Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.01.2003. Die FAZ ist sich einig mit Graf Lambsdorff über die schwierige Lage. In der NZZ spricht der frühere polnische Außenminister Bronislaw Geremek über "Polens Heimkehr nach Europa". Die taz erzählt die Zeitgeschichte eleganter Posen auf dem Fahrrad.

FAZ, 06.01.2003

Souad Mekhennet berichtet auf der Medienseite, dass im arabischen Sender Al Dschazira eine Dokumentation über den "Holocaust und die arabischen Opfer" lief. Der Filmautor Aktham Suliman, Deutschlandkorrespondent des Senders, so zitiert ihn Mekhennet, "wolle 'versuchen, diese Vergessenen lebendig zu machen.' Die arabischen Opfer der Nazis seien gleichsam 'zweimal gestorben': einmal physisch, als sie vernichtet wurden, und dann, weil ihrer nicht gedacht werde." 350 Namen von arabischen KZ-Insassen sind bekannt. 40 bis 60.000 arabische Zwangsarbeiter soll es gegeben haben. Mekhennet behauptet sogar, dass Araber in den Gaskammern umgebracht wurden.

Hans D. Barbier und Frank Schirrmacher unterhalten sich mit Graf Lambsdorff. Alle sind sich einig. Die Bundesrepublik hat sich in eine schwierige Lage manövriert. Lambsdorff drückt es so aus: "Wer Sicherheit auf Kosten von Freiheit will, hat am Ende weder Freiheit noch Sicherheit. Wann das sein wird, weiß ich nicht. Ich fürchte, oder soll ich sagen: ich wünsche, dass erst die Not etwas wendet. Und ich fürchte, dass das kommende Jahr ein schwieriges, um nicht zu sagen schlimmes Jahr werden wird."

Weitere Artikel: Christian Geyer beklagt die "weltfremde Genethik des Ethikrats". Timo John stellt die Erweiterung der Stuttgarter Staatsgalerie vor. Dieter Bartetzko gratuliert dem Schweizer Kabarettisten Emil Steinberger zum Siebzigsten.

Auf der letzten Seite schildert Annett Busch ein Treffen senegalesischer und kubanischer Musiker in Havanna. Dieter Bartetzko lobt die Weisheit der Luzerner, die ihre 1994 abgebrannte Kapellbrücke aus dem 14. Jahrhundert nicht als altneue Fälschung, sondern mit Lücken restaurieren. Andreas Kilb schildert den Erfolg eines Films über den ersten chinesischen Kaiser Chi'in Shi Huang Ti in den chinesischen Kinos. Auf der Medienseite stellt Sandra Kegel den französischen Vierteiler über Napoleon vor, dessen eerster Teil heute Abend im ZDF anläuft.

Besprochen werden eine Ausstellung mit den fotografischen Schätzen der Österreichischen Nationalbibliothek, eine Ausstellung der Künstlerin Jessica Stockholder im Duisburger Lehmbruck-Museum, die Ausstellung "Alle Zeit der Welt" im Mannheimer Technikmuseum und eine Ausstellung der Malerin Sue Williams in der Wiener Secession.

NZZ, 06.01.2003

Der polnische Historiker, frühere Solidarnosc-Berater und Außenminister Bronislaw Geremek spricht im Interview mit Gerhard Gnauck über "Polens Heimkehr nach Europa", den "Rio Grande" von Pommern und darüber, warum die EU-Gegner immer stärkeren Zulauf erhalten: "Es gibt keine Modernisierung ohne gesellschaftliche Kosten. Die Umwälzung seit 1989 hat vielen das Gefühl gegeben, dass der Gewinn dieses Prozesses nicht gerecht verteilt wurde. Es gibt riesige soziale Unterschiede. Es ist den Reformern nicht immer gelungen, das Klima Ludwig Erhards zu schaffen, der eine freie Wirtschaft mit einer Sozialpolitik verband, die die sozialen Härten milderte. Das Zweite ist die spezifisch polnische Erfahrung: 120 Jahre der Teilungen, der Angriff Nazideutschlands, die sowjetische Vorherrschaft. Und soll jetzt die gerade gewonnene Souveränität schon wieder abgegeben werden?"

Von einem "Glücksfall genutzter Internetmöglichkeiten" schwärmt Paul Jandl und meint damit das Projekt "Österreichische Literatur im Exil seit 1933", eine Sammlung von Aufsätzen, Texten und multimedialen Elementen von und zu Klüger, Broch, Musil, Franz, Polgar, Canetti und anderen. Gerhard Brunner, von 1976 bis 1990 Ballettdirektor der Wiener Staatsoper, erinnert sich an den vor zehn Jahren gestorbenen "tatarischen Tänzer" und Choreografen Rudolf Nurejew: "Nichts an ihm war edle Blässe, Blaublütigkeit, alles Farbe, Feuer, Furor."

Irene Binal hat mit dem ivorischen Schriftsteller Ahmadou Kourouma (mehr hier oder hier) über seinen neuesten Roman "Allah muss nicht gerecht sein" gesprochen, der das Schicksal von Kindersoldaten in Afrika behandelt. Und "her" gibt einen Vorgeschmack darauf, was die Schweiz auf der Biennale in Venedig bieten wird.

Besprochen werden eine Ausstellung zum Frühwerk Emil Noldes in der Städtischen Galerie Karlsruhe und Bücher, darunter der Gedichtband "Brauchst du den Schlaf dieser Nacht" von Evelyn Schlag (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 06.01.2003

Helmut Höge erzählt uns eine kleine Zeitgeschichte des Fahrrads: von seiner entscheidenden Bedeutung während der französischen Resistance bis zu den widerstandslosen Fahrradkurieren der heutigen Zeit. Wichtig für die Widerstandskämpfer sei das Fahrrad in dem Moment geworden, als während der deutschen Besatzung sämtliche Autos von den Nazis konfisziert worden seien. Doch Höge hat auch andere, weniger kriegerische Töne in den Berichten vernommen: "Es mussten zwei Leute sein; Simonetta und ich fuhren also los. Die Fahrt beginnt vor der schiefen Fassade von Santa Sofia, wo wir verabredet waren. Es war am Morgen; Simonetta sportlich elegant; ein schönes Damenfahrrad mit Aluminiumfelgen und eine Pose auf dem Fahrrad, in der die Quintessenz sportlicher Grazie steckt. Die Pose hatte sie selbst erfunden; später verbreitete sie sich in ganz Italien, und die Leute, die für so was einen Blick haben, verbinden sie, glaube ich, mit den italienischen Mädchen der Nachkriegszeit. Die englischen Mädchen saßen in den ersten Nachkriegsjahren ganz anders auf ihren Fahrrädern; ihre Pose war auch schön, das muss man sagen; aber die italienische Pose war unvergleichlich moderner. Erfunden von Simonetta" - der Partisanin.

Weitere Artikel: Robert Hodonyi stellt das Album "Black & Proud" vor, einen Sampler, der dem politischen Soul rund um die US-amerikanische Black-Panther-Bewegung gewidmet ist. Stefan Kuzmany berichtet über das Phänomen Steve O., der das Prinzip der Sendung "Jackass" - "eine Art verschärftes 'Pleiten, Pech und Pannen', ohne Max Schautzer" - in nicht sendetauglicher Manier aufgegriffen und daraus ein Video gemacht hat. Bleibt die Frage: Hat der Mann ein "metamediales Konzept"? Und auf der Seite Interkulturelles stellt Aimee Torre Brons chinesische Einwanderer in Peru vor.

Und schließlich TOM.

FR, 06.01.2003

Kerstin Grether kann die Aufregung um die Veröffentlichung von Kurt Cobains Tagebüchern nicht so recht verstehen, schließlich gibt es schon jede Menge online geführte Popstar-Tagebücher - deren Schreiber allerdings kaum lebendiger scheinen als der tote Kurt Cobain. Grether zitiert Fred Durst, Alicia Keys, Xavier Naidoo, Chuck D., Marilyn Manson und Pink.

Weitere Artikel: Stefan Koldehoff berichtet über die Kunststiftung Oskar Reinhart, die nun als erstes Schweizer Bundesmuseum unter dem Verdacht steht, Beutekunst aus dem Zweiten Weltkrieg in ihrem Besitz zu haben. In Times mager fordert Adam Olschewski, dass man die Heidi Klums dieser Welt verhindern solle - um die Sprache zu retten. Und schließlich wird der Tod von Stumfilmstar Mary Brian gemeldet.

Besprochen werden die Ausstellung "Heaven of Delight" des belgischen Künstlers Jan Fabre im Antwerpener Modern Art Center und Bücher: Alexander Gaulands "Anleitung zum Konversativsein", drei Bücher über die sowjetische Raumfahrt und zwei Studien über das Frauen-KZ Ravensbrück.

SZ, 06.01.2003

Die Bayern begehen einen ihrer zahllosen Feiertage.Wir gratulieren.