Efeu - Die Kulturrundschau
Kommunikation mit den Toten
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.03.2023. Die Berliner Zeitung begeistert sich für die fliegenden, orgiastischen Körperteile der amerikanischen Künstlerin Christina Quarles. Zuviel Obsession für den weiblichen Körper kann aber auch nerven, bemerkt die nmz in einer Genter Inszenierung von "Tristan und Isolde". Die taz hofft, dass demnächst KI strunzlangweilige Musikerinterviews aufpeppt. Die Welt trifft sich mit Georg Klein auf der Reeperbahn, um über das Jenseits zu plaudern. Die FAZ fordert einen sofortigen Baustopp für den geplanten Erweiterungsbau des Kanzleramts. Die SZ schwelgt in "Garden Futures".
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
25.03.2023
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Kunst

Marcus Boxler unterhält sich für monopol mit einem Mitglied des Kollektivs Broke.Today über Künstler, ihren Anteil an der Gentrifizierung und die anschließende Verdrängung der Kunstszene. Derzeit hat das Kollektiv ein Haus in der Münchner Maxvorstadt für ein Kunstprojekt "besetzt" (mit Einwilligung der Eigentümer): "Kurz bevor gentrifiziert wird, sind wir da, sind Künstler da. Das war auch schon immer so in dieser Stadt - und wahrscheinlich auch überall sonst. Bis sich kein Künstler mehr leisten kann, in dem Viertel zu leben. Und dann zieht man halt weiter. Wir treiben diese Hyperdynamik auf die Spitze und haben diese Gentrifizierungsprozesse zu unserer Projektbasis gemacht."
Besprochen werden Ursula Schultze-Bluhms Ausstellung "Ursula: Das bin ich. Na und?" im Kölner Museum Ludwig (FAZ) und eine Ausstellung der Künstlerin Lap-See Lam im Portikus in Frankfurt am Main (monopol).
Architektur
In der FAZ fordert Claudius Seidl einen sofortigen Baustopp für den geplanten Erweiterungsbau des Kanzleramts: Nicht nur, weil es so schon ohne die Erweiterung der "größte Regierungssitz der Welt ist" oder weil die Baukosten "garantiert auf eine Milliarde steigen" werden, sondern vor allem, weil die Erweiterung "völlig unzeitgemäß und aus ökologischer Sicht geradezu ein barbarischer Akt wäre, eine böse Klimasünde; es ist, als würde die Laufzeit deutscher Kohlekraftwerke noch einmal um fünfzehn Jahre verlängert: Vergesst unsere ambitionierten Klimaziele, es ist uns egal, welchen Dreck wir machen."
Außerdem freut sich Matthias Alexander in der FAZ über die Rekonstruktion des historischen Helms des Turms des Frankfurter Römers.
Außerdem freut sich Matthias Alexander in der FAZ über die Rekonstruktion des historischen Helms des Turms des Frankfurter Römers.
Bühne

In der NZZ ist Lilo Weber froh, dass viele Bühnen, allen voran in Berlin, die Choreografien Marco Goeckes weiter zeigen. Goecke hatte seine Stelle als Ballettdirektor der Staatsoper in Hannover verloren, nachdem er einer Tanzkritikerin Hundekot ins Gesicht geschmiert hatte. Das ist kein Grund, ihn zu canceln, findet Weber, schließlich sei der Mann ja so begabt: "Goeckes Stück 'Petruschka' weiß nichts von der abstoßenden Tat des Hundekot-Werfers Goecke, und das nicht nur deshalb, weil es zu einer Zeit entstand, da sein Erschaffer für die Öffentlichkeit noch frei von Schuld war. Sondern vielmehr, weil sich Kunstwerke von ihrem Urheber loslösen und im besten Fall ein Eigenleben führen. Dann sprechen sie zu uns, vielstimmig, wenn sie gut sind, und vermögen in jedem andere Saiten zu berühren. Sofern wir uns - auch in einem moralisch schwierigen Fall wie diesem - darauf einlassen wollen. Genau das wollen offenbar die Tanzinteressierten. Ballettabende mit Goecke-Stücken sind derzeit auffällig gefragt, etliche Vorstellungen ausverkauft." Fragt sich nur, ob das wirklich mit Goeckes Choreografenkünsten zu tun hat.
Weitere Artikel: In der nachtkritik berichtet Andreas Thamm über Streit am Theater Bamberg vor dem Hintergrund der neuerlichen Vertragsverlängerung von Intendantin Sibylle Broll-Pape. In der FAZ fragt Jan Brachmann entgeistert, warum sich Bernd Loebe mit Lebenslauf und allem pipapo neu für die Leitung der Tiroler Festspiele in Erl bewerben soll, obwohl er sie seit 2018 erfolgreich leitet.
Besprochen werden Reiner Holzemers Dokumentarfilm über Lars Eidinger (nachtkritik) und die Uraufführung von Marc Schubrings Musical "Mata Hari" im Münchner Gärtnerplatztheater (nmz).
Film

Edward Bergers Film "Im Westen nichts Neues" wurde zwölf mal für den Deutschen Filmpreis Lola nominert. Einerseits verdient, findet Andreas Busche im Tagesspiegel. Andererseits "wird der Siegeszug von 'Im Westen nichts Neues' wieder das alte Problem des Filmpreises aufzeigen: dass sich die wichtigsten Auszeichnungen um einen Titel konzentrieren. Keine gute Voraussetzung, um die Vielfalt des deutschen Films zu feiern. Genau das aber hat das Kino, drei Jahre nach der Pandemie, gerade nötig."
Weiters: Philipp Bovermann unterhält sich für die SZ mit John Malkovich über dessen Filmrolle als Seneca. Besprochen werden Lars Kraumes Film "Der vermessene Mensch" (taz), die Sky-Doku über den Relotius-Skandal (taz), Till Schweigers "Manta Manta Zwoter Teil" (den ein gerührter Hanns-Georg Rodek in der Welt überraschend gelungen findet) und Reiner Holzemers Filmdoku "Lars Eidinger - Sein oder nicht sein" (SZ).
Design

Literatur

Weitere Artikel: Jan Wiele unterhält sich für die FAZ mit Bret Easton Ellis.
Besprochen werden Ilona Haberkamps Biografie der deutschen Jazzerin Jutta Hipp (taz), der Sammelband "Canceln - ein notwendiger Streit" (taz), Dominic Oppligers "Giftland" (NZZ), Mary Hunter Austins Essay über den amerikanischen Westen "Wo wenig Regen fällt" (taz), Teresa Präauers Roman "Kochen im falschen Jahrhundert" (Tsp), Fen Verstappens "Lebenslektionen meiner Mutter" (taz), Julia Trompeters Lyrikband "Versprengtes Herz" (FR), Shelly Kupferbergs Roman "Isidor. Ein jüdisches Leben" (SZ), Toni Morrisons "Rezitativ" (SZ), Witold Gombrowiczs von Rolf Fieguth neu übersetzter Roman "Ferdydurke" (FAZ), Andreas Maiers Roman "Die Heimat" (FAZ) und ein Band über "Die mutigen Frauen Irans" (FAZ).
In der Frankfurter Anthologie analysiert Norbert Hummelt Jürgen Beckers Gedicht "Anrufbeantworter":
"Zu spät vielleicht; da liegt noch
die Einladung, aber als die Stimme vom Band
kam, legte ich gleich auf.
..."
Musik
Interviews mit Musikern sind langweilig, aber die gequälten Journalisten kriegen das trotzdem immer noch besser hin als jede KI. Ganz anders sieht es mit den Musikern aus, spottet Detlef Diederichsen in der taz. Die könne KI jederzeit ersetzen: "Man könnte den Künstler-Bot auch noch realistischer machen, indem man ihm verschiedene Launen antrainiert, die dann per Zufallsgenerator zum Einsatz kommen. Richtig spannend würde es, wenn dieser brillante, aber launische Antwort-Bot von einem ebenso gut und komplex programmierten Frage-Bot gegrillt würde. Sicherlich ein Gewinn für den Musikjournalismus."
Weiteres: Doris Akrap unterhält sich für die taz mit Herbert Grönemeyer über dessen neues Album "Das ist los". Martin Scholz plaudert für die Welt mit Martin Gore von Depeche Mode.
Besprochen werden Sigrid Faltins Filmporträt der Geigerin Anne-Sophie Mutter (taz), das Grönemeyer-Album "Das ist los" (FR), Depeche Modes neue CD "Memento Mori" (FR, BlZ), Lana Del Reys Album "Did You Know That There's a Tunnel Under Ocean Blvd" (FR, Standard, SZ, Welt) und ein Konzert von Snoop Dog in Berlin (BlZ, Tsp).
Weiteres: Doris Akrap unterhält sich für die taz mit Herbert Grönemeyer über dessen neues Album "Das ist los". Martin Scholz plaudert für die Welt mit Martin Gore von Depeche Mode.
Besprochen werden Sigrid Faltins Filmporträt der Geigerin Anne-Sophie Mutter (taz), das Grönemeyer-Album "Das ist los" (FR), Depeche Modes neue CD "Memento Mori" (FR, BlZ), Lana Del Reys Album "Did You Know That There's a Tunnel Under Ocean Blvd" (FR, Standard, SZ, Welt) und ein Konzert von Snoop Dog in Berlin (BlZ, Tsp).
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