Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.11.2002. Die SZ stellt den Bewerber für das Amt des nächsten irakischen Staatspräsidenten vor: General Najib al-Salhi. Herfried Münkler überlegt in der FR, ob die USA mit einem Krieg gegen den Irak vielleicht nur die notorische Entwicklungsblockade der muslimischen Welt beseitigen wollen. Mit und in der FAZ hofft der Physiker Wolfgang M. Heckl auf eine Diskussion über die Nanotechnologie.

SZ, 29.11.2002

Einem ganz besonderen Bewerbungsgespräch durfte Andrian Kreye in New York zuhören: Der Job-Anwärter hieß General Najib al-Salhi, sein Berufswunsch lautet irakischer Präsident. "Die Zeit bis zum Angriff wird dem General quälend lang erscheinen. Vorerst lebt er in Washington. Da plagt ihn das Heimweh. Doch er wird in den USA bleiben müssen, um sich bei Gesprächen wie diesen gegen seine Konkurrenten zu behaupten. Denn letztlich entscheidet nicht das irakische Volk über die Zukunft seines Landes, sondern Männer wie der schweigsame Oberst der Marines, ein Mann mit grauem Bürstenschnitt und den kantigen Gesichtszügen eines Karriereoffiziers."

Die Forderungen an Bundeskanzler Schröder, angesichts der desolaten Haushaltslage eine Blut,-Schweiß-und-Tränen-Rede a la Winston Churchill zu halten, hält Gustav Seibt gelinde gesagt für unangebracht. "Gerhard Schröder soll also vor den deutschen Bundestag treten, noch blasser und fleckiger im Gesicht als letzthin schon, und er soll unter einem bedröppelt über den Bart starrenden Thierse anheben: 'In dieser Krise möge man es mir nachsehen, wenn ich zu diesem Hause nur in aller Kürze spreche ...'"

Weitere Artikel: Jürgen Berger versucht zu verstehen, warum das Theater Freiburg trotz großen Erfolgs vielleicht bald geschlossen wird. Peter Laudenbach stellt die türkische Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar (mehr über die Bachmann-Preisträgerin hier) vor, die seit 1976 in Deutschland lebt und schreibt und jetzt in Berlin zur Theaterfigur wird. Fritz Göttler schreibt zum Tod des Film- und Theaterregisseur Karel Reisz und verabschiedet zudem Wolfgang Preiss, den preußischen Gentleman des Kinos. Volker Breidecker erinnert an den Maler und Schriftsteller Carlo Levi. Jonathan Fischer lässt uns von den Präsidentschaftsplänen des amerikanischen HipHop-Moguls P Diddy, ehemals Puff Daddy, wissen. Stefan Koldehoff ruft uns dagegen in Erinnerung, wie auch heute noch Geschäfte mit enteigneter Kunst aus dem Dritten Reich gemacht werden, etwa heute und morgen in der Villa Griesebach in Berlin. Susan Vahabzadeh sinniert über die Zugkraft von George Clooneys nacktem Hintern. Und Claus Koch liefert seine Noten und Notizen.

Auf der Medienseite ist Hans Leyendecker klar geworden, dass Jürgen Möllemann sich längst nicht mehr selbst inszenieren muss. Mittlerweile haben das die Medien übernommen.

Besprochen werden "A little Deeper", das neue Album von Ms Dynamite und Bücher, darunter ein Bild- und Erzählband über Afrika, Wilhelm Hauffs Märchen als Hörbuch oder die Tagebücher und Briefe der Frankenstein-Schöpferin Mary W. Shelley (mehr hier) und ihres Mannes Percy B. Shelley (mehr hier) (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

TAZ, 29.11.2002

Mit der zweiten Entlassungswelle bei FAZ und FAS (insgesamt werden noch einmal etwa 60 Redakteure entlassen) nimmt Stefan Kuzmany auf der Medienseite "Abschied von der Generation FAZ". "Es sind wohl hauptsächlich die Jungen, die jetzt gehen müssen. Viele von ihnen hat man erst vor anderthalb Jahren zum Blatt geholt, um die FAZ fit und hip zu machen. Florian Illies war die Leitfigur, Illies stand für alles, was die Zukunft der FAZ sein sollte: jung, populär, konservativ. In welchem Ausmaß die neue Generation FAZ von der aktuellen Entlassungswelle betroffen sein wird, ist zwar noch nicht klar. Gesiegt haben aber die, die immer wollten, dass alles so langweilig bleibt, wie es war."

Feuilleton: SM gibt Tipps zum Weihnachtsbaumkauf. Besprochen werden die Faksimile Ausgabe der Tagebücher von Kurt Cobain (hier ein paar Bonmots aus dem Inhalt), Neil LaButes Kostümfilm "Besessen", der Debütfilm des jungen chinesischen Regisseurs Liu Hao "Chen Mo und Meiting" und die neuen Alben von Audioslave, Foo Fighters, und Pearl Jam. Christoph Wagner stellt zum Abschluss die amerikanische Indieband Low vor, die demnächst durch Deutschland tourt.

Und schließlich TOM.

FR, 29.11.2002

Nochmal von vorne: Warum wollen die USA nun eigentlich Krieg führen gegen den Irak, fragt sich der Politikwissenschaftler Herfried Münkler und verwirft nacheinander alle herkömmlichen Erklärungen wie Massenvernichtungswaffen, Terror oder Öl. "Immerhin", schreibt er optimistisch, "es könnte auch sein, dass die USA die notorische Entwicklungsblockade der muslimischen Welt, die sicherlich eine der wichtigsten Ursachen für die politische Instabilität der gesamten Region und deren Anfälligkeit für fundamentalistische Ideologien ist, in Irak aufzulösen versuchen, und zwar durch die Installierung eines Regimes, das unter Nutzung der natürlichen Reichtümer des Landes ökonomische Prosperität und politische Stabilität miteinander verbindet."

Weitere Artikel: Elke Buhr begrüßt den Nirvana-Sänger Kurt Cobain (offizielle Homepage) in den Reihen der Großen der Literaturgeschichte. Eckhard Henscheid verleiht Rudolf Augstein feierlich den Wahrwort-Preis der FR - für dessen historische Bescheidenheit. Krystian Woznicki kennt die nächsten Mieter im Palast der Republik - der legendäre Berliner Club WMF, der das Umziehen zum Konzept gemacht hat. Stefan Keim meldet sich vom Bestentreffen der deutschsprachigen Off-Theater. Burkhard Brunn erinnert an den Maler und Sozialromantiker Carlo Levi (Kurzbiografie), der heute 100 Jahre alt geworden wäre. Peter W. Jansen trauert um Karel Reisz (mehr hier), Filmregisseur und Mitbegründer des "Free Cinema". Gemeldet werden der Tod des Schauspielers Wolfgang Preiss (mehr hier) sowie zwei Auszeichnungen: William Forsythe erhält den Bayerischen Theaterpreis, Inge Deutschkron (mehr hier und hier) bekommt die Varnhagen-Medaille.

Auf der Medienseite berichtet Jürgen Roth ungläubig von einer Posse, wie es sie nur in Bayern gibt. Günther Beckstein will den bekannten Radio-Reporter und Namensvetter Günther Koch aus dem Bayerischen Rundfunk entlassen, wenn dieser bei den Landtagswahlen kandidiert - für die falsche Partei, die SPD.

Besprochen werden Oliver Hirschbiegels Film "Mein letzter Film" und als CD der Woche, "Under Construction" von Missy Elliott.

NZZ, 29.11.2002

Geburtstagsartikel, Nachrufe und Rezensionen heute in der NZZ: Franz Haas erinnert an den 100. Geburtstag des Schriftstellers Carlo Levi, dessen Roman "Christus kam nur bis Eboli", wie Haas schreibt, "Generationen von Gymnasiasten eine Ahnung von der Kluft zwischen Nord und Süd im eigenen Land verdanken". Rüdiger Görner gratuliert dem Erzähler Wilhelm Hauff zum 200. Geburtstag. Marli Feldvoss schreibt zum Tod des Regisseurs Karel Reisz ("Die Geliebte des französischen Leutnants"), und "hmn." liefert einen Nachruf auf den früheren Chef der Luzerner Musikfestwochen, Othmar Fries.

Besprochen werden die John Constable-Ausstellung im Pariser Grand Palais, die der Maler Lucian Freud zusammengestellt hat, eine Aufführung von Dvoraks "Stabat Mater" in Zürich sowie die Zeitschrift "Rechtsgeschichte" des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte. Auf der Filmseite gratuliert Andreas Maurer James Bond zum vierzigjährigen Dienstjubiläum, besprochen werden die Filme "Die Another Day" und "Kira" von Ole Christian Madsen.

Und von Jürg Amann (mehr hier) gibt es das Gedicht "letzte Fragen".

FAZ, 29.11.2002

In der FAZ freut sich der Physiker und Nanotechniker Wolfgang M. Heckl über Michael Crichtons neuen Roman "Prey - Beute" (noch nie wurde soviel kostenlose Werbung für einen Roman gemacht), weil er dazu anregen werde, "die atemberaubenden neuen Möglichkeiten der Nanotechnologie ernst zu nehmen und neu zu diskutieren".

Weitere Artikel: Patrick Bahners beschreibt naserümpfend ein Grönemeyer-Konzert vor deutschem Publikum auf dem Montmartre. Bat. bewundert einige Gemälde von Hans Poelzig, die zur Zeit leihweise, in seinem I.G.-Farben-Gebäude hängen. Siegfried Stadler berichtet über die Irrungen des Chemnitzer Brunnens von Timm Ulrichs. Dietmar Polaczek berichtet kurz, wie Berlusconi als Zeuge im Mafiaprozess gegen Marcello dell'Utri vor Gericht erschien und nichts sagte. Christoph Albrecht gratuliert dem Militärhistoriker Sir Michael Howard zum Achtzigsten und Georg Imdahl dem Bildhauer Erwin Heerich ebenfalls zum Achtzigsten. Michael Althen schreibt den Nachruf auf den Filmemacher Karel Reisz.

Die letzte Seite erzählt ausschließlich schreckliche Geschichten: Gina Thomas erinnert daran, wie die britischen Besatzer den Spiegel schikanierten: Er wurde eine Woche verboten, nachdem er der niederländischen Thronanwärterin Juliane "kräftig entwickelte Waden" und einen "säulenhaften Unterbau" bescheinigt hatte. Edo Reents porträtiert den Rapper Sean Combs, der angeblich Präsident werden will. Und Christian Schwägerl fürchtet sich vor einem geklonten Baby, das angeblich im Januar zur Welt kommen soll: dessen Geburt wäre nämlich "eine beispiellose Blamage für Forschungs- und Gesundheitsminister weltweit".

Besprochen werden ein Konzert von Nana Mouskouri in der Alten Oper Frankfurt, Feydeaus "Angeschmierter" in Paris und Neil LaButes Verfilmung des Byatt-Romans "Besessen" mit Jennifer Ehle und Gwyneth Paltrow.