Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.10.2001. In der taz liefert Vladimir Essipov einen Blick auf die Rückseite der Berichterstattung über Afghanistan. In der NZZ spricht Assia Djebar über ihre islamische Oper "Die Töchter Ismaels in Wind und Sturm". Die SZ erzählt die lange Geschichte der biologischen Kriegsführung. Und die FAZ bringt zwei Artikel über die psychologische Kriegsführung der USA.

FAZ, 22.10.2001

Einen "Einsatzbefehl für Hollywood" vermeldet Verena Lueken und zitiert einen Bericht aus der Branchenzeitschrift Variety, nach dem sich Vertreter aus dem Weißen Haus und aus den Studios zusammengesetzt haben um zu überlegen, wie man mittels Filmen ein positives Amerika-Bild vermitteln kann. "Hollywood, so heißt es, hat sich dabei verpflichtet, mit seinen Mitteln den Krieg gegen den Terrorismus zu unterstützen. Beide Seiten sollen sich ausdrücklich auf die patriotische Haltung Hollwoods im Zweiten Weltkrieg... als Vorbild bezogen haben... Anders als im Zweiten Weltkrieg aber, als Filmemacher wie Capra oder John Ford im Auftrag des Kriegsministeriums arbeiteten, ist - bisher - nicht vorgesehen, dass von Regierungsseite spezifischere Wünsche an die Unterhaltungsindustrie gerichtet werden als der allgemeine, man möge sich um das Ansehen Amerikas in der Welt verdient machen."

Eine Verbesserung der internationalen Öffentlichkeitsarbeit scheint nötig zu sein, wie Joradan Mejias ebenfalls aus New York zu berichten weiß. Die psychologische Kriegsführung der USA steht in der Kritik: "Im Gegensatz zur Waffentechnologie, in der das Land jedem Gegner um Jahre voraus sei, habe es sich, wie eine Expertenkommission bereits nach Fehlschlägen im Kosovo rügte, mit seinen Psyops in der Vergangenheit bequem gemacht. Psyops sind im Sprachgebrauch des Pentagons Psychological operations, zu denen auch der umstrittene Abwurf von Lebensmittelrationen gehört.... Eine Nation, die davon überzeugt war, dank ihrer Spezialisten aus Hollywood und den allmächtigen Werbegurus von der Madison Avenue die psychologische Kriegsführung gepachtet zu haben, musste überrascht feststellen, dass sie Konkurrenz bekommen hat. Der Schock, den das Bin-Ladin-Video auslöste, ist noch nicht verdaut. Auf allen zivilen und militärischen Ebenen wird Selbstkritik geübt."

Weitere Artikel: Karin Hollricher berichtet über Verwirrung über das Y-Chromosom: "Je mehr die Forscher über den genetischen Aufbau der Geschlechtschromosomen herausfinden, desto mehr verschwimmt auch die anscheinend klare Trennung von männlich und weiblich." Anja-Rosa Thöming würdigt die Arbeit des Goethe-Instituts in Porto Alegre. Markus Reiter weist auf den Thriller "Cobra" von Richard Preston, der schon vor einigen Jahren die Gefahren des Bioterrorismus schilderte. Thomas Köhler resümiert ein Dachauer Symposion über die Frage, wie man als "normaler Deutscher" unter den Nazis zum Massenmörder werden konnte. Und Oliver Jungen hat sich ein Bonner Kolloquium über die Frage "Wie lernt der Mensch" angehört.

Ferner berichtet Florian Rötzer über neue Spracherkennungsprogramme für Computer, in denen man einige Befehle durch langgezogene Stimmlaute ausführen soll. Camilla Blechen schreibt zum Tod des Berliner Kunstsammlers Rolf Hoffmann. "sst" berichtet über die Sanierung des Torgauer Schlosses. Gerhard R. Koch schreibt zum Tod von Theodor Kotulla.

Besprochen werden Christoph Marthalers Inszenierung von Raffaele Vivianis "Die zehn Gebote" an der Berliner Volksbühne, der Einstand Henri Maiers als Intendant der Leipziger Oper mit einer Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen", eine Ausstellung über das Elbsandsteingebirge als Inspirationsquelle der Kunst im Stadtmuseum Pirna, Wolfgang Maria Bauers "Hamlet" in Heidelberg und Karin Jurschiks Dokumentarfilm "Danach hätte es schön sein müssen".

NZZ, 22.10.2001

Sabine Kebir unterhält sich mit der algerischen Autorin Assia Djebar, die im letzten Jahr eine Oper über "Die Töchter Ismaels in Wind und Sturm" geschrieben hat. Darin vertritt sie eine frauen- und kulturfreundliche Version des Islams: "Im ersten Akt wird gezeigt, wie der Prophet seine Frau Aischa bittet, Musiker für eine Hochzeit bei den Nachbarn zu bestellen. Hier wird - wie auch in jedem weiteren Akt - gegen ein heute gängiges Vorurteil angespielt. Viele meinen, dass der Koran Musik generell verbietet. Der zweite Akt zeigt den erkrankten Propheten. Angst breitet sich aus. Seine Tochter Fatima erscheint. Um zu zeigen, dass der Prophet die Polygamie nicht für die ideale Lösung angesehen hat, wird hier unter anderem erzählt, dass er seinen Schwiegersohn Ali daran gehindert hat, eine zweite Gattin zu nehmen."

Besprochen werden "Die zehn Gebote" nach Raffaele Viviani in Berlin, ein Konzert von Laurie Anderson in Basel, Baz Luhrmanns Film "Moulin Rouge", eine Augsburger Tagung über "das europäische Modell der Enzyklopädien", eine Uraufführung der Compagnie deja donne bei Luzerntanz und die Uraufführung des Stücks "Die Liebe höret nimmer auf" von Gerhard Meister in Bern. Ferner schreibt Peter W. Jansen zum Tod des Filmemachers Theodor Kotulla.

SZ, 22.10.2001

Der Medizinhistoriker Wolfgang U. Eckart erzählt die lange Geschichte der biologischen Kriegsführung: "Seit der Antike wissen wir um die Möglichkeit der Verseuchung von Quellen und Brunnen durch Tierkadaver. Und spätestens als im Jahre 1347 über die Mauern der Schwarzmeerstadt Caffa von den belagernden Tartaren die ersten Pestleichen katapultiert wurden, um deren Bewohner mit dem gleichen Fäulnisfieber zu schlagen, das ihr eigenes Heer stündlich dezimierte, drang die technische Realisierbarkeit solcher Kriegsführung tief ins Bewusstsein der Menschheit... Auch in den Folgejahrhunderten wurden 'biologische' Waffen vergleichbarer Art immer wieder eingesetzt. So verteilten britische Siedler in der 'Neuen Welt' pockeninfizierte Decken, um die indianische Urbevölkerung auszurotten; vergleichbare Fälle in Ozeanien sind rekonstruierbar."

Martin Hecht hatte ein paar schlechte Erfahrungen mit Kindern von "sogenannten Power Frauen". Diese, weiß unser Autor, entdecken gerade im Kind eine "Ressource matriarchaler Ruhmmehrung", was sich besonders darin äußert, dass sie über nichts anderes mehr sprechen. "Bagatellen aus dem grauen Elternalltag, Kleinstscherze aus dem Kinderzimmer, die ansonsten durch den Rost der eigenen freiwilligen Selbstkontrolle fallen würden, nehmen jetzt locker die Hürde der Mitteilbarkeit." Der Leser fragt sich verdutzt, warum Frauen, die über private Erlebnisse sprechen, langweilig sein sollen, Männer wie Hecht, die darüber schreiben, aber interessant.

Weitere Artikel: Andrian Kreye erzählt, wie gern sich Hollywoodstars jetzt in New York blicken lassen, um ihre Solidarität zu berweisen ("Harrison Ford verteilte unten bei Ground Zero tagelang Gratismahlzeiten, die Starkoch David Bouley für die Arbeiter gekocht hat.") Eva Marz resümiert die Berliner Tagung der Globalisierungsgegner von Attac. Ulrich Raulff hat einem Münchner Vortrag des Sprachwissenschaftler Glenn W. Most über den Philhellenismus in der deutschen Geschichte zugehört. Arno Orzessek weilte bei einer Hamburger Tagung über den "Krieg im Bild ? Bilder vom Krieg". Stefan Koldehoff meldet, dass der Sammler Hans Grothe gestiftete Bilder verkaufen muss ? "deutsche Museen haben das Nachsehen".

Besprochen werden Daniel Clowes' Film "Ghost World", Christoph Marthalers Inszenierung von Raffaele Vivianis Stück "Die zehn Gebote" an der Berliner Volksbühne; John Cages "Europeras" in Hannover, der Film "Birthday" von Stefan Jäger, die "West Side Story" an der Wiener Volksoper und einige Bücher, darunter ein nur in englisch erschienener Band von Eric L Santner über Freud und Rosenzweig.

FR, 22.10.2001

Martina Meister berichtet vom sagenhaften Erfolg der Attac-Bewegung auch in Deutschland, der sich ihrer Meinung nach allerdings in ihrem Berliner Kongress nur ungenügend widerspiegelte: "Es war, als träfen sich Horst-Eberhardt Richter, Wolf- Dieter Narr, Daniel Cohn-Bendit und Oscar Lafontaine zur silbernen Konfirmation, wie überhaupt der ganzen Veranstaltung mit ihren als 'Markt der Möglichkeiten' betitelten 80 Themenworkshops etwas beseelt Kirchentaghaftes anhaftete."

Weiteres: Peter W. Jansen schreibt zum Tod des Filmemachers Theodor Kotulla. Besprochen wird Christoph Marthaler Inszenierung von Raffaele Vivianis "Die zehn Gebote" an der Berliner Volksbühne.

TAZ, 22.10.2001

Einen faszinierenden Blick auf die Rückseite der Berichterstattung über Afghanistan liefert Vladimir Essipov, ein russischer Mitarbeiter der ARD, der schildert, wie man von Tadschikistan in den Norden Afghanistans kommt. Sehr viele Journalisten scheinen so zu reisen. Angekommen in Afghanistan erzählt er über den Effekt der von den Amerikanern abgeworfenen Care-Pakete: " Die Marmelade fiel vom Himmel und das Dorf rannte. Mit kaputten Jeeps kamen die Reichen, mit Eseln die Mittelschicht, und zu Fuß schleppten sich die armen Pechvögel. Einige von ihnen waren einen halben Tag unterwegs, um eines der knallgelben Pakete zu schnappen, mit unbekannten Schriftzeichen und rätselhaften Inhalt. Wenn man nicht lesen kann, von einer Fremdsprache ganz zu schweigen, dann öffnet man alles und probiert: Erdbeerkonfiture. Salz. Erdnussbutter. Pfeffer. Plastiklöffel. Streichhölzer mit einer blauweißroten Flagge und den Buchstaben U, S und A. Reis. Kekse. Knäckebrot." So schlecht scheint die psychologische Kriegsführung der USA doch gar nicht anzukommen!

Weiterhin berichtet Thomas Girst über eine "Art-Benefit"-Aktion von New Yorker Galerien, deren Erlös den Familien der Opfer zugute kommen soll. Und Christane Kühl bespricht "Die Zehn Gebote", inszeniert von Christoph Marthaler nach Raffaele Viviani an der Berliner Volksbühne.

Schließlich Tom.