Efeu - Die Kulturrundschau

An der Peripherie des Weltenlaufs

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12.04.2016. Die SZ applaudiert Armin Petras' Frank Witzel-Inszenierung, die FAZ übt harsche Kritik. Das Monopol-Magazin staunt über nackte Hüften bei der Dubai Art Week. Der Guardian lebt derweil den rohen Feminismus von Violette Leduc. Und die NZZ erinnert an ekstatischen Chassidismus im ukrainischen Berditschew. Kein Aprilscherz: Die einstürzenden Neubauten spielen zur Eröffnung Hamburger Elbphilharmonie, amüsiert sich die SZ.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.04.2016 finden Sie hier

Kunst

Taz-Kritikerin Brigitte Werneburg hat keine Einwände dagegen, dass die Fondation Cartier ihre Ausstellung des Fotografen Fernell Franco in den Keller verfrachtet hat: "Denn Fernell Franco hat in seinem Werk die Dunkelheit gesucht, den Schatten; Schutz vor dem grellen Sonnenlicht". Auch ansonsten ist sie sehr angetan von den Bildern des Kolumbianers: Er "experimentierte ständig und versuchte die traditionellen fotografischen Verfahren zu überwinden, um das Erlebnis von Licht und Schatten − etwa mit dem Mittel der Solarisation − zu intensivieren ... Gleichzeitig zeigt sich in [seinem Werk] ein Misstrauen gegen die Fotografie, ein Verdacht ihres Ungenügens."

















Youssef Nabil, "I Saved My Belly Dancer", 2015

Fanny Steckel reist für das Monopol-Magazin zur Dubai Art Week und staunt nicht nur über das in den letzten zehn Jahren stark gewachsene internationale Angebot: "Neben den traditionellen Abayas und Dishdashas der Emiratis, klassisch in schwarz und weiß gehalten, wirken nach westlichem Geschmack Gekleidete plötzlich fremd und ausgefallen. Aufgrund der internationalen Aussteller und des internationalen Publikums fielen hier Akte oder sexuelle Inhalte weniger auf, erklärt eine Mitarbeiterin der Dubai Cultural Authority. Diese Themen sind strenggenommen absolut tabu, da die gesamte Dubai Art Week unter Schirmherrschaft der streng muslimischen Emirats-Regierung steht."

Besprochen werden die Ausstellung "Chagall bis Malewitsch" in der Albertina in Wien ("ein solches Panorama der russischen Avantgarde(n) hat es lange nicht gegeben", schwärmt Bernhard Schulz im Tagesspiegel), die Ausstellung "Die Maya - Sprache der Schönheit" im Martin-Gropius-Bau in Berlin (Tagesspiegel, SZ) und die Ausstellung "Le Douanier Rousseau - L'innocence archaïque" im Musée d'Orsay in Paris (SZ).
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Film

Für das Interview Magazine spricht Chris Wallace in aller Ausführlichkeit mit Oliver Stone. In der Welt spricht Eckhard Fuhr mit Nicolette Krebitz über "junkiehafte" Wölfe, die Erotik zwischen Frau und Tier und ihren neuen Film "Wild". Auf ZeitOnline bespricht Kaspar Heinrich den Film. Im Film Comment führt Marc Walkow durch die Welt der japanischen Musicals. FAZlerin Verena Lueken gratuliert dem Schauspieler Andy García zum Sechzigsten.

Besprochen werden der Dokumentarfilm "Sommer in Wien" (Tagesspiegel) und Hannes Holms "Ein Mann namens Ove" (SZ).
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Design

In der Schweiz sorgen Lederhandtaschen, die so aussehen, als befände sich eine Pistole in ihnen, für Aufregung, berichtet Andreas Hartmann in der taz.
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Musik

Was für ein Leben! Und alles für die Musik, den Underground, die Pop-Avantgarde. Andreas Busche staunt nicht schlecht in seiner in der Jungen Welt bereits vergangenen Freitag erschienenen Besprechung von Christof Meuelers Biografie über Alfred Hilsberg, der seit den 60ern seine Finger so ziemlich überall mit im Spiel hatte, wo Popmusik aus Deutschland interessant zu versprechen schien. Doch die Biografie lasse sich "auch als eine Chronik der alten und neuen Bundesrepublik lesen: von den 1960ern, als Hilsberg sich in seiner Geburtststadt Wolfsburg ein echtes Leben im falschen erträumte, über die bleiernen Jahre der Kohl-Ära bis in die 'Wendezeit' mit ihrem erstarkten Nationalstolz und den brennenden Flüchtlingsheimen. Ein wenig erinnert Hilsberg an Woody Allens Zelig-Figur: immer mittendrin im Zeitgeschehen oder zumindest an der Peripherie des Weltenlaufs."

In der SZ amüsiert sich Till Briegleb darüber, dass ausgerechnet die Einstürzenden Neubauten bei der womöglich sogar tatsächlich im nächsten Jahr stattfindenden Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie spielen sollen: "Nicht nur wegen des Namens, den man sofort auf die Krawallgeschichte dieses Skandalprojekts und die heftigen Streitereien um die statische Sicherheit des Konzertsaals bezieht, wirkt dieser Programmpunkt wie ein Kalauer."

Weiteres: Laura Aha berichtet in der taz von einer Berliner Soli-Party für den Hamburger Golden Pudel Club. Herbert Grönemeyer zum Sechzigsten gratulieren Michael Rother (Tagesspiegel) und Jan Wiele (FAZ).

Besprochen werden ein Konzert von David Garrett (FR) und das neue Album von Moderat (taz).
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Bühne

Gestern kamen die ersten Besprechungen zu Armin Petras' Berliner Adaption von Frank Witzels Roman "Die Erfindung...", heute liefern die großen Feuilletons nach. Bestens gelaunt freut sich SZler Peter Laudenbach sich über "die lockerste und gleichzeitig konzentrierteste Petras-Inszenierung seit längerer Zeit". Die Verknappungen und Streichungen dankt er dem Regisseur sehr. Auch die Musik der Band Die Nerven findet er schlicht super: "Einen besseren Soundtrack, eine adäquatere szenische Umsetzung hätte sich der Beatles- und Cream-Fan Witzel für seine Suche nach der verlorenen Zeit nicht wünschen können."

Irene Bazinger von der FAZ erhebt unterdessen erheblichen Einspruch: Zur Vorlage finde der Abend kein Verhältnis, es handle sich lediglich um "eine Art historisch halbwegs informiertes Kinderspiel mit Farbbeuteln, Knallbonbons und Ringelpiez, mit Hopsasa und Trallala. ... Die Hilflosigkeit ist offensichtlich, mit der sie hier alle zusammen [die Vorlage] nicht in den Theatergriff kriegen und stattdessen wie wild an der Oberfläche des Romans herumkratzen."

Was für ein würdiges Abschiedsgeschenk für Bayerns Staatsballettdirektor Ivan Liska, staunt Manuel Brug in der Welt. Das Wuppertaler Tanztheater führte im Rahmen der Münchner Ballettfestwoche erstmals eine Pina-Bausch-Collage auf, so Brug weiter:"Es ist anrührend zu sehen, wie jetzt neue Gesichter und Körper sich scheu, aber mutig diese Partien erobern, wie sie sich ertüchtigen und wachsen an dem so besonderen, die Individualität des Einzelnen stets achtenden Bausch-Idiom." (Foto: Laurent Phillippe)

Weiteres: Peter von Becker schreibt im Tagesspiegel zum Tode des Theaterkritikers Christoph Funke.

Besprochen werden Frank Castorfs Münchner Inszenierung von Jaroslav Hašeks "Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg" (FR, mehr im gestrigen Efeu), Barrie Koskys "Macbeth"-Inszenierung in Zürich (SZ), Ingo Kerkhofs "Alcina"-Inszenierung in Wiesbaden (FR), Liza Lims in Köln aufgeführte Oper "Tree of Codes" nach Jonathan Safran Foer (FAZ) und die Uraufführung von Hans Thomallas Oper "Kaspar Hauser" in Freiburg (FAZ).
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Literatur

Endlich erinnert sich die ukrainische Stadt Berditschew, einst Zentrum jüdischen Lebens, an ihr literarisches Erbe, schreibt Brigitte van Kann in der NZZ. Hier, in der Geburtstätte von Joseph Conrad, blühte der Chassidismus, hier heiratete Honore Balzac und: "Hier, im 'wolhynischen Jerusalem', beschloss der junge Aufklärer Scholem Yankev Abramowitsch in den 1860er Jahren, Erzählungen und Romane gerade in der gescholtenen jiddischen Alltagssprache zu schreiben, und musste dafür das Jiddische als Literatursprache erst einmal entwickeln. Von Berditschew also führt eine leuchtende Spur zum ersten und wohl auch letzten Nobelpreis für einen jiddischen Autor, für Isaac Bashevis Singer im Jahr 1978. Abramowitsch selbst hatte sich mit einer Satire über die Korruption bei der Fleischsteuer unbeliebt gemacht und musste die Stadt 1869 verlassen."

Rafia Zakaria bedauert im Guardian, warum so wenig Bücher von Violette Leduc ins Englische übersetzt wurden, denn im Gegensatz zu Simone de Beauvoir definierte Leduc Feminismus nicht nur theoretisch, sondern lebte ihn: "Roh, leidenschaftlich, erschütternd ehrlich."

Besprochen werden neue Kriminalromane (FR), Ria Endres' Gedichtband "Augen auf Augen zu" (FAZ), Loïc Merles "Allein, unbesiegbar" (SZ), James Agees "Da mir nun bewusst wird" (NZZ) und die Ausstellung "Bilderwelten: Buchmalerei zwischen Mittelalter und Neuzeit" in der Bayerischen Staatsbibliothek in München (SZ).

Außerdem bringt die SZ ihre Krimibeilage zum Frühjahr.
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Architektur

Besprochen wird Karl Möseneders Monografie über den Passauer Dom (SZ).
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