Efeu - Die Kulturrundschau

Das Neue ist unvermeidlich

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.02.2017. Die NZZ staunt im Kunsthaus Zürich über die erotisch-explosive Spannung in den Berlin- und Ostseebildern Ernst Ludwig Kirchners. Ergriffen besichtigt sie außerdem die vertikale Campus-Universität in Lima. In der FAZ berichtet Olga Martynova vom Literaturfestival in Malaysia. Im Standard erläutert der Komponist Jorge Sánchez-Chiong seinen Pakt mit dem Teufel.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.02.2017 finden Sie hier

Film



Die Berliner Filmfestspiele haben an Fahrt aufgenommen. Der Eröffnungsfilm über Django Reinhardt enttäuscht die Filmkritik jedoch eher - alle Stimmen dazu und noch vieles mehr finden Sie der Übersicht wegen gesammelt in unserer eigens eingerichteten Berlinale-Presseschau. In unserem Berlinale-Blog berichtet unser Team vor Ort mit mehreren Updates täglich.

Weiteres: Im Feature für Deutschlandradio Kultur befasst sich Matthias Dell mit dem Kampf ums analoge Filmmaterial und der Überlieferung des historischen Filmerbes.

Besprochen werden "The Lego Batman Movie" (Welt) und der zweite Teil der Stalker-Romanze "Fifty Shades of Grey" (FR, Standard, SZ).
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Literatur

Die Schriftstellerin Olga Martynova berichtet in der FAZ von ihrem Besuch des Literaturfestivals in Malaysia, das sich in der Zone zwischen Freiheit und Unfreiheit behaupten muss. Beim Open-Mic-Wettbewerb am Abend in einem Lokal liest dort "auch eine zierliche Dame, die ich auf dem Festival gesehen habe. Sie beginnt damit, dass sie jüdisch sei, und hoffe, es sei okay in Malaysia, jüdisch zu sein (wir sind in einem muslimischen Land). Beifall. Wie traurig das im Grunde ist, obwohl ich diesen Beifall als rührend empfinde. Wie fragil alles ist: dass man trinken darf. Dass Leute wenigstens während des Festivals als Homosexuelle auf dem Podium sprechen dürfen. Dass man kurze Röcke und T-Shirts tragen darf. Dass man jüdisch sein darf."

Weiteres: Rudolf Walther schreibt in der taz zum Tod des Literaturtheoretikers Tzvetan Todorov. Und für die NZZ hat Thomas Ribi die Ausstellung "Schreibrausch" im Museum Strauhof in Zürich besucht.
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Stichwörter: Martynova, Olga, Malaysia

Kunst



Klar, heutzutage darf die Kunst alles, aber wie anders war das gesellschaftliche Klima, als Ernst Ludwig Kirchner seine unerhörten Berliner Stadtansichten malte, meint Philipp Meier in der NZZ beim Besuch der Ausstellung "Großstadtrausch - Naturidyll" im Kunsthaus Zürich: "In einer Zeit, die sich als äußerste Möglichkeit die Liebermannsche Spielart des Impressionismus gestattete, musste die Malerei Kirchners alle Normen sprengen. Das erotische Feuer des damals Dreißigjährigen jedenfalls springt einen aus seinen Ostseeinsel-Werken auch heute noch an. Und dasselbe Lodern ist in den berühmten Straßenszenen gegenwärtig. Keine Spur von Verurteilung eines Sündenpfuhls. Vielmehr die omnipräsente erotisch-explosive Spannung im Flackern der Farben wie in den nervös zuckenden Linien des Pinselduktus. Seine Malweise bringt die sexuelle Ambiguität auf den Punkt, von der nicht nur die Badefreuden an der abgelegenen Bucht getragen gewesen sein dürften, sondern insbesondere auch die Berliner Straßen geschwängert waren." Für den Tages-Anzeiger hat sich Paulina Szczesniak die Ausstellung angesehen. (oben links: Kirchners "Mädchen auf Fehmarn", rechts: "Die Straße", beide 1913)

Weiteres: Im Tagesspiegel gratuliert Nicola Kuhn Gerhard Richter zum gestrigen Fünfundachtzigsten. In der Welt berichtet Johannes Wetzel vom Prozess gegen den Kunstdieb Vjéran Tomic in Paris. Besprochen wird eine Ausstellung mit Werken von David Hockney in der Londoner Tate Britain (SZ, FAZ).
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Bühne

Für die nachtkritik hat Elisabeth Maier die Premiere von Nikolai Sykoschs Inszenierung von Martin McDonaghs Sozial-Groteske "Der Krüppel von Inishmaan" am Staatstheater Karlsruhe besucht. In der SZ berichtet Eva-Elisabeth Fischer vom Ballettabend "Verführung!" in Stuttgart.
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Stichwörter: Mcdonagh, Martin

Musik

Im Standard spricht Ljubisa Tosic mit dem Komponisten Jorge Sánchez-Chiong, der in seiner Arbeit mit klassischen Instrumentierungen auch Einflüsse aus Club- und Noise-Musik zulässt. Engstirnigkeiten lehnt er ab: "Täglich werden unzählige musikalische Anwendungen programmiert, frei zur Verfügung gestellt. Neue Generationen nützen das selbstverständlich, um sich auszudrücken. Allein die Verfügbarkeit dieser Ressourcen hilft dem Neuen. Das Neue ist unvermeidlich, eine Art Aggregatzustand der Kreativität. Und: Wir haben diesen Pakt mit dem Teufel geschlossen, wir suchen nach der Musik, die noch nicht existiert, unaufhörlich." Das klingt dann so:



Weiteres: Außerdem spricht Tosic mit dem Gitarristen Wolfgang Muthspiel. Im Guardian-Blog für klassische Musik plädiert David Charlton dafür, den Komponisten Étienne Méhul wiederzuentdecken. Simon Reynolds sammelt in seinem Blog online zugängliche Essays und Artikel des kürzlich verstorbenen Pop- und Kulturtheoretikers Mark Fisher. Thomas Baltensweiler (NZZ) und Jürgen Kesting (FAZ) gratulieren der Sängerin Leontyne Price zum 90. Geburtstag. Dazu eine Live-Aufnahme:



Besprochen werden ein Jubiläumsalbum zum 25-jährigen Bestehen der Sterne (Freitag), ein Konzert von Ennio Morricone in Wien (Standard), das neue Album der Flaming Lips ("eine zeitgenössische Form von Progrock", freut sich Stefan Michalzik in der FR), ein Raritäten-Konzert der Berliner Staatskapelle unter Daniel Barenboim (Tagesspiegel), das Debüt von Sampha (The Quietus, Ueli Bernays schwärmt in der NZZ von einer "irritierenden wie ansteckenden Tristesse", mehr dazu hier) und das Rap-Album "Hedonism" von Cakes Da Killa (taz).
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Architektur

Die Dubliner Architektinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara, designierte Leiterinnen der Architekturbiennale 2018 von Venedig, haben mit der Technischen Universität in Lima eine Campus-Universität in einem Hochhaus untergebracht, staunt Stanislaus von Moos in der NZZ: "Die UTEC hat die Gestalt einer riesigen, offenen Megastruktur, bestehend aus hängenden Gärten, frei in den Luftraum gehängten Treppen und Galerien, über die man die auf zehn Stockwerke verteilten Laboratorien, Unterrichtsräume und Büros der Hochschule erreicht. Mag die von einem britischen Kritiker unlängst geprägte Formel von 'Peru's modern-day Machu Picchu' auch über das Ziel hinausschießen: Sie verknüpft den brutalistischen Neubau mit der Erinnerung an die an Steilhänge im Hochgebirge angelegten Städte der Inkas und berührt so zweifellos einen neuralgischen Punkt." (Foto: Grafton Architects)

Weiteres: Im südbadischen Rottweil steht jetzt ein 250 Meter hoher Turm, in dem Fahrstühle getestet werden, berichtet Martin Hecht in der FAZ und stellt fest: "Nichts ist provinzieller als die Provinz, wenn sie sich großstädtisch gebärdet."
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