Efeu - Die Kulturrundschau

Minimalismus ist die Essenz

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16.02.2017. Die Feuilletons erliegen einer atemberaubend angstfreien Isabelle Huppert in Paul Verhoevens Vergewaltigungsdrama "Elle". Volker Schlöndorffs "Rückkehr nach Montauk" stößt auf geteiltes Echo. Der Freitag lernt in der Germanistik kritisches Denken. Die FAZ filetiert mit Otto Dix in Düsseldorf die morbide Nachkriegsgesellschaft. Und das art-magazin analysiert die Gewalt der Geste in Medienbildern.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.02.2017 finden Sie hier

Film


Endspurt bei der Berlinale. Volker Schlöndorffs von Max Frisch inspirierter Wettbewerbsbeitrag "Rückkehr nach Montauk" mit Nina Hoss wird sehr gemischt aufgenommen. Dafür gestattet Romuald Karmakar Verschiebungen in der Nacht. Dies und alles weitere: In unserer aktuellen Berlinale-Presseschau.

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Kompromisslos: Isabelle Huppert in Paul Verhoevens "Elle".

Regulär startet diese Woche "Elle" von Paul Verhoeven, der derzeit auch als Präsident der Berlinale vorsteht. Das Vergewaltigungsdrama wird in den höchsten Tönen gelobt - und insbesondere Hauptdarstellerin Isabelle Huppert. "Atemberaubend angstfrei und kompromisslos ist ihre Performance, souverän gelingt ihr die Verkörperung dieser bis zum Ende überraschenden Rolle", schwärmt etwa Toby Ashraf in der taz, der den in der Vergangenheit oft verfemten Regisseur als post-feministischen Filmemacher für seine Neigung zu komplizierten Frauen lobt. "Virtuos verstörend" findet Christoph Schröder von ZeitOnline den Film. Die FAZ hat Bert Rebhandls Kritik aus der gestrigen Ausgabe online gestellt. Für die SZ war Tobias Kniebe im Kino. Die Zeit hat Katja Nicodemus' großes Gespräch mit Huppert online nachgereicht.

Besprochen werden Danny Boyles "Trainspotting"-Sequel (NZZ, FAS, unsere Kritik hier), Claude Barras' Stopmotion-Animationsfilm "Mein Leben als Zucchini" (Standard, NZZ), die neue Amazon-Serie "Falling Water" (online nachgereicht von der FAZ), James Schamus' Verfilmung von Philip Roths "Empörung" (SZ) und "Fences" von Denzel Washington (FAZ).
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Literatur

Im Freitag erklärt Büşra Delikaya nach Martin Doerrys Polemik im Spiegel gegen die Germanistik, warum sie das Fach sehr gerne studiert: "Durch Teildisziplinen wie Diskursanalyse und Textlinguistik wird das kritische Denken trainiert. Nicht selten verfügen Germanisten, wie andere Geisteswissenschaftler auch, über einen besonders sensiblen, auch analytischen Blick auf das, was man 'Debatten' nennt."

Weiteres: Für die SZ porträtiert Christoph Schröder den Verleger Sebastian Guggolz, der sich mit einer erfolgreichen Quizshow-Teilnahme im Fernsehen eine ansehnliche Finanzdecke für seinen Kleinverlag gesichert hat.

Besprochen werden Katja Kettus "Feuerherz" (FR), Sayed Kashuas Kolumnensammlung "Eingeboren - Mein israelisch-palästinensisches Leben" (NZZ),  Cixin Lius chinesischer Science-Fiction-Roman "Die drei Sonnen" (SZ, mehr dazu hier) und Barbara Landes' "Die Ballade vom Wunderkind Carson McCullers" (FAZ).
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Musik

Jan Feddersen und Burhan Yassin sprechen für die taz mit dem isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson unter anderem über Philipp Glass, der heute 80 Jahre alt wird und von dessen Kompositionen Ólafsson gerade einige eingespielt hat: "Bei Kindern sieht man, dass sie Wiederholungen mögen. Minimalismus ist die Essenz aller Musik. Glass hat alles Überladene zur Seite geschoben, das in einem bestimmten Moment Unwichtige. Das ist seine Qualität, nichts anderes."

Für die SZ plaudert Jonathan Fischer mit Michael Render vom Hiphop-Projekt Run The Jewels. Besprochen werden das neue Album von Bilderbuch (ZeitOnline) und ein Konzert von Gérard Depardieu in Paris (NZZ).
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Kunst

In der FAZ staunt Georg Imdahl in der Düsseldorfer Ausstellung "Der böse Blick" wie schonungslos Otto Dix die "morbide Nachkriegsgesellschaft filetiert": "Ein Lieblingsthema in der Düsseldorfer Zeit ist die Prostitution, sind alternde Puffmuttern in billigen Absteigen, Dirnen, Matrosen und Mädchen, greise Paare, riesige Brüste, fette Schenkel, breite Hintern. Wenn die Domina die Peitsche schwingt, strömt auch schon mal Blut. Sex und Drang entladen sich in diesen Blättern eher als Notdurft, nicht wirklich als Vergnügen."

(Bild: Raymond Pettibon, No Title, (I spent ayll…), 2016 Illustration: Raymond Pettibon/Courtesy of David Zwirner, New York)

Peter Richter hat sich für die SZ die New Yorker Raymond-Pettibon-Retrospektive angeschaut und ganz nebenbei erfahren, wie gute politische Kunst funktioniert: "Der Unterschied zwischen seiner Kunst und politischen Cartoons sei der, dass seine Kunst eben nicht so gnadenlos direkt sei, sondern offene Enden habe, erklärt Raymond Pettibon im Katalog. 'Bei meiner Arbeit wird der Sack nicht mit einer Pointe zugemacht.'"

Im art-magazin spricht Antje Stahl mit dem  Bildhistoriker Michael Diers über die richtige Lesart von Medienbildern und die "Gewalt der Geste": Die Gestenpolitik ist zurück. Und Bilder 'zeichensprechen' mit ihrer Hilfe. Auch der Populismus arbeitet ja wieder extrem gestisch. Anders als unsere demokratischen Politiker fuchteln dessen Vertreter bevorzugt in der Öffentlichkeit herum. Sehen Sie sich mal Björn Höcke an. Auch Donald Trump verfügt über ein sehr reiches Gesten- und Fingerrepertoire, das weit über das hinaus geht, was sich geziemt."

Was die Beurteilungskriterien für gute Kunst sind, bleibt für Gabriel Katzenstein in der NZZ beim Gesprächsversuch mit der Kunstkommission der Swiss Art Awards äußerst undurchsichtig: "Eine Checkliste mit Muss-Kriterien besteht nicht, die Kriterien werden 'in der Diskussion unter den Kommissionsmitgliedern für jede künstlerische Position erarbeitet'. Ein einheitlicher Maßstab, ein Kanon künstlerischer Meisterschaft, eine 'publizierbare Kriterienliste' existiert nicht. Anything goes?"
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Bühne

Auf dem iboamerikanischen Theaterfestival "iAdelante!" in Heidelberg lernt Hernan D. Caro in der FAZ, wie "verwundet" die Identität Lateinamerikas ist: "Vor lauter fremden und stereotypen Zuschreibungen, was Lateinamerika alles sein soll, können die Benannten mittlerweile selbst nicht mehr benennen, was sie sind. Das Ungewisse, das Alles-und-nichts-Sein ist inzwischen ihr Selbstverständnis geworden."
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Stichwörter: Lateinamerika