Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.02.2002. Die SZ wittert Ärger an der Berliner Schaubühne. Die FAZ bringt einen langen Text von Michael Frayn ("Kopenhagen") zur Heisenberg-Debatte. Die NZZ beklagt Scheinheiligkeit in der spanischen Sprachenpolitik und alle Zeitungen bringen Schlussberichte zur Berlinale - mit verhalten positivem Tenor.

FAZ, 18.02.2002

Nachdem eine süddeutsche Zeitung, deren Namen wir hier nicht nennen wollen, vor ein paar Tagen ein Interview veröffentlichte, bringt die FAZ jetzt einen langen Text von Michael Frayn, dem Autor des Stücks "Kopenhagen" über das Treffen von Niels Bohr und Werner Heisenberg in Kopenhagen 1941. Er findet die vom Niels-Bohr-Archiv veröffentlichten neuen Dokumente über das Treffen aufregend: "Es ist eine Offenbarung, hier nun endlich Bohrs eigene Stimme zu hören, und ich wünschte, ich hätte Zugang zu diesen Dokumenten gehabt, als ich mein Stück schrieb. Mit ist nun auch klar, dass der reale Bohr viel länger voller Wut war als meine fiktive Figur, und dass er für sich in Anspruch nahm, Heisenberg sehr genau zugehört zu haben und sich an das Gehörte sehr gut zu erinnern."

Ein Berliner Politiker hatte neulich vorgeschlagen, das dereinst vereinigte Bundesland Berlin-Brandenburg in "Preußen" umzubenennen. Der Historiker Ernst Hinrichs (mehr hier) äußert sich mit vielen historischen Argumenten dagegen: " Der Vorschlag ... sollte dorthin zurück, wo er herkommt - in das Arsenal falscher historischer-politischer Begriffe und ungenauer historischer Kenntnisse. Die Brandenburger sollten sich ihr Brandenburg nicht nehmen lassen, der Name spricht eine ganz eigene und keinesfalls unbedeutende historische Realität an."

Weitere Artikel: Jürg Altwegg stellt in einem Streifzug durch französische Zeitschriften fest, dass die " Zeit der Aussöhnung mit Deutschland keine gute für die französische Germanistik" gewesen sei - immer weniger Franzosen lernen deutsch. Michael Allmaier stellt in seinem Festival-Resümee eine Provinzialisierung der Berlinale fest. Zur Berlinale haben die Berichterstatter auch einige Erinnerungsfetzen zusammengetragen (zum Beispiel das Lächeln Catherine Deneuves in der Pressekonferenz zu "8 femmes"). Georg Imdahl gratuliert dem Fotografen Duane Michals zum Siebzigsten. Eva Menasse berichtet von einer Gedenkveranstaltung für Franz Innerhofer. Michael Althen gratuliert Milos Forman zum Siebzigsten.

Auf der Medienseite bringt Michael Hanfeld den zweiten Teil seines Interviews mit dem ZDF-Intendanten Dieter Stolte (und wie viele Teile kommen noch?). Besprochen wird hier eine Dokumentation über Charles Chaplins "Großen Diktator", die heute Abend auf Sat 1 läuft. Souad Mekhennet berichtet über einen Führungswechsel in der europäischen Ausgabe von Hürriyet - nun hofft man in Deutschland auf etwas weniger ultranationalistische Töne. Auf der letzten Seite resümiert Michael Siebler resümiert das Tübinger Troia-Symposion. Und Elmar Schenkel profiliert den Dichter Wolfgang Rohner-Radegast.

Besprochen werden ein Konzert Ryan Adams', Salvatore Sciarrinos Oper "Die tödliche Blume", Richard Wagners "Liebesverbot" im Münchner Prinzregententheater, eine Inszenierung von Tschechows "Die Vaterlosen" in Hannover, eine Winfried-Dierske-Ausstellung in Dresden.

NZZ, 18.02.2002

Einen "scheinheiligen Konsens aus politisch korrekten Lügen" stellt Markus Jakob in einem ausführlichen und interessanten Artikel über die spanische Sprachenpolitik fest. So ist in Katalanien mehr als jeder Zweite muttersprachlich Spanisch, muss den Schulunterricht aber in Katalanisch genießen. Oder die Medien. "Dass den Reportern von TV 3 nie, aber auch wirklich nie ein spanisch sprechender Katalane vor die Linse gerät, spricht der sprachlichen Wirklichkeit des Landes einfach Hohn. Andererseits wird dem Publikum von TV 1 ja auch kein katalanischer Laut zugemutet. Weit extremer ist übrigens der baskische Fall: Dort sendet ETB 1 ausschließlich baskisch, obwohl nur jeder vierte Zuschauer euskera überhaupt versteht."

Mit gebremster Begeisterung resümiert Marion Löhndorf die Berlinale: "Dass zu einem Konzept, das insgesamt stärkere politische Akzente setzt, große Hollywood- Unterhaltung kaum passt, leuchtet ein. Doch auch insgesamt herrschte unter den ausgewählten Filmen eine gewisse Humorlosigkeit, die ironischerweise der Festivalleiter in Person durch seinen Hang zum Bonmot ausglich."

Weiteres: Andrea Köhler bespricht drei Ausstellungen in New York: "Extreme Beauty" im Metropolitan Museum of Modern Art, und die Irving-Penn-Ausstellungen "Earthly Bodies" und "Dancer" im Whitney Museum. Derek Weber vermeldet einen erbitterten Streit um das Salzburger Festspielhaus-Umbauprojekt. Philipp Blom stellt sich mit dem britischen Publikum eine drängende Frage: Wohin mit einer Marmorstatue Margaret Thatchers. Besprochen werden "Das Liebesverbot" im Münchner Prinzregententheater und Donizettis "Don Pasquale" in Bern.

SZ, 18.02.2002

Ärger an der Berliner Schaubühne vermeldet Christopher Schmidt. Grundlage seiner Spekulation ist ein Interivew im Stadtmagazin Tip, wo die Choreografin Sascha Waltz und ihr Dramaturg Jochen Sandig Abgangsgedanken andeuten. Schmidt folgert: "Das Modell des Führungskollektivs ist einmal mehr gescheitert, wie in der Vergangenheit schon das mehrköpfige Direktorium am Schiller-Theater und Berliner Ensemble... Mit dem demonstrativen Liebesentzug, dramaturgisch geschickt lanciert, ist das Modell Schaubühne gescheitert, wegen Zerrüttung geschieden."

Fritz Göttler denkt zum Berlinale-Abschluss noch einmal über den deutschen Schwerpunkt des Wettbewerbs nach: "Vor allem aber hat das deutsche Quartett bewiesen, dass es auf völlige Perfektion gar nicht ankommt, und nicht immer auf die Begeisterung des Publikums. Wichtiger war, dass diese Filme sich gewissermaßen querstellten zum übrigen Programm, dass durch diese Filme die Bewegung sichtbar wurde, in der das deutsche Kino sich befindet ? eine Art Dogma ohne dazugehörige Dogmen." Zur Berlinale-Berichterstattung gehört auch Wolfgang Schreibers Kritik von Istvan Szabos Abschlussfilm "Der Fall Furtwängler". (Das Perlentaucher-Resümee zur Berlinale finden Sie hier, Eindrücke von der etwas peinlichen Preisverleihung gestern abend hier.)

Weiteres: Uwe Mattheis versucht, die Winkelzüge Jörg Haiders in seiner FPÖ zu verstehen. Alexander Menden resümiert das Symposion "Die Bedeutung Trojas in der späten Bronzezeit" (mehr hier), bei dem auch die Kontrahenten Manfred Korfmann und Frank Kolb auftraten. Herbert Riehl-Heyse widmet dem "Medienzar" eine "Zeitgemäße Physiologie". Fritz Göttler gratuliert Milos Forman (mehr hier) zum Siebzigsten. Christian Aichner schreibt zum Tod des Architekten A. G. Fronzoni. Besprochen werden Oliver Czesliks "Stammheim proben" in Berlin, ein Konzert der Pet Shop Boys in Köln, ein Brahms-Liederabend des Baritons Matthias Goerne, eine CD der Band Lambchop, Wagners "Liebesverbot" im Münchner Prinzregententheater und Scott Hicks? Film "Hearts in Atlantis".

FR, 18.02.2002

Während Daniela Sannwald die letzten Filme des Berlinale-Wettbewerbs recht schwach fand, nimmt Daniel Kothenschulte einen ganz positiven Gesamteindruck von der Berlinale mit: "Kosslicks Motto 'Vive la differance' wurde in Berlin jedenfalls dankbar aufgenommen. Das einzige, was jetzt noch fehlt, ist ein Programm, das tatsächlich auslotet, was möglich ist und uns mit mehr als einer Hand voll unvergesslicher Filme nach Hause gehen lässt." (Aber müsste es nicht "Vive la difference" heißen, oder hat Kosslick tatsächlich Derrida gelesen, und hieß das Motto nicht ohnehin "Accept diversity"?) Schließlich Rüdiger Suchsland, der im Panorama einige "großartige" Filme gesehen hat ? unter anderem Jacques Audiards hinreißender "Sur mes levres" (bei dem sich auch der Perlentaucher fragt, warum er nicht im Wettbewerb lief).

Besprochen werden Puccinis "La fanciulla del West" in Wiesbaden und Berlioz' "La damnation de Faust" im Frankfurter Museumskonzert.

TAZ, 18.02.2002

Detlef Kuhlbrodt liefert Shortcuts von der Berlinale und dem taz-Team: "Kollege Dietrich Kuhlbrodt musste sein Kommen kurzfristig absagen, weil seine Frau so krank war, Freund Harald brach sich kurz vor Beginn beide Arme und bei mir steckte plötzlich ein halber Backenzahn im Schinkenbrot. Natürlich war es trotzdem prima!"
Daneben würdigt Harald Fricke das "traumhafte Schillern zwischen surrealen Farbsettings und detaillierter japanischer Gegenwartsbeschreibung" des Berlinale-Gewinners "Spirited Away" und Ralf Sotscheck erzählt noch mal die Geschichte von "Bloody Sunday", der den zweiten Goldenen Bären kassiert hat.
Besprochen wird die große Gerhard-Richter-Retrospektive im Museum of Modern Art und eine Ausstellung mit Bildern des Komponisten Arnold Schönberg in der Frankfurter Schirn.
Schließlich Tom.