Efeu - Die Kulturrundschau
Marc ist überhaupt indiskutabel
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Kunst

Hervorragend bestückt und sehr erkenntnisreich findet Alexander Menden in der SZ die Expressionismus-Ausstellung im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum, die die beiden großen Künstlergruppen, Die Brücke und den Blauen Reiter, zusammenbringt. Oder nicht wirklich: "Im Jahr 1920 notiert Ernst Ludwig Kirchner in seinem Tagebuch: 'MARC ist überhaupt indiskutabel. Kitsch á la KANDINSKY. Wie wenig müssen die Herren Kunsthistoriker sehen und fühlen, dass sie solches überhaupt ansehen können.' Nein, eine wirkliche Einheit hatten sie nie gebildet, die deutschen Expressionisten... Der zupackendere, vermeintlich homogenere Stil der Brücke-Maler, die Anlehnungen an den sogenannten 'Primitivismus', an Cézanne, Matisse und Gauguin, wurde lange Zeit als bewusster Schritt betrachtet, als eine Auflösung der einzelnen Künstlerpersönlichkeiten in einer Gruppenästhetik. Von-der-Heydt-Direktor und Ko-Kurator Roland Mönig sieht darin eher eine Entwicklung, die sich organisch aus der engen Zusammenarbeit und dem gemeinsamen philosophischen Ansatz ergab. Die zahlreichen Badeszenen, großenteils rund um Dresden entstanden, die reduzierte Figurenzeichnung und der allgemeine Eskapismus in ein libertinistisches Gruppenleben - mit nicht nur nach heutigen Maßstäben bedenklich jungen weiblichen Modellen - amalgamierten die Gruppe stilistisch."
Weiteres: Joseph Hanimann berichtet in der SZ von den Diskussionen um den Wiederaufbau von Notre-Dame. Besprochen werden eine Schau des Malers Werner Büttner in der Hamburger Kunsthalle (taz) und Jan Schmidts "Archiv eines Sommers" im Foyer des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach (FR).
Film
Ziemlich fassungslos steht ZeitOnline-Kritiker Matthias Dell vor der ZDFNeo-Serie "Westwall", die Benedikt Gollhardt nach seinem eigenen Roman verfasst hat und in der sich eine rechte Zelle aus einer Gruppe obdachloser Kinder und Jugendlicher bildet: "Einer Gruppe von Menschen, die in der Gegenwart Opfer rechter Gewalt ist, wird in der Serie, die behauptet, etwas über Gegenwart zu erzählen, Täterschaft souffliert, um zugleich einen Mitleidsanker einzubauen, der in der Logik von jahrzehntelanger, verständnisvoller Entschuldigung rechtsextremer Gewalt steht ('verführten')."
Außerdem: Auch Steven Spielberg dreht seine Filme weiterhin "auf anständigem Eastman-Kodak-35-mm-Film", gesteht der Hollywoodregisseur im SZ-Gespräch zum Start seiner Musical-Neuverfilmung "West Side Story", aus deren Anlass sich Georg Seeßlen für epdFilm nochmals das Original zu Gemüte geführt hat. Dominik Kamalzadeh sichtet für den Standard Filme des online stattfindenden Wiener Filmfestivals "This Human World". Im Filmdienst resümiert Patrick Holzapfel die Duisburger Filmwoche.
Besprochen werden Junta Yamaguchis auf BluRay veröffentlichter Film "Beyond the Infinite Two Minutes" (critic.de), die auf Disney+ gezeigte Naturdoku "Welcome to Earth" mit Will Smith (FAZ), die RTL-Serie "Faking Hitler" über den Stern und die gefälschten Hitlertagebücher (NZZ) und die Ausstellung "Endlich Kino!" im Pariser Musée d´Orsay über das Verhältnis zwischen der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts und den ersten Kinojahren (FAZ).
Bühne
Weiteres: Der Standard meldet, dass das Theater an der Wien wegen Umbauarbeiten ab März für zwei geschlossen wird.
Besprochen werden Donizettis Tudor-Oper "Anna Bolena" an den Opern von Zürich und Genf (NZZ, FAZ), Rimski-Korsakows "Die Nacht vor Weihnachten" an der Frankfurter Oper (SZ)und Oscar Wildes "Bunbury" am Staatstheater Wiesbaden (FR).
Literatur
Besprochen werden unter anderem neue Gesamtausgaben von Comicklassikern (taz), Martin Mittelmeiers "Freiheit und Finsternis" über die Entstehung der "Dialektik der Aufklärung" (Zeit), Gabriele von Arnims "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand" (NZZ), Bei Daos "Das Stadttor geht auf" (Zeit) und Andreas Mosters "Kleine Paläste" (FAZ).
Musik
Ab heute gilt in den Berliner Clubs ein Tanzverbot - de facto ein Lockdown, sagt in der taz Lutz Leichsenring von der Berliner Clubcommission, die sich nach ihrer Vorarbeit im Sommer gemeinsam mit der Berliner Charité von der Politik ziemlich alleine gelassen fühlt: "Wir arbeiteten mit einem großen Labor zusammen, mit Kapazität für mehrere zehntausend Tests pro Wochenende. Im Idealfall sind es vom PCR-Test bis zum Ergebnis nur vier Stunden, und der Test kostet weniger als 15 Euro. Man kann sich nachmittags oder früh am Abend testen lassen und danach - bei negativem Ergebnis - feiern gehen. Es hat sich gezeigt, dass dieses Konzept funktioniert. Wir haben auch nach der Möglichkeit von 2G die Politik ermahnt, dass es weitere Sicherheiten geben müsse, falls die Coronazahlen wieder steigen sollten, damit wir nicht wieder in den Lockdown gehen. Und was passiert nun? Man ignoriert uns."
Außerdem: Jan Brachmann schreibt in der FAZ einen Nachruf auf den Pianisten Andrej Hoteev. Besprochen werden das Debütalbum von Gewalt (tazler Jens Uthoff "schwankt zwischen Lust und Ekel, zwischen Faszination und Abscheu"), ein Bildband über die Geschichte des Schweizer Experimental-Popprojekts Yello (NZZ), ein Elbphilharmonie-Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters unter Kent Nagano (Welt) und neue Popveröffentlichungen, darunter Benny Sings' "Beat Tape II", mit dem man sich laut SZ-Popkolumnist Jens-Christian Rabe "schön funky uneigentlich durch den Tag schaukeln lassen kann". Wir schaukeln mit: