Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Film

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.04.2024 - Film

Sexy, aber die Hose bleibt an: "Challengers" von Luca Guadagnino

Tennis und Sex, obendrein eine Ménage à trois: Der italienische Autorenfilmer Luca Guadagnino bringt mit "Challengers" im Kino zusammen, was dort bislang eher selten zusammengedacht wurde. Als Marketing-Schlager spielt dann noch Zendaya, derzeit der angesagteste Filmstar der GenZ, die Hauptrolle. Der Regisseur "suhlt sich in der Schönheit von makellosen Hardcourtplätzen und Tennisoutfits, dem Sound von Topspinvorhänden und Kickaufschlägen", schreibt Daniel Gerhardt auf Zeit Online. "Es wäre nicht das erste Mal, dass der Regisseur Sex und Sinnlichkeit dort erkennt, wo andere Leute sich gelangweilt oder auch angeekelt abwenden." Auch SZ-Kritiker Joachim Hentschel ist nicht so richtig angetan: Der Film "hat über weite Strecken die Struktur einer ausstattungsedlen Soap Opera. Was an sich kein Problem wäre, wenn die Darstellerinnen und Darsteller es schaffen würden, diesen Dialogen etwas mehr Leben, Virtuosität und emotionale Mehrschichtigkeit zu schenken", mal ganz "abgesehen davon, dass hier - für einen so explizit als sexy vermarkteten Film - schon erstaunlich wenig gebumst wird".

Sinnlich und mekrwürdig: "Eureka" von Lisandro Alonso

Der argentinische Auteur Lisandro Alonso schließt mit "Eureka" an seinen Film "Jauja" von vor zehn Jahren an: Erneut stapft Viggo Mortensen auf der Suche seiner Tochter durch ein historisches Setting, diesmal durch den frühen amerikanischen Westen - wobei der Film kaum vermittelt Zeiten und Räume aufbricht: "Eine History of Violence zieht sich durch die Vereinigten Staaten", schreibt Tilman Schumacher im Perlentaucher, "sie bestimmt das ausgehende 19. Jahrhundert ebenso wie die Gegenwart." Es "ist ein düsterer, nie aber schwerfälliger Travelogue durch diverse Zeit-Räume des amerikanischen Kontinents. Keine 'Geschichtsstunde', eher ein Mahnmal, ohne klar erkennbare Funktion. Wer bereit ist, sich ihm anzunähern, wird mit viel Sinnlichkeit belohnt - und auch mit der einen oder anderen Merkwürdigkeit." Für die SZ bespricht Philipp Stadelmaier den Film: "Alonsos Kino kennt nur den Raum", der sich ausdehne und alle räumlichen und zeitlichen Grenzen überwinde. "Diese Form der Entgrenzung ist stimulierend, wirkt aber oft unorganisch und konzeptuell", findet Stadelmaier. Dennoch biete der Film "ein in seiner Weite faszinierendes Panorama".

Außerdem: Joachim Hentschel spricht für die SZ mit Lars Eidinger über dessen Rolle in Matthias Glasners (in der taz besprochenem) Ensemblefilm "Sterben" (mehr dazu bereits hier). Jakob Thaller wirft für den Standard einen Blick aufs Programm des Red Lotus Asian Film Festivals in Wien. In seiner Filmdienst-Serie über Heist Movies denkt Leo Geisler über Jean-Pierre Melvilles "Bob le Flambeur" nach.

Besprochen werden Stéphane Brizés Liebesfilm "Zwischen uns das Leben" (FR), die David M. Leitchs Actionkomödie "The Fall Guy" mit Ryan Gosling (FR), die ARD-Dokuserie "Willy - Verrat am Kanzler" (FAZ) und die im SRF gezeigte Science-Fiction-Serie "Mindblow" (NZZ). Außerdem informiert das Filmteam der SZ, welche Filme sich lohnen und welche nicht. Und hier alle Kritiken des Filmdiensts zur aktuellen Kinowoche.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.04.2024 - Film

Nachtfahrten durchs Leben: Lilith Stangenberg in "Sterben" von Matthias Glasner

Philipp Bovermann feiert in der SZ Matthias Glasners autobiografisch grundierten Ensemblefilm "Sterben", in dem es um die "Herzenskälte" einer Mittelschichtsfamilie geht: Der Vater (Hans-Uwe Bauer) ist eben dement im Altersheim gestorben, die krebskranke Mutter (Corinna Harfouch) in Lieblosigkeit und Ungeliebtheit erkaltet, der Sohn (Lars Eidinger) ist angehender Klassikstar, die Tochter (Lilith Stangenberg) am Leben scheiternde Grenzgängerin. Es ist "Glasners bislang reifster, auch unterhaltsamster Film", schreibt Bovermann: "Großartig ist er in erster Linie wegen seiner Schauspieler. Sie bringen, bis in die Nebenrollen, so viel mit in den Film, dass die erzählte Handlung durchlässig wird für etwas jenseits der Geschichte", was ihm vor allem die exzessive Stangenberg-Episode vor Augen führt: "Um die Herzenskälte zu finden, darf man nämlich nicht nur dorthin gehen, wo es besonders wehtut. Die schwachen Stellen des Schmerzes sind entscheidend, die, an denen er in die Belanglosigkeit absackt, in die Ablenkung, Zerstreuung und Blödelei. Gerade, wenn man ihm auf die Schliche zu kommen droht, lässt er locker und schenkt einem Episoden alberner Heiterkeit. Nachtfahrten durchs Leben, die einem hinterher keiner glauben würde, und die man sich selbst nicht recht glaubt, weil sie wie ausgedacht wirken." Auch Tagesspiegel-Kritikerin Christiane Peitz weiß den "beiläufigen, den Existentialismus sanft unterhöhlenden Humor" des Films zu schätzen.

Außerdem: Der deutsche Film entdeckt die Altenpflege, schreibt Ralf Krämer im Freitag - ebenfalls aus Anlass von Glasners "Sterben". Claudius Seidl (FAZ) und Fritz Göttler (SZ) gratulieren Shirley Maclaine zum 90. Geburtstag. Besprochen werden Christoph Hübners und Gabriele Voss' Langzeit-Dokumentarfilm "Vom Ende eines Zeitalters", der über 45 Jahre hinweg den Strukturwandel im Ruhrgebiet beobachtet (Zeit Online), Luca Guadagninos Tennisdrama "Challengers" (tazlerin Araballa Wintermayr sah "eine formvollendete Studie des Verlangens" und "leichtfüßigen Hedonismus"), Zack Snyders "Rebel Moon 2" auf Netflix (critic.de), die Netflix-Serie "Ripley" (FAZ) und die Netflix-Serie "Dead Boy Detectives" (Tsp).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.04.2024 - Film

Das Internationale Frauen Film Fest widmete sich in Köln in diesem Jahr dem Thema "Rage & Horror", berichtet Silvia Hallensleben in der taz. Die "Re-Aktivierung der dem Weiblichen entweder per Natur abgesprochenen, sozial abtrainierten oder als unangemessen sanktionierten und pathologisierten negativ aufbrausenden Gefühle ist unter FrauenrechtlerInnen schon seit dem 17. Jahrhundert ein Topos. Im Kino wurde es besonders lustvoll und unverblümt im frühen von Konventionen noch ungeschliffenen Stummfilm der Vorkriegszeit ausagiert. ... In 'La paresse de Polycarpe' (Regie: Ernest Servaès, 1914) knockt eine stattliche Matrone immer wieder ihren untätigen Ehemann aus, der bei jeder der ihm aufgetragenen kleinen Verrichtungen im Haushalt stante pede einschläft. Weibliche Durchsetzungsfähigkeit oder eine invertierte Version häuslicher Gewalt?"



Weitere Artikel: Im Filmdienst spricht Komponist Lorenz Dangel über seine Musik für Matthias Glasners neuen Film "Sterben", in dem eine Komposition selben Namens eine tragende Rolle spielt. In einem Radioessay für den Dlf erinnert Thekla Dannenberg daran, wie Siegfried Kracauer im Kinosaal die Arbeiterinnen entdeckte - so wie auch das Kino selbst die Arbeiterinnen als Thema entdeckte. In der FAZ gratuliert Axel Weidemann Michael Moore zum 70. Geburtstag. Besprochen werden Park Chan-wooks Sky-Serie "The Sympathizer" (Freitag, mehr dazu bereits hier) und die auf UniversalTV gezeigte Serie "The Spencer Sisters" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.04.2024 - Film

Eigentlich feiern die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen in diesem Jahr ihr 70. Jubiläum - doch es hagelt am laufenden Meter in ihrem Umfang mittlerweile programmgefährdende Absagen. Der Grund? Festivalleiter Lars Henrik Gass hatte es gewagt, den Jubel auf der Sonnenallee über das Hamas-Massaker vom 7. Oktober als das zu bezeichnen, was er war - Hamas-Propaganda und Judenhass -, und zur Solidarität mit Juden aufgerufen. Das wurde ihm prompt bösartig als Angriff auf alle palästinensischen Menschen umgedeutet, unter anderem in Form anonym lancierter Unterschriftenaktionen. Solche "Kampagnen hält Gass für eine 'neue Qualität der Repression'", schreibt Alexander Menden in der SZ. "'Die Sektion, die Filmlaboren gewidmet war, mussten wir ganz stornieren', sagt Gass. ... Es ist schwer zu sagen, ob die Oberhausener Absagen auf Überzeugungen beruhen oder ob sie das Ergebnis eines Gruppendrucks sind. Der Kulturbereich ist nun mal klein, man kennt sich und ist voneinander abhängig. Lars Henrik Gass sieht eine Art Dominoeffekt am Werk: 'Ein Filmemacher, der sich bewirbt, muss sich vor seinem Verleih, der Verleih vor anderen Verleihen rechtfertigen: Warum gehst du nach Oberhausen?' Etwa 20 Prozent des gesamten Programms hätte in der Folge nachgearbeitet werden müssen."

Weiteres: Die Regisseurin Kat Rohrer, die mit "What a Feeling" gerade die erste queere Komödie aus Österreich vorgelegt hat, spricht im Standard mit Valerie Dirk über den Stand der Dinge der queeren Repräsentation im österreichischen Film. Besprochen werden Ryūsuke Hamaguchis "Evil Does Not Exist" (Jungle World, FAZ, mehr dazu bereits hier), Martin Durkins auf Youtube gezeigter, klimawandel-skeptischer Film "Climate: The Movie" ("ein völlig irreführendes Zerrbild von der Klimaforschung und der Klimapolitik", findet Sven Titz in der NZZ), Mark Salisburys Bildband "Being Bond: Daniel Craig - Ein Rückblick" (FD) und die Amazon-Serie "Fallout" nach dem gleichnamigen Videospiel (FAZ).

Und beim Lichter-Filmfestival in Frankfurt unterhielt sich der Filmemacher Christoph Hochhäusler mit den Architekten Dietmar Feistel und Hugo Herrera Pianno über die Zukunft von Kino-Architektur:

Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.04.2024 - Film

"Ziemlich peinlich" findet es Peter Körte in der FAS, dass Angela Schanelecs "Music" (unsere Kritik) für keinen Deutschen Filmpreis nominiert wurde. "Da verhält sich die internationale Anerkennung für Schanelecs Arbeit umgekehrt proportional zur Ignoranz in Deutschland. ... Am schlechten Einspielergebnis von 'Music' liegt es nicht" da die meisten der bereits angelaufenen nominierten Filme Zuschauerzahlen im unteren bis mittleren fünfstelligen Bereich aufweisen oder gar nur im vierstelligen Bereich wie auch Schanelecs Film. "Nur 'Ein ganzes Leben' von Hans Steinbichler, die Lebensgeschichte eines Hilfsarbeiters in den Alpen, brachte es auf rund 200.000 Zuschauer. Klar, Zahlen sind nicht alles, aber etwas zu erzählen haben sie auch. Verschämt wird beim Filmpreis seit 2014 zusätzlich der besucherstärkste Film geehrt, der praktisch nie unter den Nominierten auftaucht."

Weitere Artikel: Thomas Abeltshauser spricht für die taz mit Elene Naveriani über deren Film "Amsel im Brombeerstrauch", der von einer Frau in Georgien erzählt, die in ihren Mitt-Vierzigern lustvoll ihren Körper entdeckt. Besprochen werden Alex Garlands "Civil War" (NZZ, mehr dazu bereits hier), Ryûsuke Hamaguchis "Evil does not exist" (Standard, mehr dazu bereits hier), Jochen Hicks Dokumentarfilm "Queer Exile Berlin" (online nachgereicht von der FAZ) und Matt Bettinelli-Olpins und Tyler Gilletts Horrorfilm "Abigail" (Standard).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.04.2024 - Film

Beobachtet mit Skepsis: "Evil Does Not Exist" von Ryūsuke Hamaguchi

Gestern gab es nur Interviews mit Ryūsuke Hamaguchi zu dessen neuen Film "Evil Does Not Exist", jetzt kommen doch noch Kritiken. Der Film handelt von einem in der beschaulichen Natur bei Tokio gelegenem Dorf, das sich dagegen zur Wehr setzt, dass sein Idyll durch einen luxuriösen Campingplatz für Stadtbewohner zerstört werden soll. Das "folgt oberflächlich betrachtet einer Ökoparabel", schreibt Barbara Schweizerhof in der taz, doch legt der Film widersprüchliche Fährten für Menschen, die Filmen noch aufmerksam folgen können: "Da ist erstens die Natur nie ganz harmlos, zweitens die Gemeinschaft nicht wirklich harmonisch und drittens ist es auch mit der kapitalistischen Gier nicht so einfach." So unterliegt in diesem Film "allen Beobachtungen eine gewisse Skepsis".

Einen überaus sinnlichen Film sah Tagesspiegel-Kritiker Andreas Busche: "Hamaguchi entwickelt sozusagen eine ökologische Filmästhetik. In der Eröffnungssequenz gleitet die Kamera minutenlang zu sanft dissonanten Klängen die Baumwipfel entlang, Hamaguchi hat seinen Film gemeinsam mit Eiko Ishibashi komponiert: Ihre Musik sowie die Landschaft dienen als Inspiration für die Bilder, der Regisseur folgt lediglich Vorgaben." Das übt auch auf Artechock-Kritikerin Dunja Bialas einen erheblichen Reiz aus: "In narrativen Zeitkapseln arbeitet Hamaguchi gegen den konsumierbaren Plot an, entdramatisiert, entschleunigt und verrätselt seine parabelhafte Erzählung, kehrt immer wieder zu Momenten der Vergangenheit zurück oder dehnt die erzählte Zeit, indem er einfach nichts erzählt. Indem er die Natur dem Blick der Kamera überlässt, das Ohr einfach nur hören lässt, die Musik, das Rauschen der Natur."

Außerdem: Dass Holger Roost-Macias' Dokumentarfilm "Sehnsucht nach Unschuld" über Leni Riefenstahls Reisen zu den südsudanesischen Nuba in den Sechzigern und Siebzigern im Filmmuseum München nach Protesten migrantischer Initiativen nun doch nicht gezeigt wurde, hält Andreas Platthaus in der FAZ für eine verpasste Chance einer "Auseinandersetzung über Riefenstahl". Elke Eckert wirft für Artechock einen Blick ins Programm der Türkischen Filmtage in München.

Besprochen werden  Matt Bettinelli-Olpins und Tyler Gilletts Horrorfilm "Abigail" (Perlentaucher), Elene Naverianis "Amsel im Brombeerstrauch" (online nachgereicht von der FAZ), Alex Garlands "Civil War" (Artechock, Standard, mehr dazu bereits hier), Véréna Paravels und Lucien Castaing-Taylors auf Mubi gezeigter Dokumentarfilm "De Humani Corporis Fabrica" über das Innere des menschlichen Körpers (NZZ), die französische, auf Netflix gezeigte Actionserie "Furies" (Presse) und Aldo Gugolz' Dokumentarfilm "Omegäng" über Schweizer Dialekte (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.04.2024 - Film

Ubiquitäre Untergangsfantasien: Kirsten Dunst in Alex Garlands "Civil War"

Science-Fiction-Auteur Alex Garland malt sich in "Civil War" einen amerikanischen Bürgerkrieg in naher Zukunft aus, vermittelt durch die Perspektive der Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst), die durch mehrere US-Staaten reist. Es ist entsprechend "kein Film über das Leid, das der Krieg bringt, sondern ein Film über das Betrachten des Leids", schreibt Perlentaucher Karsten Munt, den Garlands medienkritischer Gestus allerdings ziemlich frustriert: "Der Road-Trip, zu dem Lee und ihre Wegbegleiterinnen aufbrechen, weist mitunter durchaus das Potenzial auf, an sujet-verwandte Genreklassiker und ihre Schnörkellosigkeit anzuknüpfen. ... Garland aber möchte seinen Film sichtbar als thinking man's Genrestück verstanden wissen. 'Civil War' positioniert sich jedoch nicht zur politischen Realität 'am Boden', sondern wirft vom Treppenabsatz aus Fragen ein - rhetorische Fragen, versteht sich. Der Vibe des Films ist der eines passiv-aggressiven Tweets: provozierend genug, um Resonanz zu fordern; ungebunden genug, um direkt für den nächsten ausgetauscht zu werden."

"Die Geschichte macht sich die emotionale Kälte ihrer Figuren zu eigen, die nichts mehr zu schocken scheint", hält Philipp Rhensius in der taz fest. Aber "darf ein Film, der indirekt stets auf die Situation der gespaltenen US-Gesellschaft schielt, ohne Lehren auskommen?" Vielleicht schon, meint er: "So ließe sich Brechts Aphorismus für 2024 updaten. Stell dir vor, es läuft ein Kriegsfilm und niemand weiß, um was es geht, aber wie. Vielleicht hat derart immersive Action in einer Zeit, in der vor allem mit Gefühlen und nicht Argumenten Politik gemacht wird, mehr Abschreckungspotenzial." Chris Schinke blickt in der Jungle World eher mit Sorge auf den Film, dessen Regisseur sich der diffusen Untergangs- und Bürgerkriegslust der radikalisierten amerikanischen Rechten (sowie der Popkultur) vielleicht nicht andienen wolle, dieser aber trotzdem in die Hände spiele: "'Civil War' gerät durch den Flirt mit der totalen Revolte in den unheimlichen Bann der seltsam ubiquitären Untergangsfantasie." FR-Kritiker Daniel Kothenschulte entdeckt in dieser "fast surrealen Alptraumreise" auch "ein Roadmovie, das an das New Hollywood der Sechziger und Siebziger erinnert". Valerie Dirk porträtiert im Standard Kirsten Dunst.

Weitere Artikel: "Evil Does Not Exist", den neuen Film des japanischen Oscarpreisträgers Ryûsuke Hamaguchi, will offenbar niemand besprechen, aber alle wollen mit seinem Macher sprechen: Interviews gibt es in FR, Tagesanzeiger, Freitag und SZ. Andreas Scheiner erzählt in der NZZ von seinem Treffen mit dem Filmemacher John Wilson. Carmen Paddock rankt für VAN die besten Opernhausszenen im Film. Besprochen werden eine DVD-Ausgabe von Hou Hsioa-hsiens "Millennium Mambo" (taz), die HBO-Serie "The Sympathizer" nach dem gleichnamigen Roman von Viet Thanh Nguyen (Welt, Presse, mehr dazu hier) sowie Rachel Ramsays und James Erskines beim Internationalen Frauen Film Fest Dortmund+Köln gezeigter Dokumentarfilm "Copa '71" über die Frauen-WM 1971 in Mexiko (SZ). Außerdem verrät das Filmteam der SZ, welche Filme sich in dieser Woche lohnen und welche nicht. Hier alle Kritiken des Filmdiensts zur aktuellen Kinowoche.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.04.2024 - Film

Ein trauriges Gespenst: "Irdische Verse"

Alireza Khatamis und Ali Asgaris "satirischer Episodenfilm 'Irdische Verse' erzählt in neun Tableaus von den Auswirkungen der Sharia auf das Leben der Iranerinnen und Iraner im Gottesstaat", schreibt Heike Karen Runge in der Jungle World. Dabei geht es vor allem um "den ganz alltäglichen Irrsinn einer bizarren Glaubensbürokratie". Die Episode, in der eine Mutter für ihre Tochter in einem Bekleidungsladen ein Schleierset kaufen will und sich im Off des Bildes ein Dialog zwischen Mutter und Verkäuferin in den Details der bizarren Vorschriften verliert, zählt für Runge zu den Höhepunkten: "Unterdessen performt die Tochter im Stil von Tanzvideos eine Choreographie vor der Kamera und stellt der Mutter selbstbewusste Fragen - warum trägt sie das Gewand denn nicht, wenn sie es doch so schön findet? Wie sich das fröhliche Mädchen unter den Stoffmassen für einen Moment in ein trauriges Gespenst verwandelt, bevor es den Hijab abnimmt, die pinken Kopfhörer wieder aufzieht und unbeeindruckt weitertanzt, ist nicht nur umwerfend inszeniert, sondern fragt implizit auch danach, welche Kräfte sich in Zukunft in der Gesellschaft durchsetzen werden."

Barbara Schweizerhof unternimmt für die taz einen Streifzug durch die Geschichte der Midlife-Crisis im Kino, von Fellini über das US-Unterhaltungskino bis in die jüngere Arthouse-Gegenwart: Dabei zeigt sich ihr nicht nur, dass 90s-Mainstream wie "City Slickers" heute "weit altmodischer und angestaubter scheint als noch die katholische Existenzialisten-Künstlichkeit von Fellini" und dass es gute Gründe dafür gibt, dass einst als Instant Classics gehandelte Filme wie "American Beauty" zu Klassikern dann doch nicht wurden. Männer stehen allerdings überall im Mittelpunkt, mit Ausnahmen: "Einen der schönsten und bis heute kaum übertroffenen Filme über eine Frau in der Midlife-Krise stammt aus dem Jahr 1978 und von einem Mann: Paul Mazurskys 'Eine entheiratete Frau'. Jill Clayburgh spielt die Frau, die von ihrem Mann für eine Jüngere verlassen wird und sich selbst neu finden muss. Nicht nur der 70er-Jahre-Realismus macht den Film besonders, sondern auch die Tatsache, dass es am Ende doch nicht einfach ein neuer Mann (Alan Bates) ist, der ihr neues Glück beschert, sondern im Gegenteil, ihr Bestehen auf Selbstständigkeit. Jüngere Filme wie 'Unter der Sonne der Toskana' (2003) oder 'Eat Pray Love' (2010) folgen da immer noch dem alten Klischee."

Besprochen werden Carla Gutiérrez' Dokumentarfilm über Frida Kahlo (NZZ), Christopher Zallas Schuldrama "Radical" (Standard), neue deutsche Thriller von Marvin Kren und Lars Becker (Welt), die Apple-Serie "Franklin" mit Michael Douglas (SZ, in Online-Auslieferung vom TA), die Amazon-Serie "Fallout" (Presse) und das ZDF-Porträt "Mensch Merz - der Herausforderer" (Zeit Online).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.04.2024 - Film

In der FAZ gratuliert Claudius Seidl Ellen Barkin zum 70. Geburtstag. Besprochen wird die auf Disney+ gezeigte, nigerianische Science-Fiction-Serie "Iwájú", die von einem futuristischen Lagos handelt (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.04.2024 - Film

Entlarvt amerikanische Überheblichkeit: "The Sympathizer" (HBO)

Die HBO-Serie "The Sympathizer", basierend auf dem gleichnamigen Roman von Viet Thanh Nguyen und umgesetzt von dem koreanischen Autorenfilmer Park Chan-wook, kommt bei den Kritikern gut an. Im Mittelpunkt steht ein Doppelagent namens The Captain, der für die CIA und für den Vietkong arbeitet. Tazler Florian Schmid dankt dieser "wilden Mischung aus Agentengeschichte, Kriegsfilm, Sozialdrama und rassismuskritischer Satire" für "eine vietnamesische Perspektive auf diesen für die US-Popkultur so wichtigen Krieg, die im US-Kulturbetrieb völlig fehlt". Die Serie "erzählt als bitterböse Komödie ungeschminkt vom Rassismus gegen vietnamesische Geflüchtete und der Hybris der Amerikaner gegenüber Vietnamesen. ... Nguyens brillanten, ziegelsteingroßen Roman zu verfilmen, ist eine Herausforderung. Park Chan-wook wird ihr gerecht." Auch Nina Rehfeld von der FAZ sah "eine beißende Satire auf amerikanische Überheblichkeit und ungebrochene Arroganz, wenn auch aus dem sicheren Abstand von fünf Jahrzehnten. Aber bei allem perspektivischen Witz ist sie nie zynisch. Auf Entlarvung folgt Tragik, die ihre Wurzeln wiederum in einem größeren Überbau zu finden scheint: dem Hang von Menschen zur Grausamkeit gegen sogenannte 'Andere'."

Berlinale-Moderatorin Hadnet Tesfai und das ZDF wehren sich in Statements dagegen, nun den Schwarzen Peter bei der Aufarbeitung des Debakels der Berlinale-Abschlussgala zugeschoben zu bekommen, wie dies Claudia Roth und Mariette Rissenbeek bei einer Sondersitzung des Kulturausschusses des Bundes vergangenen Woche versuchten (unser Resümee): "Zu überprüfen ist weder die Aussage Rissenbeeks noch Tesfais Antwort", kommentiert Andreas Busche im Tagesspiegel resigniert angesichts dieser Sündenbock-Suche. "Man kann nur hoffen, dass diese 'Aufarbeitung' künftig nicht als Modellfall für die Diskussion über strukturellen Antisemitismus und Rassismus in der deutschen Gesellschaft (und, ja, vielleicht auch in der Kulturszene) herangezogen wird. ... Wer sich allerdings noch an das Lavieren von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, dem Documenta-Aufsichtsrat und dem Kuratoren-Kollektiv beim Antisemitismus-Skandal der Kasseler Kunstschau vor zwei Jahren, erkennt ein Muster: ein mangelndes Bewusstsein für die Polarisierung der Gesellschaft bei gleichzeitig einem Höchstmaß an moralischer Selbstgewissheit."

Popstars lösen derzeit Superhelden als Erfolsgaranten an den Kinokassen ab, beobachtet Jakob Thaller vom Standard. Zumindest laufen Biopics über Popstars (aber nicht nur über diese ) gerade verdammt gut. "Biopics sind in den Augen der Produktionsstudios ein perfektes Genre: Man braucht keine innovativen Ideen und kein großes Budget. Aus Nostalgie strömen sowieso genügend bereits vorhandene Fans in die Kinosäle." Doch "wie Superheldenfilme sind Popstar-Biopics erfolgreich, weil sie uns Charaktere und einen Mythos präsentieren, die wir bereits kennen. Echte, schmerzhafte Lebensmomente verkommen zum Klischee. Wo die Wahrheit liegt, interessiert Hollywood nicht."

Weitere Artikel: David Steinitz schreibt in der SZ einen Nachruf auf die Regisseurin Eleanor Coppola. Im dritten Teil seiner Essayreihe für den Filmdienst über Heist-Movies schreibt Leo Geisler an "The Killing" (1956) von Stanley Kubrick. Maria Wiesner erinnert in der FAZ (online nachgereicht) an den Hongkong-Actionklassiker "Police Story" mit Flummiball Jackie Chan und insbesondere an dessen Synchronsation im "Schnodderdeutsch" aus der Feder von Rainer Brandt.

Besprochen werden der Dokumentarfilm "Ein Traum von Revolution", in dem Petra Hoffmann, damals selbst als Brigadistin im Land, die letzten Endes gescheiterte Revolution in Nicaragua Ende der Siebziger aufarbeitet (taz), Alice Rohrwachers "La Chimera" (Tsp, unsere Kritik), Woody Allens "Ein Glücksfall" (Standard, unsere Kritik), Sam Taylor-Johnsons Amy-Winehouse-Biopic "Back to Black" (Jungle World), die vom ZDF online gestelle Science-Fiction-Serie "Infiniti" (FAZ) und die auf Amazon gezeigte Serienadaption des Videospiels "The Fallout" (taz).