Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.05.2003. Die FAZ glaubt nicht, dass Random House nach dem Bescheid des Bundeskartellamts noch eine Chance hat, wie vorgesehen mit Ullstein Heyne List zu fusionieren. Die FR erinnert an Maurice Wolff, den Zaren der russischen Bücher. Die taz freut sich über den Pei-Bau in Berlin. Die NZZ widmet sich dem Streit um das österreichische Kultrbudget. Die SZ hat Mitleid mit Christoph Stölzl.

FAZ, 23.05.2003

Hannes Hintermeier glaubt nicht, dass der Bertelsmann-Konzern nach dem vorläufigen, und doch so endgültig klingenden Bescheid des Bundeskartellamtes noch Chancen hat, seine Random-House-Gruppe wie vorgesehen mit den Verlagen des Springer Verlags zu fusionieren, und er spekuliert: "Da Random House im Falle eines Übernahmeverbots das Risiko trägt, könnten wieder andere Interessenten auf den Plan treten, die sich schon einmal für einzelne Unternehmen der früheren Springer-Verlage interessiert hatten, so zum Beispiel die finanzstarke schwedische Gruppe Bonniers, der in Deutschland unter anderem Piper und der 'Harry Potter'-Verlag Carlsen gehören."

Der Theologe Klaus Berger begrüßt im Vorfeld des Ökumenischen Kirchentags die klare Entscheidung des Papstes gegen ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Protestanten, denn: "Nie und nimmer wird man sich beim gemeinsamen Minimum treffen, bei schmalen Formelkompromissen, die brüchiger sind als alter Gouda. Es wird nur eine Ökumene auf der Basis des Maximums geben, in einer neuen Einheit von Theologie und Spiritualität, in einer Ergänzung von rationaler durch monastische Theologie."

Weitere Artikel: Regina Mönch fürchtet weitere drastische Einsparungen in der Berliner Kultur und Wissenschaft ("Inoffiziell sollen Kultur und Wissenschaft in Berlin in den nächsten Jahren mit etwa vierhundert Millionen Euro weniger auskommen, hundert Millionen allein würden bei Opern und Theatern gestrichen.") Niklas Maak schreibt zum Tod des Rennfahrers, Che Guevara-Freunds und Erfinders des Pantera Alejandro de Tomaso. Andreas Kilb hat in Cannes Claude Millers neuen Film "La petite Lili" gesehen und fand ihn "so französisch, dass man ihn in einen Korb mit Gänseleberpastete und Bordeauxwein packen und an die Barbarenvölker jenseits der Sauerkrautgrenze schicken möchte" (man sollte Gänseleberpastete aber nicht unbedingt mit Bordeauxwein kombinieren, finden wir). Und Ellen Kohlhaas gratuliert der spanischen Pianistin Alicia de Larrocha zum Achtzigsten.

Auf der letzten Seite liefert Andreas Rosenfelder einen Stimmungsbericht über die SPD in Köln. Felicitas von Lovenberg freut sich auf die Verleihung des Börne-Preises an George Steiner in der Paulskirche am Sonntag. Jürg Altwegg verteidigt die französische Literaturpäpstin, Josyane Savigneau, Literaturchefin bei Le Monde, gegen den Vorwurf der Korruption. Auf der Medienseite porträtiert Hannes Hintermeier die österreichische Nachrichtenmoderatorin Ingrid Thurnher.

Besprochen werden Nicholas Hytners Inszenierung von Shakepeares "Heinrich V." am Londoner National Theatre, die Uraufführung der Oper "Irma Vep" des Stuttgarter Komponisten und Lachenmann-Schüler Fredrik Zeller in Bad Schwetzingen, die Strauss-Oper "Feuersnot" am Münchner Gärtnerplatztheater, eine Edvard-Munch-Retrospektive (die bisher größte außerhalb Norwegens) in der Wiener Albertina und Sachbücher, darunter ein Buch über "Heinz Winklers Meisterküche".

TAZ, 23.05.2003

Heute wird Ieoh Ming Peis (mehr hier) Anbau zum Deutschen Historischen Museum in Berlin eröffnet. Rolf Lautenschläger freut sich, dass die deutsche Hauptstadt damit endlich auch einen Louvre hat. "Der 'Pei-Bau' erscheint neben dem Pathos barocker und klassizistischer Architektur an der Straße Unter den Linden wie ein bauliches Ausrufungszeichen voll schlichter Eleganz, radikaler Modernität und schöner Materialität, die das benachbarte Einerlei aus banalen Büro- und Abgeordnetenbauten auf die Ränge verweisen." Ralph Bollmann beklagt allerdings, dass seit Christoph Stölzls Abschied als Direktor des Museums keine "grandiosen" Ausstellungen zu sehen sind, sondern nur noch Kunstgewerbliches.

Weitere Artikel: Daniel Bax berichtet vom Weltmusikfestival "Mawazine" in Rabat, das trotz der Anschläge in Casablanca fast wie geplant über die Bühne ging. Cristina Nord wünscht sich mehr Leichtigkeit und Unerschrockenheit in Cannes.

Für die Medienseite hat Abdel Husseini eine arabische Presseschau zusammengestellt. Danach scheinen die Herrscher Arabiens nach den Anschlägen von Riad und Casablanca zu entdecken, dass im Kampf gegen den Extremismus "die Peitsche durch das Argument ergänzt werden muss".

Besprochen werden Phillip Noyce' Graham-Greene-Verfilmung "Der stille Amerikaner", das Gaststpiel "Visitors Only" der Choreografin Meg Stuart in Berlin sowie Trickys neues "Kifferalbum" "Vulnerable" (homepage und hörprobe).

Und schließlich Tom.

FR, 23.05.2003

Nicole Henneberg erinnert zum dreihundertsten Geburtstag von St. Petersburg an Maurycy Wolff, Urgroßvater von Katharina Wagenbach-Wolff, dessen Buchhandlung auf dem Newskij-Prospekt zum Zentrum des literarischen Lebens in Russlad wurde. "Das kleine, vom Laden durch eine Glaswand abgetrennte Kabinett Wolffs ist als 'Fast-ein-Club', wie der damalige Stadtkommandant schimpfte, berühmt geworden; hier debattierten Lesskow, Gontscharow und Dostojewski, auch Turgenjew kam, wenn er in der Stadt war. 'Mavrikij ist der unübertroffene Zar der russischen Bücher. Seine Armee ist gestreut von Jakutsk bis Warschau, von Riga bis Taschkent, in seinen Händen liegt das Schicksal der russischen Literatur', schwärmte Lesskow, denn Wolff gab nicht nur bis heute geschätzte, russische Standardwerke wie das Dahlsche Wörterbuch heraus, sondern ließ auch die wichtigsten Werke von Dante, Goethe, Lessing und Heinrich Heine übersetzen."

Weitere Artikel: Zum Auftakt einer neuen Serie über die Krise der Kommunen stimmt Reinhart Wustlich ein Klagelied über das Ende der Arbeit in den Städten an. Martina Meister weist in ihrem Bericht über deutsche Kulturhilfe für den Irak darauf hin, dass Deutschland als eines der wenigen Länder noch immer nicht die Unesco-Konventionen gegen den illegalen Handel von Kulturgut ratifiziert hat. Bremen hat bewiesen hat, dass Zahlungsunfähigkeit nicht zwangsläufig zu Chaos führen muss, sondern für die Parteien auch einen "paradiesischen Zustand absoluter politischer Stabilität bedeuten" kann, glaubt Andreas Schnackenburg. Petra Kohse freut sich für Bert Neumann, der als Ausstattungschef der Berliner Volksbühne den diesjährigen Berliner Theaterpreis bekommt. Verena Mayer erzählt in ihrer Gerichtsreportage von dem Fall des 34-jährigen Mario G. aus Berlin, der seinen Freund getötet hat, aber nicht weiß warum.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Werken von Franz Ackermann im Kunstmuseum Wolfsburg und Bücher, darunter Yasmina Khadras Roman "Die Schwalben von Kabul", die Gespräche Antonio Negris mit Anne Dufourmentelle in "Rückkehr. Alphabet eines bewegten Lebens", Giulietto Chiesas Schrift "Das Zeitalter des Imperiums" sowie ein Band über die Bundespräsidenten (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

NZZ, 23.05.2003

In der NZZ widmet sich Paul Jandl heute dem Streit um Österreichs Kulturbudget. Dieser war eröffnet worden, nachdem Kunststaatssekretär Franz Morak nach einem "hinreißenden Shakespeare" in Oberzeiring auf "die Qualität der Provinz" hingewiesen und eine "Trendumkehr in der Kunstförderung" gefordert hatte. Prominentestes Opfer sind bisher die Wiener Festwochen, denen der Bundeszuschuss zugunsten der Tiroler Festspiele Erl gestrichen wurden. Doch es gibt mehr Beispiele: "So etwa bekommt das traditionsreiche Wiener Künstlerhaus vom Staat kein Geld mehr und steht trotz ambitioniertem Programm am Abgrund. Das Wiener 'Depot', das in einem verdienstvollen Programm kunsttheoretische Debatten führt, ist in wenig eleganten Manövern ausgehungert worden."

Aldo Keel staunt über den "Staatsfeminismus" in Finnland. Neun von achtzehn Ministern im Kabinett sind Frauen, Premierminister und Präsident sind Frauen, 85 Prozent der finnischen Frauen sind berufstätig. "Auf dem finnischen Bauernhof galt schon immer eine partnerschaftliche Ordnung. Wirtshäuser, in denen sich die Männer abends hätten treffen können, gab es nicht. Die 'Institution Hausfrau' konnte sich nie durchsetzen, da man sie sich nicht leisten konnte."

Weitere Artikel: Roman Hollenstein hofft auf eine Renovierung des vom Bremer Architekten Carl Weidemeyer erbauten Teatro San Materno in Ascona. Samuel Herzog schreibt über die Eröffnung des neuen Schaulagers der Emanuel-Hoffmann-Stiftung bei Basel: "Von einem ehrfürchtigen Schaudern werden ... auch jene Kunstbetrachter gepackt, die sich aus professionellen Gründen das Kopfschütteln längst abgewöhnt haben - spätestens wenn sie vor die Fassade treten, die wie eine riesige Delle trapezförmig in den Körper eingesenkt ist." Joachim Güntner meldet das Ende des Streits um den Goethe Nachlass in Weimar. Hans Bernhard Schmid war bei einem Vortrag des Philosophen und Politikers Gianni Vattimos in St. Gallen. Besprochen wird eine Ausstellung über Freuds verschwundene Nachbarn im Freud-Museum.

Auf der Filmseite belegt Alexandra Stäheli die Nachtseite der Postmoderne mit Zitaten aus "Matrix Reloaded". Zit. berichtet vom Umbruch in der französischen Filmwirtschaft. Besprochen werden Heinz Bütlers Film über Henri Cartier-Bresson, Edith Juds Dokumentarfilm "Dieter Roth" und Todd Haynes "Far from Heaven".

SZ, 23.05.2003

Auch heute war die SZ um neun Uhr noch nicht im Netz, deswegen fassen wir sie unverlinkt zusammen.

Petersburg (mehr hier) feiert heute seinen dreihundertsten Geburtstag. Mit "gewohnter Rücksichtslosigkeit" hat Präsident Putin dafür die "Provinzschönheit zur Gastgeberin der Weltpolitik" gewandelt. Den Kritikern und erbitterten Bewohnern gibt Sonja Zekri mit auf den Weg: "Sie haben die Stadt nicht verstanden. Nie ist sie sich selbst näher als in solchen Momenten brutaler Neuerschaffung... So oft und gründlich hat dieser Ort seine Identität gewechselt, dass Solschenizyn unlängst anregte, man könne ihn doch jetzt mal 'Newgorod' nennen, und der gebürtige Leningrader Boris Groys behauptet, eigentlich existiere die Stadt gar nicht. Sie ist nur ein Fiebertraum."

Zur Eröffnung von Ieoh Ming Peis Erweiterungsbau des Deutschen Historischen Museums erinnert sich Ulrich Raulff wehmütig an die Zeiten, als Christoph Stölzl dort Direktor war und aufs Berliner Bürgertum setzte. Nach einem Jahr als CDU-Chef in Berlin ist Stölzl eines besseren belehrt: "Es war sein Jahr in der Schweinebucht. Und je 'offer the record', um so offener seine Rede, um so unverhohlener der Ekel, der zum Ausdruck kommt, wenn er über die vergangenen 400 Tage spricht: Ein Jahr unter Lügnern und Betrügern. Es muss hart gewesen sein. Berufspolitiker, sagt er, leben ihre Idiosynkrasien aus, da kann die Welt untergehen, sie führen ihre Machtkämpfe." Was bei SZ-Journalisten natürlich ganz anders ist.

Weitere Artikel: Jens Bisky widmet sich der "erfolgreich gescheiterten" Topographie des Terrors, die nurmehr die "prominenteste Projektruine" Berlins ist. Susan Vahabzadeh schreibt aus Cannes zu Filmen von Denys Arcand, Max Färberböck und Errol Morris. Oliver Fuchs und Thomas Urban blicken erwartungsvoll nach Riga, wo morgen der Grand Prix stattfindet. "Die Frage ist: Werden Lena Katina und Yulia Volkova von Tatu wie angekündigt auf offener Bühne onanieren und Gummidildos als Mikrofon benutzen?"

Juli Zeh hat sich für die Reihe "Deutschland extrem" bei den Sorben in und um Bautzen umgetan. Christiane Schlötzer berichtet, dass die Türkei ihre Schüler Aufsätze über den "Kampf gegen die grundlosen Völkermord-Behauptungen" schreiben lässt. Rudolf Schmitz verabschiedet den Frankfurter Portikus. Jörg Häntzschel meldet, dass Rio de Janeiro seine Zahlungen für das geplante Guggenheim-Museum eingestellt hat. Thomas Steinfeld meldet, dass sich Thüringen und die Familie Sachsen-Weimar über eine Entschädigung geeinigt haben. Dorothea Baum wirbt für die Versteigerung von Beckmann-Gemälden in Berlin. "E.B." kündigt eine Christie's-Auktion von Goldschmiedearbeiten der Sammlung Gutmann an.

Besprochen werden Bücher, darunter Studien zur Seele Petersburgs, zu deutschen Schriften zum Islam und Hitlers Schloss in Posen sowie Kinderbücher (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).