Efeu - Die Kulturrundschau

Andere Ideen von der Zukunft

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.07.2017. Hingerissen sind die Kritiker von Luc Bessons Verfilmung des SciFi-Comics "Valerian": ZeitOnline feiert den Film als psychedelisches Barock-Prachtwerk, die FAZ als Afrofuturismus. Die taz erlebt beim Opernfestival in Aix-en-Provence eine eiskalte, mitleidlos ausgenüchterte "Carmen". Die FAS macht sich Gedanken über den Antisemitismus im Rap. Und der Guardian sucht in Sydney die Kunst von Aborigines und findet einen Bumerang von Chanel.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 19.07.2017 finden Sie hier

Film


Mit LSD den Afrofuturismus popularisiert: Luc Bessons barock gestaltete Comicverfilmung "Valerian - Stadt der tausend Planeten" (Bild: Universum/Trailer).

Mit beträchtlichem Aufwand (siehe dazu unsere Magazinrundschau) und überbordender Fantasie bringt Luc Besson in dieser Woche mit "Valerian - Stadt der tausend Planeten" eine Verfilmung des frankobelgischen Science-Fiction-Comics "Valerian et Laureline" von Jean-Claude Mézière und Pierre Christin in die Kinos. Die Kritiker sind schier erschlagen vom Formen- und Farbenreichtum des Films: Dem Regisseur ist "ein psychedelisches Prachtwerk gelungen", staunt Jens Balzer auf ZeitOnline, der es bei allem Augenglück allerdings auch etwas schade findet, dass Besson nicht nur visuell, sondern auch narrativ zum Barocken neigt: "Während die Bilder davon leben, dass sie den Blick des Betrachters mit allzu vielen Details stets lustvoll überfordern, führt die narrative Überforderung am Ende nur dazu, dass man schlicht nicht mehr versteht, worum es geht." Michael Meyms von der taz fühlt sich in diesem LSD-Rausch von einem Film allerdings pudelwohl.

Auch Dietmar Dath ist als Genre-Experte der FAZ betört und gibt zu bedenken, dass  frankobelgische Comics in Sachen SF ohnehin seit langem "das Weltniveau vorgeben." Denn im Gegensatz zu den USA hat "Europa andere Ideen von der Zukunft und eine längere Geschichte." Zur hervorstechendsten Qualität von Bessons Films zählt für Dath daher, neben allem Augenzucker, "die (manchmal allerdings verkürzende, versimpelnde) Popularisierung des sogenannten Afrofuturismus. ... Besson hat einen sehr achtbaren, in vielem geglückten Versuch gewagt, den Traum 'Zukunft' von kolonialistischen Denk- und Wahrnehmungsmustern zu lösen, die ihn historisch entstellen", freut sich der Kritiker. Außerdem steckt Besson im FAZ-Interview Bert Rebhandl, dass es, Erfolg vorausgesetzt, auch einen zweiten und dritten "Valerian"-Teil geben könnte. Dass zahlreiche Elemente aus der Comicvorlage aus den 60ern bei George Lucas' "Star Wars" wieder auftauchen, hat das Fanmagzin Force Material herausgefunden.

Weiteres: Im Wirtschaftsteil der FAZ befasst sich Roland Lindner mit den Plänen von Netflix, nach der Eroberung des Serienmarktes künftig auch im Bereich Filmproduktion aggressiv nach vorne zu preschen: Schon jetzt habe "das Unternehmen immer mehr Ähnlichkeiten mit einem klassischen Hollywood-Studio." Bei "Game of Thrones" wendet sich das Blatt zugunsten der Frauen, schreibt Adrian Daub auf ZeitOnline. Für die Welt spricht Alan Posener mit dem Schauspieler Derek Jacobi, der in Radu Mihaileanus "Die Geschichte der Liebe" einen Schoah-Überlebenden spielt. In der Textreihe "Deutschland im Film" auf Eskalierende Träume schreibt André Malberg über Helmut Käutners "Ein Mädchen aus Flandern" von 1956.
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Bühne


Eiskalt ausgenüchtert: Dmitri Tcherniakovs "Carmen" in Aix

Beim heiteren Opernfestival in Aix-en-Provence hat sich die gemäßigte Moderne des Post-Regietheaters als internationaler Standard durchgesetzt, bemerkt Regine Müller in der taz. Inzwischen schluckt selbst das konservativste Publikum Trash-Kostüme, breakdancende Countertenöre - und sogar Dmitri Tcherniakov "Carmen", die Müller eiskalt und mitleidlos ausgenüchtert nennt: "Tcherniakovs antifolkloristische und riskant gedachte Version des Repertoirehits bleibt in Aix jedoch die Ausnahme im Umfeld gepflegter Regiemoden. Bei Tcherniakov spielt die Handlung im Foyer einer gehobenen Therapieeinrichtung im Ambiente der 1960er Jahre: Eine frustrierte Ehefrau (Micaëla) schleift ihren Burn-out-Gatten (Don José) zur Gruppentherapie. In der Edelklapsmühle verdonnert ihn der Cheftherapeut - ein aalglatter Macron-Lookalike - zu einem Rollenspiel. Die 'Carmen'-Handlung wird mit und an ihm nur simuliert, natürlich entgleitet das Experiment und bald weiß niemand mehr, was echt und was gespielt ist."
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Literatur

Im Hundertvierzehn-Blog des Fischer-Verlags blickt Roman Ehrlich zurück auf die Recherchen zu seinem aktuellen Roman "Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens", für den er sich eingehend mit der Figur des Untoten auseinandergesetzt hat. Judith von Sternburg schreibt in der FR zum 200. Todestag von Jane Austen. Im Freitag erinnert Christoph Kammenhuber an Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson, der am 18. Juli 80 geworden wäre.

Besprochen werden neue Krimis von Monika Geier und Hans Schefczyk  (Perlentaucher), Nico Bleutges Gedichtband "nachts leuchten die schiffe" (SZ), Chloe Aridjis' "Buch der Wolken" (NZZ), George Pelecanos' Krimi "Hard Revolution" (FR), Wilhelm Lehmanns "Bukolisches Tagebuch" (FAZ) und neue Comics von unter anderem Guy Delisle und Riad Sattouf (FR).

Mehr auf unserem literarischen Meta-Blog Lit21 und ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
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Musik

In einem online nachgereichten FAS-Artikel befasst sich Anna Prizkau mit Antisemitismus im Rap, der sich auch auf dem neuen Album von Jay-Z ("You ever wonder why Jewish people own all the property in America") nachweisen lässt, was die bisherigen Rezensionen aber offenbar geflissentlich unterschlagen haben. Die gängigen Rechtfertigungen dafür hält Prizkau für "elastisch": "Schuld ist nie Rap. Schuld sind Zusammenhänge. Doch jetzt, nachdem Jay-Z, der zu erwachsen ist, zu viel gesehen hat, um Antisemitismus zu reproduzieren, es trotzdem macht, jetzt sind die Rap-Rechtfertigungen kraftlos, schwach."

Für die taz unterhält sich Gunnar Leue mit dem House-Produzenten Frank Wiedemann, der in der Uckermark das "Sacred Ground"-Festival organisiert, bei dem der familiäre Aspekt im Vordergrund steht: "Alles ist überschaubar, man trifft sich automatisch ständig wieder. Es wird auch nichts groß abgesperrt und es gibt auch keinen VIP-Bereich für die Musiker, sondern alle sind überall. ... Wir haben keinen Zeitplan, wer wann spielt. Das tut unserer Ansicht nach der künstlerischen Offenheit gut. Es gibt auch nur eine Bühne, beziehungsweise nachts ein Zelt, wo jeweils etwas passiert. Die Zuhörer müssen sich also auf das einzige Geschehen einlassen. Sie werden, ob sie wollen oder nicht, in das Experiment mit reingezogen."

Weiteres: Thorsten Keller berichtet in der Berliner Zeitung von der Jubiläumsausgabe zum Zwanzigsten des Melt-Festivals. Im Standard empfiehlt Karl Fluch das Wiener Konzert von Beach Boy Brian Wilson. Edo Reents gratuliert Queen-Gitarrist Brian May in der FAZ zum 70. Geburtstag. Der Onlineradiosender Byte.FM schließt sich dem an. Karl Bruckmaier erinnert in der SZ an den Musikproduzenten Ralph Peer, der in den 1920ern mit einem neuartigen Bezahlmodell die Innovations- und Bereicherungslust in der populären Musik vorantrieb.

Besprochen werden das neue Album von Japanese Breakfast (Pitchfork), das Debüt von Mura Masa (Pitchfork), das Abschlusskonzert des "New Life"-Festivals in Berlin (Tagesspiegel), ein Jazzkonzert von Wadada Leo Smith, Barre Phillips und Günter "Baby" Sommer (Tagesspiegel) und ein Konzert von Norah Jones (Berliner Zeitung).
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Kunst


Bronwyn Bancroft: Falling Through Time, 2012. Sidney College of Art

In Australien wird die Debatte um kulturelle Aneignung immer komplizierter: Im Guardian berichtet Brigid Delaney über eine Ausstellung zur Kunst von Aborigenes in Sydney und versucht den Überblick zu behalten: Was ist Aborigines-Kunst? Was Markt? Die Kuratorin Janelle Evans erzählt ihr von einem Gespräch mit dem Kunst- und Politkaktivisten Richard Bell: "'Er sprach über die Aborigines-Kunst als etwas vom Kunstmarkt Konstruiertes. Die Aborigines-Kunst wurde vom Markt mit Punktmalerei assoziiert und schloss prompt alle aus, die keine Punkte malen.' Die Allgegenwart von Punktmalerei wurde so mächtig, dass indigene Künstler, die anders arbeiteten, Schwierigkeiten hatten, das Interesse des Kunst-Marktes zu wecken. Zur gleichen Zeit wurde der Markt überflutet mit billigen Fälschungen und Nachahmungen, mit Massenprodukte wie Geschirrhandtücher für Touristen. Selbst die Luxus-Mode muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich indigene Motive und kulturelle Artefakte anzueignen. Das französische Mode-Label Chanel wurde massiv kritisiert für die Herstellung eines 2000-Dollar-Bumerangs."

Weiteres: "Explosionen von Rot und Pink" erlebt NZZ-Kritikerin Gabriele Detterer in den Bildern des amerikanischen Malers Philip Guston, dem die Accademia in Venedig eine schöne Ausstellung widmet. Ingo Arend berichtet in der taz von der Art Karlsruhe.

Besprochen werden die Ausstellung "Punti di Vista" in der Casa di Goethe in Rom, die Schauplätze alter Vedutenmalereien mit dem Heute vergleicht (Welt), Ausstellungen in der Neuen Galerie in New York, die auf Wiens kulturelle Blüte um 1900 zurückblickt (Standard) und eine Schau des tschechischen Sakral-Malers Miloslav Troup im Prager Kulturhaus Obecni dum (FAZ).
Archiv: Kunst