Essay

Jokoser Totschlag

Von Wolfram Schütte
11.04.2016. Weil Jan Böhmermann davon ausging, mit seinen ekligen Sottisen auf primitivster Art über den türkischen Autokraten herziehen zu können, ohne dass er juristisch dafür belangt werden könnte, hat Angela Merkel nun den Salat. Sein Schmähgedicht ist nicht Satire.
Dreist camouflierte Schmähkritik: Was zum Fall Böhmermann versus Erdogan doch auch zu sagen ist

Man muss weder ein Freund oder gar Bewunderer des fürchterlichen türkischen Staatspräsidenten noch ein untertänig-bürokratischer Verächter der Satire sein, um das sogenannte "Schmähgedicht" des TV-Satirikers Böhmermann auf Erdogan zumindest als höchst kontraproduktiv in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Autokraten in Ankara zu halten. Kontraproduktiv deshalb, weil es die wünschenswerte satirisch-politische Beschäftigung mit Erdogan in die falsche Richtung geschoben hat. Es ist aber erstaunlich, wenn nicht sogar rätselhaft, dass kein deutscher Verfassungs- oder Strafrechtler & kein juristisch versierter Journalist, wie der doch sonst so bewundernswert wachsame Heribert Prantl von der SZ, sich noch nicht kommentierend zu Wort gemeldet hat - um den kursierenden Fehlbeurteilungen des prekären Vorfalls mit juristischen Argumenten entgegenzutreten.

Es hat lange gedauert, bis Tucholskys berühmte Antwort auf seine selbstgestellte Frage, was die Satire denn dürfe, nämlich "alles", zuerst in der Bundesrepublik & nach der Wiedervereinigung in ganz Deutschland weitestgehend zutrifft. Sie darf, als ein Teil der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Meinungsäußerung, in der Tat alles, um eine Person oder Sache in Grund & Boden zu kritisieren. Sie darf nur nicht dabei das menschliche Objekt der Satire mit ehrverletzenden Beleidigungen herabwürdigen mit dem Ziel die mit einer solchen "Schmähkritik" überzogene Person als Person zu kränken oder damit zu diffamieren.

Diese Begrenzung der Meinungsfreiheit, die sowohl für den gelebten Alltag von privatem wie geschäftlichem Leben als auch für die Kunstfreiheit der Satire gilt, ist als juristische Norm in unserem Grundgesetz ein gewaltiger gesellschaftspolitischer Fortschritt. Weil mit ihm eine juristisch fixierte Balance besteht: zwischen öffentlicher Meinungsäußerung als Kritik & dem gesellschaftlichen Schutz der individuellen Person vor beleidigenden Herabsetzungen.

Nicht viele Länder der Welt sind so weit mit diesem juristisch fein austarierten Abwägen zweier gleich wichtiger Grundrechte in einer liberal-demokratischen Gesellschaft gegangen wie wir. Diesen praktikablen gesetzlich fixierten Kompromiss gilt es - gerade nach den Morden im Namen Allahs - deshalb als "unhintergehbarer" individueller, kollektiver & künstlerischer Freiheitsraum jederzeit massiv, offensiv & demonstrativ gegen jeden zu verteidigen, der ihn einschränken will: ob innerhalb oder außerhalb Deutschlands.

Die zweimalige Einbestellung des deutsche Botschafters in Ankara wegen einer milden satirischen Sendung der ARD über den türkischen Ministerpräsidenten - ein üblicher symbolischer Akt diplomatischen Missfallens - hat den betroffenen Erdogan nicht nur hierzulande so lächerlich gemacht, wie es die von ihm inkriminierte Satire weder intendiert noch getan hatte. Sein Begehren, die deutsche Regierung solle die im Internet nachsehbare Sendung tilgen - als könne sie nach unseren Gesetzen & Lebensweise das tun & ein virtuelles Todesurteil (wg. Majestätsbeleidigung) auf seinen Wunsch hin vollstrecken -, hat mit unbeschreiblicher Genauigkeit der Weltöffentlichkeit angezeigt, wes (beschränkten) Geistes Kind Erdogan ist! Als hätte man das nicht schon längst gewusst!

Selbstverständlich wäre diese grenzüberschreitende wütende Reaktion Erdogans erst recht eine Satire wert - wenn es auch dafür womöglich eines Genies wie Charles Chaplin bedürfte, Erdogans brillante öffentliche Selbstdemontage durch die Phantasie eines Satirikers noch zu überbieten. Jan Böhmermann hat es versucht & sich dabei gründlich verhoben. Mehr noch: da nach dem Sprichwort eine Dummheit auch der Gescheiteste macht, passiert jene umso leichter, wo von diesem nicht die Rede sein kann - selbst wenn er sich dafür hält.

Möglicherweise hat der fliegende Wechsel zwischen Kabarett & Comedy, zwischen Satire & schlichter Beleidigung, die seit geraumer Zeit im deutschen Fernsehen an der Tagesordnung ist, den Herrn Böhmermann dazu verführt, seine lupenreine "Schmähkritik" deshalb für "satirisch" & gewitzt zu halten, weil er vorauseilend erklärte, dass juristisch in Deutschland nicht erlaubt sei, was er sich jetzt aber erlaube - um Erdogan (bzw. seinem feixenden deutschen Publikum) vor Ohren & mit türkischen Untertiteln vor Augen zu bringen, was man an vulgären Beleidigungen gegen ihn "eigentlich" nicht sagen darf, ohne sich strafbar zu machen.

Was daran "satirisch" sein soll, frage ich mich & frage mich das sogar selbst dann noch - wenn diese angeblich Böhmermännische "Satire" auch für den verachtenswerten türkischen Staatspräsidenten fragwürdig, bzw. justiziabel ist. Eben deshalb finde ich das undurchdachte Spiel des Moderaters mit dem Feuer seiner "Schmähkritik" so kontraproduktiv.

Ohne Zweifel war das Quid pro Quo hinterfotzig (aus)gedacht. Weil Böhmermann davon ausging, mit seinen ekligen Sottisen auf primitivster Art über den türkischen Autokraten herziehen zu können, ohne dass er juristisch dafür belangt werden könnte. Die Dialektik, mit der er sich wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Dreck ziehen möchte, den er als Reimeschmied angerichtet hat, ist aber etwa so schlüssig, wie wenn einem jemand mit schussbereiter Pistole versicherte: "Ich zeige dir jetzt einmal, was ich dir nicht antun darf, weil ich dann als Mörder belangt würde" & darauf losdrückt, aber aufgrund seiner Schutzbehauptung, es nicht ernst gemeint zu haben, mit einen Freispruch wegen seines jokosen Totschlags rechnet.

Kurz: die Böhmermannsche Personenbeleidigung ist ein klassischer Fall vorsätzlicher Schmähkritik hinter dem als Schutzschild missbrauchten Kunst(Satire-)Vorbehalt. Zu einem Prozess & einer eventuellen Verurteilung nach §103 des Strafgesetzbuches - in dem die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes geahndet wird - kann es jedoch nur kommen, wenn der Beleidigte selbst tätig wird. Genauso wie wenn der Hinz den Kunz beleidigt hat. Aber erst wenn der beleidigte Kunz zum Kadi läuft, wird die Justizmühle in Gang gesetzt. Das ist jetzt im Fall Böhmermann versus Erdogan geschehen.

Nun kann man sich fragen: Hatte Böhmermann sein "Schmähgedicht" mit dem Kalkül gesprochen, der erregte Autokrat werde blindlings in die von dem Comedien aufgestellte Falle tappen & sich damit erneut beim hiesigen Publikum blamieren; Böhmermann aber würde dann zugleich mit dem wiederholten Ansehensmalus des türkischen Staatspräsidenten den Mitleidsbonus der verfolgten "satirischen deutschen Unschuld" einkassieren. Oder aber, der Beleidigte werde diesmal die beleidigende Breitseite klaglos hinnehmen & der "mutige" deutsche Comedien habe dem innerlich tobenden Türken feixend & triumphierend eine lange Nase gezeigt.

Die Bundeskanzlerin hatte, offenbar um erneuten diplomatischen Verwicklungen vorzubeugen, sich während eines Telefongesprächs mit dem türkischen Ministerpräsidenten für Böhmermanns verbale Ausfälle entschuldigt. Ist die Pfarrerstochter Merkel damit vor Erdogan zu Kreuze gekrochen (wo sie sich doch vor oder hinter ihn hätte stellen sollen)?

Mitnichten! Von einem Satiriker oder einer Satire hat sich Angela Merkel ja auch gar nicht distanziert, weil Böhmermann keine Satire sondern eine als Verbotsmuster camouflierte degoutante Verbalbeleidigung geäußert hatte. Es war abzusehen, dass ihre vorauseilende diplomatische Schadensbegrenzung bei einem Mann wie Erdogan & einem Schmähgedicht wie dem vorliegenden erfolglos sein würde.

Sollte je der satirische Zweck eine ironische "Belehrung" Erdogans über die in Deutschland herrschende Meinungs-& Satirefreiheit gewesen sein - wie der Comedien behauptet -, ist er von Böhmermann nicht angetreten, sondern ebenso spekulativ wie spektakulär verfehlt worden.

P.S. Das eingangs konstatierte "rätselhafte Schweigen" der deutschen Juristen zu Böhmermanns Verwechslung von persönlicher Beleidigung & satirischer Beurteilung hat möglicherweise Gründe, die in der laufenden humoristischen Praxis des deutschen Fernsehens zu suchen sind.

Die politische Klasse, besonders im einst illiberalsten Bundesland (Bayern), hat es im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte immer weiter hingenommen, um nicht sogar zu sagen: gefördert, dass die Melange aus Kabarett, Satire & Comedy sich über die "Großkopfeden" in immer schärferen, spitzeren Tönen regelmäßig hermacht. Die vor allem nur noch bis ins Persönlichste karikierten Personen in diesem bajuwarischen Polit-Kasperletheater machen jederzeit lachende Miene zum & lächerliche Figur beim bösen Spiel mit ihrer Person - wenn sie nicht gar aktiv selbst mitwirken. So demonstriert die Herrschaft der stetig amüsierten Volks-Meute, wie fest sie im Sattel sitzt.

Im Lichte einer solchen exzessiven, transgredierenden, hybriden politischen Humoristik mag die juristische Trennung von satirischer Überzeichnung & persönlicher Beleidigung leichthin verschwunden sein. Wo die verbalen Opfer selbst mit Spaß dabei sind, sich zur Juxfigur des klatschenden Publikums zu machen, erscheint jede Differenzierung von der allgemein herrschenden Praxis überholt ("bei uns ist das so Usus"). Vergessen & verdrängt vom Willen zum Spaß ist wohl auch das, was im 19.Jahrhundert noch als richtig & notwendig galt: "dass die Waffe der Kritik allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen kann". Wer will da schon noch mit der Juristerei dagegen argumentativ angehen & Spielverderber sein?

Wolfram Schütte