richtung einfach nicht passt: "Die baskische Frage ist wohl der Schlüssel für das Insistieren der spanischen Regierung auf einem Europa der Nationen und Staaten, nicht der Völker und Regionen. Zwar kommen die Autonomie der spanischen Provinzen und die administrative Dezentralisierung des Landes voran, aber die Angst vor einem Abdriften Kataloniens ist stärker geworden, das andere Regionen anstecken könnte."

Weitere Artikel: Der deutsch-arabische Kulturverein "West-östlicher Diwan" aus Berlin will in Bagdad Zentren des Kulturaustauschs sowie eine deutsche Schule einrichten und hat zu diesem Zweck zwei schöne alte Villen gemietet, berichtet Andrea Nüsse. Oliver Herwig stellt vier junge Architekten vor, die unter dem Namen PAM (Positive Architekturmafia) frischen Wind in die deutsche Architekturvermittlung bringen wollen. In Times Mager amüsiert sich Volker Schmidt über einen Schwanensee des Regiekollektivs Mattel: "Barbie spielt Odette, ihre ewige Rivalin Teresa die Feenkönigin, und natürlich ist Ken der Märchenprinz, der hier alttestamentarisch Daniel heißt." Laut einer Meldung von sy. haben haben alle Fraktionen des Frankfurter Stadtparlaments "in seltener Einmütigkeit" beschlossen, dass eine private Company von William Forsythe kein Geld von der Stadt erhalten wird. (Nur in Deutschland feuern die Unfähigen die Fähigen!)

Besprochen werden eine Ausstellung der Gemälde von Paula Modersohn-Becker zusammen mit Arbeiten der niederländischen Fotografin Rineke Dijkstra in Bremen, die Ausstellung der Fotografien von Jean Baudrillard in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum, CDs von Bernd Begemann, Funny van Dannen und Olli Schulz und Bücher, nämlich Anke Velmekes Roman "Fuga" und Peter Stamms Band "In fremden Gärten" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 17.12.2003

Auf der zweiten Meinungsseite erzählen Thilo Schmidt und Jan-Hendrik Wulf von der gestrigen Besetzung der taz durch die streikenden Berliner Studenten. Hübsch, wie es auf der Redaktionskonferenz zuging: "Die Chefredaktion, im internen Hickhack um knappe Seitenkapazität kampferprobt, zeigt sich hart: 'Ihr seid hier heute Morgen nicht die top news. Seid doch froh, dass ihr nicht Saddam seid.' Studenten: 'Wir sind hier nicht die Bittsteller, sondern wir sagen, wie das läuft heute. Hatt ich so verstanden.' Chefredaktion: 'Ihr wollt was von uns und wir wollen nichts von euch. Bei Springer wärt ihr schon am Pförtner gescheitert.' Studenten: 'Wir sind jung und kreativ.' Chefredaktion: 'Im Prinzip seid ihr ja auch ganz nett.' Kulturressortleiter Dirk Knipphals findet das weniger: 'Mit welchem arroganten Anspruch kommt ihr hier an?' Ein Vorwurf, der zurückkommt: 'Ihr seid arrogant. Ich bin hier schon von zwanzig Leuten als Kindchen bezeichnet worden.'"

Weitere Artikel: Daniel Bax weist darauf hin, dass die Bilder des verhafteten Saddam nicht in erster Linie für das deutsche Feuilleton gezeigt wurden, sondern für die Irakis, was bei ihrer Interpretation beachtet werden sollte. Für die tazzwei hat Ralph Bollmann es auf sich genommen, Aldi-Wein zu kosten. "Sollte der Autor besser verheimlichen, dass er sich mit seinen Co-Verkostern spätestens nach der fünften Flasche nur noch fragte, welches der 'weniger eklige' Wein sei - und welcher sich im 'trinkbaren Bereich' bewege?"

Besprochen werden die neue Performance von Constanza Macras "Scratch Neukölln" in Berlin und Peter Jacksons "Herr der Ringe"-Abschluss - und zwar in aller gebotenen Ausführlichkeit.

Und schließlich TOM.


NZZ, 17.12.2003

Joachim Güntner kommentiert böse die in der letzten Literaturbeilage der Welt begangene Dummheit Marcel Reich-Ranickis, der den Schriftsteller Siegfried Lenz beschuldigt hatte, Schüler in der Napola (Eliteschule der Nationalsozialisten) gewesen zu sein, nur um am Montag postwendend zu widerrufen. "Man kann viel lernen über souveräne Urteilsbildung an Reich-Ranickis Widerruf. Besonders beeindruckend sind Finale und Conclusio: 'So ist mein Irrtum, Siegfried Lenz betreffend, bedauerlich, doch letztlich, davon bin ich fest überzeugt, nicht der Rede wert', meint MRR - denn: 'Wäre Lenz weniger verschwiegen gewesen, dann wäre das nicht passiert.' Da haben wir's: Siegfried Lenz ist selber schuld. Chuzpe nennt man das wohl."

Weitere Artikel: Georges Waser berichtet über das Weihnachtsgeschäft im britischen Buchhandel: Verkaufsschlager ist "Eats, Shoots & Leaves" von Lynne Truss, ein Buch, dass "kompetent und gleichzeitig mit viel Witz" die Zeichensetzung in der englischen Sprache erklärt. Besprochen werden das "furiose Finale" der Verfilmung von "Herr der Ringe" (Homepage), die Schau Schweizer Kunst "Arte Contemporaneo Suizo" im Museo de Arte Moderno von Buenos Aires, Giacomo Puccinis "Boheme" im Genfer Grand Theatre und nicht zuletzt Bücher, darunter Nagib Machfus Roman "Der Rausch" - eine "Studie des Anpassertums", drei Romane russischer Schriftstellerinnen (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr) und der zweibändige englischsprachige Sammelband "Republikanismus: Ein geteiltes europäisches Erbe".

Welt, 17.12.2003

In der Welt beklagt sich der abtretende Ruhrtriennale-Leiter Gerard Mortier im Interview mit Stefan Keim über das Niveau der Kommunalpolitiker in Deutschland: "Viele Leute sind auf ihren Posten fest gerostet. Die pumpen lieber Geld in veraltete Strukturen, alles andere dauert unglaublich lange."

FAZ, 17.12.2003

Michael Siebler empfiehlt die Ausstellung "Bunte Götter" in der Münchner Glyptothek, welche endgültig vom Winckelmannschen Ideal der blendend weißen antiken Statue Abschied nimmt und versucht, die Farbenpracht antiker Bildhauerei zu rekonstruieren. "Was diese Ausstellung von allen bisherigen Versuchen unterscheidet, die sich mit der Wiedergewinnung der antiken Polychromie beschäftigten, ist vor allem die erstaunlich breite Basis gesicherter Erkenntnisse über die Verwendung und Anwendung einzelner Farben aus Naturpigmenten wie Malachit (Grün), Azurit (Blau), Zinnober oder Ocker sowie die Sichtbarmachung figürlicher und ornamentaler Verzierungen."

Weitere Artikel: Lorenz Jäger schreibt die Glosse über "The Baum formerly known as Christmas Tree", der nun aus Gründen der Political Correctness in den USA als "Holiday Tree" bezeichnet wird. "gina." meldet, dass das Karlsruher Museum für Neue Kunst nach einem Streit um seinen Status künftig stärker in das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) eingebunden werden soll. Hubert Spiegel stellt Urs Widmers neuen Roman "Das Buch des Vaters" vor, der in den nächsten Wochen in der FAZ als Feuilletonroman vorabgedruckt wird. Dieter Bartetzko meldet, dass in Magdeburg in der unmittelbaren Nähe des Doms ein Hundertwasser-Haus gebaut wird. Andreas Rossmann meldet, dass das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum Bilder an jüdische Erben zurückgibt. Gina Thomas schildert das Problem eines leeren Denkmalsockels am Trafalgar Square und den fortdauernden Streit um die Frage, wie er "bespielt" werden soll (eine Ausstellung in der National Gallery präsentiert Künstlervorschläge). "thoe" meldet eine der grassierenden Streitigkeiten um die Theaterfinanzierung - diesmal in Bremen.

Auf der Stilseite porträtiert Ingeborg Harms den belgischen Modeschöpfer Dries van Noten. Und Jürgen Dollase gibt dem Michelin-Führer für Deutschland nicht einen Stern: "Nach durchschnittlicher Einschätzung quasi aller Experten fehlen einige Drei-Sterne-Häuser und eine Anzahl Zwei-Sterne-Häuser. Im großzügig bedachten Ein-Stern-Bereich dagegen sind etwa dreißig Restaurants zuviel vorhanden."

Auf der letzten Seite feiert Hansgeorg Hermann die Überdachung des Athener Olympia-Stadions durch den spanischen Architekten Santiago Calatrava. Andreas Rossmann meldet, dass Jürgen Flimm, obwohl gläubiger Kölner, als Chef der Ruhrtriennale die Bewerbung der Stadt Essen zur Kulturhauptstadt im Jahre 2010 unterstützen werde. Michael Jeismann porträtiert Sibylle Quack, noch Geschäftsführerin der Stiftung für das Holocaust-Mahnmal, die nun wieder wissenschaftlich tätig werden will.

Auf der Medienseite kommentiert Michael Hanfeld die Besetzung der taz durch protestierende Studenten (und er behauptet, dass die taz vor 20 Jahren mit dem Anspruch angetreten sei, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, was natürlich falsch ist - das war vor 25 Jahren). Tobias Piller berichtet vom erfolgreichen Kampf der italienischen Zeitungsverleger gegen Silvio Berlusconis Mediengesetz. Und Patrick Bahners schreibt zum Tod des Publizisten Robert L. Bartley, der 30 Jahre lang für die Kommentare im Wall Street Journal verantwortlich war.

Besprochen werden fotografische Inszenierungen Brigitte Maria Mayers im Berliner Gebäude der Konrad-Adenauer-Stiftung (Bilder hier), eine Ausstellung über das Schaffen Marcel Breuers im Berliner Vitra-Design-Museum, der dritte Teil von Peter Jacksons "Herr der Ringe"-Verfilmung und eine nach Auskunft von Jordan Mejias verpatzte Aufführung von Berlioz' "Benvenuto Cellini"-Oper an der Met.