Efeu - Die Kulturrundschau

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11.03.2017. Das lettische Architekturbüro Mailitis lässt die Shaolin Mönche fliegen, erzählt Dezeen. In der NZZ plädiert Autor Lorenz Langenegger für Literaturförderung ohne das ganze Gequatsche drumrum. Auf Artechock hätte Rüdiger Suchsland im Film gern mehr ästhetische Maßstäbe statt Frauenquoten. Die Nachtkritik lernt von Alize Zandwijk und Ibsen einiges über die Lebenslügen der Männer. Im Guardian stellt der Modedesigner JW Anderson seine erste kuratierte Ausstellung vor. Die taz huldigt dem Genitiv-Chaos des Free Jazz.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 11.03.2017 finden Sie hier

Architektur


Das Theater der fliegenden Shaolin Mönche, erbaut vom Architekturbüro Mailitis. Bild: Ansis Starks / Dezeen

Die orange Gestalt, die Sie auf diesem Bild fliegen sehen, ist ein Shaolin-Mönch. Er fliegt über den Windkanal des vom lettischen Architekturbüro Mailitis gebauten Amphitheaters für die "Fliegenden Shaolin Mönche" in Chinas Henan-Provinz, erzählt Eleanor Gibson in Dezeen. "The mountains are home to the UNESCO World Heritage-listed Shaolin Monastery, which is also considered to be the birthplace of Zen Buddhism and Kung-Fu martial arts. Tasked with creating an amphitheatre to host weekly shows where local monks as well as the general public can try flying, Riga-based Mailītis Architects wanted to create a building that respects its natural surroundings. The shape of the building is intended to finish the peak of the Cypress Hill, with the sloped outer shell forming a grand staircase that leads up and around the auditorium in the middle."
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Literatur

Der Autor Lorenz Langenegger kann die Rufe nach fantasievollerer Literaturförderung nicht mehr hören, schreibt er in der NZZ: Er fürchtet bloß eine weitere Zwiebelhaut im Betrieb. "In den letzten Jahren haben sich immer mehr Menschen im Dunstkreis der Literatur angesiedelt. Agentinnen und Kulturmanager haben sich Spitzhacken geschnappt und gärtnern mit, als ob der Acker, auf dem die Literatur gedeiht, ein besonders fetter wäre. Sie wollen alle unser Bestes. Sie denken sich Konzepte und Wege aus, wie sie uns unterstützen könnten. Jeder Preis bekommt eine Shortlist. Jede Lesung wird ein Event. Sie gründen Initiativen und heben uns auf Plattformen. Dass sie dafür anständig entschädigt werden wollen, versteht sich von selbst." Seine Forderung an die Förderung daher: Belasst es beim Geldsegen und lasst die Schriftsteller einfach ihre Arbeit machen.

Außerdem: Für die Literarische Welt spricht Richard Kämmerlings mit Olga Grjasnowa über deren neuen Roman "Gott ist nicht schüchtern". Schriftsteller Robert Harris erinnert sich in der Literarischen Welt daran, wie er sein Debüt "Vaterland" geschrieben hat und welche Kontroversen dieser Roman, der davon ausgeht, dass Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat, insbesondere zu seiner deutschen Erstveröffentlichung ausgelöst hat. Annabelle Seubert berichtet in der taz, wie sich ihre Liebe zu den Romanen T.C. Boyles entwickelt, ihr der neue Roman "Die Terranauten" dann doch nicht gefiel und sie sich in Vorbereitungen für ein Interview stürzte, dass der Autor dann in letzter Sekunde abblies. In der taz plaudern Jan Feddersen und Ulrich Gutmair mit ihrem ehemaligen Redaktionskollegen Arno Frank über dessen Romandebüt "So, und jetzt kommst du", für das er eine abenteuerliche Begebenheiten aus seiner Familiengeschichte literarisch verarbeitete. Wieland Freund amüsiert sich in der Literarischen Welt über Stephen Kings Tweets über Trump. Der Standard bringt einen Vorabdruck aus Eva Menasses Buch "Tiere für Fortgeschrittene". Im literarischen Wochenendessay der FAZ legt der Literaturwissenschaftler Frieder von Ammon frei, wie der Song über den Lyriker Walter Mehring nach Deutschland kam.

Besprochen werden David Albaharis "Das Tierreich" (FR), Juliana Kálnays Debüt "Eine kurze Chronik des allmählichen Verschwindens" (online nachgereicht von der FAZ), Thomas Brussigs "Beste Absichten" (Tagesspiegel), Lorenz Jägers Biografie über Walter Benjamin (taz), Natascha Wodins "Sie kam aus Mariupol" (taz), Jutta Voigts "Stierblutjahre" (Standard), Max Annas' "Illegal" (Welt), David Foenkinos "Das geheime Leben des Monsieur Pick" (FAZ) und neue Hörspiele, darunter "Sartana - Noch warm und schon Sand drauf" von Ärzte-Musiker Bela B. (taz).

Mehr auf unserem literarischen Meta-Blog Lit21 und ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
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Bühne


Ibsens "Wildente" in Zürich Foto © Matthias Horn

"Der Anfang ist magisch", schreibt Katja Baigger in der NZZ über Alize Zandwijks Inszenierung von Ibsens "Die Wildente" am Zürcher Schauspielhaus: "Das Schattentheater mit Soundtrack ... ist von dunkler, eigenwilliger Schönheit. Für Zandwijk, leitende Regisseurin am Theater Bremen, verbindet Ibsens Schauspiel von 1884 das Naturalistische mit dem Märchenhaften."

Hier werden die Lebenslügen der Männer aus einem sehr weiblichen Blickwinkel betrachtet, meint in der nachtkritik Christian Rakow. "Regisseurin Alize Zandwijk arrangiert die Männer als durch und durch kontaktarme Monaden. In der ersten Szene fasst Gregers in düsterem Bühnennebel seinem alten Schulfreund Hjalmar minutenlang an die Schulter. Die gefrorene Pose gibt dem Abend seine Richtung vor: in ein verkniffenes, verlorenes Männerspiel. ... Die behutsame Dekonstruktion der Ibsen'schen Diskursträger hat Methode. Denn mit einem Mal wirken die Ekdal'schen Frauen, die in dem Drama wesentlich als Leidende der männlichen Zuschreibungen vorkommen, um Einiges aufgewertet." Simon Strauss senkt in der FAZ die Daumen: "Wie eine brave Schul-Interpretation klopft diese Inszenierung Ibsens Stück ab, ohne je zum Inneren zu gelangen."


Le Tannhauser in Monte Carlo

Manuel Brug hörte in Monte Carlo die vergessene Pariser Fassung von Wagners "Tannhäuser". Gab's was neues zu hören? Allerdings, versichert der Kritiker: Man hört "wirklich mit staunensweiten Ohren zumindest im ersten Akt ein fast neues Stück. Was ein Glücksfall am Pult möglich gemacht hat. An der Spitze des mit gallischem Esprit spielenden Orchestre Philharmonique de Monte Carlo steht nämlich die Altistin Nathalie Stutzmann. Die singt zwar immer noch, hat sich in den letzten Jahren aber auch eine Dirigentinnenkarriere aufgebaut. Und dieses Wagner-Debüt ist Wucht und Wonne zugleich."

Weitere Artikel: In der Welt berichtet Jörg Winterbauer über den Skandal um das polnische Theaterstück "Klatwa", das den Papst beim Oralsex zeigt. München sagt "Die Räuber" aus technisch-organisatorischen Gründen fürs Theatertreffen ab, meldet Peter von Becker im Tagesspiegel. Damit fehlt zwar die stärkste Produktion des Jahres, aber Becker sieht das sofort als Chance, Karin Beiers Hamburger Inszenierung von Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" einzuladen: "eine atemberaubende, ungeheuerlich bewegende Verkörperung durch den Schauspieler Edgar Selge."

Besprochen werden Patrick Wengenroths musikalische Revue  "Die Welt ist: schlecht! Und ich bin: Brecht!" am Theater Augsburg (nachtkritik) und "Just Call Me God" mit John Malkovich in der Hamburger Elbphilharmonie (FR).
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Kunst

Nina Raddy stellt im Tagesspiegel kurz die vier Künstlerinnen vor, die als Finalisten für den Preis der Berliner Nationalgalerie nominiert sind. In der NZZ stellt Philipp Meier einen Beitrag des Künstlers Uwe Wittwer für die Zeitung vor.

Besprochen werden die Ausstellung "Wolfgang Tillmans: 2017" in der Tate Modern (Welt), die Ausstellungsinstallation "Die Zugezogenen" des skandinavischen Künstlerduo Elmgreen & Dragset in Krefeld (Welt), die Maria-Lassnig-Ausstellung im Essener Museum Folkwang (Art), Jutta Voigts Erinnerungen an die Boheme des Ostens, "Stierblutjahre" (Standard), die Schiele-Ausstellung in der Wiener Albertina (FR) und die Polke-Ausstellung im Museum Frieder Burda (FAZ).
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Design



Der nordirische Modedesigner JW Anderson hat für die Hepworth Wakefield Galerie in Yorkshire seine erste Ausstellung kuratiert. Das Thema heißt "Disobedient Bodies" und zeigt über hundert Werke von über vierzig Künstlern und Modedesignern, darunter Werke von Barbara Hepworth, Issey Miyake, Sarah Lucas, Yves Saint Laurent, Naum Gabo, JW Anderson und Loewe, zählt Abigail Radno im Guardian auf: "There will be a playful installation at the centre of the show, made up of giant jumpers so big that you can stand inside them: a sort of chic soft play. The exhibits will be within touching distance where possible, to make the visitor feel as if they are part of the conversations. 'I am hoping when you have an Arp and a Christian Dior dress and a Sarah Lucas and a Hans Coper all together, it might conjure up something,' Anderson says. 'Because, ultimately, we don't need to know about the history of sculpture or fashion. We just need to know: Do I like it?'"
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Film

Eher diffus findet Rüdiger Suchsland die Debatten um Quoten in der deutschen Filmproduktion, damit mehr Filme von Frauen entstehen. "Was wir brauchen ist nicht political correct­ness, sondern ästhe­ti­sche Maßstäbe", schreibt er auf Artechock. "Es ist bezeich­nend für den Status Quo, dass noch nie die Frage nach dem Ästhe­ti­schen ernsthaft zum Thema wurde. Der deutsche Film, nein: Das Kino überhaupt braucht mehr Toleranz für Expe­ri­mente und mehr ästhe­ti­sche Strenge glei­cher­maßen. Worum geht es in diesen ganzen Debatten, diesen verqueren Debatten? In jedem Fall müssen Frauen Geld einfor­dern: ökono­mi­sche Gleich­be­rech­ti­gung." Dazu passend: Die Internet Movie Database bietet jetzt ein eigenes Schlagwort für Filme an, bei deren Produktion Frauen eine maßgebliche Rolle gespielt haben, berichtet Dinah Riese in der taz.

Weiteres: Jan Künemund porträtiert im Filmdienst den Filmemacher André Téchiné. Holger Twele verschafft im Filmdienst einen Überblick über Tendenzen im deutschen Kinderfilm. Lucas Barwenczik befasst sich im Filmdienst mit den neuen Sensibililtäten Hollywoods im Umgang mit Diversität. Der Hollywood Reporter spricht mit Joss Whedon über dessen feministischen Fernsehklassiker "Buffy", der vor 20 Jahren erstausgestrahlt wurde. David Hesse unterhält sich für den Tagesanzeiger mit der Mediävistin Carolyne Larrington über die Mittelalterbilder in der Serie "Game of Thrones".

Besprochen werden Hüdaverdi Yavuz' Erdogan-Hagiografie "Reis" (Jungle World), Kelly Reichardts "Certain Women" (online nachgereicht von der Zeit) und die Ausstellung "Harun Farocki - Counter Music" im Haus der Kunst in München (SZ).
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Musik


Joelle Léandre beim  Total Music Meeting, 1988. Bild: Dagmar Gebers/FMP-Publishing

Anlässlich einer Ausstellung über die Geschichte des Freejazz-Labels FMP im Haus der Kunst in München schreibt taz-Kritiker Julian Weber über die Geschichte des Genres. Einige afroamerikanische Jazzer machten seinerzeit "Schluss mit romantischem Schönklang und den harmonischen Kompositionsprinzipien des Cool Jazz, das gleichmäßige Metrum im Beat wurde ausgesetzt, statt melodiöser Orientierung in Refrains ging es um den konzentrierten Freakout. Die Europäer warfen teils ihren E-Musik-Hintergrund in diese Gemengelage ...  Wie von Schlippenbach dachten viele Freejazz-Musiker von FMP, sie treten durch freie Improvisation in 'herrschaftsfreie Kommunikation'. Ihr kathartisches Gehonke und Geclustere bringt auch heutige Hörer durcheinander. Die Kunst des Freejazz ist die Suche nach Ordnung im Chaos, in der die Ordnung des Chaos steckt - als Genitiv-Chaos."

Dazu fast sogar passend berichtet Steffen Greiner in der taz von einem Impro-Konzert der Gruppe Alterations, wo es auf unterhaltsame Weise drunter und drüber ging, wie de Kritiker versichert: "Irgendwann zieht sich [Terry Day] mit einem lila Luftballon in die zweite Reihe zurück und spielt herzzerreißende Quietschsounds. Toop und Peter Cusack derweil zersägen Gitarren und Gitarrenähnliches, lassen Spielzeugkäfer laufen, blasen Bambusstäbe oder beobachten erstaunt, wie sich der Klang eines Handventilators über Gitarrenseiten entwickelt."

Weiteres: In der Zeit erfahren wir von Stefan Hentz unterdessen, wie der Jazz vor 100 Jahren zu seinem Namen kam.Für die FR spricht Stefan Schickhaus mit dem Tenor Piotr Beczala. Isabel Herzfeld berichtet für die FAZ vom Weill-Fest in Dessau.

Besprochen werden das neue Album der Shins (Welt), ein Auftritt des Brandt Brauer Frick Ensembles in Berlin (taz), ein Konzert von Drake (Tagesspiegel, Berliner Zeitung), Laura Marlings "Semper Femina" (Spex) und eine Neuauflage von John Carpenters und Ennio Morricones Soundtrack zu "The Thing" (Pitchfork).
Archiv: Musik