Essay

Die Konturen der Attentäter

Von Oliver M. Piecha
20.11.2015. Katharina Hacker singt eine sehr alte Weise: das Lied vom Terroristen als eigentlichem Opfer.
Auch eine Schriftstellerin muss politische Gedankengänge nicht unbedingt rational nachvollziehbar ausdrücken, mit Kausalketten und einem Vokabular, das sich möglichst um Deutlichkeit bemüht. Katharina Hacker wird sich allerdings fragen lassen müssen, warum sie lieber raunt als deutlich zu sagen, was sie eigentlich will. Wenn es nun tatsächlich darum ginge, angesichts der so plötzlichen und allgegenwärtigen Beschwörung der Vokabel "Krieg" als Antwort auf die Anschläge von Paris auf "das Zaudernde der Sprache" zu verweisen, um sich vorschnellen und oft unreflektierten Meinungsäußerungen und Urteilen zu entziehen - man hätte ihr beipflichten mögen.

Katharina Hackers Betrachtung selbst ist ein Stück zaudernder Sprache, allerdings gewinnt man schnell den Eindruck, dass das bis in die Syntax nachzeichenbare Stocken und Knirschen ihres Textes vor allem gedanklicher Unschärfe und Unsicherheit geschuldet ist. Aber auch das wäre noch legitim, sagen wir für eine poetische Seele, die angesichts des verheerenden Lage im Nahen Osten und den Morden von Paris verzweifelt. Extrahiert man jedoch den "politischen" Gehalt von Hackers Betrachtung , was angesichts der so verwirrten wie verwirrenden Sprache gar nicht so einfach ist, dann bleibt weniger Ratlosigkeit ob einer gewissen Naivität als vielmehr Ärger zurück. Sie singt nämlich eine sehr alte Weise: Das Lied vom Terroristen als eigentlichem AnOpfer.

Wir alle werden dieses Lied von der Unschuld des Terrors ab jetzt wieder oft hören: Zuerst noch verschämt, dann bald lauter und lauter. An einer einzigen Stelle ihres Textes kommt Hacker tatsächlich schnell und deutlich auf den Punkt: "Meine Argumentation ist offenkundig eine der Relativierung." Das mit der "Argumentation" ist so eine Sache, aber sie relativiert, ja.

Es gibt zwei Stellen, die man als politischen Kern ihres Essays ausmachen kann; Hacker möchte Necla Keleks "ideologischer" Sicht auf den Konnex "Islam" und Terror eine relativierende Sichtweise entgegenstellen, die "auf ökonomische Zusammenhänge" fokussiert. Sie erläutert das in einem Bandwurmsatz, der sprachlich so verschlungen ist wie der eigentliche Gedankengang simpel - erschreckend simpel. Die "Lebensbedingungen von Menschen in sogenannten Parallelgesellschaften oder Gettos" führen da zu "Chancenlosigkeit und beständige[r] Demütigung gepaart mit Ausschluss" und können "Menschen zu erschütternder Aggression bringen" - man beachte die Passivkonstruktion. Der Rest des Satz ist hochkryptisch: Diese "zu erschütternder Aggression" gebrachten Menschen - wohlgemerkt, Hacker hat offensichtlich die Attentäter von Paris im Kopf - verbinden "sich dann willig mit den Gegenfiguren unserer westlichen Lebensweise", zumal sie, wie Hacker noch in einem allerletzten Nebensatz anfügt, "historisch Anlass dazu finden".

Ist die Gegenfigur unserer Lebensweise der Kalif von Rakka und Mossul? Meint sie das? Und ahnen wir richtig, dass der Verweis auf den "historischen Anlass" möglicherweise auf den Kolonialismus anspielt? Gar das so legendäre wie meist ohne nähere historische Kenntnis als Symbol herbeizitierte Sykes-Picot-Abkommen? Wer weiß. Vielleicht tut man Hacker auch Unrecht, und sie hat etwas ganz anderes gemeint? Warum ist das alles so seltsam verdruckst?

Im Anschlusssatz, der tatsächlich einmal kurz und bündig ist, bringt Hacker den "ökonomische Gewinn der westlichen Länder aus den Waffenverkäufen an Saudi-Arabien" ins Spiel und wird also plötzlich konkret. Dass sie ausgerechnet dabei auf ein klischiertes Versatzstück aus dem antimperialistischen Rumpellager zurückgreift, gibt eher Aufschluss über sie selbst, über ihre Kenntnisse und Ressentiments, als über den verhandelten Gegenstand. Ein zumal wenn es um den Islam geht sehr häufiges Phänomen. (Und ja, es gibt zweifellos "Gewinne" aus Rüstungsverkäufen an die Saudis, aber was ist hier der Kontext, die Kausalverknüpfung, die Dimension, und warum sollte einem das ausgerechnet als einziges konkretes "Argument" in diesem Zusammenhang der Pariser Anschläge einfallen?)

Zum Schluss Ihres Essays greift Hacker das so indirekt-direkt gezeichnete Bild vom nota bene muslimischen Terroristen als Opfer noch einmal auf, und zwar in einem abermals so verschachtelten wie kryptischen Satz: Das "nicht gelingende, so doch vielfach funktionierende Zusammenleben" - sie meint offensichtlich das Miteinander von Deutschen bzw. Nicht-Muslimen und Muslimen - sei "angesichts einer Unzahl alltäglicher, kleiner Zurücksetzungen und Demütigungen etwa von Muslimen, die in Deutschland leben, erstaunlich." Wie ist das wiederum im Gesamtkontext zu verstehen? Dass trotz den vielen kleinen Zurücksetzungen und Demütigungen "etwa" von Muslimen in Deutschland diese dann dankenswerter Weise doch nicht alle zur Kalaschnikow greifen, obwohl sie ja möglicherweise "historisch Anlass dazu" finden könnten?

Man möchte Frau Hacker ja auch nicht Unrecht tun. Im Zweifel hat sie das alles gar nicht so gemeint, sondern irgendwie wollte sie sicherlich nur etwas Wahres, Schönes, Gutes sagen. Das "Zaudern der Sprache" sollte jedoch keine sprachliche und gedankliche Nebelwand erzeugen, in der die Konturen der Attentäter von Paris undeutlich werden.

Oliver Marc Piecha

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Katharina Hackers Kommentar "Das Zaudernde der Sprache" - eine Antwort auf Necla Keleks Kommentar zu den Anschlägen in Paris - finden Sie hier