Efeu - Die Kulturrundschau

Mit allen diagnostischen Mitteln

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08.04.2016. Die NZZ annonciert einen minuziösen Check-up des Houellebecqschen Körpers auf der Manifesta 11 und hört mit der CD "African Fabrics" das urbane Afrika ticken. Die FAZ besucht ein Dada-Damenkränzchen. Alain Claude Sulzer singt ein Liebeslied an die Serenissima. Artechock würdigt die Entdeckungsfreude des Münchner Werkstattkinos. Die taz erliegt dem Blender Dean Blunt.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.04.2016 finden Sie hier

Kunst

In der NZZ annonciert Thomas Ribi die Zürcher Manifesta 11, die am 11. April beginnt. Dreißig Künstler beschreiben, "What People Do for Money". Mit dabei: Michel Houellebecq. "Im Mittelpunkt seines Projekts, das er mit der Klinik Hirslanden durchführt, steht die Untersuchung seines Körpers mit allen diagnostischen Mitteln. Ein minuziöser Check-up, der Auskunft gibt über seinen Gesundheitszustand, ergänzt um die Auflistung der Kosten der Untersuchung. Was heißt es, alles über seinen Körper zu wissen? Wollen wir das? Und wiegt es die Kosten auf, die entstehen?" Ob er bei der Untersuchung die Zigarette aus dem Mund nimmt?

Wer von Dada spricht, meint damit meistens von Männern gefertigte Kunst. Mit seiner Ausstellung "Dada anders" wirft das Museum Haus Konstruktiv in Zürich nun einen Blick auf das Schaffen von Sophie Taeuber-Arp, Hannah Höch und Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven aus dem Dada-Kontext. Insbesondere die schrillen Auftritte der letzteren beeindrucken FAZ-Kritikerin Ursula Scheer. Doch alles in allem hat sie ihre Probleme mit der Ausstellung: Sie verenge nämlich "unnötig den Blick. Denn außer der Tatsache, dass sie Frauen waren (womit die Ausstellung wohl schon das titelgebende 'anders' begründet), verbindet diese Frauen viel weniger miteinander als mit den Männern, gegen die sie sich abgrenzten, mit denen sie zusammenarbeiteten, die sich von ihnen inspirieren ließen und umgekehrt. Besser als Hannah Höch, Sophie Taeuber-Arp und Elsa von Freytag-Loringhoven weitgehend kommentarlos zu einer Art Damenkränzchen zu vereinen, wäre es gewesen, sie mitten in die lebhafteste Unterhaltung mit ihren männlichen Antagonisten zu werfen." (Bild: Sophie Taeuber-Arp in Ascona, 1925, Courtesy Stiftung Arp e.V., Berlin/Rolandswerth)

Weitere Artikel: Ein kleiner Schwerpunkt ist in der NZZ dem früh verstorbenen Schweizer Fotografen Werner Bischof gewidmet, der heute 100. Geburtstag hätte. Daniele Muscionico porträtiert ihn als den "James Dean der Schweizer Fotografie" und stellt Bischofs Tagebuch vor. Anna Pataczek porträtiert im Tagesspiegel die derzeit im Kunstquartier Bethanien in Berlin ausgestellte Künstlerin Ina Wudtke. SZlerin Sonja Zekri begleitet eine Gruppe Flüchtlinge bei einer Führung durchs Berliner Pergamonmuseum.

Besprochen werden eine Ausstellung zur Geschichte von Landkarten und Veduten im Max Museo in Chiasso (NZZ), eine Schau des Kunstmuseums Bern, die die Provenienz der eigenen Sammlung Moderner Meister erkundet (FR), Simone Niewegs Fotoausstellung "Der Wald, die Bäume, das Licht" im Museum Schloss Benrath in Düsseldorf (FAZ) und die Ausstellung "Modnerne Meister" im Kunstmuseum Bern (FR).
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Bühne

In der taz porträtiert Dorothea Marcus den syrisch-stämmigen Autor Anis Hamdoun, dessen Stück "The Trip" heute in der Berliner Schaubühne gezeigt wird.

Besprochen werden ein Dokumentarfilm über die Tangotänzer María Nieves und Juan Carlos Copes (FR, Artechock), Krzysztof Garbaczewskis "Locus Solus" nach dem Roman von Raymond Roussel an der Berliner Volksbühne (Berliner Zeitung, Deutschlandfunk) und die erste Episode der in Basel gezeigten Theaterserie nach Hansjörg Schneiders Kriminalromanen um Kommissär Hunkeler (FAZ).
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Literatur

Berlin oder London würde ein Besucher aus dem 19. Jahrhundert heute nicht mehr wieder erkennen. Aber bei Venedig, schreibt Alain Claude Sulzer in der NZZ, ist das ganz anders: "Venedigs Antlitz ist zwar verwittert, zerklüftet und welk, die Haut voller Warzen, Schürfungen und Altersflecken, das Haar stumpf, etliche Zähne ausgebrochen, aber es ist dasselbe Gesicht, dem am Ende des 18. Jahrhunderts endgültig der Spiegel entrissen wurde, in dem sich seine Macht und seine Schönheit während Jahrhunderten gespiegelt hatten."

Weitere Artikel: Die Jungle World hat Tjark Kunstreichs Nachruf auf den vergangene Woche gestorbenen Imre Kertész online gestellt. In der FAZ bringt Hannes Hintermeier Hintergründe zu den momentanen Umbauten und Sanierungen in der Villa Massimo.

Besprochen werden neue Krimis von Gianrico Carofiglio und Declan Burke (Perlentaucher), Gioacchino Criacos Krimi "Schwarze Seelen" (NZZ), Nicholson Bakers "Das Regenmobil" (FR), John Irvings "Straße der Wunder" (Zeit) und Dietmar Daths "Leider bin ich tot" (SZ).
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Film

Seinen Ursprung hat es im Umfeld der Punk- und Autonomenszene, heute greifen zahlreiche Filmtheater auf sein auf Raritäten und Ausgefallenes spezialisierte Archiv zurück: Das legendäre, insbesondere dem abseitigeren Film Raum verschaffende Münchner Werkstattkino feiert dieser Tage sein 40-jähriges Bestehen. Für Artechock hat Dunja Bialas das unverzichtbare "Filmmuseum für Dreck" und dessen Betreiberkollektiv liebevoll porträtiert: "Zum Kino­ma­chen gehört es auch, Entde­ckungen zu machen: Don Siegel, Walter Hill, David Cronen­berg, John Carpenter, Atom Egoyan, heute geläufige Namen, wurden vom Werk­statt­kino auch deshalb gewürdigt, 'weil es das Film­mu­seum nicht machte', so Waco. Man besetzte eine leere Nische und folgte eher den Kuchen­reu­ther-Kinos, die in den 70er Jahren Genre-Reihen, zum Western oder Poli­zei­film, zeigten. Die Entde­ckungen gaben sie dann an die Zuschauer weiter, die sich mit den Kino­ma­chern weiter­bil­deten und erfahren durften, 'was Kino sein kann'." (Bild: Thomas Groh, via Instagram)

Weiteres: In der critic.de-Textreihe zum deutschen Kino des Jahres 1966 schreibt Oliver Nöding über Hans Mehringers "Würger vom Tower", der mit dem "vielleicht schönsten Gruselkrimi-Moment" aufwarten kann. Philipp Meier annonciert in der NZZ das in Zürich stattfindende japanische Filmfestival Ginmaku.

Besprochen werden Hannes Holms "Ein Mann namnes Ove" (FR, Tagesspiegel), Lisei Caspers Dokumentarfilm "Gestrandet" (Artechock) und die neue britische Krimiserie "The Interceptor" (FR, FAZ).
Archiv: Film

Musik

"Wie tickt das urbane Afrika im digitalen Zeitalter? Was bastelt die DJ-Jugend Afrikas an ihren Laptops? Und wie klingt der ständige Techno-Import-Export aus Berliner Perspektive?" Da stellt mal jemand die richtigen Fragen zur richtigen Zeit, findet Jonathan Fischer, der in der NZZ Daniel Haaksmans Album "African Fabrics" vorstellt: "Bei einem DJ-Trip nach Angola entdeckte der Berliner die örtliche Techno-Variante Kuduro, weitere Reisen durch das lusophone Afrika spülten auch mosambikanischen und südafrikanischen Electro und Reggaeton in seine Plattenkoffer. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis er diese zu etwas Eigenem umformte. 'Kultur bewegt sich immer in beide Richtungen', sagt Haaksman. Und wenn sein amerikanischer Produzenten-Kollege DJ Spooky von afrikanischer Kultur als Folie aller Open-Source-Technologien und Vorbote einer hypermultikulturellen Zukunft schwärmt, dann gehört 'African Fabrics' zu den zwingenden Belegen." Hier was zum Hören:



Für die taz porträtiert Christian Werthschulte Dean Blunt, der unter dem Namen Babyfather gerade sein neues Album "BBF hosted by DJ Escrow" veröffentlicht hat. Sehr begeistern kann sich der Kritiker für den Musiker als Aufschneider: "Blunt ist ein Blender, eine Zitatfabrik in der Form einer Ich-AG, dessen Spuren ein Universum namens Dean Blunt eröffnen, dessen Zentrum leer ist. Auch sein neues Album wird daran nichts ändern - zum Glück! ... Die Kunstfigur Dean Blunt [ist] ein überinformierter Bescheidwisser, der lieber ein Slacker wäre, und deshalb das Selbstmarketing, das auch im elektronischen Underground mittlerweile Alltag ist, zuspitzt."

Weitere Artikel: In der Welt porträtiert Manuel Brug den Pianisten Lucas Debargue, der gerade seine erste CD veröffentlicht hat. In der Berliner Zeitung spricht Marcus Weingärtner mit Robin Jahnke, der ein Buch über die Geschichte des SO36 in Berlin geschrieben hat. Für die Jungle World altert Maik Bierwirth mit seiner Lieblingsband The Thermals. Michael Pilz denkt in der Welt anlässlich des Comebacks von Guns N' Roses über die Faszination des Widerwärtigen nach. Zum Tod des Countrymusikers Merle Haggard schreiben Frank Castenholz (Rolling Stone), Julian Weber (taz) und Matthias Heine (Welt).

Besprochen werden das neue Album von Tim Hecker (Pitchfork), ein Konzert von Anne-Sophie Mutter (SZ), die Compilation "Refugees Welcome" (taz), ein Konzert von Donovan (taz) und Christian Walthers Biografie des Schlagerdichters Robert Gilbert (Tagesspiegel).
Archiv: Musik