Efeu - Die Kulturrundschau

Gabi gibt alles

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28.09.2017. Die Presse blickt hingerissen und demütig auf die lieblichen Madonnen Raffaels. Die taz feiert das Charisma des Loser Clubs in der Neuverfilmung von Stephen Kings "Es". In der SZ begrüßt Frank Castorf "hundertprozentig" die Besetzung der Volksbühne. FAZ und Welt singen mit Miley Cyrus "Younger Now".
9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.09.2017 finden Sie hier

Kunst

Raffael, Maria mit dem Kind (Madonna Colonna), 1508
Ganz demütig wird Presse-Kritikerin Almuth Spiegler in der Raffael-Ausstellung, die die Wiener Albertina mit 130 Zeichnungen und 18 Gemälden ausgerichtet hat: "Vom ersten raschen Strich auf Papier bis zur letzten, glänzenden Firnis-Schicht folgen wir dem Auge dieses Künstlers, der antikes Schönheitsideal und anmutige Natürlichkeit zu einer Harmonie verschmilzt, die uns, am falschen Fuß erwischt, auch schmerzen kann. Hier mag die Wurzel all der lieblichen Madonnenantlitze und rosigen Putti-Bäckchen liegen, die uns den Geschmack so verklebt haben. Das Original aber war virtuos."

Besprochen wird außerdem die Ausstellung "Geniale Dilletanten" im Dresdner Albertinum (Sächsische Zeitung, FAZ).
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Film



Stephen Kings Horrorclown Pennywise ist wieder da - und die zweite Verfilmung von Kings Horrorklassiker "Es" hat die Kritiker überzeugt. Für "äußerst geglückt" hält Lukas Stern in der Berliner Zeitung den nicht mehr in den Fünfzigern (wie der Roman), sondern in den Achtzigern spielenden Film, in dem das Böse in Gestalt von Clowns in eine Kleinstadt einfällt. Hannes Stein sieht "Es" (sowie die ebenfalls auf einem King-Roman basierende, allerdings schon anderthalb Jahre alte Serie "11.22.63") als Kommentar auf Trumps USA - was insgesamt wenig verwundert, da King bekanntlich seit eh und je glühender Linksliberaler ist. Hin und weg ist Barbara Schweizerhof in der taz von dem Kinder-Cast: "Die Sieben sind ein Glücksfall in der Besetzung. Jeder Einzelne von ihnen hat so viel Charisma, dass sich die wenigen Momente, die der Film sie in Nichthorrorsituationen zeigt, förmlich einbrennen." Das ist "State of the Art des Mainstream-Affektkinos im Jahr 2017", meint Nicolai Bühnemann im Perlentaucher.

Übrigens, Retro: Es gibt eine neue Star-Trek-Serie, sie heißt "Discovery", spielt etwa zehn Jahre vor den Ereignissen der Original-"Enterprise"-Serie aus den Sechzigern, und Jens Balzer hat sie sich für ZeitOnline angesehen. Hin und weg ist er freilich nicht recht gewesen: Muss denn immer nur Vergangenheitsverwaltung betrieben werden? "Stärker als in jedem anderen Genre hat ausgerechnet in der Science Fiction die Vergangenheit über die übrige Zeit gesiegt - nicht in der gegenwärtig wieder so blühenden Literatur, wohlgemerkt, aber in den TV-Serien und Kinofilmen. Die Zukunft dieser Zukunftsvisionen ist alt und geschlossen geworden. Für die Zukunftsmüdigkeit unserer Gegenwart ist das ein guter ästhetischer Spiegel."

Weiteres: Kathleen Hildebrand unterhält sich in der SZ mit Vanessa Redgrave. Fabian Tietke empfiehlt in der taz eine Berliner Reihe zum Georgischen Kino im Kino Arsenal. In Interview mit der Zeit plaudert Michael Haneke über seinen neuen Film, der - ausgerechnet - "Happy End" heißt. Eine Farce, lernt man, über Flüchtlinge und die Heuchelei der Europäer.

Besprochen werden Marion Hänsels "Stromaufwärts" (taz), die Komödie "Victoria & Abdul" mit Judi Dench (Welt) und der Animationsfilm "Cars 3" (SZ).
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Bühne

Im Interview mit der SZ begrüßt Frank Castorf "hundertprozentig" die Besetzung der Berliner Volksbühne als eine Art Volksabstimmung gegen Chris Dercon, dessen Einstellung durch Tim Renner und den Regierenden Bürgermeister Michael Müller total undemokratisch gewesen sei: Schließlich sei Müller "durch einen Putsch an die Macht gekommen" und habe "mit seiner SPD bei den Bundestagswahlen vom vergangenen Wochenende in Berlin gerade mal 17,9 Prozent erreicht". Der neuen Volksbühne versichert Castorf, die Besetzung sei "das Beste, was ich meinem Nachfolger Chris Dercon wünschen kann: dass nun alles durcheinandergeht".

Ebenfalls in der SZ wünschte sich Lothar Müller, Chris Dercon würde wenigstens zum Performance-Begriff der Besetzer Position beziehen: "Darauf gibt es zwei Antworten. Ja, dieser Einbruch des Lebens in einen Raum der Kunst ist durch das ästhetische Prinzip Performance gedeckt, die Volksbühne sollte ihm Raum geben. Oder: Nein, wir erleben derzeit in der Volksbühne nicht nur die physische Besetzung eines Theaterraums, wir erleben zugleich die Usurpation und Besetzung des ästhetischen Prinzips Performance und damit die Krise eines Erfolgsmodells des gegenwärtigen Theaters. Chris Dercon scheint nicht der Mann zu sein, der gewillt und in der Lage ist, das ihm anvertraute Theater durch eine offensive Debatte über das Konzept Performance zu verteidigen."

Vielleicht hat er ein anderes Konzept? "Die Aktivisten-Sprecherin Waterfeld verwies darauf, dass Intendant Dercon bereits Ende August von der geplanten Besetzung informiert worden sei", meldet der Tagesspiegel. "'Ehrlich gesagt habe ich damit gerechnet, dass er sich meldet. Er hatte vier Wochen Zeit dafür', sagte die Sprecherin: 'Entweder er hat uns nicht ernst genommen oder er versteht doch, was hier passiert.'"

Weiteres: Doris Meierheinrich begutachtet für die Berliner Zeitung das Maulwurf-Festival am Berliner Hau. In der Welt höhnt Manuel Brug über die "Gymnastik-Events" von Boris Charmatz für die Volksbühne.

Besprochen werden Ivo van Hoves "Kleine Seelen", die Dramatisierung eines Romans von Louis Couperus für die Ruhrtriennale (NZZ, WAZ, FAZ) und Florian Fiedlers Inszenierung der Nazi-Horror-Boulevard-Dramödie "Die Schimmelmanns", mit der er seine Intendanz am Theater Oberhausen eröffnet (Deutschlandfunk, WAZ, SZ).
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Literatur

Besprochen werden Yaa Gyasis "Heimkehren" (Freitag), Jaroslav Kalfars "Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt" (SZ), Nicol Ljubics "Ein Mensch brennt" (Tagesspiegel), Richard Fords "Zwischen Ihnen" (FR), Lisa Sandlins 70er-Jahre-Krimi "Ein Job für Delpha" (FR), Peter Walthers Biografie über Hans Fallada (FR) und Omar El Akkads "American War" (FAZ).

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Musik

Auch DAF, die ja mal für totale Nowness standen, fügen sich dem Trend der Pop-Musealisierung. Jetzt kommt eine Kollektion heraus, die die vier kanonischen DAF-Alben aus den frühen Achtzigern versammelt. Für die taz haben sich die beiden Musiker Robert Görl und Gabi Delgado-López mit Jens Uthoff zum Gespräch getroffen. Dass ihre Beats früher so knallten, "war das Verdienst unseres Produzenten Conny Plank", verrät Görl. Und Delgado-López: "Er hatte die Idee, den Korg über richtige Verstärker rauszuschicken, im Prinzip wie Gitarren oder Bässe. So ist diese Mischung aus dem, was aus den Synthies kommt, und der Power des Rock entstanden."

Apropos Conny Plank. Dem Musikproduzenten, der verantwortlich war für die Soundwelt des Krautrock und für den vieler Popstars der Achtziger, widmet sich eine neue Kino-Doku, die Tim Caspar Boehme für die taz gesehen hat. In dem Film geht es auch um DAF, die drei Tage Studiozeit vom Label gebucht bekommen hatten. "Die ersten zwei Tage hätten Gabi Delgado-López und Robert Görl von DAF dann jedoch wenig mehr getan, als in der Gegend herumzustreifen oder sich zu streiten. Als [Labelchef] Miller am zweiten Tag immer nervöser wurde, weil noch kein einziger Ton aufgenommen war, beruhigte ihn Plank: Die beiden wären bald so weit. Am Ende nahm man Hits wie DAFs Klassiker 'Der Mussolini' mit nach Hause." Hier eine Live-Aufnahme von 1981, in der Gabi alles gibt:



Oliver Polak schwärmt in der SZ vom neuen Album "The Tower" der norwegischen Indierockband Motorpsycho: "Zehn Songs, und jeder Song eher ein Roman als eine Kurzgeschichte. Was für ein Glück."

Weiteres: Tobias Richtstieg trifft sich für den Tagesspiegel mit dem Pianisten Marc Schmolling. Gregor Dotzauer (Tagesspiegel) und Tatjana Frumkies (FAZ) gratulieren dem Komponisten Valentin Silvestrov zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden Moses Sumneys "Aromanticism" (Pitchfork), das Antrittkonzert von Robin Ticciati als Chef des Deutschen Symphonie-Orchesters (Tagesspiegel), die Autobiografie des Rockmusikers Tex Parker (Standard) und das neue Album "Younger Now" von Miley Cyrus, die sich zum Entzücken der Kritiker nun mehr wieder sommerlich mädchenhaft gibt (FAZ, Welt). Ein aktuelles Video:


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