Efeu - Die Kulturrundschau

Im Kühlraum einer Luxusfleischerei

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.04.2016. taz und SZ tauchen ein in Thomas Vinterbergs filmische Momentaufnahme der Siebziger. Pechschwarz sieht der Standard in Barrie Koskys Operninszenierung des "Macbeth". Der Anbau des Basler Kunstmuseums findet in der deutschen Presse wirklich keine Freunde: Heute stößt der FAZ die Mischung aus Glamour und Brutalität auf. Die NZZ begutachtet Männer-Models. Die FR besucht ein videodurchzucktes Körperorgan der Pipilotti Rist in Zürich.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 20.04.2016 finden Sie hier

Film



Als Kind ist der dänische Regisseur Thomas Vinterberg selbst in einer Kommune aufgewachsen, jetzt hat er mit "Die Kommune" eine Tragikomödie über ein Ehepaar gedreht, dass sich zwecks Auflockerung und Anreicherung ihres Lebens zusätzliche Mitbewohner und Paare mit ins zu große Haus holt. Eine Abrechnung mit den Eltern ist der Film allerdings nicht geworden, betonen die Kritiker. Dennoch wirft der Regisseur einen skeptischen Blick auf diese Lebensform und verfolgt anhand der auseinanderbrechenden Ehe die Frage, "was passiert, wenn die Gefühle den Ansprüchen nicht hinterherkommen", schreibt Barbara Schweizerhof in der taz: "Statt den erwarteten und inzwischen fast obligatorischen Abgesang auf die 68er mit ihren bourgeoisen Egoismen zu präsentieren, lässt Vinterberg seinen Film in ein Melodram münden. Man kann das merkwürdig, ja unangenehm finden. Ist so viel Privates noch politisch?" Fritz Göttler von der SZ erblickt in diesem Film "eine vibrierende Momentaufnahme der Siebziger" und verortet den Film im Gesamtwerk des Regisseurs: "Thomas Vinterberg erforscht in all seinen Filmen gesellschaftliche Gemeinschaft, ihre Funktion und Dysfunktion, den Zusammenhang von Kommune und Kommunikation."

Weitere Artikel: Für die taz wirft Barbara Wurm einen Blick ins Programm des FilmPolska-Festivals in Berlin, das sich in diesem Jahr mit einer Retrospektive dem Regisseur Jerzy Skolimowski widmet. Im Tagesspiegel staunt Carolin Haentjes: "Die polnische Filmindustrie [erweist sich] als erstaunlich progressiv." Im Standard stellt Dominik Kamalzadeh die Filme vor, die ab Mittwoch beim Crossing-Europe-Festival in Linz gezeigt werden. In der critic.de-Textreihe zum BRD-Kino des Jahres 1966 beschäftigt sich Lukas Foerster mit dem 007-Spoof "Einer spielt falsch", dessen Finale "immerhin ansprechend debil" ist.

Besprochen werden Tobias Lindholms Kriegs- und Justizfilm "A War" (Standard) und Athina Rachel Tsangaris "Chevalier" (FAZ).
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Bühne



Dieser Verdi ist ein Triumph, hier passt schlicht alles, lobt im Standard Joachim Lange die ganz auf die beiden Hauptfiguren konzentrierte Zürcher Inszenierung des "Macbeth": Teodor Currentzis am Pult, die fulminanten Sänger und natürlich Barrie Koskys Inszenierung: "Kosky ganz in der Rolle des tiefschürfenden Seelenforschers, der er eben auch ist. Bei ihm ist es Nacht, wo die Abgründe gähnen. Der szenische Witz kommt hier allenfalls als Rabe wie geradewegs aus einem Edgar-Allan-Poe-Käfig herbeigeflogen. Sitzt dann auf der Stuhllehne neben der Lady, die in den Wahnsinn abdriftet. Und dann mit ein paar Artgenossen am Ende auch neben Macbeth. Die Vögel bewegen sogar ihre Köpfe. Im Lichtkegel, allein und verlassen, mitten im Nichts. So könnte die Hölle aussehen. Der Clou von Koskys äußerlich betrachtet sparsamer, geradezu puristischer Inszenierung ist die Täterperspektive."

Weiteres: In seinem Porträt des Choreografen Akram Khan bewundert Dorion Weickmann (SZ) dessen "animalische Angriffslust und ebenso anmutige Eleganz".

Besprochen werden Tatjana Gürbacas Inszenierung der Strauss-Oper "Capriccio" (Standard), Matthias Kaschigs Inszenierung von Stefano Massinis "Lehman Brothers" in Luzern ("Gäbe es Ratings für Theaterinszenierungen, diese hier hätte AAA verdient", lobt Barbara Villiger Heilig in der NZZ), Sidi Larbi Cherkaouis Choreografie "Fractus V" beim Zürcher Tanzfestival Steps (NZZ) und eine Aufführung von Nikolaj Rimski-Korsakows selten gespielter Oper "Der Goldene Hahn" in Düsseldorf (FAZ).
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Architektur

Nachdem bereits Laura Weißmüller in der SZ ihre Skepsis gegenüber dem Erweiterungsbau des Kunstmuseums Basel zum Ausdruck gebracht hat (mehr dazu hier), zeigt sich auch Julia Voss von der FAZ wenig angetan: "Diese Box ohne Tageslicht könnte auch der Kühlraum einer Luxusfleischerei sein oder, etwas freundlicher formuliert, das Setting eines dystopischen Science-Fiction-Films ... Auf die Idee, sich in einem öffentlichen Gebäude zu befinden, würde man jedenfalls nicht kommen. Wo der Altbau mit farbigen Wänden, Holzvertäfelungen und großzügigen Fenstern ein fast wohnliches Ambiente schafft, setzt die neue Architektur auf eine Mischung aus Glamour und Brutalität, die in Zeiten passt, in denen Wirtschaftsmagazine sich Business Punk nennen."

Außerdem: Ulf Meyer begutachtet in der NZZ freudlos die neuen Hauptsitze der Nato und des Internationalen Strafgerichtshofs in bzw. bei Brüssel.
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Literatur

Für den Tagesspiegel hat Katrin Hillgruber das Literaturfestival Eventi Letterari Monte Verità in Ascona besucht.

Besprochen werden Siegfried Lenz' Nachlassroman "Der Überläufer" (Freitag, NZZ), Adolf Muschgs "Die japanische Tasche" (SZ), wiederveröffentlichte Bücher von Lafcadio Hearn (SZ) und Selva Almadas "Sengender Wind" (FAZ). Mehr über Literatur im Netz in Lit21, unserem handverlesenen Metablog.
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Design


Meadham Kirchhoff, SS 2013 Presentation Image courtesy of NOWFASHION and Meadham Kirchhoff

Noch kennt man selten ihre Namen, aber der Trend sagt: Männer-Models werden immer populärer, meint Marion Löhndorf in der NZZ. Und sie schaffen ein neues Männerbild, wie man zuletzt in der Schau "Mad About the Boy" im London College of Fashion beobachten konnte: "Nicht zuletzt sieht die Modeindustrie junge Männer als Sexobjekte. Doch während sich die Gesellschaft der Sexualisierung sehr junger weiblicher Models gegenüber in den vergangenen Jahren immer mehr sensibilisiert hat, ist von dieser Entwicklung hinsichtlich männlicher Teenager noch nichts zu spüren. Offenbar ist man der Auffassung, dass junge Männer selbst auf sich aufpassen können. Dabei verschwimmen die Grenzlinien zwischen Mode und Voyeurismus oft. In den Fiktionalisierungen der Mode wird das Stadium zwischen Kindheit und Erwachsensein als Niemandsland der unbegrenzten Möglichkeiten zunehmend fetischisiert."
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Musik

In der Welt annonciert Manuel Brug kommende Rollendebüts großer Opernstars wie Anna Netrebko (Elsa) oder Jonas Kaufmann (Otello, Hoffmann). Die Auszeichnung des Freejazzers Henry Threadgill mit dem sonst fast ausschließlich an Klassikmusiker vergebenen Pulitzerpreis dürfte "ein später Triumph für Duke Ellington" sein, meint Andrian Kreye in der SZ. Für NPR hat sich Patrick Jarenwattananon mit dem Preisträger unterhalten.

Jetzt alles liegen lassen und eine Stunde Threadgill hören:



Besprochen werden ein Konzert der Geigerin Isabelle Faust in der Zürcher Tonhalle (NZZ), eine Box mit den frühen Alben von Cluster (The Quietus) und ein Konzert von Stereo Total (FR).
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Kunst

Bei der Pipilotti-Rist-Schau im Kunsthaus Zürich geht es durchaus abenteuerlich zu, erfahren wir von Ingeborg Ruthe in der FR, die mit einer Taschenlampe durch die Ausstellung gegangen ist: Denn die Künstlerin hat den Raum "in ein videodurchzucktes Körperorgan verwandelt, durch das man sich mithilfe einer Lichtquelle den Weg suchen muss. Es geht durch Vulkan-, Wasser- und Körperlandschaften, die nicht nur die Künstlerin selbst in ihren virtuellen Selbstversuchen als Schwimmerin, Erdnymphe oder Körpersonde zu verschlingen drohen, sondern den Betrachter gleich mit. ... Es schwebt, leuchtet, zuckt. Dauernd wird unser Blick aus größter Nähe auf Dinge oder Körperteile gerichtet. Stets ist die Kamera in Bewegung, kriecht die Oberflächen entlang wie ein gieriges Reptil. Rist verschachtelt und verschränkt die Realitäten, Zeiten, Ebenen."

Besprochen werden die große Paul-Strand-Ausstellung im Victoria & Albert Museum in London (SZ), die Ausstellung "Billy Childish - unbegreiflich, aber gewiss" in den Opelvillen Rüsselsheim (taz) und die Ausstellung "Mythos Heimat" im Landesmuseum Hannover (FAZ).

Außerdem zeigt ZeitOnline Yannis Behrakis' mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Fotoserie über Flüchtlinge.

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