Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.08.2003. In der SZ malt Burkhard Spinnen die nur in der Buchbranche ausreichend gefürchtete Hölle der Vertreterkonferenzen aus. Die FR meditiert über die Wohnkultur in der arabischen Welt. Die taz hat herausgefunden, dass sich Verbrechen lohnt, zumindest in der Welt des HipHop. Die FAZ hat Ruggero Raimondi lachen hören. Und der Economist schreibt einen Offenen Brief an Dear Mr. Berlusconi.

Weitere Medien, 01.08.2003

Etwas außer der Reihe wollen wir noch auf einen Scoop hinweisen, mit dem der Economist in seiner neuen Ausgabe aufwartet: Nach monatelangen Recherchen zum Geschäfts- und Regierungsgebaren des Silvio Berlusconi veröffentlicht er nun einen Offenen Brief an den italienischen Ministerpräsidenten: "Dear Mr. Berlusconi", schreibt Chefredakteur Bill Emmot darin, "ich schreibe Ihnen, weil ich einige Fragen habe, von denen ich glaube, dass die Öffentlichkeit ein Recht hat, sie beantwortet zu bekommen." Durch italienische Gerichte sei das schließlich nicht möglich. Denn der Economist betrachte mit großer Sorge betrachte der Economist, schreibt Emmot, "wie sich Mr. Berlusconi am italienischen Volk und seiner Justiz vergeht".

Es folgen zigseitige Dossiers mit Recherche-Ergebnisse zum SME-Affäre, zur Schmutzkampagne gegen Romani Prodi, zu Berlusconis anderen Prozessen und zu seiner frühen Karriere. Mit der Bitte um Klärung einiger Details, versteht sich.

SZ, 01.08.2003

Schön, wenn im Sommer mal ein bisschen Luft ist, dann können ja auch mal andere ran. Heute erzählt gleich eine ganze Autorenschar, was es kostet, einem Buch zur Karriere zu verhelfen. Burkhard Spinnen (mehr hier) zum Beispiel führt in die Hölle der Selbstverleugnung - in die "Vertreterkonferenz": "Nüchtern betrachtet ist die VK eine habituelle Informationsveranstaltung des Verlags: man präsentiert den Vertretern das kommende Programm und diskutiert mit ihnen die anstehenden Werbemaßnahmen sowie ein paar pekuniäre Spezialfragen. Unnüchtern betrachtet, zum Beispiel aus der Position eines Autors, ist sie eine Mischung aus Spießrutenlauf und Purgatorium. Die VK führt all denen, die aus purer Lust Texte schreiben und Bücher machen (weltfremde Autoren und schöngeistige Verleger), schonungslos vor Augen, dass ihr Metier eine nicht ganz irrelevante ökonomische Komponente besitzt... Danach möchte man tot sein. Oder die Vertreter töten."

Außerdem schreibt Benjamin von Stuckrad-Barre (mehr hier) über das Erste Exemplar, Sybille Lewitscharoff (mehr hier) über Verrisse, Maxim Biller (mehr hier) über Talkshows, Jens Sparschuh (mehr hier) über Lesereisen, Katja Lange-Müller (mehr hier) über Stadtschreiber-Jobs, Albert Ostermaier (mehr hier) über Preise und Wilhelm Genazino (mehr hier) über Ramsch (alle Texte hier).

Weitere Artikel: Susan Vahabzadeh sieht das gute Blockbuster-Prinzip an seinem Ende und wünscht Hollywood mehr Leute an den Hals, "die bereit sind, alles über den Haufen zu werfen, was man in den Studios über Massentauglichkeit weiß". Ulrich Kühne meldet aus dem sachsen-anhaltinischen Nebra einen weiteren Sensationsfund: Archäologen haben dort eine 7000 Jahre altes Sonnenobservatorium entdeckt und halten es für echt. Tobias Kniebe spekuliert über Spekulationen der Bild-Zeitung zur Pop-Husche Daniel Küblböck. "jby" öffnet uns die Augen für die "Schrecken des August". Michael Struck-Schloen stellt uns einen Bayreuther Helden vor: den technischen Direktor Karl-Heinz Matitschka. C. Bernd Sucher entdeckt in Salzburg Georg Rendl.

Außerdem freut sich die Redaktion auf die Sportschau: So werden die schönsten Zitate öffentlich-rechtlicher Moderatorenkunst versammelt, erzählt Christoph Biermann die Geschichte eines Fans, erfreut sich Andreas Bernard an der schön gespannten Gestalt des Tornetzes und schließlich erinnert sich Christopher Schmidt an den Hobbykeller, an Opa und die Kollegen vom Skatverein "Herzbuben Niederrhein".

Besprochen werden David McVicars und Kent Naganos Aufführung der "Contes d'Hoffmann" in Salzburg und eine Schau der fabelhaften botanischen Aquarelle von Georg Flegel im Berliner Kupferstichkabinett. Und schließlich wird eine Auswahl von Ausstellungen im August präsentiert.

FR, 01.08.2003

Anlässlich einer Ausstellung über Wohnkulturen der arabischen Welt im Berliner Vitra Design Museum erinnert sich Alexander Kluy an seine faszinierende Erlebnisse in einem Harem: "So ist der Zugang zu bestimmten Räumlichkeiten von Verwandtschaftsbeziehung, Anlass und dem Grad der Freundschaft abhängig. Bestimmte Räume sind für Außenstehende strikt tabu und dürfen nie betreten werden. Dem Wohnen ist im Lauf der Jahrhunderte im arabischen Großraum ein anderer Stellenwert zugewachsen als in Europa. Dies zeigt schon die Bedeutung von 'haram', dem Wort für Heiligtum. Verwendet wird es sowohl für die Kaaba in Mekka, dem wichtigsten Wallfahrtsort des Islam, als auch für die im Haus gleichberechtigte weibliche Sphäre, den Harem. Wem jemals die Ehre widerfuhr, ein arabisches Haus, gar das eines Scheichs, betreten zu dürfen, wird diese Entdeckung einer ganz anderen Welt nie vergessen, vom Staunen des Europäers über die architektonisch ausgefuchsten natürlichen Belüftungs- und Klimatisierungssysteme ganz abgesehen."

Weiteres: Unter der Rubrik "Historische Semantik des Reformjammerns" holt Helmut Höge zum Rundumschlag gegen die deutsche Bourgeoisie aus. Ein einzige Ansammlung von Untertanen, "subventionierten Bauluden", und zwar seit 1448. Silke Hohmann warnt uns vor Flash Mobs, die jetzt auch in Europa ihr Wesen treiben. Dabei handelt es sich offenbar um recht harmlose Leute, die sich in teuren Hotels oder Edelboutiquen versammeln und auf Kommando klatschen oder telefonieren (mehr hier).

Auf der Medienseite liefert Karl-Otto Sattler eine bestimmt unvollständige Kasuistik der im vergangenen Jahr in Russland und der Ukraine ermordeten Journalisten.

Besprochen werden die Salzburger Festspielpremiere der "Contes d'Hoffmann", bei der für Hans-Klaus Jungheinrich allein die "lyrisch zarte, melancholisch präsente" Antonia von Krassimira Stoyanova stimmte, und Bücher, darunter Stephan Bierlings Geschichte der amerikanischen Außenpolitik, Helmut Stalder Edition von Kracauer-Feuilletons und Hermann Vinkes Porträt der holländischen Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).


TAZ, 01.08.2003

Tobias Rapp stellt fest: True crime pays - auf jeden Fall für Antoine Clark, den Herausgeber der HipHop-Zeitschrift F.E.D.S. So heißen eigentlich die Federal Agents, die Bundespolizisten, hier steht es für "Finally Every Dimension of the Streets". Seit 1999 hat Clark hunderte von verurteilten Kriminellen interviewt und ihre Story in sein Heft gebracht. Dabei fühlt sich Clark immer der Wahrheit verpflichtet: "Ich versuche beide Seiten zu sehen. Ich bin die Schweiz, verstehst Du? Neutral." Angefangen hat er mit 7.000 Dollar, mittlerweile hat das Heft eine Auflage von 100.000 Stück erreicht - ohne die Dunkelziffer der Mitleser: der Großteil der Abonnenten sitzt im Gefängnis, erklärt Rapp: "Tatsächlich hat F.E.D.S. Magazine eine ganz eigene Position ergattert in jenem schwarzen CNN, wie Chuck D das Kommunikationssystem des HipHop einmal nannte". Dieses System, "in dem sich von Stadtteil zu Stadtteil darüber verständigt wird, welcher Rapper gerade die Nase vorn hat, welche Schmuckfelgen man an seine Autos schrauben sollte und was sonst noch so passiert, ist lebendig wie eh und je."

Barbara Bollwahn plaudert mit dem kubanischen Objektkünstler Rene Francisco über Vor- und Nachteile der Mangelwirtschaft auf der Insel. Eines seiner Projekte ist die Arbeit mit den silbernen Aluminium-Zahnpastatuben, von denen jeder Kubaner eine pro Monat bekommt. Dieses Material findet Rene Francisco aus vielen Gründen interessant: "Sie haben zu tun mit leichter Formbarkeit. Das charakterisiert auch die Kubaner. Sie passen sich verschiedenen Situationen an. Tuben haben auch mit dem menschlichen Aussehen zu tun. Wird die Tube geteilt, entsteht ein Körper mit zwei Beinen. Und die Tube erinnert an einen Penis."

Weitere Artikel: Daniel Bax stellt den "Aisha-Rap" der dänischen Gruppe Outlandish vor, die zur Zeit auf allen Musikkanälen rotieren. "Auf Flimmern und Rauschen" hat Bernd Müllender im Internationalen Zeitungsmuseum Aachen medienhistorische Kuriositäten entdeckt. Besprochen wird Lloyd Bradleys "Bass Culture", das Standartwerk über Reggae. Auf den Brennpunktseiten widmet die taz der Rückkehr des Fußballs ein mehrseitiges Dossier.

Schließlich Tom.

NZZ, 01.08.2003

Die Schweiz begeht ihren Nationalfeiertag. Mehr dazu auf tell.ch. Wir wünschen würdige Zelebrationen!

FAZ, 01.08.2003

David McVicars Salzburger Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen" ist zwar ein bisschen konventionell, aber schön anzuhören, berichtet Eleonore Büning: "Festspielmäßig fabelhaft intonierten die Wiener Philharmoniker unter Leitung von Kent Nagano. Lieblicher fließende Geigen und Bratschen, samtigere Celli, betörendere Holzbläser, weicheres Blech und eine schmiegsamere Sängerbegleitattitüde sind kaum vorstellbar." Und selbst in den Nebenrollen war die Besetzung prominent: "Ruggero Raimondi stattete die Bass-Bösewichter mit angeschliffenen Tönen und chargenhafter Dämonie sowie mit geisterbahnartig dröhnendem 'Ha-ha-ha!'-Gelächter aus." Wir hätten's gern gehört!

Weitere Artikel: Mark Siemons besucht den exklusiven Berliner China Club im Hotel Adlon, vermisst allerdings die kosmopolitische Elite, die einen solchen Club frequentieren sollte. Andreas Platthaus freut sich, dass nun auch des Genom des Känguruhs, genauer des Wallabys, entschlüsselt werden soll. Heinrich Wefing ist erleichtert, dass neuerlich aufgenommene Videobilder von weißen Polizisten, die einen Schwarzen prügeln, und der anschließende Freispruch im Prozess nicht zu Krawallen in Los Angeles führten. Andreas Platthaus schreibt zum Tod des italienischen Comiczeichners Guido Crepax. Jürgen Kaube meldet, dass die Würzburger Stadtbücherei zur Bibliothek des Jahres 2003 gekürt wurde. Edo Reents schreibt zum Tod des Pop-Produzenten (und Elvis-Entdeckers) Sam Philips.

Auf der letzten Seite stellt Andras Rosenfelder neuartige Fußballwetten vor, für die neuerdings im Kicker geworben wird. Verena Lueken berichtet, dass Mykhail Baryschnikow erstens im nächsten Jahr in New York ein Tanzzentrum gründen will und zweitens in den letzten Folgen der letzten Staffel von "Sex in the City" den neuen Liebhaber von Carrie, alias Jessica Parker spielen wird. Christoph Albrecht fühlt sich von 28 Saudi-Arabien betreffenden Seiten eines amerikanischen Untersuchungsberichts, die mit Rücksicht auf die Prinzen geschwärzt wurden, gebildeterweise an das Testament von Antonius erinnert. Auf der Medienseite erzählt Andreas Rossmann, dass die geschundene Stadt Köln möglicherweise einen weiteren Prestigeverlust wird hinnehmen müssen - jetzt, wo der Privatsender RTL vielleicht nach Hürth zieht. Und Lorenz Jäger bespricht eine Dokumentation über Adorno, deren erster Teil heute in Arte läuft.

Besprochen werden Hans-Christian Schmids Film "Lichter", eine Ausstellung über den Reichsdeputationshauptschluss im Jahre 1803 in Regensburg und einige Neuerscheinungen aus der akademischen Welt (siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr).