Essay

Gutenberg und die Brandstifter

Von Jürgen Neffe
19.12.2011. Nun kommt es doch: Das elektronische Buch revolutioniert den deutschen Markt. Wenn er sich nicht schützt, gerät er in die Hände übermächtiger Akteure
Die Buchkultur steht am Beginn einer Zeitenwende, das Buch löst sich in seine Bestandteile auf. Das Anfassbare - Papier - wird allmählich zum Auslaufmodell, der Inhalt weicht auf elektronische Datenträger aus. Damit gerät das älteste Medium in die ungleich schnelleren Innovationszyklen des digitalen Fortschritts. Bücher lassen sich aktualisieren, erweitern, vernetzen, eine Evolution ohne erkennbares Ende, die Gutenbergs Erbe in immer weitere Ferne rückt.

Das Buchgewerbe verliert dabei seinen klaren Zuschnitt. Schreib-, Produktions- und Leseweisen stehen vor gewaltigen Veränderungen. Die Verlage des 21. Jahrhunderts werden ihnen umso besser gewachsen sein, je mehr sie sich in Multimediahäuser verwandeln und den Fortschritt selber gestalten. Doch danach sieht es im Augenblick eher weniger aus.

Bei der letzten Frankfurter Buchmesse, aber auch schon im Jahr davor, bot sich ein merkwürdiges Bild. Zum wichtigsten Thema war im Vorfeld das elektronische Buch erkoren worden. Aber wo waren sie, die eBooks? An den Ständen der Verlage, die solche Produkte in ihrem Programm führen, suchte man sie vergebens. Wäre es nicht ein Leichtes gewesen, ein paar Lesegeräte aufzustellen, in denen Besucher sich Bücher in der neuartigen Form hätten ansehen können?

Das heißt, da wird etwas hergestellt und vertrieben, aber vor dem Publikum versteckt, als müsse man sich dafür schämen. Auf die Automobilindustrie übertragen würden das bedeuten, Hersteller kündigten alternative Antriebe als Zukunftstechnologie an - zeigten auf ihren Messen aber kein einziges Hybrid- oder Elektroauto.

Die Zurückhaltung, dieses Abwarten - in der Regel dessen, was aus Amerika kommt - scheint symptomatisch. Während wenigstens im Fachbuchsektor, vor allem bei wissenschaftlicher Literatur, die Zukunft aktiv mitgestaltet wird, verharren die Publikumsverlage in einer eigenartigen Schreckstarre. Allenfalls probieren sie hier und da was aus mit schicken Apps, am liebsten jeder auf seine eigene Weise, meist sündhaft teure Unikate.

Ansonsten vertreiben sie ohne erkennbare Konzepte billig im Outsourcing hergestellte eBooks als reine Kopien vorhandener Bücher für unangemessen hohe Preise - eine der Ursachen für den schon jetzt erschreckend hohen Anteil illegaler Raubkopien von über 50 Prozent. Wer aber so denkt und handelt, befindet sich buchstäblich auf dem Holzweg.

Niemand weiß, was von der heutigen Buchbranche bleiben wird. Keiner kann sagen, wie und wie viel wir und unsere Nachkommen in zwanzig Jahren noch lesen und schreiben werden. Der Abstand wird deutlich, wenn wir uns zwanzig Jahre zurückversetzen. Damals entstand gerade erst das World Wide Web. Mit ihm begann der Aufstieg des Personal Computers zum Haushaltsgerät. Hätte uns damals jemand erzählt, wir könnten uns einmal Bücher "aufs Telefon laden" oder von beleuchteten Tafeln lesen, die ganze Bibliotheken beherbergen, Filme zeigen und uns mit dem Rest der Welt verbinden, hätten wir nicht einmal verstanden, wovon überhaupt die Rede ist.

Schon zeichnet sich der Niedergang des PCs in seiner heutigen Massenverbreitung ab. Der Gebrauch der eMail - wie lange nutzen wir die eigentlich schon? - hat seinen Höhepunkt überschritten, und Prognosen sprechen bereits vom baldigen Ende des Internets, wie wir es kennen. Auf der anderen Seite beginnen Apparate, Sprache und Gesten zu verstehen, statt getippt wird getoucht und gewischt, die Schrift löst sich in Bilder auf, international verständliche Piktogramme und Symbole ersetzen zusammenhängende Texte, das Lesen droht von einer allgemeinen zur speziellen Fähigkeit zu werden.

Die Verlagswelt hat sich seit den achtziger Jahren digitalisiert, die Produktion vom Autor bis zur Druckmaschine lief mehr und mehr über Computer und Datenträger. Es war nur eine Frage der Zeit, wann auch das Produkt selber Druck, Papier und physischen Vertrieb hinter sich lassen würde. Alle ernst zu nehmenden Prognosen deuteten darauf hin, dass dies bei Büchern, Zeitschriften und Zeitungen erst dann im großen Stil passieren würde, wenn elektronische Lesegeräte in Größe, Gewicht und Lesbarkeit dem Buch ebenbürtig oder gar überlegen und gleichzeitig erschwinglich würden. Diese Schwelle haben wir nun überschritten.

Wir können also nicht ernsthaft behaupten, dass uns die Entwicklung überrascht hat - es sei denn wir hätten uns taub und blind gestellt. Mit gleicher Wahrscheinlichkeit ließ sich vorhersagen, dass der technische Fortschritt, aber auch das Geschäft mit digitalen Büchern und anderen vormaligen Druckerzeugnissen in Nordamerika seinen Ausgang und mit der üblichen drei- bis fünfjährigen Verspätung bei uns einen ähnlichen Verlauf nehmen würde.

Wir wussten auch zeitig genug, was einer Branche blüht, die schlecht vorbereitet auf die Digitalisierung ihrer Inhalte reagiert. Die Musikindustrie hat aus oft beschriebenen Gründen jede Menge Federn lassen müssen, sie schrumpfte auf ein Drittel dessen, was sie einmal war, Film und Video werden gerade tüchtig gerupft, Ausgang ungewiss.

Wie können wir uns dann erklären, dass die Verlagsbranche hierzulande so mut- und kopflos in die neue Zeit stolpert, die sie - das ist ebenfalls bekannt - vollständig umkrempeln wird? Dass sie sich wie nie zuvor in ihrer Geschichte, ohne etwas Eigenes entgegenzusetzen, dem Diktat eines technischen Fortschritts beugt, den andere definieren, dessen Nutzen zumindest in der heutigen Form aber ungewiss ist?

Der deutschen Buchbranche geht es ähnlich wie Biedermann mit den Brandstiftern. Man lässt sie ins Haus, und sie sprechen - Wahrheit ist die beste Lüge - treuherzig über ihre Absichten. Allein die Ankündigung des weltgrößten Onlinebuchhändlers Amazon, selber verlegerisch tätig zu werden und Bücher zu herauszubringen, hätte die Verleger deutscher Sprache zu einer Krisensitzung zusammentrommeln müssen. Wenn der Betreiber des größten Marktplatzes, dessen Regeln er allein bestimmt, selber zum Marktteilnehmer wird, kann er seine Macht für sich nutzen - auch gegen andere. Und damit haben die Amerikaner soeben begonnen. Ihr trojanisches Weihnachtsgeschenk heißt Kindle.

Der US-Konzern füttert gerade, so heißt das, den Markt an. Er verkauft sein Lesegerät in Deutschland für 100 Euro, was halb geschenkt ist, sich aber bezahlt machen dürfte. Denn der Reader dient gleichzeitig als Verkaufsplattform für Nachschub - aber nur für eBooks (und alle möglichen anderen Waren), die über Amazon bezogen werden. So soll jeder, der ein Kindle besitzt, möglichst viel beim Anbieter der günstigen Geräte einkaufen. Ähnlichkeiten zu billigen Druckern mit teuren Patronen sind rein zufällig.

Böse Zungen könnten behaupten, das liege auf der Linie eines Onlinekonzerns, der mit dem weltweiten Internethandel von Büchern groß geworden ist, nun aber beim Aufstieg zum größten Marktplatz der Welt sein tatsächliches Ziel verwirklichen will: Statt riesiger Lagerhallen und personalintensiven Versands reicht im Grunde ein Server, der Bestellungen durchreicht. In den USA verkauft das Unternehmen so bereits mehr eBooks als Bücher aus Papier.

Die Firma nutzt ihre Vormachtstellung, Regeln zu diktieren, mit ihren Preisen den Markt zu bestimmen und den Verlagen höhere Rabatte abzuringen. Ähnlich verfährt Apple, das sich mit einem eigenen eBook-Format für seine Kultgeräte in der Welt der Apps einen geschlossenen Markt geschaffen hat, bei dem ein Drittel der Einnahmen in seiner Kasse hängenbleibt. Das ist etwa so, als müssten Fernsehsender bei den Herstellern der Geräte für das Abspielen ihrer Programme eine Gebühr abzweigen.

Die einzige Dienstleistung der Vermarkter besteht darin, den Verlagen Käufer zuzuführen - in der Form, die ihre Geräte erlauben. Dabei hilft es, seine Kunden so gut zu kennen, dass man ihnen die Wünsche von den Augen ablesen kann. Das besorgen heute Algorithmen, die treffsicher seelenlose Empfehlungen abgeben. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass Verlage dafür gerne bis zur Hälfte des Verkaufserlöses abtreten, wo doch sie allein das Risiko der Herstellung tragen.

Ob sich durch den elektronischen Handel insgesamt mehr Bücher verkaufen lassen, ist ohnehin ungewiss. Wohl aber viel mehr von einigen wenigen, wenn sie entsprechend vermarktet werden. Die Favoriten drängen sich den Kunden auf wie heute im Eingangsbereich der Buchhandlungen von bezahlten Plätzen auf den begehrten Tischen. Nun stelle man sich Amazon, Google oder Facebook als weltweite Verlage vor, die in ihren Netzwerken auch noch ihre eigenen Bücher oder eBooks vermarkten können wie kein anderer. Da können heute noch Große morgen schon ganz klein werden - oder verschwinden.

Wer wollte ausschließen, dass auch im Buchwesen schon bald globale Investoren globale Favoriten finanzieren und mit Marketingmacht zu Blockbustern aufblasen? Dass sich elektronische Bücher teilweise oder ganz über Werbung finanzieren, die speziell auf die jeweiligen Leser zugeschnitten ist? Dass Preisdumping die Existenz von Schriftstellern und ihr breites literarisches Schaffen bedroht? Dass die Buchbranche demnächst von Mächten beherrscht sein könnte, die nur noch wirtschaftliche Motive kennen, nicht auch kulturelle, intellektuelle oder bibliophile?

Mit ihrer wirtschaftlichen Macht können die Riesen, wie schon geschehen, Bestsellerautoren mit hohen Vorschüssen und Beteiligungen an sich binden - die Verfasser genau jener Werke, die bislang den Reichtum unserer Buchkultur garantieren und viele Dichter mit wichtigen Beiträgen, aber mageren Erträgen nähren.

Mittelfristig werden weniger Urheber von ihren Rechten leben können als heute, und nur wenige besser. Den happy few winkt ein Weltmarkt der Bücher, gleichzeitig global in viele Sprachen angebotene, jederzeit an allen Orten verfügbare Megaseller im identischen Gewand, die sich auf Weltbestenlisten miteinander vergleichen wie heute Filme und Songs. Auf der anderen Seite schrumpfen die Vorschüsse für Autoren bereits jetzt spürbar.

Unter denen macht sich Skepsis breit, ob ihnen der Fortschritt mehrheitlich eher schaden oder nutzen wird. Auf der letzten Messe in Frankfurt war hier und da sogar von einem Streik die Rede - keiner Arbeitsniederlegung im klassischen Sinn, sondern einem eBook-Streik, um Verlagen und damit auch Händlern die digitalen Rechte zu verweigern, bis sich ein erkennbarer Nutzen der Neuerungen ausmachen lässt.

Auf ein paar Jahre mehr im Gutenberg-Universum käme es nicht an, den Untergang des Abendlandes zöge das gewiss nicht nach sich. Die Nachteile wären außerdem überschaubar. Bisher landen auf den Konten der Autoren, aber auch in den Kassen ihrer Verlage hierzulande nur so geringe Einnahmen aus dem eBook-Geschäft, dass die Verluste für beide Seiten leicht verschmerzbar wären. Der klassische Buchhandel hätte bestimmt nichts dagegen.

Was sich durch das Abtrennen der eBook-Rechte vom üblichen Autorenvertrag erreichen lässt, hat der amerikanische Agent Wiley eindrucksvoll vorgeführt, als er damit drohte, die eBooks seiner Autoren selber zu vermarkten. Selbst der weltgrößte Verlagskonzern, Random House, knickte schließlich ein und willigte in deutlich höhere Honorare ein. Um ähnliche Macht ausüben zu können, müssten sich die Verlage hierzulande allerdings zusammentun und wenigstens auf der Ebene von Konzepten und Systemen die Kleinstaaterei aufgeben und miteinander statt gegeneinander arbeiten.

Ein Land kann den weit gehenden Verlust seiner Kamera-, Motorrad- oder sogar Textilindustrie verkraften. Im Rausch von Deregulierung und freien Märkten seine Buchindustrie übermächtiger Konkurrenz von irgendwo zu überlassen, hätte eine neue Dimension. Dadurch verlören Land, Volk und Sprachgemeinschaft einen gemeinsamen Angelpunkt ihrer kulturellen Identität. Deshalb verdienen Buch und Verlage, und mit ihnen Zeitung, Zeitschrift und andere gedruckte Textträger auch in der digitalen Welt einen besonderen Heimatschutz, der weiter reicht als die Regeln für andere Großindustrien von nationaler Bedeutung wie Auto, Banken oder Chemie.

Der Schutzraum lässt sich beim Buch klarer fassen als in fast allen anderen Bereichen. Während sich Krawatten, Autos, Pillen, Schokoriegel oder Telefone im Prinzip eins zu eins weltweit herstellen und verkaufen lassen und mehr oder weniger auf globaler Ebene miteinander konkurrieren, werden deutschsprachige Bücher bislang fast ausschließlich von deutschsprachigen Autoren und Übersetzern für deutschsprachige Leser verfasst - und auch mehrheitlich von Verlagen aus dem deutschen Sprachraum vertrieben.

Bücher bilden durch ihre Sprache eine Art natürlichen Feuerwall um sich. Es dürfte kaum klarere Grenzen zwischen regionalen oder nationalen Erzeugnissen geben als zwischen Druckwerken entlang ihrer Sprachen. "Deutsche, kauft deutsche Bücher" wäre ein sinnloser Werbespruch.

Was würde wohl passieren, wenn sich die deutschsprachige Buchwelt darauf einigte, ihre eBooks nicht mehr über die amerikanischen Marktbeherrscher zu vertreiben, oder zumindest nicht nach deren Vorgaben? Sie dürften kaum weniger Bücher verkaufen, ihr Jahresendgeschäft würde keine spürbare Einbußen verzeichnen, wohl aber das von Anbietern, die Reader auf den Markt drücken, um damit die Marktherrschaft zu erlangen. Man sollte seine Muskeln zeigen, solange sie stark sind.

Was spräche dagegen, wenn die hiesige Buchbranche, am besten im Einklang mit anderen europäischen, den Standortvorteil der Sprache nutzte und - nicht anders als heute bei klassisch vertriebenen Büchern - in einem geschützten Binnenmarkt agierte, der seine eigenen Regeln festlegt? Wenn elektronische Bücher auf diesem weitestgehend deutschsprachigen Markt nur von deutschsprachigen - das heißt nicht unbedingt: deutschen - Verlagen über ein gemeinsames Portal vertrieben würden, wie es etwa der Börsenverein des deutschen Buchhandels im Interesse aller betreiben könnte? Ein offenes, transparentes System, das nicht ungefragt Daten erhebt und seinen Nutzern verheimlicht, was es über sie weiß. Mit der Verkaufsplattform Libreka, von der jedes Buch aus deutschsprachiger Produktion auf alle "freien" Lesegeräte - aber nicht auf den Kindle - geladen werden kann, hat die Branche bereits einen Anfang gemacht. Sie wird bislang allerdings so halbherzig betrieben, dass sie weitgehend unbekannt geblieben ist.

Daran könnten selbstverständlich auch die Amazons und Facebooks dieser Welt teilhaben - aber nur unter den regional oder national festgelegten allgemeinen Geschäftsbedingungen. Nazi-Literatur und Gewalt verherrlichende Schriften stünden hierzulande weiter auf dem Index, aber nicht Kunstwerke mit 'explizit sexuellen Inhalten', wie sie von Sittenwächtern jenseits des Atlantiks heute zensiert und ausgeschlossen werden.

Jeder, der ein deutschsprachiges Buch verlegte, könnte es über die Plattform anbieten. Vom Umsatz würde ein kleiner Teil zum Betrieb der Plattform einbehalten, die auf dem neuesten Stand der Technik gehalten wird - was einzelne Verlage im Übrigen kaum leisten können. Die Anbieter, Groß- wie Selbstverlage, behielten einen deutlich höheren Anteil für sich. Damit könnten Autoren besser gestellt und zugleich eBooks günstiger angeboten werden als heute, was die Gefahren durch Piraterie und Raubkopien nach aller Erfahrung verminderte.

Auf der anderen Seite bekäme jeder, der einen Käufer vermittelt, den gleichen Anteil am festgelegten, allgemeingültigen Preis, sagen wir: 20 Prozent - nicht nur Großhändler, sondern auch die Nachbarin, die ein Buch weiter empfiehlt und in ihrem Namen die Bestellung erledigt. Ein Volk sozial vernetzter Kleinbuchhändler schüfe sich seinen eigenen Marktplatz dort, wo er hingehört.
Der stationäre Buchhandel, ob Kette oder "unabhängig", könnte in seiner Funktion als sozialer und kultureller Begegnungsort und als persönlich beratender Dienstleister ebenfalls seinen Anteil am eBook-Geschäft haben. Kunden dürften sich - von Fachberatern empfohlene - Werke im Laden für eine begrenzte Zeit gratis auf ihr Lesegerät laden und beim Kaffee anschauen wie heute Bücher aus Papier. Beim Kauf würde der Erlös zwischen Verlag und dem jeweiligen Buchhändler ähnlich den jetzigen Gepflogenheiten aufgeteilt.

Kein Verlag und keine Buchhandlung müssten eBooks vorrätig halten. Sie wären über die Server der zentralen, von allen Beteiligten gemeinsam betriebenen Service-Einheit zu beziehen, der nur registrierte Verlage als Anbieter beitreten können. Der deutschsprachige Markt für Bücher wäre stark genug, dann selber zu bestimmen, wie und in welchen Formaten eBooks angeboten werden. Innerhalb des gemeinsamen Marktes herrschte weiter Wettbewerb zwischen Anbietern - um Inhalte und Ideen, Autoren und ihre Werke.

Es hat nichts mit Protektionismus zu tun, sich derartige Fragen zu stellen - und dabei zu wundern, warum sie nicht deutlich hörbar aus der Verlagswelt kommen. Allenfalls mit kulturellem Protektionismus, doch der kann einen höheren Rang für sich in Anspruch nehmen als wirtschaftlicher. Im Interesse eines nationalen Gutes wie der sprachlich eingegrenzten Buchkultur darf zumindest darüber nachgedacht werden, die jetzigen Schutzwälle, wie sie die Preisbindung darstellt, zu erhalten und zu festigen. Und wenn es nur im Interesse von Autoren und schriftstellerischer Vielfalt geschähe. Um mangelnde Konkurrenz auf der Ebene von Verlag und Handel müsste man sich nicht sorgen. Der Umbau von Buchgeschäft und Verlagsbranche unter Einbindung vernetzter Nutzer, der letzte weiße Fleck auf der Landkarte digitaler Medien, gilt als heißester Tipp in der Start-up-Szene.

Wenn es gelänge, die Verlagswelt, alte wie neue, an einen Tisch zu bringen, wenn sie es fertig brächte, das Alleinstellungsmerkmal zu bewahren, die Sprache als vielleicht wichtigstes Gemeinschaftsgut einer Nation, dann könnte die Buchbranche hierzulande sehr wohl ein Wörtchen mitreden, wohin die Reise geht, statt nur anderen hinterherzulaufen - zumal in einem Land, dem die Welt die heutige Buchkultur verdankt. Das zumindest wären wir Gutenberg schuldig.

Jürgen Neffe