Essay

Für eine Intervention in Libyen

16.03.2011. Wir dokumentieren einen Aufruf französischer Intellektueller für eine Sperrung des libyschen Luftraums. Lanciert wurde er unter anderem von Jane Birkin, Andre Glucksmann und Claude Lanzmann
Die Zeit drängt in Libyen. Mit jedem Tag, jeder Stunde, mit mörderischer Waffenmacht - Flugzeugen, Hubschraubern, Panzern, Raketen, Söldnern - verstärkt der Diktator Gaddafi den Zugriff auf sein Land und zerschlägt den Freiheitswillen des libyschen Volkes. Entschlossen, sein Land in "Strömen von Blut" zu ertränken, "säubert" er die Städte von Oppositionellen und installiert eine Terrorherrschaft. In Tripolis und in den von den Rebelle zurückeroberten Regionen werden zahlreiche Menschen entführt, in Folterzellen gesteckt und ermordet.

Der Westen ist sich in seiner Verurteilung des verrückten Diktators einig. Aber, das hat das G8-Treffen nochmals gezeigt, er schwankt, stellt immer neue diplomatische Bedingungen, die einer Intervention vorausgehen, findet Vorwände für seine Tatenlosigkeit. Die Zynischsten kommen sogar mit dem Argument des Neokolonialismus, den uns die arabischen Völker übel nehmen könnten.

Hören sie denn nicht die Rufe der libyschen Rebellen, aber auch der arabischen Liga, der Organisation der islamischen Konferenz, des Kooperationsrats der Golfstaaten? Sie alle fordern eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, um eine Flugverbotszone einzurichten. Die arabischen Führer haben verstanden: Wenn sie in Zukunft in der Region mitreden wollen (und für viele unter ihnen: ihren Platz retten wollen), dann dürfen sie nicht auf der Seite der Diktatoren stehen, die ihre protestierenden Jugend ermorden.

Wir kennen die Zukunft des "arabischen Frühlings" nicht. Wir wissen nicht, welche Kräfte das Libyen der "Nach-Gaddafi-Ära" beherrschen würden. Wir wissen nicht, welche Rolle die Islamisten in den Ländern der Region spielen werden. Aber eine Sache ist sicher: ob Demokratie kommt oder nicht, ob es sechs Monate oder zwanzig Jahre dauert, die arabische Jugend sehnt sich nach Freiheit. Und sie wird die Länder und Politiker nicht vergessen, die sich aus Passivität an die Seite der Henker gestellt haben.

Jene Aufständischen, die "Vive la France" und "Es lebe Europa" gerufen haben, nachdem der libysche Widerstandsrat von Präsident Sarkozy und dem Europäischen Parlament anerkannt worden war, sind heute verzweifelt. Sie sind kaum bewaffnet, kaum trainiert, der von Gaddafi mobilisierten schweren Artillerie schutzlos ausgeliefert.

Sollen wir weiterhin Tag für Tag der unerbittlichen Wiedereroberung des Landes durch den Diktator zusehen? Soll man warten, wie es einige vorschlagen, dass das Massaker ein ausreichendes Niveau erreicht hat? Bei wie vielen blutüberströmten Körpern ist die Toleranzschwelle überschritten? Wenn wir nicht intervenieren, wie verhalten wir uns, wenn der Demente die Macht zurückerobert hat? Haben wir uns schon, wie seinerzeit in Ruanda, damit abgefunden zu sagen: "Ach, wir sind machtlos, ach, wir waren feige?"

Wir sind weder Militärexperten noch Berufsdiplomaten. In wessen Namen rufen wir SOS? Im Namen der Erinnerung. Als die Naziflugzeuge und die spanischen Faschisten am 26. April 1937 die Einwohner von Guernica bombardierten, hat die zivilisierte Welt es geschehen lassen .Picasso hat den Horror gemalt, er wurde erst acht Jahre später verstanden. Noch heute haben die Meuchelmörder stets einen Schritt Vorsprung vor der Weltöffentlichkeit.

Wir wissen nicht, welche Art der Intervention die beste ist, welche am wirksamsten und zugleich am wenigsten riskante für unsere Soldaten und die Zivilbevölkerung ist. Sollte man Landepisten und Radarsysteme bombardieren? Den Himmel über Libyen kontrollieren? Die libysche Luftflotte durch gezielte Schläge zerstören? Die Kommunikationssysteme stören? Wir wissen nur eins: Es muss schnell gehandelt werden. Um den Rebellen Kraft und Hoffnung zu geben, Gaddafi zu schwächen, ihm Angst um seine Zukunft und Sicherheit u machen, seine Raserei zu stoppen und der arabischen Jugend die Gewähr zu geben, dass Wandel möglich und Diktatur nicht ewig ist.

Wir fordern also dringend von der französischen Regierung und ihren Partnern, alles zu tun, damit die UNO sich an ihr Versprechen "responsibility to protect" hält und damit Europa Veantwortung übernimmt und zeigt, dass sein Wille den libyschen Oberst abziehen zu sehen nicht nur ein frommer Wunsch ist. Mit aller Dringlichkeit ist der Sicherheitsrat einzuberufen, damit er ein Mandat für eine Intervention erteilt. Und er darf nicht ein weiteres Mal als Alibi der Untätigkeit angesichts des Verbrechens dienen.

Und die russische und chinesische Regierung dürfen uns nicht zwingen, die libysche Demokratie zu massakrieren. Jetzt, sofort, muss gehandelt werden. Jetzt, sofort, muss der Schlächter gestoppt werden.

Der Aufruf wurde zuerst in Le Monde veroffentlicht. Zu den Unterzeichnern gehören neben den Genannten Pascal Bruckner, Daniel Cohn-Bendit, Bernard-Henri Levy, Raphaël Enthoven, Romain Goupil, Bernard Kouchner, Olivier Rolin.

Übersetzung: Thierry Chervel